Mit dem Krieg der USA und ihren "Willigen" wurde erstmalig in der Geschichte ein Angriffskrieg mit der Begründung geführt, in einem anderen Land Freiheit und Demokratie durchsetzen zu wollen. Kurz nach dem Ende dieses Krieges trafen sich die offiziellen Kriegsgegner - Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland - und berieten über die Aufrüstung der EU zu einem Militärblock mit eigener globaler Interventionsfähigkeit. Von solcher "Befähigung" zur Anwendung ist es nur ein kleiner Schritt.
Der Krieg, die Gewalt, der Zivilisationsbruch sind wieder zur Normalität geworden. Erschienen nach 1945 Kriege endlich als Regelverletzung und Versagen der Zivilisation, so werden Drohung und Vollzug militärischer Gewalt heute wieder zur prima ratio, globale und regionale Konflikte zu lösen - mit einer wichtigen Bedingung: wenn sie von "uns", von der zivilisierten Welt, den Demokraten, den Anhängern von Freiheit und Marktwirtschaft geführt werden. Die Differenzen der Willigen und Unwilligen beim Krieg gegen den Irak waren Differenzen auf dem Boden des gemeinsamen Einverständnisses der verschworenen Gemeinschaft guter Herrscher, die davon überzeugt sind, dass sie das Recht haben, diese Herrschaft mit dem Blut anderer durchzusetzen.
Was für eine Zivilisation ist es, die des Krieges bedarf, um ihren Frieden zu garantieren? Was für eine Zivilisation ist es, die nach militärischer Allmacht ruft, um Bestand zu haben? Was für eine Zivilisation ist es, die dem Terror von Selbstmordattentätern den Boden bereitet? Was für eine Zivilisation ist es, die für Rohstoffe fremde Länder besetzt, Regierungen anderer Länder ökonomisch, politisch und militärisch erpresst oder einfach ein- beziehungsweise absetzt? Was für eine Zivilisation ist es, die Freiheit durch Gewalt, Demokratie durch Unterdrückung, Wohlstand durch Ausbeutung durchzusetzen behauptet?
Es ist zunächst die alte, ganz alte Zivilisation, in der aus gewählten Richtern Könige wurden, aus Siedlungen ummauerte Festungen, aus freien Nomaden und Bauern Untertanen, die auszogen, um andere zu unterdrücken. Es ist jene Zivilisation, die in ihrem Kern herrschaftlich regulierte Gewalt ist - Gewalt unter der Kontrolle der Machthaber und eingesetzt in ihrem Interesse. Es ist eine Zivilisation, in der Frieden nur zu den Bedingungen dieser Herrscher zu haben ist, in der dem Kaiser zu geben ist, was er fordert, damit er einem ein Leben nach seinen Regeln lässt. Es ist eine Zivilisation, in der jeder frei sein kann, wenn er nur diese Regeln, die er selbst nicht geschaffen hat, beachtet. Es ist eine Zivilisation, die den Frieden für Schafe gewährt, die sich geduldig scheren lassen.
Und es ist eine neue Zivilisation, die neue Gewalt braucht. Es ist eine Zivilisation, die seit 500 Jahren immer mehr vom Globus und der Menschheit ergreift, Raum und Zeit und Menschen und Kultur nach einem Muster umbildet - erst unter Vorherrschaft von Spanien und Portugal, dann von England, heute der USA. Die rassistische nationalsozialistische Offensive ist Teil dieser Zivilisation und war zugleich ihre abscheulichste Gestalt. Es ist eine Zivilisation, die in der kommunistischen Revolte ihr unterlegenes, verzweifeltes und oft grausames Gegenbild hatte. Es ist eine Zivilisation, die alles Menschenwerk mit der Macht der Verführung und brutaler Gewalt der Logik der Selbstverwertung von Gold und Geld unterwirft und täglich mehr als hunderttausend Menschen dem Hungertod ausliefert. Die Freiheit der Märkte wird zum Menschenrecht erklärt. Es ist deshalb auch eine Zivilisation, die Kreuzzüge führt für einen Christus, der zum Götzen erniedrigt wurde, für die Herrenrasse, für Freiheit und Demokratie. Es ist eine Zivilisation, die zu globaler Herrschaft, globalem Krieg, globaler Gewalt verdammt.
Sind wir wirklich so unmündig, dass wir diese gewalttätige Zivilisation brauchen, um uns vor der Barbarei des Krieges jedes gegen jeden zu schützen? Sind wir so sehr noch oder wieder Barbaren, dass wir nicht den Frieden als Weg des Friedens und zum Frieden beschreiten können? Sind wir dauerhaft so demokratieunfähig, dass in der Diktatur von Weltbank und IWF sowie G 8 jene Sachzwänge diktiert werden müssen, auf die sich dann unsere gewählten Regierungen berufen, wenn sie uns Blut, Schweiß und Tränen abverlangen? Sind wir so ohnmächtig gegenüber der Raubrittermentalität der globalen Eliten, dass wir Steuerflucht nicht stoppen, Vermögen nicht gerecht belasten? Dass wir Gewinne nicht sozial haftbar machen können und dafür zulassen, dass bei Arbeitslosen gekürzt wird, die weder flüchten können noch Vermögen haben?
Wenige Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges nannte die zu diesem Zeitpunkt schon wegen des Aufrufs zur Fahnenflucht rechtskräftig verurteilte Rosa Luxemburg zwei Bedingungen, um Kriege zu verhindern: "Verbreitung vollkommener Klarheit über die Sachlage und die Konsequenzen der Entwicklung" sowie das Bewusstsein, dass wir unser "Schicksal selbst zu bestimmen haben". Diese Zivilisationsaufgaben müssen wir vor allem lösen, wenn wir nicht auf ewig zur Gewalt verdammt sein wollen.
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