Als Josep Guardiola i Sala die Ehrenmedaille des katalanischen Parlaments überreicht bekam, hielt der Fußballtrainer eine hübsche Dankesrede. Über den Sport als Herzensbildung, über seine Familie und dörfliche Herkunft und darüber, dass er so eine Auszeichnung für verfrüht halte. Hängen blieb aber vor allem sein letzter Satz: „Wenn wir alle früh aufstehen und hart arbeiten, ohne Vorwürfe und ohne Ausreden, dann sind wir ein unaufhaltsames Land,.“
Geflügelte Worte einer Lichtgestalt. „Heute habe ich mal wieder nicht auf Guardiola gehört“, berichteten katalanische Langschläfer danach bald scharenweise auf Facebook.
Das war im September 2011, und ein Jahr später gab Guardiola noch deutlicher
noch deutlicher zu erkennen, dass die Bewegung für das unaufhaltsame Land auf ihn zählen konnte. Zum Abschluss der Massenkundgebung „Katalonien, neuer Staat Europas“ am katalanischen Nationalfeiertag sollten die Teilnehmer grüne Karten schwenken, wenn sie sich diesen neuen Staat wünschten. Guardiola, auf Auszeit in Übersee, machte es per Videoeinspieler vor: „Hier habt ihr noch eine aus New York.“ Noch eine grüne Karte.Die Demonstration, zu der ein Fünftel der Bevölkerung Kataloniens zusammenkam, war das weltweit sichtbare Fanal für den entfesselten Drang nach Eigenständigkeit zwischen Pyrenäen und Ebrodelta. Die deutsche Presse verhandelte das Phänomen dann unter Überschriften wie „Katalanen wollen nicht mehr für Madrid blechen“.Wer spricht Katalan?Nun tritt Guardiola im Juni sein Amt als Trainer des FC Bayern München an. Die einen feiern ihn, als hätte der deutsche Rekordmeister nach der letzten Saison noch einen Erlöser nötig. Neben der unterwürfigen 400-Seiten-Schwarte Pep Guardiola: die Biografie erscheinen Exegesen unter Titeln wie Pep Guardiola: So geht moderner Fußball oder Tu, was du kannst – und sei mutig. Pep Guardiolas Erfolgsgeheimnis. Andere trauern derweil schon um die letzten Reste des guten alten Münchner Testosteronfußballs. Und die Katalanen selbst freuen sich über einen Coup in Sachen Außenwirkung: Mit Guardiola zieht der katalanische Traum in Deutschland ein.Über Politik wird der Neue hier wohl nicht reden. Und doch wird allein seine Präsenz etwas ändern, wie schon die Erfolgsserie von Barça in den letzten Jahren einiges geändert hat. So ist immer seltener vom spanischen, sondern meist vom katalanischen Verein die Rede. Immer mehr Sportjournalisten sprechen dessen Heimatstadion wirklich „Camp Nou“ aus und nicht „Camp Nu“, also „Nacktfeld“, aus. Überhaupt die Sprache: Beim Champions-League-Halbfinale im April grübelte der Kommentator Marcel Reif nach einem seiner Sätze laut vor sich hin: „Ich weiß nicht, wie das auf Katalan heißt.“ Deutsche sagen oft „Katalan“ statt Katalanisch, weshalb auch immer. Aber bis vor ein paar Jahren hätten hier nur wenige gewusst, dass in Katalonien etwas anderes gesprochen wird als Spanisch.„Nirgendwo ist es so schwer, Katalonien zu erklären wie in Deutschland“, sagt Martí Estruch, der das neu geschaffene Amt des „internationalen Pressesprechers“ der katalanischen Regierung – der Generalitat – bekleidet. Zuvor hat er die katalanische Vertretung in Berlin aufgebaut. Er ist also wohlvertraut mit den drei großen Problemen, auf die das Unabhängigkeitsstreben hier stößt: das Reizwort Nationalismus. Die Tourismusgeschichte, die Costa Brava, für die Deutschen seit 50 Jahren ein Inbegriff von Spanien, kann doch nicht plötzlich etwas anderes sein! Und ein idyllisiertes Bild vom spanischen Staat.„Von Nationalismus sprechen wir heute nicht mehr“, erklärt mir Estruch in Barcelona, „sondern vom Recht auf Selbstbestimmung. Genau dafür haben wir ja im September vergangenen Jahres demonstriert: für ein Referendum, bei dem die Bevölkerung selbst entscheidet, ob Katalonien eigenständig werden soll.“Auf diese Volksabstimmung nach schottischem Vorbild läuft nun alles zu, auch wenn die Juristen darüber noch streiten. Die spanische Verfassung sieht kein Austrittsreferendum vor, aber, sagt Martí Estruch: „Diese Verfassung stammt aus einer anderen Zeit und ist eh reformbedürftig.“Aus einer anderen Zeit stammen auch die Reaktionsmuster rechter Kreise in Madrid. „Die Unabhängigkeit Kataloniens? Nur über meine Leiche und über die von vielen anderen“, drohte kürzlich Francisco Alamán Castro, Oberst der spanischen Armee. Spanien sei „nicht Jugoslawien oder Belgien“, sondern „eine der wichtigsten Nationen der Menschheitsgeschichte“. Auch den Hinweis auf den „scheinbar schlafenden Löwen“, der „im Lauf der Jahrhunderte immer wieder seine Schlagkraft gezeigt“ habe, ließ der Oberst nicht aus.Solche Töne entsprechen nicht dem gemäßigten Anstrich, den sich die konservative Regierung in Madrid unter Ministerpräsident Mariano Rajoy gibt, und in der internationalen Berichterstattung werden sie meist verschwiegen. Doch sie prägen die spanisch-katalanische Debatte ebenso entscheidend mit wie die Parolen der Unabhängigkeitsbewegung.„Die Deutschen wundern sich über uns“, sagt der Philosoph Josep Maria Terricabras: „Die Spanier sind doch so nett, haben wir Katalanen das nicht verstanden? Aber nein, wir fühlen uns nicht in guten Händen.“Hinter dem netten Spanien gibt es eben, politisch gesehen, noch ein anderes, von dem man im Urlaub wenig mitbekommt. Rajoys PP, die mit absoluter Mehrheit regiert, ist nicht wie die CDU eine Partei der Mitte mit rechtem Flügel, sondern eine rechte Partei mit mittlerem Flügel. Und rechts heißt in Spanien immer auch antikatalanisch. „Seit die PP in Madrid wieder an der Macht ist, produziert sie bei uns laufend neue Independentistes“, sagt Terricabras.Diese Independentistes sind eine Zweckgemeinschaft von bürgerlich bis links außen, vereint durch das Anliegen, von einem Staat loszukommen, von dem sie sich politisch gegängelt und finanziell stranguliert fühlen. Ihren Zuwachs allein damit zu erklären, dass in der Wirtschaftskrise ein paar Frühaufsteher Spanien den Solidarpakt kündigen wollen, wäre unlauter.Die Spitze der BewegungDie Auslöser für den Unabhängigkeitsdrang liegen vor dem Beginn der Krise. Nach langen Verhandlungen trat 2006 ein neues Autonomiestatut für Katalonien in Kraft, vom spanischen Parlament gebilligt. Es war ein Meilenstein des Föderalismus für Spanien, und die Forderung nach einem katalanischen Staat hätte sich damit erledigen können: „Wir wussten“, sagt Terricabras, „wenn Spanien dieses Statut akzeptiert, wird Katalonien nicht unabhängig.“Doch die PP klagte vor dem Verfassungsgericht, das nach vierjähriger Beratung das Statut für teils verfassungswidrig befand. Nach der Urteilsverkündung im Juli 2010 gingen in Barcelona über eine Million Menschen für das „Recht auf Selbstbestimmung“ auf die Straße. Die Lawine war losgetreten und fegte kurz darauf die sozialdemokratisch geführte katalanische Regierung aus dem Amt. Neuer Präsident der Generalitat wurde Artur Mas, dessen christlich-liberale CiU beim Thema „eigener Staat“ es stets nur mit feierlicher Rhetorik hatte bewenden lassen. Doch Mas erkannte: Wenn er von den Ereignissen nicht überrollt werden wollte, musste er sich an die Spitze der Bewegung stellen. In diese Phase fallen Guardiolas Worte vom unaufhaltsamen Land.Nach der zweiten, noch größeren Demonstration im September 2012 – der mit den grünen Karten – bat Präsident Mas die Regierung Rajoy einmal mehr um einen Fiskalpakt, wie er mit Navarra und dem Baskenland längst besteht. Der Pakt hätte Katalonien eine eigenständige Steuerpolitik erlaubt: ein wichtiges Werkzeug im Kampf gegen die wuchernde Verschuldung – der vielbeschworene „Motor Spaniens“ steht mit 20 Prozent seines BIP in der Kreide. Und Madrid hätte durch so ein Zugeständnis den „Separatisten“ einigen Wind aus den Segeln nehmen können.Doch von Rajoy kam einmal mehr ein schroffes Nein. Artur Mas rief daraufhin in Katalonien vorgezogene Neuwahlen aus, um mit einer erhofften absoluten Mehrheit den „neuen Staat Europas“ zu verwirklichen. Großer Gewinner war aber nicht seine CiU, sondern die ERC (Republikanische Linke Kataloniens), die schon immer die Unabhängigkeit anstrebt und dem in Deutschland so schwer vermittelbaren Phänomen des linken Nationalismus zuzurechnen ist. Unter dem Staat Katalonien stellen die meisten ihrer Anhänger sich ein sonniges Utopia mit offenen Grenzen und Wohlstand für alle vor. Aus der ERC kommt auch die Forderung, das Referendum ins Jahr 2014 zu legen – dann ist es genau 300 Jahre her, dass Katalonien die staatliche Autonomie verlor.Das politische Klima zwischen Katalonien und Spanien ist so vergiftet wie noch nie seit Francos Tod. Und während die PP ihre nächste Attacke gegen die katalanische Selbstbehauptung lanciert (Ziel diesmal: das katalanischsprachige Schulsystem), hat sie bei der Neubesetzung des Verfassungsgerichts dafür gesorgt, dass auch dort über Jahre ihre Parteigänger den Ton angeben. Die einzige Chance der Independentistes, ihr Referendum durchzusetzen, liegt damit im Druck von der Straße. Der aber wächst: Jüngste Umfragen ergeben in Katalonien eine Mehrheit von 58 Prozent für die Unabhängigkeit, Tendenz weiter steigend.Und Europa? Von der Verblüffung darüber, dass die EU ihre Pläne nicht begeistert aufnahm, haben sich die Aktivisten inzwischen erholt. Nun hoffen sie, dass Europa sich zumindest neutral verhält. Einen „Crashkurs Realpolitik“ nennt Pressesprecher Estruch das. Er gibt sich überzeugt: „In fünf Jahren ist Katalonien ein eigenes Land.“Ein kleines Land wäre es, etwa so groß wie Belgien, knapp halb so groß wie Bayern. Und in Bayern fängt jetzt also der neue Trainer an. Josep heißt er, wird Pep genannt. Das reimt sich auf Sepp, den bayerischen Josef, und es ist – Stichwort Lichtgestalten – auch von Jupp nicht weit entfernt. So kann man sich vielleicht schon einmal aneinander gewöhnen.
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