Ein neuer Männertypus

Fußball Die Alten sind korrupt, die Jungen metrosexuell wie nie – Über Jogi Löw und seine smarten Jungs
Ausgabe 25/2014
Michael "Die Antithese" Ballack
Michael "Die Antithese" Ballack

Bild: CHRISTOF STACHE/AFP/Getty Images

Für die dicken Fische im deutschen Fußballklüngel sind harte Zeiten angebrochen. Uli Hoeneß muss die WM hinter Gittern verfolgen (immerhin mit Upgrade auf die Landsberger Krankenstation, wo man auch die Mitternachtsspiele anschauen darf), Reiner Calmund erniedrigt sich zum Gammelfleisch-Orakel für Supermärkte. Und Franz Beckenbauer hält mit seiner 90-Tage-Sperre als spektakuläres Bauernopfer für die aussichtslose Imagepflege der FIFA her.

Aber nicht nur hierzulande erleiden die großen alten Männer des Lieblingssports einen galoppierenden Autoritätsverlust. Auch wenn man den netten Weltmeister-Onkel Vicente del Bosque und seine niederländische Nemesis da gerne heraushalten möchte: Man braucht ja bloß an den FIFA-Chef Sepp Blatter selbst zu denken, der sich gewiss einen Lebensabend als leuchtendes Fossil an der Spitze des Weltverbands erhofft hatte und stattdessen wie der greise Pate eines Mafiasyndikats dasteht.

Die Alten sind abgemeldet, und mit ihnen ein Männertypus, der den Profifußball auch auf dem Rasen jahrzehntelang dominierte. An seiner Stelle strahlt nun umso heller ein neuer Typus, zunächst vor allem unter den Spielern. Dieser Tage macht eine Fotoserie auf der Webseite BuzzFeed.com das ganze Internet wuschig: 54 Gründe, warum die deutsche Mannschaft das hotteste WM-Team sein könnte. Diese Zusammenstellung von Selfies, Action-, Werbe- und Ohne-Trikot-Bildern von Jogis Jungs ist in der Tat atemberaubend. Noch atemberaubender die herrlich entfesselte Betextung über „babygesichtige Adonisse“, „glühende Götterkörper“ und „beiläufig perfektes Augenbrauenspiel“.

Dergestalt durcherotisiert tritt uns der WM-Kader als grandioses Gruppenstatement für Metrosexualität entgegen: So effektsicher, so in jeder Muskelfaser definiert und epiliert wie noch vor zehn Jahren eine deutsche Nationalmannschaft nicht vorstellbar gewesen wäre. Da kann selbst ein David Beckham einpacken.

Kommen wir an diesem Punkt, ohne damit irgendetwas unterstellen zu wollen, auf die „Schwulencombo“ zurück. Wir erinnern uns: Das blies zur WM 2010 ein Spielermanager in die Welt, der seinen prominentesten Schützling durch ein angebliches Homokomplott aus der Turnierelf verdrängt sah. Dieser Schützling war Michael Ballack, der wohl letzte deutsche Fußballweltstar, der als vollständige Antithese zum Metrosexuellen auftrat. Und wir wissen, wenn nicht gerade die Hymnen der Village People die Melodie für Fangesänge hergeben, ist „Fußball und schwul“ nach wie vor ein heikles Thema. Bis heute hat sich kein aktiver Bundesligaspieler geoutet. Stattdessen hat aber jeder, der sich auszukennen meint, ein paar Namen parat, bei denen es doch sonnenklar sei.

Nun ist das Schöne am Konzept Metrosexualität, dass es eben nicht mehr klar sein muss. Man mag sich beim Shaping und Posing abarbeiten, aber man braucht sich nicht um Zuordnungen zu scheren. Das deutsche WM-Team – und nicht nur das – als vorläufige Apotheose des „schönen Spiels“ in jeder Hinsicht verrichtet somit eine beispiellose Emanzipationsarbeit. Wenn es heute noch starker Bilder bedarf, um den Männerfußball aus dem Schwitzkasten des Chauvinismus zu erlösen, so liefern sie diese Jungs. Endlich eine Nationalmannschaft zum glamourösen Abfeiern –und Müller macht trotzdem seinen Hattrick.

Michael Ebmeyer hat soeben Das Spiel mit Schwarz-Rot-Gold. Über Fußball und Flaggenfieber bei Kein & Aber veröffentlicht

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