(117) Freiheit mit Grenzen

Proportionswahl "Die Andere Gesellschaft": Fünfter Teil, Zweite Abteilung, dritter Eintrag im zweiten Kapitel

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Heute will ich skizzieren, erstens wie freie Unternehmen in den Grenzen einer gewählten ökonomischen Proportion frei konkurrieren, zweitens was geschieht, wenn solche Konkurrenz irgendwann alle erreichbaren Marktanteile mengenmäßig ausgeschöpft hat. Das Zweite dürfte zu den Kernfragen des Ansatzes gehören, den ich hier vorlege. Jedenfalls erfahre ich immer wieder gerade hier den meisten Widerspruch. Man stellt sich nämlich vor, dass wenn am Ende wegen der genannten Grenzen ein Gut nicht mehr angeboten wird, es immer noch Leute gibt, die es kaufen wollen. Die Wahl, sagt man, die den Proportionsrahmen einst gesetzt hat, liegt ja inzwischen lange zurück, so dass sich die Präferenzen der Leute geändert haben können. Ihre neue Nachfrage wird aber missachtet. Sie sind nicht mehr f r e i , zu kaufen was sie wollen.

Ja, sagt man, die Malaise wird schon beginnen, wenn nur noch wenige Exemplare des plötzlich wieder heiß ersehnten Guts im Angebot sind. Entweder wird dann deren Preis gigantisch angehoben, so dass nur Wenige sie sich noch leisten können. Oder wenn das irgendwie verhindert werden kann, stehen die Leute ihretwegen Schlange wie zu DDR-Zeiten. In beiden Fällen geht der größte Teil der zuletzt nachfragenden Leute leer aus. Im ersten Fall kommt noch hinzu, dass einige Reiche schon gleich nach der Wahl viel mehr Exemplare, als sie selbst zu konsumieren beabsichtigen, gekauft haben werden, um sie zu horten und am Ende überteuert anzubieten.

Ich beginne mit der ersten Frage: Wie kann eine Konkurrenz frei sein, wenn doch die Anbieter den gesetzten Rahmen nicht überschreiten dürfen? Nach ihrer Beantwortung wird es schon etwas leichter geworden sein, die zweite Frage zu erörtern.

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Als ich Mitte der 90er Jahre zuerst über die freie Konkurrenz im gewählten Rahmen nachdachte, schwebte mir eine Art Zertifikatlösung vor. Nehmen wir an, für die Wahlperiode von sage zehn Jahren, ich will ihn den Makrozeitraum nennen, sei eine resultierende Menge "10" (Millionen, oder was immer) des betreffenden Guts gewählt worden, zum Beispiel von Privatautos im Verhältnis zu öffentlichen Verkehrsmitteln. Es werden dann Zertifikate für den "Mikrozeitraum" des ersten Jahrs ausgegeben, in denen abgebildet ist, in welchen Anteilen der Automarkt bisher von den Konkurrenten beherrscht wird. Die Zertifikate berechtigen zur Produktion. Sie spiegeln aber nicht die volle Größe der Anteile, sondern nur ihr Verhältnis zueinander wider, dergestalt dass von jedem Konkurrenten nur die Hälfte dieser Größe berücksichtigt wird. Wenn wir uns also der Einfachheit halber vorstellen, es gebe nur zwei Konkurrenten, A und B, und es habe A 20, B 80 Prozent einer bisherigen Menge von 100 beherrscht, das heißt auf dem Markt verkaufen können, jetzt aber sei diese Menge infolge der Wahl auf 10 geschrumpft, für den Mikrozeitraum des ersten Jahres also auf 1: dann werden nicht Zertifikate für diese 1 verteilt, sondern nur für 0,5; es bekommt also nicht A 0,2 und B 0,8 Anteile, sondern A 0,1 und B 0,4 Anteile. Um den Rest wird konkurriert. Wenn sich nun die Produktivität von A und B anders entwickelt als bisher, verschiebt sich das Verhältnis der Anteile im nicht zertifizierten Bereich, dies wird am Ende des Mikrozeitraums festgestellt und das Wertverhältnis der A und B übergebenen Zertifikate für den zweiten Mikrozeitraums entsprechend modifiziert.

Diese ganze Überlegung ist unnötig kompliziert und wahrscheinlich nicht frei von Konfusion, ich rufe sie aber in Erinnerung, weil sie den Lösungsweg grundsätzlich schon zeigt: dass Konkurrenz sich entfalten können soll wie jetzt - technische und Rationalisierungsfortschritte schlagen sich in größeren Verkaufschancen der sie erzielenden Anbieter nieder -, wobei nur Eines verhindert wird, das Aufschwatzen nämlich von mehr Gütern, als die Kunden wollen, infolge von Angebotsmacht. In der Anderen Gesellschaft haben die Kunden v o r h e r k u n d g e t a n , was sie wollen - sie wollen 10, im ersten Jahr also 1 -, und daran hat sich das Angebot zu halten.

Hier wie im Folgenden abstrahieren wir noch davon, dass eine Industrie nicht von einem Wimpernschlag zum andern ihre Produktion umstellen kann. Wenn sie vor der Wahl "100" produziert hat und nach ihr "10" produzieren soll, muss sie erst einmal umrüsten. Sie kann es prinzipiell auch, denn der Verminderung auf 10 entspricht eine Vermehrung der anderen Proportionsseite; es ist zum Beispiel weniger motorisierter Privatverkehr, weil mehr öffentlicher Verkehr gewählt worden. Die Autoindustrie wird sich anpassen, das heißt ihre Produktionsziele teilweise umstellen. Das braucht Zeit, die zu berücksichtigen ist, wenn man sich ein "erstes Jahr" vorstellt. Aber ich behandle es jetzt nicht. Hier soll nur nach der Freiheit gefragt werden.

Für das Folgende schicke ich noch voraus, dass ohnehin heute schon die Elektronisierung nicht nur des einzelnen Unternehmens, sondern auch der Beziehungen der Unternehmer untereinander immer mehr fortschreitet und schon dabei ist, in eine neue Qualität umzuschlagen. Vor kurzem erst wurde gemeldet, von Unternehmerseite werde ein sicheres eigenes Band neben dem Breitband für gewöhnliche Internetnutzer gefordert. So wichtig ist die Einspeisung der unternehmerischen Beziehungen ins Internet schon geworden, so unvermeidlich scheint es den Beteiligten, dass alles und jedes in Zukunft übers Netz laufen wird. (Vgl. "Industrie 4.0 für Kaufleute und Juristen", FAZ vom 14.4.2014, S. 16) Und natürlich betrachten die heutigen Unternehmer, sie sind ja Kapitalisten, die Sache nur in ihrer egoistischen Perspektive: Sie selbst wollen der Öffentlichkeit keinen Einblick in ihr Tun gestatten, fordern deshalb ein apartes Unternehmer-Breitband, während sie gleichzeitig die Kaufgewohnheiten der gewöhnlichen Nutzer übers Internet ausspionieren und für ihre unerbetene "individuelle Werbung" ausschlachten.

An sich aber ist es gut, wenn alles und jedes übers Internet läuft. Man kann die Sache ja andersherum aufziehen: Das Breitband der gewöhnlichen Nutzer wird unbefugten Blicken versperrt und daneben gibt es das Band der unternehmensinternen Abläufe und zwischenunternehmerischen Beziehungen, das die Öffentlichkeit jederzeit und überall einsehen kann und deren Inhalte von öffentlich (gesellschaftlich) generierten Computerprogrammen zusammengefasst und ausgewertet werden, damit man sie den ökonomischen Programmen der Proportionswahl und auch der Kontrolle der Einhaltung des Wahlresultats zugrunde legen kann.

Wenn das so geschieht, braucht man keine Zertifikate und läuft der Prozess gleitender ab. Eine Unterteilung in garantierte Produktionserlaubnis und umkämpften Konkurrenzbereich ist unnötig geworden. Es ist einfach allseits bekannt, dass A im ersten Mikrozeitraum 0,2, B 0,8 Gütereinheiten produzieren darf. Wenn nun die 0,8 von B schon verkauft sind, bevor der erste Mikrozeitraum abgelaufen ist, A aber zu diesem Zeitpunkt erst 0,1 verkauft hat, dann bleiben 0,1 übrig, auf welches A kein Primärrecht mehr hat. B kann vielmehr versuchen, es ganz oder großenteils an sich zu ziehen. Und so immer weiter. Genauso natürlich, wenn es umgekehrt läuft: A ist bei 0,2, während B erst 0,7 oder gar nur 0,5 geschafft hat, so dass 0,3 Anteile aufhören, B zugeschrieben zu sein, und es mag A gelingen, sie großenteils zu erwerben.

Diese Überlegung ist insofern noch zu einfach, als es unsinnig und auch illegitim wäre, starre Grenzen zwischen den Mikrozeiträumen zu errichten. Das Wahlvolk hat ja nur festgelegt, dass es in zehn Jahren "10" kaufen will. Niemand wird deshalb ein Kaufverhalten nach der Funktion y = x erwarten, dass also im ersten Jahr 1, im zweiten 2, im dritten 3 und so weiter verkauft werden. Nein, es gibt Beschleunigungen und Stockungen. Deshalb müssen wir modellhaft mindestens zwei Mikrozeiträume erörtern, die ersten beiden Jahre. Zu Beginn des ersten Jahrs wird in der Tat noch erwartet und projiziert, dass an dessen Ende 1, am Ende des zweiten Jahrs 2 verkauft sein werden. Festgelegt wird es aber nicht. Angenommen, B hat nach dem ersten Jahr statt 0,8 schon 1 verkauft, dies aber nicht, weil A gar nichts verkaufen konnte, sondern obwohl die auf A projizierten Marktanteile von 0,2 ebenfalls erreicht worden sind, so dass insgesamt 1,2 statt der projizierten 1 verkauft wurden: Dann ist das eben so und wird hingenommen. Man mag erwarten, im zweiten Jahr gebe es dann nur Verkäufe in Höhe von 0,8.

Aber auch das braucht nicht einzutreten. Vielleicht wird erst, sagen wir, nach dem sechsten Jahr eine dem Wahlergebnis entsprechende Verkaufsmenge erreicht, die dann 6 betrüge, während es vorher alle möglichen Stockungen und Beschleunigungen gegeben hat. Und nun darf allerdings auch d e r mögliche Fall nicht übersehen werden, dass die Entsprechung überhaupt gar nicht erreicht wird. Also dass die gewählten 10 schon nach neun Jahren verkauft sind und daher alles dafür spricht, dass im zehnten Jahr noch immer weiter nachgefragt werden wird - im Widerspruch zum neun Jahre zurückliegenden Wahlergebnis. Was dann? Nun, ganz einfach, dann wird neu gewählt. Und vielleicht nicht erst nach neun, sondern schon nach acht Jahren. Die Aufteilung des Makrozeitraums in Mikrozeiträume wird sich jedenfalls bewährt haben, ist es doch ihretwegen möglich gewesen, die Diskrepanz von Wahlergebnis und tatsächlichem Kaufverhalten lange im Voraus zu ahnen, Schritt für Schritt zu beobachten und auch zu interpretieren und also im Moment, wo es zur vorgezogenen Neuwahl kommen muss, optimal vorbereitet zu sein.

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In all dem ist die Konkurrenz ersichtlich vollkommen frei und die Käufer in ihrem Kaufverhalten sind es ebenfalls. Nur eins ist immer ausgeschlossen, und man kann das nicht oft genug wiederholen: dass die konkurrierenden Anbieter aus Gründen, die von den Käufermotiven vollkommen verschieden sind - und zwar, wohlgemerkt, s o w o h l von den Motiven zum Zeitpunkt der ursprünglichen Wahl a l s a u c h von irgendwelchen Augenblicks- und ad hoc-Motiven zu irgendeinem beliebigen Zeitpunkt im gewählten Makrozeitraum -, v o n s i c h a u s mit Angebotsmacht n o c h z u s ä t z l i c h e M o t i v e in die Käuferseelen zu pflanzen versuchen dürfen. Welchen Grund konkurrierende Anbieter haben könnten, das ursprüngliche Wahlergebnis und auch die Augenblicks-Motive der Käufer zu überspielen, ist klar. Vom Imperativ d e r K a p i t a l l o g i k ist die Rede. Durch den sehen sich Unternehmen gezwungen, so viel Profit wie möglich zu machen, Käuferwünsche einzig deshalb auszunutzen und auch, wenn es nicht anders geht, künstlich hervorzubringen und den Leuten aufzuschwatzen. Nur darum geht es uns, die Kapitallogik zu beseitigen. Angebotsmacht, die Käuferwünsche umsteuern kann statt befolgen muss, wird es in der Anderen Gesellschaft nicht mehr geben.

Ich weiß, dass die Formel "umsteuern statt befolgen" ungenau ist. Es kommt vor, dass Unternehmen neue Produkte vorschlagen, die man aus freiem Willen begrüßt. Dagegen ist nichts zu sagen und wird nichts zu sagen sein. Aber auch von den damit zusammenhängenden Fragen abstrahieren wir noch.

Man wird also nach sage acht Jahren wahrgenommen haben, dass die Nachfrage höher liegt als nach dem ursprünglichen Wahlergebnis zu erwarten gewesen wäre. Weil es keine Angebotsmacht mehr gibt, wird man wissen, es kann nur an den Käuferwünschen liegen. Eine Vorstellung davon, warum sie von den Wünschen zum Zeitpunkt der ursprünglichen Wahl abweichen, wird man auch haben. Man hat ja acht Jahre Zeit gehabt, das Anwachsen der Abweichung zu beobachten. Übrigens verstehen wir unter "Abweichung" natürlich nicht die Überschreitung einer ursprünglich präzise bestimmten und so erlaubten Produktions- und Verkehrsmenge um "wenige" Exemplare. Vielmehr wird ein "kleiner" Toleranzspielraum schon von der ursprünglichen Wahl festgelegt worden sein, egal wie diese ausgefallen ist. Hier nehmen wir aber an, dass sich nach acht Jahren eine "große" Abweichung aufsummiert hat.

W a r u m sich die Käufer anders besonnen haben, ist erst einmal deren Sache. Es wird also nicht vorausgesetzt, dass sie "vernünftige Gründe" benennen können und sollen. Für die Erstellung der Wahlprogramme, die den Wählern der vorgezogenen Neuwahl vorgelegt werden, ist es aber eine Voraussetzung, die Gründe möglichst zu kennen, was auch, wie gesagt, wegen der Interpretierbarkeit des Verlaufs der Käufe von Mikrozeitraum zu Mikrozeitraum nicht arg schwierig sein kann. Man wird wahrscheinlich feststellen, dass Gründe, die vernünftig genannt werden können, immer stark überwiegen. Dabei denke ich an den Fall, dass der von der ursprünglichen Wahl geforderte Umbau nicht so schnell Realität geworden ist, wie man geglaubt hatte, es schultern zu können. Wenn, wie wir hier modellhaft annehmen, für zehn Jahre "10" als Menge zum Beispiel von Privatautofahrten gewählt worden sind, war das ja nur die Kehrseite davon, dass komplementär als Menge von Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln "40" gewählt wurden. P r o p o r t i o n e n werden gewählt. Es mag gewählt worden sein, "vier Privatautofahrten kommen auf eine öffentliche Fahrt" ins Umgekehrte zu verändern, "vier öffentliche Fahrten kommen auf eine Privatautofahrt". Wenn die Produktion der dafür erforderlichen neuen kommoden öffentlichen Verkehrsmittel so schnell gegangen ist, wie man es für möglich gehalten hatte, werden die Leute zufrieden sein und nicht auf einmal wieder zum alten Privatauto zurückkehren wollen. Das möchte ich doch für wahrscheinlich halten dürfen. Wenn es aber nicht so schnell gegangen ist, werden sie sagen, und mit Recht, "in dem Fall brauchen wir länger Privatautos". Dann stellt sich die Frage, ob es mehr Privatautofahrten und dafür gebrauchte Autos geben soll als ursprünglich gewählt worden war.

Aber das heißt nichts anderes, als dass sich zum Beispiel abgezeichnet hat, es wird nach zehn Jahren keine Proportion "P(rivatautoverkehr) : Ö(ffentlicher Verkehr) :: 1 : 4" erreicht sein, weil anstelle der 4 nur sage 3,6 produziert werden konnten. In dem Fall wird es sicher ein Wahlprogramm geben, das als neue angepasste Proportion "P : Ö :: 1,4 : 3,6" vorschlägt. Da es sich um eine freie Wahl handelt, gibt es daneben andere Wahlprogramme, die Anderes vorschlagen. Im Übrigen hat es sicher technologischen Fortschritt gegeben, es ist daher denkbar, dass eine etwas größere Menge P als ursprünglich gewählt den damals gesetzten Proportionsrahmen trotzdem nicht übersteigt. Wenn das eintritt, braucht vielleicht nicht einmal neu gewählt zu werden, sondern man sieht einfach zu, wie P ansteigt, falls die Käufer es so herbeiführen. Angenommen aber, die entstandene Veränderung des Käuferbedarfs muss zu einer Neuwahl führen, führt sie, und darauf will ich hinaus, zu einer g a n z g e w ö h n l i c h e n Wahl, nur dass sie vorgezogen ist. Alle Bedingungen der ersten Wahl gelten nämlich unverändert auch für die zweite, sei diese vorgezogen oder nicht. Ist da den Wählern irgendein Freiheitsrecht entzogen worden?

Ein einziges Recht haben sie sich entzogen, das nämlich, die Grenzen des Umweltraums zu überschreiten. Diesen Beschluss fällen sie nach unserer Voraussetzung zuerst; nur wenn sie es getan haben, ist eine Andere Gesellschaft entstanden. Sie werden es sich also auch bei vorgezogenen Neuwahlen verbieten, eine Proportion 1,4 für P, 3,6 für Ö zu wählen, wenn das zur Überschreitung jener Grenzen führen würde. Hinzu kommt die schon erörterte Freiheitsbeschränkung der Anbieter, die es ihnen verwehrt, Angebotsmacht auszuüben. Das ist so zu verstehen, dass sie zwar auch auf "unvernünftige" Proportionen hinwirken dürfen - immer sofern solche sich in den Grenzen des Umweltraums bewegen -, dies aber nur im Zuge der jeweiligen Wahl, auch vorgezogenen Neuwahl, wo sie wie alle gesellschaftlichen Kräfte das Recht haben, eigene Wahlprogramme vorzulegen.

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Bleibt die Frage, ob reiche Leute Autos horten können, die sie dann gegen Ende des Makrozeitraums überteuert weiterverkaufen, weil Autos inzwischen knapp geworden sind, von Leuten mit neu entstandenem Bedarf aber nachgefragt werden. Dies könnte man wenigstens deshalb für möglich halten, weil ein Toleranzspielraum für die Begrenzung der Gesamtautomenge bestimmt worden ist. Um es aber zu verhindern, braucht man ja nur die überteuerten Preise zu verbieten. Und wir haben längst vorausgesetzt, dass jegliche Preisbildung, wie überhaupt alles Ökonomische in und zwischen den Unternehmen, öffentlich gläsern sein wird. Wenn noch zusätzlich ein Gesetz regelt, dass ein überteuerter Preis, der erst einmal gezahlt worden ist, hinterher bei der Polizei angezeigt und rückgängig gemacht werden kann, werden sich Anbieter hüten, Überteuerung auch nur zu versuchen, dann aber auch von der Hortung Abstand nehmen.

Nun kann man sich noch vorstellen, dass Hortende auf Schwarzkäufe ohne ausgestellte Rechnung hinwirken. Wenn mit Erfolg, könnten sie nicht nach dem Kauf beschuldigt werden, weil sie einfach bestreiten würden, verkauft zu haben. Aber auch das kann nicht wirklich geschehen, weil, wie wir ebenfalls vorausgesetzt haben, als Geld nur noch elektronisches Geld zugelassen ist. Käufe, die sich im Kaufgerät des Käufers nicht niederschlagen, sind demzufolge unmöglich geworden. Und hier ist hinzuzufügen, dass heute schon der Eigennutz des Kapitals es diesem gebietet, die Einführung solchen Geldes kommen zu sehen und für unvermeidlich zu halten.

Ich denke, damit gezeigt zu haben, dass es bei Proportionswahlen nur zu solchen Beschränkungen kommt, die jedenfalls der Freiheit nichts anhaben, sie im Gegenteil steigern. Dass mit ihnen verglichen heutige Käuferwahlen, zum Beispiel zwischen VW und BMW - weil die Mobilitätsziele doch irgendwie erreicht sein wollen, auch unter der Bedingung mangelhaften öffentlichen Verkehrs -, ausgesprochen unfrei sind. Und vergessen wir auch nicht, dass schon in der Grundvoraussetzung der Fragestellung, die hier erörtert wurde, eine Einseitigkeit liegt. Wenn nämlich beklagt wird, dass die Leute "10" für P, den Privatautoverkehr, gewählt und es sich daher erschwert haben, mehr als 10 zu kaufen; dass sie sich, wenn sie das wollen, in eine Neuwahl begeben müssen - weil, um eine letzte Voraussetzung zu erinnern, die wir gemacht haben, ihre Wahlen pauschalen Produktbestellungen gleichen, Verträgen also mit Rechten und Pflichten -: dann kann zwar nicht bestritten werden, dass die Klage einer wirklich vorhandenen Einschränkung gilt. Diese aber ist nur Kehrseite einer gewollten und erreichten Befreiung, der Entfesselung nämlich von Ö, des öffentlichen Verkehrs. Dass der a u f h ö r t , eingeschränkt zu sein, vielmehr stark ausgeweitet werden kann, ist die Haupttatsache.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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