Die lustigste Nachricht vom orthografischen Kulturkampf kam vor einigen Wochen aus Erlangen. Von den Lesern der Zeitschrift Deutsche Sprachwelt, so teilte der zuständige "Schriftleiter" mit, wurde Springer-Chef Mathias Döpfner (42) für sein Engagement gegen die neue Rechtschreibung als "Sprachwahrer des Jahres" ausgezeichnet. Tatsächlich versucht ja das sprachpflegerische Fachblatt Bild seit langer Zeit den Volksaufstand gegen die "Schlechtschreibreform" zu mobilisieren.
Beim "Sprachwahrer des Jahres" und anderen "Rechtschreibschützern" im selbst erteilten Auftrag dürften nun dieser Tage die Sektkorken knallen. Denn die deutsche Rechtschreibung, der am eifersüchtigsten bewachte Kulturschatz unserer Zeit, ist vor dem Zugriff des Staates gerettet worden. Das glauben zumindest unsere Tugendwächter. Wer sich die gutgelaunten Kommentare unserer Sprachpfleger anschaut, der muss den Eindruck gewinnen, dass das orthografisch Böse endgültig besiegt ist. All die publizistischen Katalysatoren des Volkszorns, die vorgestern noch den Untergang des Abendlandes heraufbeschworen haben, sprechen nun von der Rückkehr zu einer "besonnenen und sachlichen Debatte" und belobigen - wie die FAZ als Sprachrohr der Reformkritiker - die "erstaunliche Unabhängigkeit" des "Rats für deutsche Rechtschreibung".
Was war das doch für ein hysterisches Geschrei, als sich im vergangenen Dezember der Rat für Rechtschreibung konstituiert hatte! Das vom ehemaligen bayerischen Kultusminister Hans Zehetmair geleitete Gremium galt als Tarnorganisation kultusministerieller Rechtschreib-Barbarei, in der man die Kritiker grausam unterrepräsentiert wähnte. So verschmähte das deutsche PEN-Zentrum lange Zeit die Einladung, in diesem Gremium konstruktiv mitzuarbeiten. Der orthografische Erz-Partisan Friedrich Denk kündigte gar die Gründung eines Gegen-Rats für Rechtschreibung an. Vor wenigen Wochen noch verwahrte sich der Sprachwissenschaftler Theodor Ickler, einer der energischsten Rechtschreibschützer, in scharfer Form gegen den Kompromiss-Kurs der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, die in Gestalt von Peter Eisenberg und Hartmut von Hentig das Gespräch mit der Rechtschreibkommission gesucht hatte, um einen Rückbau der Reform zu erreichen.
Der auf allen Foren der Reformgegner als linguistischer Think tank präsente Ickler hatte für Eisenbergs "Kompromissvorschlag" zur Wiederherstellung des "Rechtschreibfriedens" nur Hohn übrig. In der Süddeutschen Zeitung meldete er sich mit der dröhnenden These, als Strategie sei "das Herumdoktern an einem von Deppen hervorgebrachten Pfusch von Grund auf verfehlt". Noch im Februar publizierte er in seinem "Rechtschreibtagebuch", das auf einer Website der Forschungsgruppe Deutsche Sprache zu besichtigen ist, spöttische Anmerkungen zu seinem sprachwissenschaftlichen Verbündeten Eisenberg, den er offenbar als unsicheren Kantonisten bloßstellen will. Selbst als man sich im PEN zu einer Kehrtwende entschlossen hatte und Ickler höchstpersönlich in den Rat für Rechtschreibung entsandt hatte, setzte dieser in seinem digitalen Diarium seine verschwörungstheoretischen Attacken fort.
Eine einzige Sitzung des mit 36 Fachleuten besetzten Gremiums hat nun genügt, um die lautstärksten Reformkritiker (mit Ausnahme von Ickler) milde zu stimmen. Im Blick auf das umstrittene Kernstück der Rechtschreibreform, das Regelwerk zur Getrennt- und Zusammenschreibung, schlug nämlich die zuständige Expertengruppe vor, sich wieder stärker an der "idiomatisierten Gesamtbedeutung" der einzelnen Wörter zu orientieren und jene Wortkombinationen wieder zusammenzuschreiben, die ihrem Sinn nach zusammengehören. Nun dürfen sich die Schüler wieder mit dem Schulstoff "auseinandersetzen" und müssen sich nur dann räumlich "auseinander setzen", wenn sie als Störenfriede entlarvt worden sind. Nun dürfen sich zwei Menschen wieder "kennenlernen", und müssen nicht mehr dem Vorbild von "schwimmen lernen" folgen und "lernen", wie man "kennt". Auch dass uns die Bestimmungen der alten Rechtschreibung "wohlvertraut" sind und eben nicht nur - im Sinne einer Potentialität - "wohl vertraut", soll nun wieder straffrei behauptet werden dürfen. So kommt es, dass uns die Reformkritiker nicht mehr "Leid tun" müssen, sondern uns allenfalls noch "leidtun". Aber sie werden nicht aufhören und uns weiter "vollquatschen", nachdem sie zuvor - schlimm genug - die Lizenz für das "voll quatschen" hatten. Um uns zu erholen, dürfen wir wieder "spazierengehen", wenn wir allerdings das Auto benutzen, werden wir weiterhin "spazieren fahren".
Ur-Rebell Denk brach trotz der unübersichtlichen Schrift-Lage ebenso in Jubel aus wie der politische Wortführer des orthografischen Populismus, der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, der seine Liebe zur alten Rechtschreibung erst entdeckt hatte, als er in einem "Deutsch-Test" eines großen Privatsenders glatt durchgefallen war. Dass künftig wieder "zusammengeschrieben wird, was zusammengehört", tönte Wulff, trage zur "Befriedung im Rechtschreibstreit" bei. Nur Ickler beharrt in seinem fundamentalistischen "Rechtschreibtagebuch" weiter darauf, dass in den Sitzungen des Rates "etwas Aberwitziges, Surreales stattfindet" und dass "das Herumsitzen in Gremien zweifelhaftester Zusammensetzung" doch "wirklich grotesk" sei. Von kollektiver Entscheidungsfindung hält er offenbar wenig. Normative Geltung gesteht er allenfalls dem eigenen Regelwerk (Normale deutsche Rechtschreibung", Reichl Verlag 2004) zu.
Es passt zum großen Tohuwabohu der Debatte, dass sich nun trotz der neuen Unsicherheiten eine fast ubiquitäre Genugtuung ausbreitet. Aber es liegt bislang weder ein offizieller Beschluss des Rats für Rechtschreibung vor, noch ist absehbar, inwieweit die Kultusminister den bislang nur von einer Arbeitsgruppe formulierten Vorschlägen folgen werden. Bei nüchterner Betrachtung hat sich die orthografische Anarchie durch den derzeitigen Schwebezustand noch weiter verschärft. Es ist kaum vorstellbar, dass wie vorgesehen ab dem 1. August in Schulen und Behörden ein Regelwerk verbindlich in Kraft treten kann, dem derzeit umfassende Korrekturen bevorstehen. Möglicherweise wird nun wieder die Option einer Verlängerung der Übergangsfrist ins Spiel kommen, innerhalb derer alte und neue Rechtschreibung Gültigkeit haben.
Noch immer krankt die Debatte an dem Umstand, dass sich die Akteure in diesem Streit in dogmatischer Selbsterhitzung in ihre normativen Vorgaben verbissen haben. Seit ihrer Konzipierung laborierte die Rechtschreibreform an einem grundsätzlichen Paradox: Eine staatlich verfügte Reglementierung der Schriftnorm sollte - entgegen mancher Gewohnheit der Sprachgemeinschaft - zu einem Abbau von orthografischer Überregulierung führen. Die literarische Intelligenz reagierte erwartungsgemäß mit einem kulturkonservativen Reflex und witterte "das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg" (Thomas Steinfeld). In ihrer forcierten Entrüstung verhielten sich die orthografischen Bürgerkrieger um Friedrich Denk ebenso argumentations-resistent wie die Mitglieder der Rechtschreibkommission, die sich zunehmend in einer Bunkermentalität gefiel.
Die eiserne Selbstherrlichkeit der Reformkritiker ist nun offenbar im "Rat für Rechtschreibung" etwas aufgeweicht worden. Geblieben ist aber der Besitzanspruch auf "das Sprachempfinden", das wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird. So fordert etwa Reiner Kunze, der in seiner Dichtung eher als Agent der gemäßigten Kleinschreibung daherkommt, in seinen Traktaten wie der 2004 veröffentlichten "Denkschrift" zur Rechtschreibreform Die Aura der Wörter den Total-Abriss der Reform. Darin ist er sich einig mit vielen Gesinnungsgenossen, die in jüngster Zeit - wie etwa der Schweizer Lehrer Stefan Stirnemann - die abflauende Empörung wieder anzufachen suchten. Der eigentliche Gegenstand der Debatte ist dabei in weite Ferne gerückt. In einem von Stirnemann herausgegebenen Sammelband der Reformgegner Im Wundergarten der Wörter werden auch ehrverletzende Vorwürfe gegen die Mitglieder der ehemaligen Rechtschreibkommission genährt. Man habe in dort unter "mafia-ähnlichen Zuständen" leiden müssen, wird hier kolportiert, "an die üblen Praktiken der DDR erinnernde Machenschaften" seien an der Tagesordnung gewesen.
Reiner Kunze beruft sich in seiner Polemik auf "die Aura der Wörter" - obwohl doch die Erfahrung der "Aura" eine höchst subjektive Disposition ist und auf poetischen Vor-Entscheidungen beruht, die keine objektive Geltung besitzen. Das kultisch beschworene "Sprachempfinden" hilft bei der Frage, ob mit "behände" ein historisch verschütteter Zusammenhang mit "Hand" hergestellt werden darf oder ob wir beim tradierten "behende" bleiben müssen, überhaupt nicht weiter. Gewiss ist kaum vermittelbar, dass wir "pleite gehen" sollen, wo wir doch in einem Wort "kaputtgehen". Konsensfähig ist daher möglicherweise die nun angestrebte Korrektur, dass wir uns künftig wieder "krankschreiben" lassen dürfen und uns nicht absichtlich "krank schreiben" wollen.
"Eine linguistische Theorie", so wird immer wieder der Sprachwissenschaftler Gerhard Augst (ein ehemaliges Mitglied der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission) zitiert, "die nicht die üblichen Schreibungen erzeugt, ist falsch." Aber sind denn die "üblichen Schreibungen", die uns die alte Rechtschreibung nahe legt, so konsistent, wie das die Reformgegner immer wieder behaupten? Mit dieser Berufung auf die "übliche Schreibung" könnte man auch den weit verbreiteten "Deppen-Apostroph" (zum Beispiel "Armin´s Treff") rechtfertigen. Denn der hat sich so epidemisch vermehrt, dass er, folgt man der Argumentation der Reformgegner, bald im Duden Platz finden müsste. Auch dem jämmerlichen Selbstbetrug der Kritiker, dass mit der Rückkehr zur "bewährten Rechtschreibung" das "orthografische Chaos" (Michael Klett) an den Schulen zu beheben sei, sollten wir nicht verfallen. Was ist an einer Regelung bewahrenswert, die uns vorschreibt, dass "der einzelne" klein zu schreiben ist und dass wir "Auto fahren" getrennt schreiben sollen, nicht aber "radfahren"? Und wie sollen wir unserem "Sprachempfinden" einverleiben, dass - nach alter Regel - "jemandem Recht geben" ebenso logisch richtig sein soll wie "recht haben"?
Von der großen Rechtschreibreform, behauptet nun ein Friedrich Denk in Siegerpose, werde nur das Doppel-s anstelle des "ß" übrig bleiben. Damit wäre die Debatte fast wieder beim Nullpunkt angekommen - nämlich bei den ungelösten Fragen der großen orthografischen Konferenz von 1901. Wegen der erheblichen Schwierigkeiten, den Komplex der Getrennt- und Zusammenschreibung letztgültig zu regeln, ist dieser Problemteil aus den Beschlüssen der Konferenz ausgeklammert worden. Wir stehen also orthografisch wieder am Anfang. Aber hoffentlich ohne Besitzansprüche.
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