Blair wird geschont

Kommentar Anti-Kriegsdemonstration in London

Am 28. September protestierten in London mehrere hunderttausend Menschen gegen den Krieg. Auch in der eigenen Partei sieht sich Tony Blair mit wachsendem Widerstand konfrontiert. Es wurde auch Zeit: Umfragen zufolge lehnen drei Viertel aller Briten einen Krieg ohne UN-Mandat ab. In ihrer jetzigen Verfassung jedoch werden die Kriegsgegner den britischen Premier kaum umstimmen. Denn die Demonstration offenbarte nicht nur Protest, sondern auch Ambivalenzen. Weil sich alles um Bush und Sharon drehte, stand Blair am Ende vergleichsweise gut da. Ein Sprecher der Veranstalter erklärte deren Position treffend in zwei Punkten: Grundsätzlich unterstütze ein Großteil Blairs Politik, wenn auch nicht den Krieg gegen den Irak. Ansonsten ginge es aber nicht minder um die Palästinenser.

Dennoch ist die Verunsicherung gegenüber New Labour allenthalben zu spüren. In den Achtzigern durften sich die Gegner von Atomwaffen größtenteils im Schoße dieser Partei gut aufgehoben fühlen. Heute fehlt der linken Opposition ein solches Refugium. Nicht zuletzt deshalb hinterließ die Demonstration einen zwiespältigen Eindruck. Als der Zug die Downing Street passierte, hielt eine ältere Frau ein Plakat in die Höhe, auf dem stand: "Tony, ich habe dich gewählt. Ich kann dich auch wieder abwählen." Aber wie? Das britische Mehrheitswahlrecht wird eine parlamentarische Alternative links von New Labour auf absehbare Zeit nicht zulassen.

Auf der Schlusskundgebung im Hyde Park wurden folgerichtig die Hoffnungsträger innerhalb der Labour Party beschworen. Aber der Parteitag im nordenglischen Blackpool hat diese Hoffnungen nicht erfüllt. Blair bleibt die letzte Instanz in Sachen Krieg oder Frieden. Viele Kriegsgegner sehen ihn als fehlgeleiteten Genossen, während die wirklichen Antagonisten in Washington und vor allem in Tel Aviv ausgemacht werden. Die Opposition gegen Israel lässt sich nachvollziehen, vor allem mit Blick auf die vielen moslemischen Teilnehmer des Protestmarsches. Dennoch: Musste der Redner der Friends of Al-Aqsa den Hyde Park wirklich zu einer Schweigeminute für die "Märtyrer der Intifada" auffordern? Dient der permanente Rekurs britischer Kriegsgegner auf das "heldenhafte palästinensische Volk", wie es eine Journalistin formulierte, nicht eher der Vermeidung einer zwingenden Auseinandersetzung mit New Labour?

Dass auf der Demonstration wieder einmal antisemitische Flugblätter verteilt wurden, mochte man gerade noch als hässliche Randerscheinung verdrängen. Dem grundsätzlichen Motiv der Anti-Kriegs-Demonstration tut es keinen Abbruch, aber zu viele Kriegsgegner in Großbritannien verknüpfen offenbar einen bedingungslosen Antizionismus mit einem nur halbherzigen Widerstand gegen New Labour. Am Ende freut sich Tony Blair.

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