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Es seien ein paar Belege für die politische Macht der Reichen zusammengestellt, eine Macht, die den demokratischen Gewalten einschließlich der Exekutive mehr als gewachsen ist. Am reichsten überhaupt scheint die Erbin des französischen L’Oreal-Holdings zu sein; L’Oreal ist der weltgrößte Kosmetikhersteller. Der Reichtum der Erbin beläuft sich auf über 30 Milliarden Euro, das von ihr deklarierte Einkommen, nach dem sie besteuert wird, liegt aber nie über fünf Millionen Euro, etwa einem Zehntausendstel des Vermögens. Wie man die Dinge so einrichten kann, erzählt Thomas Piketty (Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014, S. 712 f.): Es sei einfach schwierig, bei noch so luxuriöser Lebensführung mehr als ein paar Millionen pro Jahr auszugeben, die man sich in Form von Zinsen auszahlen lasse; den Rest der Rendite stecke man in eine Familienholding, das ist eine Rechtsform, die „einzig dem Zweck der Verwaltung eines so großen Vermögens dient“.
„Im Fall des größten französischen Vermögens ergibt sich eine zusätzliche Schwierigkeit daraus, dass die Familienholding von der Frau des Haushaltsministers verwaltet wurde, der seinerseits Schatzminister derselben politischen Partei war, die von dem fraglichen Vermögen mit großzügigen Spenden bedacht wurde. Da es dieselbe Partei war, die während ihrer Zeit an der Macht die Vermögenssteuer gedrittelt hatte, hat der ganze Vorgang naturgemäß heftige Reaktionen im ganzen Land hervorgerufen – und bewiesen, dass sich das Phänomen einer vom Reichtum usurpierten politischen Macht [...] beileibe nicht auf den Fall der Vereinigten Staaten beschränkt. Nur zur Erinnerung: Bei dem Haushaltsminister handelt es sich um den Vorgänger jenes anderen, der ein Konto in der Schweiz verschwiegen hatte, was auch daran erinnert, dass jene Machtusurpation in Frankreich die Grenzen zwischen den politischen Lagern übergreift.“
In der Tat ist der „Fall der Vereinigten Staaten“ noch viel bedeutsamer. Fangen wir mit dem an, was allgemein bekannt ist: Man kann dort nicht Präsidentschaftskandidat sein, ohne Wahlkampfspenden vonseiten der Industrie gesammelt zu haben oder selbst ein Reicher zu sein wie Donald Trump, der heute auf republikanischer Seite in den Umfragen führt, trotz oder gerade wegen seines unsäglichen Auftretens, übrigens ein Phänomen, das an Berlusconi denken lässt. Präsident Obama hat zwar Kleinspendenrekorde zu verzeichnen gehabt und es gibt die gesetzliche Regelung, dass kein Wähler mehr als 2500 Dollar spenden darf. Erlaubt sind aber „Komitees“, die unbegrenzt viel Spenden eintreiben und ausschütten können, ohne die Identität der Spender bekanntgeben zu müssen. Obama hat gegen solche Komitees gewettert, dann aber selbst welche gründen müssen, um nicht schlechter dazustehen als der Gegenkandidat. Und so viel weiß man, aus Versicherungen, Wallstreet, sonstiger Finanz und Immobilien kam beim letzten Wahlkampf knapp eine halbe Milliarde Dollar zusammen, wovon Obama ein Drittel bekam und zwei Drittel auf den Gegenkandidaten fielen. Dass solche Spenden die Hände binden, ist klar.
Aber das ist bei Weitem nicht alles, und gleich werden wir sehen, wie das eben Geschilderte schon altmodisch zu werden beginnt, ja im Rückblick als doch wenigstens dritteldemokratische Idylle erscheint.
Um an einem anderen Hebel der politischen Mechanik anzusetzen: Man kann in den USA wie in Deutschland nicht nach dem mächtigsten Amt greifen, ohne vorher ein anderes wichtiges Amt innegehabt zu haben. Wenn man zum Beispiel Gouverneur war, sind auch wieder Spendenkampagnen oder eigener Reichtum Voraussetzung gewesen. Obama hatte als Senator landesweite Bekanntheit erlangt. Und nun schauen wir uns einmal den US-amerikanischen Kongress an, Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses: „[D]as Durchschnittsvermögen der 535 amerikanischen Kongressmitglieder“, so Piketty, „[beläuft sich] 2012 auf 15 Millionen Dollar“. (S. 694 f.) Das sind keine Superreichen, Reiche aber schon; da sie mit den demokratischen Gewalten eh schon identisch sind, müssen sie nicht erst Zugang zu ihnen finden.
Dass sich aber auch Superreiche im Kongress sehen lassen, berichtete kürzlich ausgerechnet die FAZ:
„Als der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen umstrittenen Auftritt vor dem amerikanischen Kongress hatte, saß ein steinreicher Unternehmer in der Besuchergalerie, der aufs engste mit der Angelegenheit verquickt war: der Casino-Mogul Sheldon Adelson aus Las Vegas. Dieser Mann teilt Netanjahus Sorge, dass Präsident Barack Obama zu weich mit Iran umgeht. Das unterscheidet ihn noch nicht von vielen normalen Bürgern. Er ist zugleich aber einer der größten Förderer der Republikanischen Partei und enger Vertrauter Netanjahus. Dessen Bemühungen um Wiederwahl in Israel unterstützt Adelson kraftvoll. Selbst wenn die Republikaner die vor dem Weißen Haus verheimlichte Einladung Netanjahus aus freien Stücken ausgesprochen haben, so wussten sie doch, dass sie damit ihrem wichtigsten Gönner einen großen Gefallen getan haben. So macht ein Milliardär ein bisschen Außenpolitik.“
Dieser Text, betitelt „Die Macht der Milliardäre“, war am 18. März dieses Jahres Hauptkommentar des Wirtschaftsteils der FAZ, und der Verfasser, Winard von Petersdorff, fährt fort:
„Adelson vertritt einen neuen Typus reicher Spender in den Vereinigten Staaten. Dieser verfolgt mit seinen Zuwendungen eine politische Agenda, er scheut sich nicht, Partei zu ergreifen, und er will Ergebnisse sehen. Mit der Nüchternheit eines Buchhalters zählt er die Früchte seiner Spenden, wie er die Renditen seiner Investitionen misst. Das unterscheidet ihn von der alten Generation der Großspender. Leute wie Andrew Carnegie oder John Rockefeller widmeten ihr Vermögen überwiegend den schönen Künsten, der höheren Erziehung oder karitativen Organisationen. Trug eine Konzerthalle oder Universität dann den Namen des Großspenders, war das Lohn genug“,
ein Hinweis übrigens darauf, dass der Reichtum und die Reichen ihre eigene Geschichte haben (was Piketty zu diesem Thema beisteuern kann, werden wir noch sehen). Petersdorff, nachdem er berichtet hat, dass auch linke Milliardäre sich einmischen – so unterstützte ein Versicherungsunternehmer die Graswurzelbewegung zur Legalisierung von Marihuana mit circa 50 Millionen Dollar -, kommt am Ende noch einmal auf Adelson zurück:
„Die linksliberale Presse sprach spöttisch von den ‚Sheldon-Vorwahlen‘, als sich fast alle Hoffnungsträger der Republikaner letztes Jahr zu einem von Adelson organisierten Kongress in seinem Hotel in Las Vegas einfanden. Adelsons Freunde verbreiten, er suche einen Kandidaten mit starken konservativen Prinzipien, der gleichwohl wählbar für Minderheiten sei. Wenn jetzt aber Milliardäre Kandidaten suchen, die zu ihrer politischen Agenda passen, kehrt das die Verhältnisse um. Bisher nahm man an, dass Kandidaten für ihre politischen Programme Geld suchen. [...] Von Adelson weiß man, dass er sich nicht nur eine Politik pro Israel, für niedrigere Steuern und weniger Staat wünscht. [...] Der Casino-Besitzer Adelson wünscht sich auch das Verbot von Online-Casinos.“
Wir haben unterwegs gehört, dass Cargenie und Rockefeller „der höheren Erziehung“ einen Teil ihres Vermögens widmeten. Die Reichen von heute tun das natürlich auch, beschränken sich nur nicht mehr darauf. Werfen wir also auch auf diesen Hebel einen Blick. Kann man Senator werden, ohne vorher gut studiert zu haben? Aber wie verschafft man sich Zugang zu einer der prestigeträchtigen Privatuniversitäten? Dieser Zugang ist sehr ungleich:
„Nicht allein, weil es schwierig ist (auch für Eltern, die der obersten Mittelschicht angehören), die sehr hohen Studiengebühren an den prestigeträchtigen Privatuniversitäten aufzubringen. Vielmehr machen diese ihre Zulassungsentscheidungen offenbar in erheblichem Umfang von der Fähigkeit der Eltern abhängig, die Universität mit Spenden zu bedenken. Eine neuere Studie hat gezeigt, dass es just dann zu einer auffälligen Häufung von Spenden kommt, wenn die Kinder ehemaliger Absolventen das Bewerbungsalter erreicht haben. Vergleicht man die verfügbaren Quellen, kann man im Übrigen das gegenwärtige Durchschnittsgehalt der Eltern von Harvard-Studenten auf 450 000 Dollar schätzen, was ungefähr dem Durchschnittseinkommen der reichsten 2 % amerikanischer Haushalte entspricht. Das heißt nicht, Harvard nehme nur Studierende aus diesen reichsten 2 % der Amerikaner auf. Es heißt nur, dass Aufnahmen unterhalb der reichsten 2 % so selten, und Aufnahmen von besonders Reichen innerhalb dieser Gruppe der 2 % so häufig sind, dass sich dieser Durchschnitt ergibt.“ (S. 648 f.)
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Zusammenfassend fragt Piketty, ob „der politische Prozess in den Vereinigten Staaten von den 1 % blockiert“ werde. „Diese Hypothese wird von den amerikanischen Politologen und Beobachtern der politischen Szene Washingtons immer häufiger vorgetragen." (S. 693) Nun sieht es gewiss in Europa etwas anders aus. Viele Teile Europas haben ja eine ganz andere politische Kultur. Weit noch ist man von jener US-Ideologie entfernt, nach der es toll gefunden wird, im ganzen Land nach Winnern und Losern Ausschau zu halten und dann eben vor Reichen den Kotau zu machen, weil sie ganz offensichtlich Winner sind. Das prägt auch den Gerechtigkeitsbegriff, den sich die Leute machen. So sind
„in den Vereinigten Staaten der Jahre 2000 bis 2010 oft Rechtfertigungen jenes Typs für die Vergütungen“, Stichwort Boni, „der Supermanager zu hören (die manchmal das Fünfzig- oder Hundertfache des Durchschnittseinkommens und mehr betragen): Ohne solche Vergütungen könnten nur Erben es zu wirklichem Wohlstand bringen, das aber wäre ungerecht und darum sei es letztlich ein Schritt auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit, wenn Supermanager mehrere Millionen oder mehrere Dutzend Millionen verdienen.“ (S. 555)
Die Loser-Seite der sozialen Gerechtigkeit sieht dann so aus, dass „[f]ür Personen ohne Kinder (insbesondere für schwarze Jugendliche) [...] gelegentlich der Gefängnisstaat den Vorsorgestaat [vertritt].“ „Ungefähr 1 % der erwachsenen amerikanischen Bevölkerung sitzt 2013 hinter Gittern. Diese durchschnittliche Inhaftierungsquote ist die höchste der Welt (leicht vor Russland, weit vor China). Unter den schwarzen männlichen Erwachsenen (jeden Alters) steigt sie auf über 5 %.“ Empfänger von Sozialhilfe erhalten in den USA Food Stamps statt Geld. (S. 638)
Das sind nur die USA. Doch Piketty sieht aufgrund seiner Zahlen einen weltweiten Prozess, „in dem sämtliche Länder, China und die Ölförderländer natürlich eingeschlossen, immer massiver von den Milliardären und Multimilliardären dieser Erde in Besitz genommen werden“ - dieser „ P r o z e s s d e r p o l i t i s c h e n A b s p a l t u n g d e r g r ö s s t e n V e r m ö g e n “ sei „bereits in vollem Gange“ (S. 618 ff., meine Herv.). Wie sieht es nun in Europa aus, das eine so andere politische Kultur hat als die Vereinigten Staaten? Da empfiehlt es sich, abstrakter heranzugehen – obwohl es den direkten Zugriff der Reichen auch hier gibt, ich habe den Fall L’Oreal genannt und könnte, was Deutschland betrifft, an die Flick-Affäre erinnern – und mit Piketty den Mechanismus der europäischen Staatsschuldenkrise zu studieren.
Dass Europa, schreibt er, „unter einer endlosen Staatsschuldenkrise leidet“, entbehre „nicht der Ironie, ist es doch der Kontinent mit dem höchsten Kapital-Einkommens-Verhältnis der Welt“ (S. 628). Der Begriff bezeichnet bei ihm den Kapitalstock geteilt durch das jährliche Einkommensvolumen (Nationaleinkommen). Der Kapitalstock „ergibt sich aus den Gütern, die in allen vergangenen Jahren angeeignet oder akkumuliert wurden“: (S. 76) Nicht alles davon ist Kapital im Marxschen Sinn, alles aber ist Vermögen, vorhandener Privatreichtum, und um den geht es. Nimmt man nur Deutschland, Frankreich und Großbritannien, so war der Privatreichtum in allen drei Ländern um 1870 herum etwa siebenmal größer als das Nationaleinkommen, war 1950 auf das nur noch Zwei- bis Dreifache gesunken und hat sich bis 2010 schon wieder beträchtlich aufgeschwungen: auf das Vierfache in Deutschland, das über Fünffache in Großbritannien, das Sechsfache in Frankreich.
Diese Zahlen zeigen ganz einfach, dass Geld genug da wäre, um die Staatsschulden dieser Länder und aller anderen auch mit einem Federstrich zu beseitigen. Eine einmalige Vermögensabgabe, so Piketty, wäre hinreichend: „Zum Beispiel würde eine Proportionalsteuer von 15 % auf alle privaten Vermögen fast ein jährliches Nationaleinkommen einbringen und damit ausreichen, um auf einen Schlag alle Staatsschulden zu tilgen.“ (S. 740) Und er fügt hinzu: „Man kann durchaus der Ansicht sein, Europa habe Besseres zu tun, um sich für seine Zukunft in der Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts zu rüsten, als mehrere Prozentpunkte seines BIP auf die Tilgung seiner Staatsschulden zu verwenden, während gleichzeitig die europäischen Länder durchschnittlich weniger als einen Punkt des BIP in ihre Universitäten investieren.“ (S. 745 f.)
Doch man muss die Sache vor allem umgekehrt betrachten. Was bedeutet es, dass nicht etwa nur Griechenland, sondern d i e r e i c h s t e n S t a a t e n so viele Schulden haben? Die Schuldenmenge ist so groß, dass etwa der deutsche Staat praktisch überhaupt kein eigenes Vermögen hat; es ist alles geliehen, so dass man sagen könnte, die Bundeswehr, die Schulen, alles gehört den Privatgläubigern (vgl. S. 154 f., 168) und s i e sind es im Grunde, denen wir Steuern zahlen. „Die Schwellenländer, obwohl an Einkommen wie Kapital ärmer als die reiche Welt, haben sehr viel geringere Staatsschulden (durchschnittlich 30 % des BIP).“ (S. 737) Nun begreift man natürlich, dass die Reichen lieber den deutschen als den indischen Staat kreditieren, aber da sie auch wissen, dass der deutsche Staat die Kredite dringend braucht, kann man sich trotzdem fragen, warum sie bereit sind, mit „außerordentlich geringen Zinsen (kaum 1 %)“ vorlieb zu nehmen. Piketty meint, es beweise „vor allem, dass die privaten Investoren nicht recht wissen, was sie mit dem Geld anfangen sollen“; da ist sicher etwas dran und es ist schon entlarvend genug. (S. 753 f.)
Es gibt aber noch eine andere Seite der Sache, auf die er anlässlich Saudi-Arabiens zu sprechen kommt. „Weshalb hat Saudi-Arabien beschlossen, seine Rücklagen in amerikanischen Schatzanweisungen anzulegen, obwohl sich anderswo viel bessere Renditen erzielen lassen?“, fragt er. Amerikanische Universitätsstiftungen tun das nicht! Seine Antwort: „Auch wenn dies nicht explizit eingeräumt wird, ist es von Saudi-Arabien nicht unklug, dem Land, unter dessen militärischem Schutz es steht, zu niedrigen Zinsen Geld zu leihen.“ (S. 611) Es muss gut Wetter machen, damit die USA nicht etwa eines Tages ihr Militär g e g e n Saudi-Arabien richten. Denn wahrscheinlich „[würden] die westlichen Länder die Vorstellung, zu einem bedeutenden Teil den Ölförderländern zu gehören, auf Dauer nicht ertragen“ und zöge dies „früher oder später die verschiedensten politischen Reaktionen nach sich“, wobei es „keinerlei Gewähr [gibt], dass dieser Prozess immer in ebenso friedlichen Bahnen verlaufen wird. Niemand weiß, wo genau die Inbesitznahme eines Landes durch ein anderes an eine psychologische und politische Grenze stößt, die man nicht überschreiten sollte.“ (S. 614 f.)
All das leuchtet ein und wirft die Frage auf, welches politische Interesse d e u t s c h e Reiche bewegt, dem d e u t s c h e n Staat ebenfalls nur wenig abzuverlangen. Sicher weil auch sie nicht bedroht werden wollen, ihnen vielmehr an einem gefügigen Partner liegt, der ihr Brot isst und dann auch ihr Lied singen wird. Deutschland ist von keiner Troika geknechtet, macht das eigentlich einen so großen Unterschied? Oh, es macht schon einen. Wer knechtet, braucht Knechtende. Ich als deutscher Steuerzahler will zu denen nicht gehören, muss mich aber fügen, weil der deutsche Staat sich fügt.
„Man wird [...] feststellen, dass Deutschland dank seiner Handelsüberschüsse in den letzten Jahrzehnen beträchtliche Auslandsaktiva angehäuft hat. Zu Beginn der 2010er Jahre liegt die Vermögensposition Deutschlands gegenüber dem Ausland bei 50 % seines Nationaleinkommens (mehr als die Hälfte dessen wurde seit dem Jahr 2000 angesammelt) und befindet sich somit fast auf dem gleichen Niveau wie 1913. Das ist wenig im Vergleich zu den Aktiva, die Frankreich und Großbritannien in der Belle Époque im Ausland besitzen, aber doch beachtlich im Vergleich zur heutigen Position der beiden ehemaligen Kolonialmächte, die nahe null liegt.“ (S. 189)
Wieviel politische Macht dem deutschen Staat dadurch zuwächst, ist ebenso klar wie dass er diese Macht nur von Gläubigern geliehen hat und in ihrem Interesse einsetzen muss. Handelsüberschüsse sind ja nur die Kehrseite von Defiziten, wie Griechenland welche hat. Da kann er seine ganze geliehene Macht ausspielen und tut es auch. Und wenn man von Piketty hört, dass die Einflüsterer s o mächtig noch ein Jahrzehnt vorher gar nicht waren, wundert man sich weniger über den doch irgendwie neuartigen Herrenmenschentonfall, den ein Herr Schäuble an den Tag legt.
Noch an etwas anderes sollte uns Saudi-Arabien gemahnen. Selbst wenn wir annehmen wollten, dass die europäischen Staaten nur wenig von den Reichen abhängen, ist doch klar, dass sie ziemlich viel Rücksicht auf die USA nehmen müssen, die als Diktatur der Bourgeoisie zu bezeichnen nun wirklich nicht verwegen ist. Den Reichen der USA gegenüber ist Deutschland aber in keiner anderen Lage als Saudi-Arabien, dass nämlich sie, die USA-Reichen, die militärische Übermacht haben. Dies hat auch einen theoretisch interessanten Aspekt. Man streicht oft heraus, dass „das globalisierte Kapital“ sich von der Macht der Nationalstaaten emanzipiert habe. Sicher stimmt das weitgehend. Aber wenn es nicht den e i n e n Staat gäbe, der über so starke Waffen verfügt und mit repräsentativen Teilen des Kapitals quasi identisch ist, dann wäre es mit der politischen Macht der Superreichen trotzdem nicht weit her. Sie drehen allen Staaten die Nase, weil sie sich auf den einen stützen können.
Die nächste (134.) Notiz kann ich erst in zwei Wochen einstellen.
Kommentare 30
lieber michael,
prof mausfeld hat ja wohl recht, wenn er sagt, die usa seien gar keine demokratie, sondern ein oligarchie.
wie reimt sich darauf die us-propaganda für die verbreitung von demokratie und freiheit?
wenn die reichste französin von den paar millionen euro zinsen pro jahr gut über die runden kommt, ohne das großvermögen anzutasten, lässt die madame das geld für sich schuften (nach einem bekannten banksterspruch).
zinsen wären de,nach allein zu rechtfertigen bei relativ geringen guthaben, für die es eine art ausgleich/entschädigung bedeutete für den eingeschränkten monetären spielra
spielraum.
Unheimlich interessant. Da kann ich wirklich nur lesen und lernen.
Das war quasi ein Betthupferl für die Nacht. Danke.
im ganzen Land nach Winnern und Losern Ausschau zu halten und dann eben vor Reichen den Kotau zu machen, weil sie ganz offensichtlich Winner sind. Das prägt auch den Gerechtigkeitsbegriff, den sich die Leute machen.
Hier kommen noch christlich-protestantische Kirchen ins Spiel, denen sehr viele US-Amerikaner angehoeren.
Der Protestantismus gibt es die (scheinbar) biblische Aussage, dass Gott den "Gerechten" (Guten) belohnt. Das wurde zuerst im Calvinismus (Calvin selber hat das wohl noch nicht vertreten) auch auf materielle Belohnungen ausgedehnt und dann logisch umgekehrt: Wer ueber Vermoegen verfuegt, ist ein "gerechter', guter Mensch.
Solche Vorstellungen sind dann mit den fundamentalistischen englischen Protestanten nach Amerika gelangt. Heute ist das die wunderbare, christliche Rechtfertigung des Reichtums. Inzwischen wird das natuerlich von den privat finanzierten "Kirchen" in den USA gern gepredigt.
So passt wieder alles zusammen.
Ganz konkret also:
Es gibt keinen Unterschied zwischen den amerikanischen und den europäischen Politikstruktur - auch, wenn das beim schnellen hinsehen so aussieht. Das man in Europa nun keine Millionen auf dem Konto haben muß, um Parlamentsmitglied zu sein, macht keinen Unterschied, wenn im Eifer des Polit-Alltages dann doch alles undurchsichtig wird - also viel Gelegenheit den Einfluß zu verschleiern.
Staaten bleiben dabei trotzdem ausgeliefert und sind Spielfeld und Rangiermasse. Deswegen glaube ich nicht an eine "demonstrativ" politische Lösung des Problems.
Interessant ist, dass Picketty wohl schreibt, dass die Superreichen wahrscheinlich gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld. Was ist denn das "teuerste" was sie sich kaufen könnten?
Die Superyacht.
Und die Kosten dafür sind dann auch nicht viel mehr, als ne Portokasse. Und dann quengeln sie wahrscheinlich noch, das man sie nicht gleich einpacken und mitnehmen kann.
Bemerkungen zur politischen Kultur und Lernfähigkeit der deutschen Administration, der ökonomisch und politisch herrschenden Finanz- und Monopolbourgeoisie (der Multimillionäre und Milliardäre, der privaten GroßunternehmerInnen und Dividenden-HauptaktionärInnen), zum historischen "Sozialpartner" der bundesdeutschen Gewerkschaften, Parlamentsparteien, Sozialverbände und "Arbeitnehmer" (in Wahrheit: Geber), nach der zeitweiligen kapitalfaschistischen Niederlage (1945), so z. B. Hermann Josef Abs:
Im Jahr nach dem Verbot der antifaschistischen KPD (1956), auf einer internen Beratung führender Vertreter der Wirtschaftsmonopole und der (damals noch westdeutschen) Regierung, die am 21. November 1957, also unmittelbar nach den Bundestagswahlen, bei dem Bankier Pferdmenges stattfand, erklärte der Banker H. J. Abs: "... es werde auf die Dauer unmöglich sein, das privatwirtschaftliche System der Bundesrepublik nahe dem Eisernen Vorhang aufrechtzuerhalten, falls es nicht gelinge, einige Millionen Westdeutsche als Kleinaktionäre mit diesem System enger zu verbinden."
Anm.: Heute besitzt auch der Facharbeiter und Gewerkschafter, dank H. J. Abs und Ludwig Erhard (L. E. ein Vorbild von S. Wagenknecht?), in den DAX-Konzernen, als "Sozialpartner" der Quandtschen Finanz- und Monpolbourgeoisie, ein paar Klein-Aktien. --
Bei meiner Berufstätigkeit als Metall-Dreher, z. B. bei Daimler Benz, konnte ich feststellen: einige Metallarbeiter fühlten sich schon in den 1980er Jahren als "Aktionäre", -- 'ihres' Betriebes.
Hierzu auch mein Video-Vortrag “Der Einfluss der US-Machtelite auf die Internationale Politik”:
https://wipokuli.wordpress.com/2015/06/07/der-einfluss-der-us-amerikanischen-machtelite-auf-die-internationale-politik/
Andreas Schlüter
Soziologe
Berlin
Inzwischen wird das natuerlich von den privat finanzierten "Kirchen" in den USA gern gepredigt.
Ist das wirklich so? Wenn Sie etwas darüber wissen, würde es mich interessieren. Es wäre auch wirklich nicht überraschend. Gleichwohl würde ich der von Max Weber genährten Vorstellung widersprechen, daß "solche Vorstellungen", weil sie "mit den fundamentalistischen englischen Protestanten nach Amerika gelangt [sind]", da zur Grundlage der amerikanischen Kapitalismusvariante, ja überhaupt des Kapitalismus geworden seien und ihre / seine Geschichte bis heute erklären könnten. Ich habe mich mit dieser Frage im Rahmen dieser Blogreihe befaßt: Vgl. Sie die 24. Notiz, dort Abschnitt 3, und noch den Anfang der 25. Notiz, oder, wenn es Sie interessiert, das ganze 3. Kapitel des Zweiten Teils, "Herkunft und Charakter der Figur kapialistischer Endlosigkeit", das aus der 24., 25. und 26. Notiz besteht.
Ich denke, der Unterschied zwischen dem US-amerikanischen und dem europäischen Kapitalismus einschließlich ihrer jeweiligen ideologischen Überbauten läßt sich hinreichend damit erklären, daß der Kapitalismus in den USA, nicht, wie in Europa, mit einem traditionellen Staatswesen konfrontiert war. Und übrigens entstand er dort recht spät. Marx fragt sich noch in Das Kapital I, 1861 , warum der Kapitalismus solche Schwierigkeiten habe, in den USA auf die Beine zu kommen.
Interesante Zusammenfassung und auch interssante Fragen zu den beschreibenen Phänomenen. Danke dafür. Nur was macht "man", nachdem "man" schlau geworden ist ?
Hm. Ja, bisher habe ich mich an die Vorstellung von Weber gehalten, ohne das jemals selbst recherchiert zu haben.
Von der anderen Seite, der protestantischen Seite her, habe ich das noch nicht im Detail nach gesehen. Man kann wohl aber sagen, dass der Protestantismus in den Neu-England Staaten deutlich fundamentalistischer war, als in Europa.
Ob man mit dem Protestantismus den gesamten amerikanischen Kapitalismus "erklaeren" will, muss man wohl bezweifeln. Aber es geht im Beitrag ja um Reichtum, dessen Rechtfertigung und soziale Funktion. Da haben insbesonder die Calvinisten sehr "eigene" Vorstellungen. (Auf die ich hingewiesen habe. ) Reichtum hat bei denen eben keinen haut gout...
Aber ich gucke nochmal.
Frag ich mich natürlich auch und will das später auch hier in der Blogreihe tun, auch auf die Gefahr hin, daß vielleicht nicht viel dabei rauskommt.
... man kann es verquasen, vielleicht ist es so leichter erträglich.
Die Realität zeigt - Mensch = besonders abartiger Primat = Horde = Hordenführer
Für unsereins ist es in der Tat ein erbaulicher Zeitvertreib, die Theorie bezüglich der Auswahl unserer jeweiligen Hordenführer aufzustellen, zu debattieren und letztlich festzustellen - es läuft irgend etwas ganz, ganz furchtbar schief.
Seien wir froh, wir durften unsere Leben in einer Horde genießen, die im globalen Verteilungskampf einen Platz an der Sonne inne hat.
Das hat allerdings wohl wirklich nur mit Glück zu tun - mit nichts Anderem.
Aber bitte - auch ich lese Euch alle immer gerne, es ist - für mich - amüsant, da ich alles habe, was ich mir nur wünschen kann.
Leider bin ich relativ alleine damit.
Leider darf ich meinen Blick nicht zu weit schweifen lassen, sonst würde ich depressiv.
Diese Blogreihe jedenfalls kann man noch lange fortsetzen, es gibt noch viele Nischen der Hordenführerfindungsmöglichkeiten zu entecken und zu beschreiben -
einzig - der positiven, den Intellekt des Menschen anerkennenden Varianten, dürfte man vergeblich in neugieriger Erwartung harren.
Es ist primitiv, grausam und zu tiefst destruktiv - wie gesagt, es läuft verflucht schief.
Gewählte Forumulierungen machen es leider nicht besser.
Trotzdem - immer Danke für die Lektüre.
... man kann es verquasen, vielleicht ist es so leichter erträglich.
Die Realität zeigt - Mensch = besonders abartiger Primat = Horde = Hordenführer
Für unsereins ist es in der Tat ein erbaulicher Zeitvertreib, die Theorie bezüglich der Auswahl unserer jeweiligen Hordenführer aufzustellen, zu debattieren und letztlich festzustellen - es läuft irgend etwas ganz, ganz furchtbar schief.
Seien wir froh, wir durften unsere Leben in einer Horde genießen, die im globalen Verteilungskampf einen Platz an der Sonne inne hat.
Das hat allerdings wohl wirklich nur mit Glück zu tun - mit nichts Anderem.
Aber bitte - auch ich lese Euch alle immer gerne, es ist - für mich - amüsant, da ich alles habe, was ich mir nur wünschen kann.
Leider bin ich relativ alleine damit.
Leider darf ich meinen Blick nicht zu weit schweifen lassen, sonst würde ich depressiv.
Diese Blogreihe jedenfalls kann man noch lange fortsetzen, es gibt noch viele Nischen der Hordenführerfindungsmöglichkeiten zu entecken und zu beschreiben -
einzig - der positiven, den Intellekt des Menschen anerkennenden Varianten, dürfte man vergeblich in neugieriger Erwartung harren.
Es ist primitiv, grausam und zu tiefst destruktiv - wie gesagt, es läuft verflucht schief.
Gewählte Forumulierungen machen es leider nicht besser.
Trotzdem - immer Danke für die Lektüre.
Herr Jäger, sie kennen doch sicher "Der eindimensionale Mensch" von Marcuse. Ich denke da steht einiges drin, was hier wegweisend ist und wird sein müssen. Abgesehen davon kommt nach der Ermächtigung immer der Untergang. Es hängt allerdings vom Selbstbewusstsein der Gesselschaft unter der repressiven Herrschaft ab, wer dabei untergehen muss. Dahin gehend ist zu erwägen was Befreiung in der heutigen Situation überhaupt heist: Befreiung von der Wirtschaft als Herrschaftsmacht und -modell. Welche Voraussetzungen müssen für diese Befreiung erfüllt sein? Und wie können wir diese Vorausetzungen erfüllen? Das sind die entscheidenen Fragen in einer Situation, in der die Linke sich entweder angeekelt abwendet, sich resigniert auf "seinen" systemkonformen Altenteil zurückzieht, sich in intellektueller Masturbation befriedigt, eher Gründe findet warum sich nichts änderen lässt, als strategsich zu denken und zu kämpfen, selbst nicht vom Dogma der Herrschaft loszulösen fähig ist, sich gegenseiteitig aufwiegeln lässt von herrschaftsphänomenologischer Propaganda um Scheinprobleme, sich instrumentalisieren lässt als stereotypes Feindbild, sich als phantasielos erweist allein was die sprachlichen Umsetzung von Wahrheit angeht, sich dadurch jede Vision demontieren lässt, nicht begreift, dass der selbe Kampf nicht zweimal geführt werden kann, Widerstand immer neuer Formen und Phantasien bedarf ... letzendlich die eigene Assimilation durch die Herrschaft nicht mal zu erkennen bereit ist und sich damit selbst zum Heuchler und Lügner zugunsten des Herrschaftsystems macht.
Es geht natürlich um klare Analysen, um der "Desinformationsgesellschaft" neo-aufklärerisch etwas entgegenzustellen zu können. Aber es geht dabei auch um eine Vulgarisierung, die der "herrschenden Meinung" in diesem Krieg der Worte standhalten kann. Davon ist fast nichts wahrzunehemen. Darüber hinaus ist Befreiung auch die von der Presse, die sich systemkonform selbst zensiert. Sie ist letzendlich die Abschaffung der öffentlichen Meinung und ihrer Hersteller.
Verstehe ich Sie richtig, man muß insofern "vulgarisieren", als man die wichtigen Botschaften in eingängigen Worten und Bildern vermitteln können muß? Ich würde das nicht gern "vulgarisieren" nennen, eher vielleicht "zum Adressaten sprechen", aber jedenfalls wäre ich, wenn Sie das meinen, unbedingt einverstanden. Man muß freilich erstmal analysieren. Aber die Frage, wie man die Ergebnisse präsentiert, muß sich dann anschließen.
Marcuse kenne ich, ja. Habe ihn erst kürzlich hier einbezogen,in der 129. und 130. Notiz nämlich.
"Verstehe ich Sie richtig, man muß insofern "vulgarisieren", als man die wichtigen Botschaften in eingängigen Worten und Bildern vermitteln können muß? "
genau so hatte ich es gemeint. Im Französischen würde man das mit "vulgariser" beschreiben. Ich kennen keinen passenden Begriff im Deutschen. Es soll nur bedeuten , dass man es, wie sie sagen, in eine Form bringt, die zugänglich ist für Leser, die weder zu intellektuelle noch zu detailreiche Analysen konsultieren würden. Wir stellen hier bei politischer Arbeit immer wieder fest, dass ein Text sehr kompakt und direkt sein muss, ohne freilich unsachlich zu verallgemeinern. Das ähnelt dann in den Mitteln u.U. einer Werbekampagne, ist aber Antiwerbung bzw.als Kritik gegen etwas gerichtet.
Bei der nun anstehenden (umsonst) Bürgerzeitung sollen ähnlich Konzepte genutzt werden zB. viele sehr kurze Texte, die alleine stehen können, aber natürlich zusammen einen Kontext ergeben, und nur wenige in deep Analysen für besonders Interessierte - dazu Karikaturen die selbst ein ganzes, schon bekanntes Thema abdecken ohne einen Bezug zu Texten zu haben, es sei denn im übergeordneten Kontext.
Diese Methode ist in der französischen Zeitungskultur ja an sich bekannt , zB "Charlie Hebdo" oder "le canard enchainé", leider in Deutschland aber wenig kultiviert. Man traut sich anscheinend in Deutschland nicht, sich einmal die Woche genadenlos über den Polititzirkus lustig zu machen oder entsprechend radikale Kritik zu äußern. Nun sind das nicht unsere Vorbilder oder ein direktes Modell, aber die Form ist damit zumindest schon etabliert. Man kann sie vielleicht noch intelligenter nutzen, gerade um die technokratische Pseudokomplexität "rückzuübersetzen" und in ihre an sich banalen Einzelheiten zu zerlegen.
Kleiner Lese-Tipp:
WIDERSPRUCH 66
Finanzmacht – Geldpolitik
Die gute Zeitschrift kann momentan etwas Unterstützung gebrauchen ...
Michael Jäger, Sie schreiben:
"Weit noch ist man von jener US-Ideologie entfernt, nach der es toll gefunden wird, im ganzen Land nach Winnern und Losern Ausschau zu halten und dann eben vor Reichen den Kotau zu machen, weil sie ganz offensichtlich Winner sind. Das prägt auch den Gerechtigkeitsbegriff, den sich die Leute machen."
Wir sind aber auf dem Weg dorthin. Die Bertelsmann-Stiftung zeigt mit dem Finger die Richtung an und die Politiker folgen. Denn sie hat daran mitgewirkt, dass es ein deutsches Hochschulranking gibt, dass Hochschullehrer auch nach ihrem schriftlichen Output (Menge) bewertet werden. Die gesamte Bildungspolitik steht inzwischen unter diesem Stern: Pisa-Ländervergleich international und innerdeutsch, Vera-Ländervergleich innerdeutsch... Um diese Sichtweise zu implementieren (ein Begriff, der sich in diesen Kreisen eingebürgert hat), dauert es halt noch ein Weilchen. Und dann wird sich auch der Gerechtigkeitsbegriff modifiziert haben.
Sie haben recht. Wir sind auf dem Weg dahin. Und gerade daß es ein deutsches Hochschulranking gibt, ist auch mir als ein Einschnitt erschienen.
Ich würde ergänzen, daß wir darauf achten müssen, ab wann sich ein Winner-Loser-Denken in der Sprache manifestiert. Denn da wir mit der Sprache denken, wird’s ab dann noch mal schlimmer. In der Sprache haben wir es so bisher noch nicht. Ich hab mal einen Vortrag über US-amerikanisches Konkurrenzdenken gehalten, zurückgreifend auf ein interessantes Buch - Alfie Kohn, Mit vereinten Kräften. Warum Kooperation der Konkurrenz überlegen ist, Weinheim und Basel 1989 (No Contest. The Case Against Competition, Boston 1986) -, und las da, wie Kohn aus einer US-Zeitung den Satz zitierte, „daß Domingo und Pavarotti ‚um den Titel des führenden Tenors der Welt kämpfen‘“: Sowas kann man sich in einem deutschen Feuilleton bisher noch nicht vorstellen. Andererseits hat es Ausfälle in der Richtung schon gegeben: H. M. Enzensberger, dieser berühmte Mann, hat schon im Titel seines Buchs über den islamistischen Terror (2006) die Wendung „Versuch über den radikalen Verlierer“ untergebracht. Tatsächlich will er das dem Geschichtsstudium entnommen haben, daß Muslime „Verlierer“ seien.
Danke für den Link. Ich hab's gelesen.
In Arte wurde am 18.08.15 über Russlands Oligarchenfrauen berichtet. Die in Scheidung lebende Frau des reichsten russischen Oligarchen Wladimir Potanin, mit dem sie 30 Jahre verheiratet war – beide entstammen aus eher bescheidenen Verhältnissen –, erzählt, wie sich ihr Mann und ihr Leben verändert hätten, seit sie Milliarden besitzen. Ich fand die Folgen eindrucksvoll: Dass zunächst ihr Mann einen Personenschutz benötigte. Später die gesamte Familie. Es folgten zusätzliche Sicherheitsleute für die Villen, die Schiffe und den Fuhrpark, der aus einer Reihe von westlichen Luxuslimousinen besteht. Trotzdem war das Sicherheitsbedürfnis noch nicht befriedigt. Es wurde ein weiterer Sicherheitsdienst engagiert, der den Sicherheitsdienst überwacht.
Da hat man doch starke Zweifel, ob das Leben eines Milliardärs tatsächlich angenehm ist. Reichtum und die damit verbundene Ungleichheit haben ihren Preis, der nicht mit Geld zu begleichen ist. Potanin und die anderen Oligarchen, die alle in den 90-er Jahren zu ihrem Vermögen über Beziehungen auf politischer Ebene kamen, allerdings auch mit dem gewaltsamen Ende ihres Lebens rechnen mussten, haben wohl einen besonders ausgeprägten Hang zum Winner-Loser-System, der, so schien mir der durch seine Frau indirekt Portraitierte, stark pathologische Persönlichkeitsstrukturen aufweist.
Interessant, danke. Ich glaube auch, daß sich die Reichen da etwas vormachen. Ein Punkt bei Piketty, auf den ich auch noch zu sprechen kommen will: Im 19. Jahrhundert mußte man tatsächlich sehr vermögend sein, um etwa auch die volle kulturelle Rezeptionsfähigkeit und den damit verbundenen Genuß haben zu können. Trotz gewisser Kompensationen, die der Arbeiterbewegung gelangen, kann das gesagt werden. Heute aber ist das nicht mehr so. Man könnte tatsächlich auf den Gedanken kommen, daß der sehr große Reichtum nicht zuletzt wegen der Notwendigkeit der Selbstverteidigung noch gebraucht wird. Außerdem allerdings, um der Machtgewißheit frönen zu können. Auf jeden Fall zeigt sich damit im Vergleich zum 19. Jahrhundert auch, daß die Existenz großen Reichtums überhaupt nicht mehr zu rechtfertigen ist, auch damit eben nicht, daß es doch wenigstens einige kulturell qualifizierte Menschen geben müsse. So Piketty.
Super! Danke.
Hi,
ich wollte noch was Thema Reichtum und Calvinismus nachschieben. Das muesste die pdf Datei sein. Dieser Link muesste auch funktionieren.
Da die Pilger-Vaeter fundamentalistische Calvinisten waren steht sogar bei WiKi.
Am Beispiel Calvin kann man auch sehr gut erkennen, wie gut gemeinte, aber etwas komplizierte (religioese) Konzepte blitzartig zur Rechtfertigung miserabler gesellschaftlicher Verhaeltnisse umgedreht werden koennen.
Weber hat das zwar theologisch schlicht umgestrickt, praktisch hat er aber wohl recht.
Mein lieber Michael,
..."Am reichsten überhaupt scheint die Erbin des französischen L’Oreal-Holdings zu sein; L’Oreal ist der weltgrößte Kosmetikhersteller. Der Reichtum der Erbin beläuft sich auf über 30 Milliarden Euro"...
Carlos Slim steckt die locker in die Tasche, Forbes sacht am MIÉRCOLES, AGOSTO 19 2015, 21:13:16
der ist wieder der reichste:
79,6 Milliarden Dollar
Das schlimme ist nicht dass er der reichste ist, sondern WIE er das macht, nix mit Schminke und so.
Ich habe beruflich mit oesterreichischen und deutschen Telekommunikationsmanagern zu tun, die Zittern vor Slim.
Carlos Slim hat jetzt schon den ganzen mittel- und suedamerikanischen Telekommmunikationsmarkt unter seinen Fittichen.
Du kannst getrost davon ausgehen das bald in diesen Laendern keine Wahl mehr zu gewinnen ist wenn sie ihm nicht genehm ist, sei es durch direkte oder indirekte Einflussnahme, Korruption lassen wir hier erst mal getrost aussen vor.
;-)
Du weisst schon das dass Telefonieren vom Suedpazifik zum Atlantik 10x so teuer sein kann wie umgekehrt? Nicht wahr? So wird man der reichste Mann der Welt 2015.
;-)
Ich muesste da noch einen halben Roman zu schreiben, ich weiss da sehr viel, aber ohne ein sattes Honorar mache ich das nicht, bis hierhin gerne und zum Spass.
;-)
Einen lieben Gruss mein lieber Michael, weiter so, starke Anregungen...
Lieber Aussie, daß die Pilgerväter Calvinisten waren, ist ja ganz unstrittig. (Nebenbei, sie als „fundamentalistisch“ zu bezeichnen, scheint mir doch ein Anachronismus zu sein. Nein, es ist regelrecht verkehrt. Fundamentalistisch heißt, es gibt in einer Religion oder Konfession eine Gruppe, die diese Religion / Konfession besonders rigide, radikal o.ä. auslegt. Die Calvinisten waren aber einfach eine neue Konfession, in England neben dem staatlichen Anglikanismus entstanden, und weil die Anglikaner sie nicht duldeten, verließen sie das Land.)
Also, darum geht es ja gar nicht, ich meine um den Calvinismus der Pilgerväter, sondern die Frage ist, ob dieser seinerseits zum Kapitalismus geführt hat bzw. eine seiner Existenzbedingungen war. Das ist es, was ich bestreite. In den angeführten Notizen zeige ich, daß diese These bei Max Weber eine pure Spekulation ist, da die beiden einzigen empirischen Belege, die er versucht (Franklin und Baxter), nach hinten losgehen, und zitiere außerdem eine wissenschaftliche Arbeit, in der von den Anfängen eines kapitalismustypischen „Possessivindividualismus“ die Rede ist, der "sich parallel mit dem ökonomischen Einfluss der großen Exporthandels-Kaufleute und gegen den Widerstand der puritanischen Geistlichen durchsetzte".
Übrigens steht das auch in dem Link, den Sie angeben: „Doch Webers Rückführung des Geistes des Kapitalismus auf die sogenannte calvinistische innerweltliche Askese und das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg als Erwählungsgewissheit hält einer kritischen Prüfung nicht stand.“ Haben Sie den von Ihnen angegebenen Link gelesen?
Die Fragwürdigkeit der Webersche Spekulation ist auch immanent leicht zu begreifen. Gewiß, die Calvinisten (die damaligen, nicht mehr die heutigen, siehe Karl Barth) mögen geglaubt haben, am äußeren Erfolg zeige sich ihre Erwähltheit. Aber Erfolg worin? Wenn sie zum Beispiel Mörder gewesen wären, hätte der am erfolgreichsten gegolten, der die meisten Mordopfer aufweisen konnte. Also, sie hatten ja nun ihre Vorstellungen von gut und böse, und Erwähltheits-Erfolg bezogen sie natürlich auf das, was ihnen gut, nicht auf das, was ihnen böse erschienen ist. Was spricht denn nun aber dafür, daß ihnen der Kapitalismus gut erschien? Es ist eine klassische petitio principii.
Wie ich weiter oben schrieb, schließt das nicht aus, daß spätere Generationen von Calvinisten, die im anderweitig entstandenen Kapitalismus einheimisch und für seine bösen Seiten unempfindlich geworden waren und womöglich auch Weber gelesen hatten, sich den Weberschen Schuh anzogen.
Eine für den Kontext der 133. Notiz eher nebensächliche, aber doch nicht uninteressante Frage.
parlamentarische mehr-heiten produziert man am sichersten mit hohem kapital-einsatz. marx diktum, daß der reichtum der gesellschaften,in denen kapitalistische produktionsweise herrscht, als ungeheure warensammlung erscheint, trifft nicht das neue: bei aller zutreffenden analyse der kapital-produktion: der reichtum(und die macht) besteht in der generierung von krediten. die gesellschaft, die für ihren staat und ihre bürger einen großen anteil aus dem welt-kredit-geld anziehen kann, hat die größte handlungsfreiheit. natürlich unter der bedingung, daß die interessen der kreditgeber bedient werden. anleger sind nicht nur milliardäre. pensionsfonds (bald auch chinesische), versicherungen und fonds aus klein-anlagen(die sich vor dem absturz ins prekariat sichern wollen), über-lassen un-rentable wirtschaften und staaten(z.b.griechenland) den risiko-anlegern und ihren speziellen intentionen. allgemein gilt: oft endet der vermeintliche tiger kapitalismus-kritik als bettvorleger kapitalisten-kritik(th.wieczorek).
Dass die Pilgervaeter Calvinisten waren, wollte ich nur noch mal deutlich machen. Ob sie fundamentalistisch waren, ob man diesen Begriff ahistorisch verwenden kann, usw. darueber lohnt es nicht zu streiten.
Und ob der Calvinismus eine neue Religion war, ist ja auch nicht wichtig.
Der zentrale Punkt ist die Rolle des Reichen und seines Reichtums bei Calvin, die im christlichen Kontext neu ist. In der traditionellen Theologie der damaligen Zeit hatten die Reichen schlechte Karten. Die Reichen konnten nicht in den Himmel kommen (Kamel&Nadeloehr, ist zwar ne falsche Uebersetzung aber das wusste man damals noch nicht) und mussten der Kirche (!) viel Geld geben, um ihre Seele aus dem Fegefeuer zu rettet usw.
Luther hat das bereits veraendert, aber nicht grundlegend. (beziehe mich jetzt auf den Artikel den ich angehaengt hatte, insbesondere die Seiten 3,4 und 5)
"Ein eigenes, vom Evangelium her profiliertes und den sozialen Umständen entsprechendes Instrumentarium in der Armenfrage hat Luther jedenfalls nicht geschaffen."
Das hat erst Calvin hingekriegt. (die Kritik des Autors an Weber will ich hier weglassen. Ich halte sie nicht fuer begruendet, das ist aber jetzt egal.)
Calvin geht dabei in mehreren Schritten vor, die der Autor des angehaengten Artikel gut herausgearbeitet hat.
1. .. alle menschlichen Beziehungen und jegliche menschliche
Tätigkeit (stehen) unter der Herrschaft Gottes (..), dem sich
alles Zusammenleben und Tun verdankt. (...)
Diese Grundentscheidung hat besondere Relevanz für das Zusammenleben der Armen und der Reichen."
2.Armut wird als "Geheimnis Gottes" mystifiziert.
3."Als Herr des Armen und zugleich des Reichen will Gott den Reichen prüfen."
"Der Arme und der Reiche werden in präziser Weise aufeinander bezogen: Der Reiche bedarf existentiell des Armen."
Zwischenbemerkung: damit ist neben der Bezogenheit auch eine Asymetrie im Verhaeltnis Armut-Gott-Reichtum hergestellt. Das geht wohl theologisch auch nicht anders. Trotzdem, der Reiche landet nicht gleich in der Hoelle wie vorher.
Die naechsten Schritt sind unklarer, weil theologisch "gefaehrlicher". Was der Reiche jetzt tun muss usw. um die "Pruefung" durch Gott zu bestehen ist ein Eiertanz. Dabei hilft die Anrufung von viel protestantischem "Gutmenschentum". (Den Kram lass ich jetzt mal weg...)
4. In einem Punkt ist die Beziehung eindeutig: "..damit „beide
Gott preisen, wenn der Reiche (die Moeglichkeit) hat, Gutes zu tun, und der Arme dafür dankt“.
Zwishenbemerkung: Der eine gibt, der andere dankt. Wenn der Arme nicht dankbar ist, ist der calvinistischen Gott "ungluecklich". (Darum auch die vielen Sponsoren fuer alles und jedes in Amiland.)
5. "Die empfangenen Gaben (gemeint ist der empfangene Reichtum) schließen den Reichen mit Gott als ihrem Geber zu einem Bund zusammen, der von der Dankbarkeit bestimmt ist." (DAs ist jetzt die Dankbarkeit des Reichen fuer einen Reichtum.)
6."Der Reiche lebt mit seinen spezifischen Gefährdungen der Habgier, des Geizes, der Selbstherrlichkeit und des mangelnden Dankes gegenüber Gott."
Zwischenbemerkung: Sehr gefaehrliche "Teufel". Im Mittelalter waren das Todsuenden! Darum muessen die Reichen immer puenktlich in die Kirche gehen und reichlich spenden.
Gut ich will es dabei belassen. Sie sehen, ich habe den Ihnen angehaengten Artikel "gegen den Strich" gelesen und interpretiert. Wenn man die Texte Calvins also etwas vereinfacht und vereinseitigt, kommt ein Erklaerungsmodell fuer das Verhalten und das gute christliche Gewisssen der amerikanischen Milliardaere heraus.
Darum gings ja.
(Diese Vereinseitigung hat m.E. auch Weber gesehen, und ist so zu seiner Interpretation gekommen. Bis zum Kapitalismus ist es natuerlich doch noch ein laengerer Weg).
Lieber Aussie, daß Reiche und Arme als gleichsam ontologische Gegebnheiten betrachtet wurden, war nun wirklich nicht neu, dazu bedurfte es weder Calvins noch Luthers. Sie können es bereits in der hebräischen Bibel finden und im Grunde auch im Neuen Testament. Es gibt da einerseits den Spruch, daß ein Reicher nur durchs Nadelöhr in den Himmel komme, andererseits setzt aber Jesus selbst in vielen Gleichnissen Reiche voraus und zwar auch solche in positiv besetzten Rollen. Im Mittelalter war Reichtum als legitim anerkannt, man forderte nur, daß er auf Arbeit beruhen müsse statt auf der Selbstvermehrung des Geldes, sprich der Zinsnahme. Aber sogar das Zinsverbot wurde noch im Mittelalter von der Kirche praktisch aufgehoben, indem sie das Fegefeuer erfand, in das man nun die Zinswucherer versetzte, was implizierte, daß diese danach in den Himmel kamen. Denn man sah ein, daß ohne Zins kein Kredit möglich war, den aber befürwortete man im Interesse einer florierenden Wirtschaft, aus der dann Reiche hervorgingen, wie man natürlich sehr wohl wußte. Siehe Jacques Le Goff, Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter, Stuttgart 1988. All das hat übrigens gar nichts mit der Entstehung des Kapitalismus zu tun, denn Reiche und Arme gibt es seit Jahrtausenden, in denen sie ununterbrochen als gegeben hingenommen wurden, ohne daß es deshalb je zu kapitalistischen Verhältnissen gekommen wäre. Und nun werde ich mich an dieser Debatte nicht weiter beteiligen.
Einverstanden. Wir verwenden offensichtlich unterschiedliche Referenzliteratur. Und das Thema ist ja auch von anderen genuegend breitgetreten worden.
Trotzdem fand ichs interessant.
Ich schaetze Ihre systematische Dickkoepfigkeit, die Grundlage einer anderen Gesellschaft zu entwickeln.