(135) Wir kommen zum Schluss

Proportionswahl Warum kein privater Superreichtum mehr zugelassen wird. Warum Thomas Pikettys Idee, ihn wegzusteuern, nicht naiv ist. Exekutive und Judikative der Anderen Gesellschaft

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Thomas Piketty
Thomas Piketty

Bild: FRED DUFOUR/AFP/Getty Images

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Dies ist der letzte Eintrag in meiner Blogreihe zur Anderen Gesellschaft, soweit sie vorausgeplant war. Es kommt aber noch etwas. Dazu am Ende mehr.

Nachdem die beiden vorausgegangen Einträge Struktur und Geschichte des vorhandenen Reichtums und die aktuelle politische Machtausübung der Superreichen beleuchtet haben, komme ich jetzt auf die Frage zurück, die zuletzt übergreifend war: Die Superreichen und die Exekutive der Anderen Gesellschaft. Wie sie sich heute zur heutigen Exekutive verhalten, haben wir gesehen. Sie bilden selbst eine konkurrierende Exekutive. Die zwingt der aus Wahlen hervorgegangenen Exekutive nicht selten ihren Willen auf, was mit demokratischen Prinzipien unvereinbar ist. Die Andere Gesellschaft wird dem nur endlich ein Ende setzen. Und zwar werden Superreiche in ihr nicht an die Kette gelegt, sondern es wird keine mehr geben. In einem früheren Stadium der Blogreihe habe ich geglaubt, der Reichtum der Superreichen könne als ihr Eigentum unangetastet bleiben und werde nur eben den Projekten zugeführt, für die sich die Gesellschaft in Wahlen entscheidet. Doch einen vernünftigen Grund, ihnen so weit entgegenzukommen, gibt es nicht, da ihr Superreichtum illegitim ist, wie wir sahen. Es ist erstens ungerecht, ohne Gegenleistung ein Milliardenvermögen erben zu dürfen. Zweitens beruhen solche Vermögen immer auf Ausbeutung. Statt den Reichtum der Superreichen erst hinzunehmen, um dann aber doch, weil sie ihn ja nicht verdient haben, über seine Verwendung gesellschaftlich zu entscheiden, kommt es mehr der Logik entgegen und ist weniger verwinkelt, ihn gar nicht erst zuzulassen. Übrigens bedeutet das nicht, dass jeder Reichtum und jede Erbschaft abgeschafft werden soll. Sondern nur, dass es Grenzen geben wird. Begrenzter Reichtum kann legitim sein und wird keiner Exekutive gefährlich.

Gäbe es Superreiche auch noch in der Anderen Gesellschaft, würden sie nicht nur weiterhin mit der politischen Exekutive konkurrieren, sondern auch mit der ökonomischen. Wir haben gesehen, die Unternehmen der Anderen Gesellschaft exekutieren das Ergebnis der Proportionswahl, dem Gesetzeskraft eignet. Dabei würden sie gestört, denn weiterhin würden Superreiche versuchen, ihren Superreichtum noch immer mehr und so sehr wie möglich zu steigern, und das bevorzugte Mittel wäre wie heute die Anlage in Produkte, die in kürzestmöglicher Zeit größtmögliche Renditen versprechen. Dies muss unterbunden werden, denn das Interesse der Gesellschaft richtet sich nicht auf die profitabelsten, sondern auf die nach ihrer Auffassung „besten“ Produkte. Indem es unterbunden wird, und wie gesagt besser dadurch, dass es Superreichtum gar nicht mehr gibt, als durch Investitionskontrollen, wird die kapitallogische Seite des Superreichtums getroffen, wie wir sonst auch seine politische Machtentfaltung im Museum endlagern. Oder andersherum: Da die Kapitallogik abgeschafft werden soll, muss es mit dem Superreichtum vorbei sein, der nun mal ganz wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich, durch seine kapitallogische Seite bestimmt ist.

Und wie macht man das? Wie man es technisch macht, ist ganz einfach zu bestimmen. Man braucht eigentlich keinen Piketty dazu, doch er hat es ausgesprochen: Die Gesellschaft eignet sich den Superreichtum an, indem sie die Superreichen besteuert. Wie er erinnert, hat es Steuersätze gegeben, die bei 98 Prozent lagen. Das kann wiederholt werden. Wir gehen hier über Piketty hinaus, der dann doch für sehr viel niedrigere Steuersätze plädiert, damit immer etwas zum Besteuern bleibt. Das heißt, bei ihm wird Superreichtum nicht abgeschafft, sondern in der Tat nur kontrolliert. Er wägt aber, bevor er sich so entscheidet, beide Möglichkeiten ab und auch die radikalere gilt ihm für legitim.

Wichtig ist auch, dass er auf allgemeine Existenzbedingungen so einer Politik hinweist. Zum Beispiel kann man Reiche nur besteuern, wenn man weiß, wo sie ihr Geld versteckt haben. Da fordert er den automatischen Bankdatenaustausch und geißelt nebenbei die Verlogenheit des Umgangs mit Griechenland. Griechenland soll seine Reichen besteuern, aber die EU denkt gar nicht daran, die Voraussetzung dafür zu schaffen, den europaweiten Datenaustausch.

Piketty verallgemeinert hier so sehr, dass ich eine große Nähe meiner eigenen Gedanken, und zwar gerade der Grundgedanken, zu den seinen konstatieren darf. Bedeutsam, schreibt er ganz generell, sei „die Veröffentlichung detaillierter Rechnungsabschlüsse privater Gesellschaften (wie im Übrigen auch der öffentlichen Verwaltung)“. Also nicht nur wo der Reichtum hingebracht wird, sondern auch wie er entsteht und, wenn man zuendedenkt, überhaupt a l l e s Ö k o n o m i s c h e soll veröffentlicht sein. Denn: „Ohne transparente Rechnungslegung, ohne geteilte Information kann es eine Wirtschaftsdemokratie nicht geben.“ Das ist, was ich als Glasnostprinzip oder dann als Prinzip der Unverborgenheit bezeichnet habe. Ja, die Verallgemeinerung geht noch weiter, da sich die Frage der Institutionen stellt, die so eine Wirtschaftsdemokratie ermöglichen können. Da nennt Piketty M ä r k t e u n d W a h l e n , die Grundbausteine der Ökonomie der Anderen Gesellschaft, in einem Atemzug. „Märkte und Wahlen“, lesen wir, „sind nur zwei polare Formen der Organisation kollektiver Entscheidungen, die es um neue Formen der Teilhabe und governance zu ergänzen gilt, die erst noch zu erfinden sind. Aber die demokratische Kontrolle des Kapitals hängt nicht zuletzt davon ab, wer in welchem Umfang zu Wirtschaftsinformationen Zugang hat.“ (Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014, S. 782 ff.)

Nun, die Lösung, wie wir gesehen haben, liegt nicht darin, dass man Märkte und Wahlen durch etwas noch „ergänzt“, sondern in einer bestimmten Kombination beider, für die hier der Begriff „Proportionswahl“ eingeführt wurde.

Über was diese Wahl demokratisch entscheidet, nennen wir nicht „Kapital“, da wir einen anderen Kapitalbegriff als Piketty haben. Das Kapital, wie wir es verstehen, soll ja abgeschafft sein. Wir sind aber nicht so unvernünftig gewesen wie viele, die sich praktisch geweigert haben, Piketty zu lesen, nur weil ihnen seine Terminologie missfiel, die in der Tat problematisch ist.

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Der besondere Charme von Pikettys Ausführungen liegt darin, dass er zeigen kann, all seine Vorschläge, mit denen er doch ziemlich weit geht, müssten sich theoretisch heute schon, im Rahmen der vorhandenen Gesellschaft mit ihrer vorhandenen Form von Demokratie, verwirklichen lassen. Es bräuchten nur überall Parlamente gewählt zu werden, die ihrerseits Regierungen einsetzen, die sich Pikettys Programm zueigen machen. Das mag nun naiv klingen, wenn ich es so sage. Auf den zweiten Blick sieht man aber, Piketty berührt eine bekannte Problematik, die durchaus schon ihre Fruchtbarkeit gezeigt hat. Es ist dies das Thema „bürgerliche und sozialistische Revolution“, wie es vor der russischen Oktoberrevolution zwischen Trotzki und Lenin, oder vielleicht eher zwischen Trotzki und Lenins Anhängern, debattiert wurde.

Zwei Positionen standen sich da gegenüber: eine Stadientheorie, die davon ausging, dass in Russland erst die bürgerlich-demokratische Revolution siegen müsse und dann, auf der Grundlage des von ihr Erreichten, die sozialistische Revolution folgen könne, und eine Theorie, die beide Revolutionen insofern jedenfalls ineinssetzte, als ihr zufolge die bürgerliche Revolution nur von der Kraft der sozialistischen herbei- und durchgeführt werden konnte. Diese Kraft war das Proletariat. Als die Revolution dann wirklich geschah, arbeiteten gerade Lenin und Trotzki eng zusammen, und es schien so gekommen zu sein, wie Trotzki vorausgesagt hatte: Sie begann als bürgerlich-demokratische, brachte aber sehr schnell die Partei an die Macht, die sich auf den Sozialismus und aufs Proletariat berief. Da sie dann freilich die demokratischen Errungenschaften der ersten, bürgerlichen Revolution schnell rückgängig machte beziehungsweise nicht einlöste, wurden eigentlich alle Vorausbehauptungen widerlegt, die von Trotzki wie die der Lenin-Anhänger. Aber ich zitiere den Fall hier auch nicht als Vorbild, sondern nur, weil der Gedanke einer Überschneidung zweier Revolutionen, deren Träger und Inhalte an sich verschieden sind und es vielleicht nicht bleiben, als solcher interessant ist.

Pikettys Programm ist nicht naiv. Man muss nur sehen, dass es, obgleich nur demokratisch im heute gebräuchlichen Sinn, von Kräften herbeigeführt werden muss oder müsste, die mehr wollen - die die Andere Gesellschaft wollen. Vielleicht ist auch das unmöglich, aber anders ist es nicht möglich.

Mit dem, was Lenin und Trotzki unter Sozialismus, auch unter Demokratie verstanden haben, hat das überhaupt nichts zu tun. Es ist eher so gewesen, dass sie ein Gesetz aller Revolutionen, egal was deren Inhalte und Träger waren, auf ihre Art nur wiederentdeckt haben. Die erste Revolution, die uns das Gesetz sehr deutlich zeigt, ist die von den Gracchen in der römischen Antike begonnene. Die Brüder dieses Namens hatten nichts weiter vor, als bestehendes Recht der Bodenverteilung endlich einmal, im Interesse ökonomisch Schwächerer, zur Anwendung zu bringen. Dafür wurde der eine ermordet, der andere in den Selbstmord getrieben. Ihre Niederlagen waren das inaugurale Ereignis des hundertjährigen Bürgerkriegs, der sich von da an allmählich aufbaute und zuletzt zum Prinzipat führte. Die Gracchen wussten nicht, dass ihre verfassungskonforme Aktion nur unter der Voraussetzung einer neuen Verfassung erfolgreich sein konnte, dass es also notwendig war, erst einmal oder besser gesagt zugleich – das wird die Debatte zwischen Trotzki und den Lenin-Anhängern sein – diese neue Verfassung herbeizuführen. Sie wussten es nicht, ihrem Schicksal kann es aber abgelesen werden.

Auch in der Französischen Revolution zeigt sich das Gesetz. Das Ereignis, mit dem sie begann, die Einberufung der Nationalstände, war weiter nichts, als was zur Verfassung der Monarchie immer schon gehört hatte, nur dass es von „absolutistisch“ gewordenen Königen nach 1614 mutwillig storniert worden war. 1789 konnten die Stände also wieder tagen, aber nicht sie als immer schon vorhandene Träger der monarchischen Verfassung führten deren Wiederbeachtung herbei, sondern die Massen, die bis dahin in ihr gar nicht vorgekommen waren – die Bauern, die Kleinbürger der Städte. Deren wirtschaftliche Not war in der Kleinen Eiszeit extrem geworden und der vom vorausgegangenen Krieg gegen England geschwächte Staat konnte nicht helfen. Ohne den Druck der Massen, die dann auch direkt in Erscheinung traten, hätte die Einberufung der Nationalstände keine Folgen gehabt und wäre nicht einmal zustande gekommen.

Hat das Gesetz eine Logik, die theoretisch erfasst werden kann? Ich denke, ja. Wir sind zuletzt von Verfassungen ausgegangen, wie sie sich in einer Verfassungswirklichkeit spiegeln – dem französischen Absolutismus, der römischen Plutokratie. Aber wir brauchen gar nicht in solchen historischen Extremen zu denken. Nehmen wir eine Verfassungswirklichkeit von der Art der deutschen. Sie stellt sich selbst als verwirklichte Verfassung dar, und die Verfassung als solche wird immer beanspruchen, sie erfasse die Normen, nach denen sich eine Gesellschaft reguliert. Der Anspruch wird natürlich nur teilweise eingelöst. Nehmen wir ruhig an, zum größten Teil, und weiter, dass die unerfassten Regeln der Gesellschaft meistens nicht schaden - so wird es doch immer einen blinden Fleck in der Verfassung geben, dessen Aufspürung ihr Ende ist, obwohl die Sichtbarmachung des Blinden aus der sichtbaren Verfassung nur die logische Konsequenz zieht.

Man kann das mit der Endlichkeit menschlicher Konstruktionen erklären. Eine Verfassung ist eine mächtige, aber nicht allmächtige Konstruktion. Sie geht aus vorhandenen Verhältnissen hervor, sucht diese auf den Begriff zu bringen und tut es, wie wir annehmen wollen, ordentlich. Aber die Verhältnisse entwickeln sich weiter. Man wendet sie daher mal so, mal anders an. Zuletzt führt die Entwicklung zu einer Situation, von der die Aufmerksamkeit auf eine solche Norm der Verfassung gelenkt wird, deren Umsetzung sie sprengen muss. Das kann eine Norm sein, die immer schon kodifiziert war, oder eine, die nur in der logischen Konsequenz der kodifizierten Normen liegt und von der nun gefordert wird, auch sie solle kodifiziert werden. Oder es tritt als logische Konsequenz etwas hervor, das man unerträglich findet und zum Anlass nimmt, eine Alternative zunächst nur an dieser Stelle einzurichten, die dann aber das Ganze verändert.

Wobei Sprengen nicht immer heißt, dass sonstige Normen ad acta gelegt werden. Auf jeden Fall heißt es, dass eine neue, mal ganz unerwartete, mal bisher nur nicht für „wichtig“ erachtete Norm durchbricht, die nun alles Vorhandene anders beleuchtet, das heißt, die eine Andere Gesellschaft entstehen lässt.

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Die Exekutive der Anderen Gesellschaft wurde zuletzt mehr negativ aus dem Blickwinkel des privaten Superreichtums betrachtet, den es n i c h t mehr geben soll. Sie positiv und im Ganzen zu kennzeichnen, dafür braucht es, meine ich, nur noch wenige Bemerkungen. Vorauszusagen oder gar festlegen zu wollen, wie sie sich im Einzelnen gestalten wird, ist ohnehin nicht unsere Kompetenz. Aber auch nicht alles, was heute über sie gesagt werden kann oder könnte, braucht ausgebreitet zu werden, weil Vieles in der Konsequenz der bisherigen Erörterung liegt. Ich würde es nicht besser explizieren als andere. So möchte ich nur noch ein paar grundsätzliche Bestimmtheiten teils nennen, teils in Erinnerung rufen.

Dass die Exekutive, die wir heute haben, zu erweitern ist, war unser Ausgangspunkt. Parlamente, die aus Wahlen hervorgehen und von denen, selbst wieder per Wahl, Regierungen eingesetzt werden, bleiben bestehen. Was hinzutritt, ist ein einziger außerparlamentarischer Gesetzgebungsakt, in dem die Proportionen der Ökonomie für eine mehr oder weniger lange Periode festgelegt werden. Nach deren Ablauf wird ein neues Gesetz derselben Art beschlossen, wenn es nicht schon während der Periode erforderlich wird, diese abzukürzen. Das Beschließen geschieht durch allgemeine Wahlen. Die Wahlen, da sie nur ein einziges Gesetz betreffen, machen kein Zusatzparlament erforderlich, obwohl sie die Legislative erweitern. Wohl aber fordern sie eine Exekutive zur Umsetzung des Gewählten, man kann auch sagen mehrere, die zusammenwirken. Grundlegend ist die Exekution durch die Unternehmen, mögen sie privat, genossenschaftlich oder nach Ota Siks Modell verfasst sein. Sie exekutieren teils gemeinsam, denn unmittelbar nach einer Wahl treten sie zusammen und beraten sich, teils – anschließend, während der Wahlperiode - in Konkurrenz zueinander. Das ist nun aber keine Konkurrenz mehr, die, wie Marx es der vorhandenen Gesellschaft bescheinigt, d i e K a p i t a l l o g i k exekutiert.

Neben den ökonomischen Exekutiven wird eine politische eingerichtet, die speziell auf sie bezogen und selbst wieder differenziert ist. Es gibt einerseits eine Institution, von der die Proportionswahl organisiert wird. Andererseits eine, die deren Exekution beobachtet und einschätzt und die Alarm schlägt, wenn während der Wahlperiode eine unerwartete Wendung sich andeutet. Beide denken wir uns nicht eingesetzt von der aus dem Parlament hervorgegangenen Regierung, sondern getrennt von ihr. Denn sie sollen nicht vom Parteiinteresse kontaminiert werden können. Hier könnte eingewandt werden, dass doch alle Menschen einer Partei angehören oder zu ihr neigen. Die Mitarbeiter der politischen Proportionswahl-Exekutiven werden nicht ausgenommen sein. Das ist zwar richtig. Aber wie sich Menschen verhalten, hängt meistens viel mehr von den Regeln der Institution, in der sie tätig sind, als von ihrer Parteilichkeit ab. Man sieht es etwa am Verhalten unserer Bundesverfassungsrichter, die alle von der informellen großen Koalition aus SPD und Unionsparteien eingesetzt sind und sich doch meistens, wenn die Regeln, hier Verfassungsgebote es fordern, gegen diese Parteien wenden.

Was die von Parlament eingesetzte Exekutive angeht, so hat sie, wo sich Konsequenzen für die eigene Arbeit ergeben, das aus der Proportionswahl hervorgegangene Gesetz ganz einfach auszuführen. Das betrifft etwa die Schulausbildung, ja die Bildungspolitik überhaupt, aber auch die internationalen ökonomischen Beziehungen. Die Regierung wird Anlass haben, Delegationen in andere Erdteile zu entsenden, zusammengesetzt aus Regierungsvertretern und Unternehmern, um dort Handelsverträge abzuschließen. Sie darf dann nur – und soll – Verträge abschließen, die soweit möglich das Proportionswahlergebnis umsetzen. Wie wir ja sahen, wird in der Proportionswahl auch über den Außenhandel und die Entwicklungshilfe mit abgestimmt, und schon vor aller Wahl steht fest, dass der Außenhandel andere Erdteile behandelt, als fügten sie sich freiwillig in die ihnen ökologisch zustehenden Umwelträume.

Zusammenfassend kann über die parlamentarische Exekutive gesagt werden, dass sie sich nun endlich, und wenigstens in ökonomischer Hinsicht, a l s E x e k u t i v e verhält, Beschreiterin ihr vorgegebener Wege, statt dass sie, wie heute, selbst welche erfindet und an der Legislative vorbei, oder diese zum Instrument machend, in Szene setzt. Und ist es nicht wahrscheinlich, dass sie sich wenn in der zentralen ökonomischen, dann bald auch in anderer Hinsicht so verhält, wie es immer schon ihrem Namen entsprochen hätte? Denn noch einmal, von der Neuheit eines einzigen aber zentralen Punktes, hier der unbedingten ökonomischen Macht der Gesellschaft, die an die Stelle der Kapitallogik tritt, wird auch alles, wovon er umgeben ist, in neues Licht getaucht.

Ein eigenes Kapitel hätte hier den Banken der Anderen Gesellschaft gewidmet sein können, die ich mir natürlich vergesellschaftet vorstelle. Aber dazu gibt es viel Literatur. Nützliche Regeln, die einzelnen bekannten Missständen vorbeugen würden, findet man bei Piketty oder auch bei Mathias Binswanger (Geld aus dem Nichts. Wie Banken Wachstum ermöglichen und Krisen verursachen, Weinheim 2015, S. 307 ff., vgl. meine Hinweise am Ende des Artikels Zu viele Kredite, der Freitag 26/2015). Dass sie nur Kredite vergeben, die mit dem Proportionswahlergebnis verträglich sind, wurde früher ausgeführt. Auch dass Zinsmechanismen vorstellbar sind, die den Kreditnehmer belohnen, wenn er sich wahlergebniskonform verhält. Weiter dass die Banken der Ort sind, wo sich das Geld sammelt, das in den legitimen, gesellschaftlich eingeräumten aber auch begrenzten Privatvermögen nicht aufgeht. Dieses überschüssige Geld wird teils für Umverteilungsfonds verwendet - und wir haben gesehen, dass auch zwischen Unternehmen umverteilt werden wird, so jedesmal beim Neustart der Konkurrenz nach einer Proportionswahl -, teils wird es in „Unmöglichkeitsgeld“ verwandelt. „Unmöglichkeitsgeld“ bedeutet, es ist da, wird aber gegenwärtig nicht angelegt, und vielleicht auch in Zukunft nicht.

Bankenvergesellschaftung heißt zentral genau dies, dass kein Zwang mehr zur Anlage besteht. Dieser Zwang besteht heute ja deshalb, weil P r i v a t banken renditeorientiert sind und sein müssen. In der Anderen Gesellschaft sind sie nicht mehr privat, sondern werden von gehaltentlohnten Vertretern der politischen Proportionswahl-Exekutive betrieben, bilden also eine weitere Abteilung dieses Überbaus der unternehmerischen Exekutiven. Wichtig ist aber, dass auch solche Banken, so sehr sie vergesellschaftet sind, ihre Arbeit in Konkurrenz zueinander tun. Da wir zwischen „privat“ und „individuell“ unterscheiden – das erste Wort meint Absonderung, das zweite nicht -, werden wir also sagen, dass die konkurrierenden, aber vergesellschafteten Banken deshalb, weil sie konkurrieren, nicht wieder zu Privatbanken werden, sondern nur jede ihre eigene Individualität behauptet. Sie schauen sich gegenseitig auf die Finger, und wenn eine Missstände aufdeckt oder zur gesellschaftlich nützlichen Innovation in der Lage ist, wird sie belohnt.

Das führt zum letzten Punkt, der alles durchdringenden Computerisierung, die eine ganz wesentliche Bedingung schon der Proportionswahl selber, dann aber auch ihrer Exekutierbarkeit ist. Nicht nur die vergesellschafteten Individualbanken, sondern überhaupt alle Unternehmen, ob sie nun à la Ota Sik vergesellschaftet oder Privateigentum oder als Genossenschaft verfasst sind, kontrollieren sich gegenseitig. Diese gegenseitige Kontrolle ist wirksam, wie es eine allein von oben nie sein könnte, wie es aber auch der heutigen Konkurrenz von Geschäftsgeheimnisträgern verwehrt ist. Die Andere Gesellschaft macht es möglich, weil die Computerisierung, man möge es Industrie 5.0 nennen, alle Unternehmen verbindet und in jedem Unternehmen alle Vorgänge mit Ausnahme weniger, über die wir gesprochen haben, jederzeit öffentlich offenbart.

Nicht unwichtig ist die Kehrseite: Während sich die ökonomischen Vorgänge offenbaren, wird das Privatleben der Bürger endlich geschützt, das heißt vor jeder Computerspionage, sei sie ökonomisch oder politisch motiviert, verborgen.

Als ich diese Blogreihe begann, schien mir der „Zentralcomputer“ in Händen einer vergesellschafteten ökonomischen Institution, der überwacht, was die Produzenten finaler Konsumgüter von Maschinen- und Gebäudeproduzenten und dergleichen kaufen, von großer Bedeutung zu sein. Es soll ihn geben, aber seine Bedeutung ist doch nicht so groß, wie ich dachte, da er eben nur ein Element der Computerisierung ist, die wir uns ohnehin umfassend denken. Von ihr ist nur noch zu bemerken, dass sie eine wirksame Wirtschaftspolizei zwar nicht ersetzt, wohl aber dafür sorgt, dass deren Umfang nicht gigantisch sein muss.

Mehr als das, meine ich, braucht zur erweiterten Exekutive der Anderen Gesellschaft nicht gesagt werden. Und wenn nun noch die neue Judikative zu bestimmen bleibt, so ist zwar klar, dass sie genauso wichtig und machtvoll sein muss wie die neue Legislative und Exekutive. Hier kann ich mich aber ganz kurz fassen: Die Andere Gesellschaft ist als Rechtsstaat, oder sagen wir als verrechtlichte Gesellschaft verfasst. Über allem stehen daher ihre Gerichte. Es wird ein Bundeswirtschafts-, nicht nur –arbeitsgericht geben. Und nicht nur wenn Unternehmen Unrechtes tun, sondern auch wenn die politische Proportionswahl-Exekutive gegen ökonomisch Beschlossenes, ökologisch Gebotenes verstößt, oder im Fall, dass die parlamentarisch eingesetzte Exekutive es tut, wird Anklage erhoben.

Ich bin froh, die Blogreihe zur Anderen Gesellschaft bis an diesen Punkt geführt zu haben, mit dem sie nach ursprünglicher Absicht beendet sein sollte. Im Verlauf der Durchführung sah ich allerdings ein, dass auch d i e H e r b e i f ü h r u n g der neuen Gesellschaft im Ansatz wenigstens, und wie unvollkommen immer, behandelt oder doch angetippt werden muss. Habe ich das überhaupt schon gesagt? Erst dachte ich an einen Anhang, der folgen soll, dann daran, dass der Fünfte Teil, in dem wir uns lange schon bewegen, eine Dritte Abteilung einschließen muss. Da stehen wir, denn die Zweite ist hiermit abgeschlossen, und da fügt es sich gut, dass die Pause, die wieder eintreten muss, wie jedes Jahr um diese Zeit, nach diesem Einschnitt eintritt. Weitergehen, denke ich, wird es ab Mitte oder Ende Oktober.

Die Gliederung des Blogs "Die Andere Gesellschaft" in Kapitel finden Sie hier. Sie können von dort aus alle bisher 138 Eintragungen anklicken.

Das Tagebuch zum Blog finden Sie hier.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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