(10) Bitte auch keine ökologische Geschichtsmetaphysik

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Auf dem Gebiet der Ökologie herrscht an Zukunftsvorschlägen wahrlich kein Mangel. Denn die Einsicht, dass hier etwas geändert werden muss, hat sich längst allgemein durchgesetzt. Freilich führen nicht alle Vorschläge in eine Andere Gesellschaft, im Gegenteil, vom Dosenpfand über neue Kohlekraftwerke mit C02-"Abscheidung" bis hin zum Elektro- und "Hybrid"auto überwiegt die Suggestion, es könne eigentlich alles weiterlaufen wie bisher, sowohl der Konsum als auch die Produktionsweise, nur technisch seien einige Anpassungen erforderlich und zu solchen komme es ja ohnehin. Daneben gibt es viele nützliche Bastler-Ideen ökologischer Idealisten, die darauf setzen, dass eine Wende unvermeidlich sei "und deshalb", so meinen sie, auch geschehen werde. Aber zuletzt ist doch auch allen bewusst, was wirklich zwingend ist, nämlich dass die Menschheit sich eine neue Energiebasis verschaffen muss, da die alte, fossile noch im Lauf dieses Jahrhunderts zur Neige geht. Das ist der springende Punkt, der allen Zukunftsvorschlägen erst Sinn verleiht, und hier zeichnet sich dann doch die Andere Gesellschaft ab: Laut Elmar Altvater würde es "das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kennen", bedeuten, so der zweideutige Titel seines Buchs von 2005, das 2009 schon in der 6. Auflage vorliegt, wenn endlich das Energieproblem gelöst, wenn die Energiefrage angemessen beantwortet würde.


Die Gedanken vieler Vorgänger aufnehmend und verdichtend, erinnert Altvater zunächst daran, was die technischen Basis des bisherigen Kapitalismus ist: Die fossilen Niederschläge der Sonneneinstrahlung, Kohle und Öl, werden in Energie umgewandelt. Da diese Vorräte bald erschöpft sind, muss man nun endlich zur Nutzung der Sonnenstrahlen selbst übergehen, fährt Altvater fort. Hierfür werden auch längst technische Voraussetzungen geschaffen, aber wenn wir die Konsequenzen dieser Umwälzung voll ermessen, sehen wir, die ganze Lebensweise müsste sich ändern. Denn durch Solarzellen, ob Häuser mit ihnen beheizt oder Batterien für Fahrzeuge aus ihnen gespeist werden, gewinnt man keine riesigen Energiemengen. Es wird kaum noch ein Kraftwerk geben, das allein ein ganzes Bundesland mit Strom versorgt, kaum ein Auto, das mühelos über Kontinente gleitet. Mit einem Wort, die neuen Energiekreisläufe werden lokal begrenzt sein, eine Gesellschaft wird entstehen, die sich aus nicht allzu großen, energiemäßig weithin autonomen Ortschaften zusammensetzt.


Dazu passt auch das Ziel einer "solidarischen Ökonomie", die Altvaters Hauptanliegen ist. Nachbarschaftshilfe, Tauschringe und Selbstverwaltung können nur in begrenzten Räumen gedeihen, aber was heißt "nur", wenn Begrenzung ohnehin angestrebt werden muss, aus ökologischer Vernunft?


Und nicht nur zur Einrichtung anderer Räume, auch zum Erlebnis anderer Zeiten wird es kommen. Durch die Nutzung der in der Erdkruste gespeicherten Biomasse war es dem Kapitalismus möglich, Energie in extremer Verdichtung nicht nur auszubeuten, sondern auch einzusetzen; gigantische Projekte wie eben die Energieversorgung großer Gebiete von einem Punkt aus konnten deshalb verwirklicht werden. Derselbe Hang zum Gigantismus musste sich aber auch im Streben nach Beschleunigung zeigen. Hohe Geschwindigkeit in der Fortbewegung und in den Lebensabläufen überhaupt war gefragt, wenn es darum ging, große Räume zu überqueren und zu bewältigen.


Eine Gesellschaft, die sich aufs Lokale besinnt, ist auf Beschleunigung nicht mehr so stark angewiesen. Sie wird langsamer sein. Wozu es wieder passt, dass auch die Willensbildung in selbstverwalteten Betrieben langsamer ist als die derzeitige Ökonomie, die sich von miteinander in Echtzeit kommunizierenden Weltbörsen steuern lässt.


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Dieses Konzept kann, ja muss man sich zueigen machen. Allerdings setzt Altvater nur den sehr notwendigen Ausgangspunkt. Zwei Fragen bleiben offen, erstens: Soll wirklich von der neuen Raumstruktur her die ganze Lebensweise bestimmt sein? Wie ist das zum Beispiel mit einer Großstadt, soll sie in eine Vielzahl von Städten aufgelöst werden? Oder anders gefragt, wie groß darf eine Großstadt sein, sind drei Millionen auf vierzig Quadratkilometern schon zu viel? Es wäre wohl möglich, etliche Großstädte so zu lassen, wie sie sind, nur dass sie sich energiemäßig auf eine Mehrzahl voneinander unabhängiger Energiekreisläufe stützen müssten. Damit sie insgesamt weniger verbrauchen, wäre Einiges zu ändern, so die räumliche Verteilung von Wohnen und Arbeiten, das Verkehrssystem und anderes mehr, die Stadtgröße aber nicht in jedem Fall.


Zweitens: Mag sich die Gesellschaft noch so sehr in Lokalitäten auflösen, als Kehrseite bleibt immer der interlokale Verkehr, auch für ihn muss Energie übrig sein. Das ist ja in keiner Gesellschaft anders gewesen. Darin darf kein Problem liegen, denn auch die ökologisch vernünftige Gesellschaft soll eine Gesellschaft von Weltbürgern sein. Es muss nur alles im Rahmen der Grenzwerte geschehen. Man wird also ein Verhältnis von lokalem und interlokalem Energieverbrauch festlegen, wird auch zum Beispiel prüfen, wie viele Geschäftsreisen sich durch Bildschirm-Konferenzschaltungen erübrigen lassen. Und vielleicht wird man mit neuen Verkehrsmitteln länger brauchen, um am touristischen Fernziel anzulangen, hat dafür aber auch mehr Urlaubstage bekommen.


Wenn man sich das alles klar macht, sieht man, wie umfangreich ein ökologischer Umbau wäre. Man wird bestimmt nicht alles auf einmal umbauen können. Das kann man aber ohnehin auch aus politischen Gründen nicht. Der "Kapitalismus, wie wir ihn kennen", wird der neuen Interlokalität nicht kampflos das Feld überlassen, ist er doch laut Altvater mit Fossilismus, Beschleunigung und Großraumverbrauch bis ins Mark verschwistert. Der Anfang wird daher ein politischer sein: Eine erste "Marktwahl", wie ich es genannt habe, das heißt eine Abstimmung über "volkswirtschaftliche Rahmenpläne", um Michael Krätke zu zitieren, wird für den Übergang zur interlokalen Raumstruktur eine Stimmenmehrheit erbringen und zugleich über die ersten technischen Schritte entscheiden. Ich denke, dass dann jener Rahmenplan, den der ADAC empfiehlt und der die Beibehaltung des Status quo vorschlägt - vielleicht tut er noch den Dosenpfand dazu und verspricht Automotoren, die Naturgeräusche absondern -, nicht einer von zweien, sondern von dreien oder vieren sein wird. Denn der Hauptwahlkampf wird sich bereits um das Wie des ökologischen Umbaus drehen.


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Es ist nicht nur so dahingesagt, dass der "Kapitalismus, wie wir ihn kennen", Widerstand leisten wird. Zunächst einmal, das Kapital plant nach wie vor Großkraftwerke, und die es schon hat, will es amortisieren. Angenommen, es liegen ökologische Konversionspläne auf dem Tisch, die den Kapitalisten einleuchten - man hört ja oft, wie viele es gibt, die gern ökologische Wege einschlagen würden -, so werden sie trotzdem erst einmal ihre vorhandenen Anlagen bis zum sei's auch unökologischen, also bitteren Ende weiterlaufen lassen. Solange nämlich Vermögenswerte in ihnen stecken, geht es darum, diese Werte zu bewahren, sie vor der Entwertung zu schützen. Vielleicht über Jahrzehnte. Die Ökologie muss dann warten, bis es zu spät ist. Die Existenz von "Marktwahlen" würde auch bedeuten, dass eine Gesellschaft so etwas nicht mehr hinnimmt.


Im übrigen ist es nicht so, dass der Kapitalismus unfruchtbar geworden ist und nur noch auf Alternativen von außen wartet, etwa ökologische. Nein, er hat seine eigenen Alternativen. Es ist gar nicht seine Art, den Status quo zu verteidigen. Dass es Leute gibt, die lieber die Erde aufgeben als den hohen Energieverbrauch, habe ich in der 8. Notiz schon berichtet. Auch wenn sie verrückt sind, können sie sehr viel Schaden anrichten. Hitler war auch verrückt! Dass er seine barbarischen Pläne ernst meinte, wollte auch niemand glauben! Er ist schnell gescheitert, gewiss, aber wie grauenhaft waren seine zwölf Jahre! Also, jene Vorstellung, dass die ökologische Wende kommen werde, weil sie notwendig sei, ist ganz bestimmt eine gefährliche Illusion. Man hat dem bisherigen Marxismus mit Recht seine deterministische Geschichtsmetaphysik vorgeworfen, man soll jetzt auch kein Auge zudrücken, wenn Ökologen Ähnliches unterläuft.


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Die Annahme, Solarenergie könne nur von kleinen, lokalen Energienetzen genutzt werden, wäre schon rein technisch verkehrt. Sie soll so genutzt werden, das unterschreibe ich. Aber ein Selbstlauf ist es durchaus nicht. Erfuhr man nicht schon aus Jeremy Rifkins Buch Entropie. Ein neues Weltbild, dass die Entwicklung der Solartechnologie fest im Griff der großen Konzerne sei, die sie "so hochtechnologisch und zentralisiert wie möglich" betreiben wollten (Frankfurt/M. Berlin Wien 1985, S. 229 f.)? Was das bedeuten kann, haben wir längst bei Hermann Scheer gelesen (Sonnenstrategie. Politik ohne Alternative, München 1993, S. 200):


"Es gibt eine einzige Sonnenenergietechnologie, bei der die Analogie etwa zu atomarer Großtechnik tatsächlich angebracht ist. Diese Technologie steht bisher nur auf dem Papier, und wir werden dafür sorgen müssen, dass das so bleibt. Es handelt sich um Pläne für Sonnenkraftwerke im Weltraum. Bereits in den 70er Jahren wurde von dem US-Amerikaner Glaser die Idee entwickelt, eine 11,7 mal 4,3 km große Solarzellenplattform im Weltraum zu stationieren. [...] 10 Gigawatt Strom - die Leistung von 10 großen Atomkraftwerken - sollten über einen Mikrowellenstrahl von 1 km Durchmesser auf eine Empfangsantenne mit einer Fläche von 50 qkm gelenkt werden. Da solche Mikrowellenbündel extrem schädlich sind und diese Art der Sonnenenergie [...] erhebliche zusätzliche Energiemengen in die Erdatmosphäre schleusen würde, könnte das Satellitenkraftwerk die sonst gegebenen positiven Eigenschaften der Sonnenenergie nicht für sich in Anspruch nehmen. Auch heute noch wird an solchen Konzepten gearbeitet - noch Ende der 80er Jahre wollte sich beispielsweise der deutsche MBB-Konzern auf diese Energiequelle konzentrieren."


Dieses Projekt wurde gleichzeitig auch in der Sowjetunion verfolgt. In der FAZ vom 30. Juli 1988 erschien ein Artikel über Roald Zinnourovitch Sagdejev, den Direktor des sowjetischen Instituts für Weltraumforschung, "Gorbatschows Berater in Weltraumfragen": "Sagdejev und sein Institut", lesen wir da, "haben eine Menge damit zu tun, dass Gorbatschow vor ein paar Monaten versprechen konnte, aus den Vereinigten Sowjetrepubliken würden die nächsten Vereinigten Staaten von Amerika. Diese bemerkenswerte Zuversicht basiert auf dem sowjetischen Plan, den Energiestrom der Sonne anzuzapfen und ihn, via Weltraum, an die Nationen zu verteilen. Kraftwerke sollen ihn dort einfangen und zur Erde geleiten."


In L'Express konnte man am 5.9.1991 lesen, dass sich gerade Hunderte von Wissenschaftlern in der Nähe von Paris getroffen hatten, um über den Stand der Planung von Glasers Idee zu beraten. Von 60 Satellitenkraftwerken mit einer Gesamtleistung von 300 Gigawatt war die Rede, was ungefähr 1200 bis 1500 Atomkraftwerken entspricht. In Amerika sei schon eine Serie von Untersuchungen abgelaufen, technische Schwierigkeiten gebe es nicht mehr. Nur Geld fehle noch und auch das nur wegen des unbefriedigenden Stands der Entwicklung hoher Raketen-Transportkraft.


Wer glaubt denn, dass dieses Thema inzwischen aus der Welt verschwunden ist, nur weil wir belieben, es nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen? Hören wir die Meldung der russischen Nachrichtenagentur Novosti vom 26. Oktober 2007: "Das US-Verteidigungsministerium hat zusammen mit der Raumfahrtbehörde des Landes (NASA) die Arbeit am Bau von Weltraum-Sonnenkraftwerken wieder aufgenommen, schreibt die Zeitung 'RBK daily' am Donnerstag. Sie stellen einen Satz von Sonnenbatterien dar, die im Durchschnitt einige Kilometer lang sind und das Licht in Ultrahochfrequenz-Strahlung transformieren, die sich zur Erde übertragen lässt. Solche Projekte erschienen vor etwa 30 Jahren. Es sieht danach aus, dass das Interesse für sie zurückkehrt. Wie Nevill Mazwell, Leiter einer Forschergruppe des NASA-Laboratoriums für Rückstoßbewegung, erklärte, würden solche Projekte rentabel, wenn ein Barrel Erdöl über 150 Dollar kosten würde." Auch in Japan und in Russland würden solche Studien vorgenommen. "Laut optimistischen Prognosen können die ersten Versuchsmuster von Kraftwerken in fünf bis sieben Jahren ins All geschickt werden."


Technische Konstruktionsprobleme gebe es eigentlich nicht, nur einige Gefahren. "'Stellen Sie sich vor, was wird, wenn das riesengroße Kraftwerk die Orientierung verliert und den Strahl am Empfänger vorbeischickt', sagte Anatoli Kirjuschkin, Vertreter des Zentralen Forschungsinstituts für Maschinenbau. 'Wenn der Energiestrahl eine Wohnsiedlung oder Industriebetriebe überquert, so wird die gesamte Elektronik ausfallen und der Straßenverkehr lahmgelegt. Menschen können ernsthafte Brandwunden bekommen.'" Im Kriegsfall kann ein solches Kraftwerk "jeden Augenblick zu einer Kanone werden".


Ziehen wir aus all dem nur einen, wenigstens einen Schluss: Es gibt, was die technische Zukunft betrifft, wirklich etwas zu wählen. Aber bisher ist es nicht die Gesellschaft, die darüber entscheidet, was kommt: Altvaters lokale Energiekreisläufe, Glasers Mikrowellen-Würfe aus dem All oder einfach die Fortführung des Status quo, bis alles kaputt ist. Das darf nicht so bleiben.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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