(128) Medien, die nicht manipulieren

Proportionwahl Warum sollte es nicht möglich sein, alle Mechanismen, die dem demokratischen Prozess schaden, einzeln herauszufinden und dann auch abzuschaffen, auf demokratischem Weg?

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„Zwei Probleme müssen gelöst werden“, schrieb ich in der vorigen Notiz. „Das eine ist der Umstand, dass heutige Medien oft nur so viel Information durchlassen, wie ihrem politischen Interesse dienlich ist. Das Zweite ist die mangelnde Kompetenz der medialen Mitarbeiter, aber auch der Rezipienten.“ Die vorige Notiz galt dem zweiten Problem, wozu ich heute noch etwas nachtrage. Wenn das geschehen ist, befasse ich mich mit dem ersten Problem und schließe die Erörterung der Medienfrage (seit der 125. Notiz) damit ab.

Der Nachtrag gilt dem Anlass, weshalb hier über eine vertiefte journalistische Ausbildung überhaupt nachzudenken war. Dieser Anlass sind die „Proportionswahlen“, ökonomischen Wahlen der Anderen Gesellschaft. Die vorige Notiz kam von ihnen gewissermaßen ab, da ich die Ausbildungsfrage nur generell erörtert und an quasi beliebigen (wenn auch sehr ernsten) Beispielen illustriert habe. Jetzt also zu den Wahlen zurück: Sie sind ja eine recht komplexe Sache. Was bedeutet es, den sie begleitenden und konstituierenden politischen Streit – seine Entstehung, seinen Verlauf, sein Resultat - als „Austausch der Argumente“ korrekt nachzuzeichnen und „die Fragen zu erfassen“, um die es bei ihm geht? Eine wie hohe Kompetenz das verlangt, macht man sich am Besten klar, wenn man von der Vorstellung ausgeht, Denken sei etwas wie (sich) Informieren, die heute wegen der Internetkultur so einflussreich ist.

Gut, man kann sagen, Medien haben über Argumente, den Streit um sie, den Verlauf des Streits und die zugrundeliegenden Fragen „zu informieren“. Dass sie außerdem durch anregende, problembewusste Urteile in ihn auch eingreifen sollen, lässt sich unter den Informationsbegriff nicht subsumieren, aber hiervon wollen wir einmal absehen, um nur auf die Berichterstattung zu blicken. Dann haben wir erstens allgemein zu bedenken, dass über ein Argument Informieren sich von der Information über Einzelheiten, wie „dass die schweren Waffen (nicht) abgezogen wurden“ oder „die Schüsse (nicht) aus dem gegenüberliegenden Haus kamen“, und auch von der bloßen Zusammenstellung solcher Informationen erheblich unterscheidet. Ich will damit sagen, dass jemand, der nichts kann als informieren und selbst informiert werden, bestimmt nicht die Fähigkeit hat, ü b e r e i n A r g u m e n t oder gar ü b e r e i n e n F r a g e – A n t w o r t – Z u s a m m e n h a n g informiert zu werden oder selbst informieren zu können, obwohl das möglich und lernbar ist. Bei Wahlkämpfen wird zudem mit a u f e i n a n d e r f o l g e n d e n Frage-Antwort- S e q u e n z e n zu rechnen sein. Das gilt auch schon für Parlamentsdebatten und –wahlkämpfe. Erst recht dann für Proportionswahlkämpfe.

Was diese speziell angeht, habe ich in einem früheren Kontext den Fall erwähnt, dass man sich über ein Wahlthema wegen verschiedener Fragestellungen nicht einigt. Zum Beispiel mag eine Wahloption auf die Frage antworten, wie Bürger Entfernungen am schnellsten zurücklegen, eine andere, wie sie ihre Zielorte am schnellsten erreichen; kompetente Journalisten werden den Unterschied der Fragen erkennen, auch wenn er gar nicht von allen Wahlkämpfern artikuliert wird, sondern einige nur diffus davon reden, dass „die Mobilität“ der Bürger optimiert werden soll.

Liegen später die Wahloptionen fertig vor, ist über komplexe Zusammenhänge zu berichten: den Zusammenhang zum einen, in dem die vorgeschlagenen volkswirtschaftlichen Proportionen zueinander stehen; den zum andern, den die Vorschläge als zusammenhängende Antworten auf vorgegebene Fragen aufweisen (es wurde gezeigt, dass alle Wahloptionen, so Verschiedenes sie vorschlagen mögen, demselben öffentlich ausgearbeiteten Fragekatalog antworten müssen); den zum dritten, der zwischen der ökonomischen Sprache, in der man von volkswirtschaftlichen Proportionen spricht, und der lebensweltlichen besteht, in der den Bürgern eine Sache problematisch geworden ist mit der Folge, dass sie auf eine Wahl hingearbeitet haben (so mag man weniger Luftverschmutzung wünschen, doch welche Höchstzahl privater Autos daraus folgt, hängt auch von technischen Lösungen ab). Außerdem sind diese Zusammenhänge nicht nur komplex, sondern auch dynamisch, und auch das muss dargestellt werden können. Wir haben gesehen, dass sich aus einem Wahlresultat ein Umsetzungszeitplan über Jahre ergibt, der keine starre Geltung hat, sondern sich von der beobachtbaren Umsetzungsrealität abhängig macht.

Dies alles verlangt so viel, dass die Bürger schon als Heranwachsende in der Schule damit vertraut gemacht werden müssen. Oder wenn ein besseres oder breiteres Bildungssystem gefunden wird, dann dort. Ökonomischer Unterricht wird ja schon heute gefordert und die Forderung ist richtig, nur dass sie heute kritisch gegen den kapitalistischen Zustand gerichtet sein müsste, wozu es kaum kommen wird. Der Schulunterricht der Anderen Gesellschaft gilt natürlich ihrer eigenen Ökonomie (und soll natürlich ebenfalls kritisch sein). Damit dann hierauf basierend die journalistische Ausbildung vertieft werden kann, muss sie öffentlich statt privat organisiert sein. Das ist ganz wesentlich und leitet zum Hauptthema dieser Notiz über, den Machtfragen im Zusammenhang der Medienfrage. Diese erste Machtfrage, der wir hier begegnen, kann selbst noch einmal nach der Ausbildungs- und Machtseite differenziert werden. Was die Ausbildungsseite angeht, brauche ich nur auf Thomas Piketty zu verweisen, der gezeigt hat, wie sehr die Stärke einer Ökonomie von den Bildungsinvestitionen abhängt; sein beeindruckendes Beispiel ist der Niedergang der Produktivität in Großbritannien infolge des Umstands, dass dieses Land, s t a t t sein Bildungssystem zu erneuern, ein Jahrhundert lang seine Schulden aus den napoleonischen Kriegen zurückgezahlt hat.

Was die Machtseite angeht, möchte ich an den Beginn meiner Erörterung der Medienfrage erinnern. Es wurde da gezeigt, dass Medien eine recht ähnliche Aufgabe wie Parteien haben, deshalb auch genauso wie diese der öffentlichen Kontrolle unterliegen müssen, weil sie andernfalls zum „Staat im Staate“ werden. Die Bundeswehr, bei der diese Tendenz noch in den 1960er Jahren bestand, wurde erst durch die Einrichtung der Bundeswehrhochschulen und die Vorschrift, dass jeder Offizier sie durchlaufen haben muss, an die Kette der Demokratie gelegt, womit sich Helmut Schmidt zur Zeit, als er noch Bundesverteidigungsminister war, sein größtes Verdient erwarb. Entsprechendes muss hinsichtlich der Medien geschehen. Man wird nicht so weit gehen, eine genau analoge Vorschrift zu verlangen: Nicht jeder Journalist muss eine journalistische Ausbildungsstätte, die also immer, wie wir voraussetzen, unter öffentlicher Kontrolle steht, durchlaufen haben. Denn dem journalistischen Beruf tun Quereinstiege gut, die weiter möglich sein sollen. Aber w e r eine durchläuft und sich mit seinem Abschlusszertifikat um eine Journalistenstelle bewirbt, dem wird dies Zertifikat nicht von irgendwelchen Privathänden ausgestellt worden sein. Hauptsächlich aus solchen Bewerbern rekrutieren sich Redaktionen. Über die Kompetenz, Quereinsteiger zu integrieren, werden sie sicher verfügen.

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Wir kommen nun zur Verzerrung der medialen Dienstleistung durch den illegitimen Einsatz von Macht. Das allgemeinste Stichwort hierzu lautet „Manipulation“. Sie kann die Form der Lüge, der Auslassung, der verworrenen Kontextualisierung oder des Gebrauchs absichtlich konfuser Begriffe annehmen. Wie der Lüge begegnet werden kann, haben wir schon gesehen: Das Recht zur Gegendarstellung wird ausgeweitet; nicht nur die Person oder Institution, die sich falsch beschrieben findet, sondern jedes Medium, das in irgendeiner es selbst nicht betreffenden Sache über Gegeninformationen verfügt, kann von ihm Gebrauch machen.

Der manipulativen Auslassung zu begegnen ist schwieriger, da sie der unvermeidlichen Selektion ähnelt. Wie schon gesagt wurde, ist es eine Kernaufgabe der Medien, Vorgänge so zu verkürzen, dass Bürger mit begrenztem Zeitbudget sie erfassen können. Eine Seite der Verkürzung ist die Auswahl: Es wird immer Aspekte einer dargestellten Sache geben, die unter den Tisch fallen. Da besteht nun die Gefahr, dass Aspekte weggewählt werden, die unbedingt hätten dargestellt werden müssen. Dass es dadurch unbeabsichtigt zu Informationen kommt, die sich wie manipulierte auswirken. Dass so ein Unfall irgendwo in der Medienlandschaft beginnt – da etwa, wo einfach wiederholt wird, was die Regierung behauptet -, sich fortpflanzt und über sie ausbreitet, weil ein Journalist vom andern abschreibt.

Nun setzen wir ja eine vertiefte journalistische Ausbildung voraus, die zur Folge haben sollte, dass solche unbeabsichtigte Manipulation sehr viel seltener anfällt als heute. Journalisten lernen, Dinge verkürzt zwar, doch nicht unterhalb des für ihre Eigenart wesentlichen Komplexitätsniveaus darzustellen. Gegen die verworrene Kontextualisierung hilft die erlernte Fähigkeit, Frage-Antwort-Zusammenhänge wahrzunehmen und in der Wiedergabe zu berücksichtigen. Aber wenn doch einmal ein Manipulationsunfall passiert – es schafft übrigens ein gutes Klima, wenn bei faktischer Manipulation die Frage, ob sie gewollt oder ungewollt entstand, in der Regel offengelassen werden kann -, oder, besser gesagt, wenn der begründete Verdacht eines solchen Falls besteht, dann muss es eine Instanz geben, die das ausspricht (zur öffentlichen Diskussion stellt). Diese Instanz sind nach meiner Vorstellung die Universitäten. Sie betreiben schon heute Manipulationsforschung, müssen nur verbreiten können, was sie tun. Statt nur allgemein zu forschen, müssen sie auf konkrete Fälle Acht haben.

Ohne ins Einzelne zu gehen, will ich nur auf Eins verweisen. Dass man sich fragt, wie die Kontrolleure ihrerseits kontrolliert werden, ist ein übliches Paradox. Aber gerade die Uni hält ihm stand, denn sie hat ständig damit zu tun, s e l b s t für die Aufrechterhaltung des e i g e n e n wissenschaftlichen Niveaus zu sorgen. Einem medialen Gesamtkomplex, zu dem das Unistandbein gehört, sollte solche Selbststeuerung auch gelingen. Er ist übrigens von Wissenschaft nicht völlig verschieden, oder sollte nicht länger angesehen werden, als wäre er es. Denn das mediale Produzieren, hat es auch keinen wissenschaftlichen Charakter, erhebt den Anspruch der Erkenntnis. Zu sagen, dass es „Empirie“ und im medialen Kommentar auch „Theorie“ vermittelt, ist nicht ganz verkehrt. Das ist zwar Empirie und Theorie als Wildwuchs, doch wer wollte bestreiten, dass er zur Genealogie ernst gemeinter Resultate der Sozialwissenschaft gehört. Niklas Luhmann schreibt sogar, die Medien konstituierten schlechthin unsere „Wirklichkeit“. Das klingt zynisch bei ihm, weil er die Dinge nur so nimmt, wie sie sind, aber es ist wahr und wir können eine Konsequenz ziehen: eben dass die Empirie der Medien, auch wenn es k e i n e wissenschaftliche ist, d e n n o c h , soweit das möglich ist, kontrolliert wird, als wäre sie es.

Wie schlimm es h e u t e um die Empirie bestellt ist, dafür weht mir gerade ein Vorgang, der sich gestern und vorgestern abspielte, über den Tisch: Die Welt am Sonntag, für die der griechische Finanzminister ein „Laien-Darsteller“ ist, behauptet, er lasse 800 Milliarden Franken, von Griechen auf Schweizer Banken gelagert, dort unbehelligt liegen. Dass die Zahl absurd ist, warum fiel es nicht sofort auf? Sie übersteigt die jährliche griechische Wirtschaftsleistung um das Dreifache. Tatsächlich handelt es sich um 800 M i l l i o n e n - es war ein Tippfehler! Der war aber so schön, dass er auf die Titelseite kam: „Ianis Varoufakis. Warum ihm 800 Milliarden Schweizer Franken egal sind“. Die falsche Zahl wurde von dpa ungeprüft weiterverbreitet und fand sich zum Beispiel in Spiegel Online und n-tv wieder. Am Abend, 20:38 Uhr, wurde sie von Welt Online mit der Bitte um Entschuldigung korrigiert. Doch auch gestern noch las man sie im Tagesspiegel, der Berliner Zeitung, dem Hamburger Abendblatt und anderswo. Lernt Ökonomie, kann man da nur sagen.

Zuletzt zur Sprachregelung, dem Gebrauch wertender und absichtlich konfuser Begriffe. Auch da würde universitäre Kontrolle und, bei besserer Ausbildung, redaktionelle Selbstkontrolle helfen, doch sollte es gar nicht erst zu ihr kommen können. Ich habe einmal vor langer Zeit das Referat eines Insiders gehört, der berichtete, wie in gewissen Presseagenturen Begriffe festgelegt werden. Das geschieht von oben herab, der gewöhnliche Mitarbeiter hat sie zu übernehmen. So kam es, dass in einem gewissen Konflikt eine Partei zunächst den Namen „Terroristen“, später dann „Freischärler“ erhielt. Der politische Wind hatte sich gedreht. Heute ist es auffällig, dass die Regierung Tsipras in Griechenland als „links-rechte Regierung“ figuriert. Könnte man es sich nicht sparen, die zwei Sitze, die Syriza zur absoluten Mehrheit gefehlt hatten, und ihre notgedrungene Auffüllung durch Rechtspopulisten so hervorzuheben? Indem man es tut, lenkt man ständig von der wirtschaftspolitische Position dieser Regierung in einer EU-weiten Debatte ab, reduziert sie auf griechische Innenpolitik. Wer es hört, soll zuerst an die „rechte Schlagseite“ denken. Derlei ist nun wirklich beabsichtigte Manipulation und wäre gesetzlich zu verbieten. Wer so einen Begriff bilden und gebrauchen will, tue es und begeistere sich daran in Teufels Namen, aber die Anweisung an andere, ihn auch zu gebrauchen, darf nicht erlaubt sein.

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Ein weiteres Kapitel: die schädlichen Motivationen. Man denkt da zunächst an die medialen Eigentümer. Sie mögen politische Sonderinteressen haben und diese redaktionell durchzusetzen versuchen. Dagegen hilft zum Teil die Offenlegung der Besitzverhältnisse, die heute nur in Hessen gesetzlich vorgeschrieben ist. Doch sollte eine Zeitung überhaupt nicht Eigentum, es sei denn ihrer Leserinnen und Leser, von jemandem sein können. Als Miteigentümer mit Geldhintergrund darf allenfalls ein Leser in Betracht kommen, der das Medium nicht gründet, sondern nur einsteigt und dann nicht etwa allmächtig wird. Sein Mitspracherecht an redaktionellen Entscheidungen müsste sich auf rein ökonomische Fragen beschränken – weil man sonst eine korrupte Redaktion hätte -, wobei die ökonomischen Bedingungen anders als heute wären. Die mediale Konkurrenz würde sich zwar immer noch um Anteile an einem Aufmerksamkeitsmarkt drehen, doch die Anweisung, Aufmerksamkeit durch solche „Unterhaltungs“elemente zu erlangen, die auf Kosten der durchsichtigen politischen Berichterstattung und problembewussten Kommentierung gehen, dürfte nicht mehr erfolgen. Sie würde wegkontrolliert. Aber diese Lösung ist noch recht harmlos. (Sie war zu benennen, weil es nicht so sein soll, dass vorhandene Medien beim Übergang in die Andere Gesellschaft abgeschafft werden dürfen.) Man kann sich doch auch vorstellen, dass Medien überhaupt niemals in Privathand sind; dass wer privat von ihnen profitieren will, in einen Fonds einzahlen muss, ohne auf die Verteilung der Fondsgelder Einfluss zu haben.

Mit den hiermit zusammenhängenden Einzelfragen will ich mich nicht befassen. Ich begnüge mich mit der Angabe der Richtung. Da wir aber vom Geld sprechen, sollte man sich auch erinnern, dass heute die Vergütung der Medienarbeit recht bescheiden ist und noch immer bescheidener wird. Ausgerechnet dieser wichtige Beruf, der intelligente Leute anziehen sollte, wird zunehmend „unattraktiv“. Das Gegenteil müsste der Fall sein.

Setzen wir die Erörterung schädlicher p o l i t i s c h e r Motivationen fort. Mit vielen Einflussnahmen, die heute von außen auf Medien zugreifen, muss anders umgegangen werden. Heute ist der Einfluss der eigenen Regierung sowie der Politik mindestens e i n e r ausländischen Macht, derjenigen der USA, gravierend. Letzteres geschieht durch führende Journalisten, die von „atlantischen“ Clubs kooptiert worden sind und dann vielleicht zum Beispiel in der Ukraine-Krise für ein mediales Gesamtklima sorgen, in dem die deutsche Regierungspolitik fast schon abweichlerisch erscheint. Man sieht hieran, dass es nicht übertrieben ist, die Medien als Vierte Gewalt zu beschreiben. Sie sind es heute auch darin, dass sie den linkeren Parteien mit zunehmendem Erfolg vorschreiben, welche Kanzlerkandidaten sie aufzustellen und Parteichefs zu wählen haben. In diesem Punkt setzen sie Unionspolitik auf eine Weise durch, die mit den anderen drei Gewalten nicht zu machen wäre. Wir haben schon darüber gesprochen, dass dieser Sockel, auf den sie sich stellen, schlicht antidemokratisch ist.

Wenn man zusammenfassen will, was hier geschieht, muss man sagen, dass es privilegierte machtvernetzte Journalisten gibt, deren Chance, „Karriere“ zu machen, größer ist als die Chance anderer. Dass unsere heutigen Leitmedien die Auffassungen der Eliten wiedergeben und dass, wer da spurt, die besten Karrierechancen hat, weist das wichtige Buch von Uwe Krüger nach (Meinungsmacht. Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse, Köln 2013). Dagegen hilft zweierlei, erstens und vor allem dass man einen a n d e r e n K a r r i e r e w e g schafft. Bessere Aufstiegskriterien können öffentlich diskutiert und auf dieser Basis auch durchgesetzt werden. Zweitens, wenn vom alten Karriereweg ein Alpha-Tier übrig bleibt, kann man es zur Kennzeichnung verpflichten: „Der Autor gehört der atlantischen Vereinigung X an“, „gehört zum regelmäßig sich treffenden Kreis um den Spitzenpolitiker Y“. Übrigens will ich wenigstens die erstgenannte Kennzeichnung nicht so verstanden wissen, als wäre sie synonym mit etwas wie „Rauchen kann tödlich sein“. Ganz im Gegenteil. Atlantische Vereinigungen sind extrem wichtig, um den Frieden zwischen der EU und den USA zu bewahren. Es kommt freilich drauf an, was dort geschieht und wer teilnimmt. Doch das ist ein anderes Thema.

Ich will zuletzt noch einmal auf die Proportionswahl zurückkommen. Da alle, hatte ich gesagt, hier über ihre eigene ökonomische Zukunft mitentscheiden, braucht man nicht besorgt zu sein, dass ihnen künstliche Motivationen der Teilnahme aufgepfropft werden können, etwa dass politisch oder sonstwie attraktive Spitzenpolitiker auftreten und mit Empfehlungen das allgemeine Interesse auf sich lenken. In dieser Wahl werden keine Personen gewählt, so dass sie für Spitzenkandidaten gar keinen Ort hat. Was aber passieren kann, legitim wäre und in den Medien sich spiegeln würde, ist dass ganze Parteien sich einzumischen versuchen. Wenn sich etwa die ganze Union auf ein und dieselbe Proportionsoption verpflichtet, und warum sollte ihr das nicht gelingen, dann kann sie diese zur Wahl stellen und mag aufgrund parteitreuer Wähler und nahestehender Medien eine erhöhte Chance haben, sich gegen andere Optionen durchzusetzen. Das ist dann so. So einen Einfluss darf man nicht wegdekretieren wollen. Aber natürlich können andere kommen und eine abweichende Option ebenfalls zur Wahl stellen, die darauf zielt, die Unions-Option quer zu den Flügeln, die sich da geeinigt haben, oder genau an deren Bruchlinie zu zerlegen.

Es war meine Absicht, die Furcht zu entkräften, dass die Einführung ökonomischer Wahlen keinen Zugewinn an Demokratie bedeutet, weil einflussnehmende Medien alles kaputtmachen würden. Obwohl ich in vielen Einzelfragen nur eine Richtung anzugeben versuchen konnte, glaube ich, dass es mir gelungen ist. Vielleicht kann diese Verallgemeinerung Geltung beanspruchen: Es ist möglich, alle medialen Mechanismen, die dem demokratischen Prozess schaden, statt dass sie ihn befördern, einzeln herauszufinden und zu benennen, öffentlich zu diskutieren und dann auch abzuschaffen, auf demokratischem Weg. In der Anderen Gesellschaft ist das möglich, wenn man schon heute damit beginnt.

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Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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