Sie verhalten sich wie Diebe

Biopiraterie In Bonn wird um verbindliche Regelungen gerungen, die das traditionelle Wissen vor Raub durch die Industriestaaten schützen

Nomthunzi Sizani ist bestürzt. "Sie verhalten sich wie Diebe und stehlen unser traditionelles Wissen", klagt sie. Die Xhosa-Frau ist extra aus ihrer Heimat, aus Alice, einem kleinen Ort in der Ostkap-Provinz in Südafrika, angereist, um in München, am Sitz des Europäischen Patentamtes, für ihr Recht zu kämpfen. Der Dieb ist in ihren Augen die deutsche Firma Schwabe, ein Pharmaunternehmen aus dem badischen Karlsruhe, das unter anderem Umckaloabo, ein Mittel gegen Husten und Bronchitis, vertreibt. Umckaloabo wird aus den Wurzeln von zwei Pelargonienarten extrahiert, die nur in Südafrika und Lesotho vorkommen, Pelargonium sidoides und Pelargonium reniforme.

Schwabe hat zudem zwei Patente im Zusammenhang mit Pelargonien angemeldet. Das eine soll eine neue Extraktionsmethode schützen, das andere die Verwendung im Kampf gegen AIDS und damit zusammenhängenden Infektionen. Gegen diese Patente werden nun Einsprüche beim Europäischen Patentamt erhoben. "Es handelt sich weder um eine Erfindung, noch ist irgend etwas daran neu. Es ist das traditionelle Wissen unserer lokalen Gemeinschaft in Südafrika, das hier patentiert wurde", sagt Sizani.

Gerechte Gewinnbeteiligung

Ein paar hundert Kilometer weiter westlich in Südafrika, aber auch in Namibia, Botswana und Angola leben die San. Seit Jahrhunderten nutzen sie ihr traditionelles Wissen um die Wirkung von Heilpflanzen. Einer der Renner in ihrer Natur-Apotheke ist die Hoodia-Pflanze, die ihnen unter anderem dazu dient, in Zeiten der Not Hunger und Durst zu unterdrücken. Was liegt also näher, als aus diesem Appetitzügler ein Diätpräparat für die Bekämpfung des Übergewichts in den westlichen Überflussgesellschaften zu entwickeln?

Den Gedanken hatte auch das halbstaatliche südafrikanische Forschungsinstitut CSIR, das sich den Appetit zügelnden Wirkstoff 1996 patentieren ließ. Erst als 1997 das britische Unternehmen Phytopharm eine Lizenz erwarb, erfuhren die San von dem Vorfall. Sie waren empört und beklagten den Verlust ihres traditionellen Wissens. Geradezu entsetzt waren sie über die Antwort des Phytofarm-Chefs Richard Dixey auf die Frage von Journalisten, wie das Unternehmen die San an seinen Gewinnen beteiligen wolle: "Wir tun, was wir können", so Dixey seinerzeit. "Aber es ist wirklich ein vertracktes Problem, da die Menschen, die die Pflanze entdeckt haben, nicht mehr da sind."

Aber sie waren noch da. Anders als die Zulu und Xhosa im Falle der Pelargonien fochten die San das Patent nicht an. Sie verhandelten mit dem CSIR über eine Gewinnbeteiligung. 2003 wurde vereinbart, dass das CSIR sechs Prozent seiner Lizenzeinnahmen an die San abtritt, darüber hinaus acht Prozent der Mittel, die das CSIR zu festgelegten Zeitpunkten von Phytofarm erhält.

Ein Erfolg? Sicherlich. Letztlich jedoch - so viele Kritiker - erhalten die San nur Krümel vom Kuchen. Sie sind an den Gewinnen, die mit einem Produkt aus Hoodia gemacht werden, nicht direkt beteiligt. Daran forscht gerade der britisch-holländische Konsumgüter- und Nahrungsmittelkonzern Unilever, der 2005 die entsprechende Lizenz von Phytofarm erwarb. Nun zahlt Unilever Lizenzgebühren an Phytofarm, Phytofarm an CSIR, und davon erhalten die San sechs beziehungsweise acht Prozent.

So kämpfen die Xhosa aus Alice gegen die Patentierung ihres traditionellen Wissens, die San um eine Gewinnbeteiligung. Zumindest auf dem Papier stärken ihnen dabei die Vereinten Nationen den Rücken. Im vergangenen Jahr hat die UN-Generalversammlung eine Erklärung über die Rechte indigener Völker verabschiedet. Darin erkennen die UN-Mitglieder die souveränen Rechte indigener Völker über ihr traditionelles Wissen und ihre genetischen Ressourcen an. Die UN-Konvention über die biologische Vielfalt wiederum verlangt einen gerechten Ausgleich der Vorteile, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen, also etwa eine finanzielle Gewinnbeteiligung oder Technologietransfer.

Die Grundidee der Konvention ist dabei folgende: genetische Ressourcen (also Pflanzen, pflanzliche Wirkstoffe, Gene) sollen nur auf der Basis einer vorherigen informierten Zustimmung der Bereitsteller genutzt werden dürfen. Erst fragen, dann nehmen, lautet das Grundprinzip. Dabei hat der Nutzer den Bereitsteller über den Zweck der Nutzung zu informieren. Auf dieser Grundlage erfolgen die vorherige informierte Zustimmung sowie eine Vereinbarung zu einem gerechten Vorteilsausgleich.

So weit die Theorie. In der Praxis hält sich kaum jemand an diese Vorgaben, Biopiraterie ist die Regel. Die Unternehmen vermarkten das Wissen und die genetischen Ressourcen indigener Völker, als ob es Konventionen gar nicht gäbe. Creme für glatte Haut aus dem Bocoa-Baum in Französisch-Guayana, Shampoo für glänzende Haare aus der Paranuss aus dem Amazonas-Gebiet, Pflanzenschutzmittel aus den Samen des indischen Neembaums - die Fälle von Biopiraterie sind zahlreich.

Das ist kein Zufall. Die Unternehmen und Regierungen der Industriestaaten sperren sich seit Jahren dagegen, den Kampf gegen Biopiraterie aufzunehmen. Während sie auf der einen Seite das Kopieren technischer Erfindungen durch Unternehmen aus Entwicklungsländern als Produktpiraterie brandmarken, verschließen sie bei Biopiraterie die Augen. Die Regierungen verweigern überdies eine Änderung des Patentrechts und geben so den Biopiraten ein Werkzeug in die Hand, um sich das traditionelle Wissen und die genetischen Ressourcen aus Entwicklungsländern anzueignen.

Dem einen Riegel vorzuschieben, darum wird in Bonn nun zwei Maiwochen lang bei der 9. Vertragsstaatenkonferenz der Konvention über die biologische Vielfalt heftig gerungen. Die Entwicklungsländer fordern eine völkerrechtlich verbindliche Regelung, die auch die Industriestaaten zum Handeln verpflichten würde. Die zieren sich. Kanada, Neuseeland, Japan und Australien würden am liebsten alles beim Alten belassen - die EU, die Schweiz und Norwegen sind für eine Regelung, wollen aber das Patentrecht lieber nicht antasten.

Ein Reisepass der besonderen Art

Ein Knackpunkt wird sein, inwieweit es gelingt, eine Art Reisepass für genetische Ressourcen als verbindliches Element zu verankern. Dieser Pass würde Angaben enthalten zu den Bereitstellern genetischer Ressourcen und traditionellen Wissens, ihrer vorherigen informierten Zustimmung und eines gerechten Vorteilsausgleichs. Ohne einen solchen Pass, so die Idee, dürfte kein Patent erteilt und kein Produkt auf den Markt gebracht werden. Biopiraterie, so das Ziel, darf sich nicht mehr lohnen.

Mehr noch: Es muss möglich sein, mit Hilfe eines solchen Dokuments die Nutzungserlaubnis einzuschränken. Die Souveränität über ihre genetischen Ressourcen und ihr traditionelles Wissen läge damit wieder bei den indigenen Völkern. Sie wären frei, die Nutzung auf Forschung zu beschränken und Kommerzialisierung zu reglementieren. Und natürlich könnten sie auch einer Patentierung ihre Zustimmung verweigern. Patente auf Leben könnten so unmöglich werden - nicht grundsätzlich, aber von Fall zu Fall.

Für Nomthunzi Sizani wäre dies ein Vorteil. Sie müsste nicht mehr extra aus Südafrika anreisen, um in München ihre Rechte an ihrem traditionellen Wissen und ihren genetischen Ressourcen einzuklagen.

Michael Frein ist beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn zuständig für Welthandelspolitik und internationale Umweltpolitik. Zahlreiche Veröffentlichungen, unter anderem zusammen mit Hartmut Meyer: Die Biopiraten. Milliardengeschäfte der Pharmaindustrie mit dem Bauplan der Natur. Econ: Berlin 2008

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