Aus Willy Brandts Regierungserklärung vom 28. Oktober 1969 ist bis heute die Wendung „Mehr Demokratie wagen“ hängen geblieben, doch eine andere Passage hatte die Unionsparteien noch mehr empört: „Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch die Bundesregierung kann nicht in Betracht kommen. Auch wenn zwei Staaten in Deutschland existieren, sind sie doch füreinander nicht Ausland; ihre Beziehungen zueinander können nur von besonderer Art sein.“
Die Brisanz dieser Sätze lag darin, dass Brandt die Staatlichkeit der DDR als Tatsache aussprach und in diesem Sinn auch anerkannte, obwohl er gleichzeitig sagte, eine Anerkennung komme nicht in Frage. Ein Jahr zuvor noch hatte die SPD eine Bundestagsresolution mitgetragen, in der es hieß, der „andere Teil“ Deutschlands sei weder Ausland noch „zweiter souveräner Staat deutscher Nation“. Jetzt wurde unterschieden: Ausland nein, zweiter Staat ja! Dazu waren die Unionsparteien nicht bereit, obwohl man sich auch dort der „Entspannungspolitik“ geöffnet hatte. Diese dominierte seit einigen Jahren die internationalen Beziehungen, vor allem weil der Westen aufgehört hatte, einen schnellen Sieg, vielleicht überhaupt einen Sieg über das sowjetische Lager zu erhoffen. Er sah sich sogar in die Defensive gedrängt, denn die Sowjetunion hatte die nukleare Zweitschlagkapazität erworben, die Selbstbefreiung der kolonialisierten Völker schritt voran, die USA standen im Begriff, den Vietnamkrieg zu verlieren, und wurden im Westen selbst von einer neuen Jugendbewegung angegriffen.
Brandt fuhr fort, seine Regierung sei zu Gewaltverzichtsabkommen bereit, die auch die DDR einschließen würden, und knüpfe damit an die Politik der Vorgänger-Regierung unter dem Christdemokraten Kurt Georg Kiesinger an, in der er selbst Bundesaußenminister gewesen war. Dabei wusste er, das erste derartige Abkommen war mit der Sowjetunion zu schließen. Denn der lag daran, ihre Hegemonie über Osteuropa zu demonstrieren. Erst danach konnte mit der DDR verhandelt werden. Ziel der Verhandlungen mit der DDR würde es sein, den Transitverkehr zwischen Westdeutschland und Westberlin und überhaupt die Existenz der Inselstadt abzusichern. Doch „der Schlüssel dazu“, wie man im Politikersprech sagte, lag eben in Moskau.
Die Probleme waren gewaltig. Im Dezember sprachen zunächst der deutsche Botschafter in Moskau, Helmut Allardt, und der sowjetische Außenminister Andrei Gromyko miteinander. Allardt sah sich mit den bekannten sowjetischen Forderungen konfrontiert: völkerrechtliche Anerkennung der DDR, Verzicht auf den westdeutschen Wiedervereinigungsanspruch, Trennung Westberlins vom Bund. Das war für westdeutsche Politiker unannehmbar. Im gleichen Monat hatte aber Leonid Breschnew, der Generalsekretär der KPdSU, einen Kanal direkt zu Brandt an den Außenministerien beider Länder vorbei eröffnet, indem er seinen sicherheitspolitischen Berater Andrei Alexandrow zu Egon Bahr schickte, dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt. Der hatte mit Brandt schon in dessen Zeit als Regierender Bürgermeister in Westberlin eng zusammengearbeitet. Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 hatte er die Slogans „Wandel durch Annäherung“ und „Politik der kleinen Schritte“ geprägt und war seitdem der Chefdenker der neuen Ostpolitik.
Bahr entwickelte im Einzelnen das Konzept, das Brandt forderte, nachdem er Kanzler geworden war: „Wir brauchen eine Orientierung, die die deutsche Frage einordnet in den europäischen Zusammenhang, und dazu brauchen wir ein Konzept, das Grundzüge einer europäischen Friedensordnung enthält.“ Bahr verfügte aber nicht nur über konzeptive, sondern auch über ganz ungewöhnliche diplomatische Fähigkeiten. Die Verhandlungen, die zum Moskauer Vertrag führten, waren seine Sternstunde. In den Gesprächen, die er zwischen dem 10. Januar und dem 22. Mai 1970 in Moskau führte – zunächst mit Gromyko und dem sowjetischen Ministerpräsidenten Alexei Kossygin, dann mit Valentin Falin, dem Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums –, gelang es ihm und seiner Delegation, sich mit der sowjetischen Seite zu einigen. Sein Verfahrensvorschlag wurde vom US-Sicherheitsberater Henry Kissinger „genial“ genannt: „Beide Seiten sollten davon Abstand nehmen, ihre Positionen juristisch zu rechtfertigen, und stattdessen versuchen, ihre praktischen Verantwortungen und Verpflichtungen darzustellen.“
In den Worten des Historikers Werner Link hieß das: Der Konflikt war unlösbar, also musste er reguliert werden. Wenn man so an die Sache heranging, waren die „Formulierungsgespräche“ mit Falin entscheidend. Gewöhnliche Menschen machen sich gern über Diplomaten lustig, Marcel Proust hat es in seinem Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit ausgiebig getan. Dort gibt es einen Marquis de Norpois, der entzückt darüber ist, dass ein König Theodosius die Beziehungen seines fiktiven Landes zu Frankreich als „Wahlverwandtschaft“ bezeichnet: „Die Tatsache selbst“, meint er, „bestand an sich schon seit langem, die Beziehungen zwischen den beiden Mächten waren ausgezeichnet. Doch musste man es auch sagen.“ Die Beziehungen zur Sowjetunion waren aber nicht „ausgezeichnet“ – da hing von den Formulierungen alles ab.
Die sowjetische Seite hatte gefordert, die Bundesrepublik müsse die in Europa bestehenden Grenzen als „unveränderlich“ anerkennen. Bahrs Delegation plädierte für „unverletzliche“ Grenzen und setzte sich durch. Sie sprach damit den Gewaltverzicht aus, ohne das Ziel der Wiedervereinigung aufgeben zu müssen. Gromyko, dem das nicht recht war, wehrte sich deshalb auch gegen den Vorschlag der Westdeutschen, in Artikel 2 des Vertrags zuerst den Gewaltverzicht festzustellen und die Grenzaussage dann in Artikel 3 folgen zu lassen. Das bedeutete, wie er sagte, „dass in der Grenzfrage nur Gewalt zur Korrektur der (innerdeutschen) Grenze ausgeschlossen wird“, und natürlich hatte er recht. In seinen Gesprächen mit Valentin Falin konnte Egon Bahr aber auch in diesem Punkt Zustimmung erreichen. Die sowjetische Regierung erklärte sich dann sogar bereit, bei der Unterzeichnung des Vertrags am 12. August 1970 einen „Brief zur deutschen Einheit“ entgegenzunehmen, mit dessen Inhalt sie in keiner Weise übereinstimmte.
Das war „Entspannung“: Der Ost-West-Konflikt war aus dem Stadium der nackten Konfrontation herausgetreten, in dem das Umschlagen in Gewalt immer droht. Er war jetzt eingebettet in Kommunikation und Sprache. Für die nächsten zehn Jahre allerdings nur. Dann sahen sich die USA stark genug, mit der Stationierung von Cruise-Missiles und Pershing-II-Raketen in Westdeutschland eine neue nackte Konfrontation heraufzubeschwören. Doch auch dann noch konnte man von Brandt und Bahr lernen.
Als Gorbatschow 1985 KPdSU-Generalsekretär wurde, entsann er sich der sozialdemokratischen Ideen „einer europäischen Friedensordnung“ und schlug seinerseits ein „gemeinsames europäisches Haus“ vor. Freilich regierte in Bonn kein Sozialdemokrat mehr; Gorbatschow bekam es mit dem Christdemokraten Kohl zu tun. Der machte sich die Kühnheit zu eigen, die Brandt den Westalliierten gegenüber gezeigt hatte. Wie Bahr später erzählte, hatte Brandt bei seinem Amtsantritt als Kanzler ein Papier der Unterwerfung unter die Westalliierten unterzeichnen müssen. Er hatte das vorher nicht gewusst, es kümmerte ihn aber nicht sehr. Seine Ostpolitik betrieb er ganz eigenständig: Wie Kissinger verärgert feststellte, konsultierte er die Westalliierten eigentlich nicht, geschweige dass er sie um Rat gefragt hätte, sondern unterrichtete sie nur. Als Widerstandskämpfer gegen Hitler konnte er sich das leisten; sein Vorgänger, der frühere Nazi Kiesinger, hätte es nicht gekonnt. Kohl ging dann 1990 noch weiter, mit US-Unterstützung allerdings, als er französische und britische Vorbehalte gegen seine Wiedervereinigungspolitik ganz offen zurückwies.
Kommentare 56
Sie schreiben:
"Dann sahen sich die USA stark genug, mit der Stationierung von Cruise-Missiles und Pershing-II-Raketen in Westdeutschland eine neue nackte Konfrontation heraufzubeschwören."
War es nicht eher die Sowjetunion, welche neue atomare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von 5500 km entwickelte und 1976 in Weißrussland stationierte. Die Pershing 2 Raketen wurden dann erst 1983 in Deutschland aufgebaut.
Schön, dass wir Menschen wie Sie hier an Bord haben. Dann wird gleich der Blick auf das Wesentliche gelenkt.
In Ihrem Fall mögen dies "die bösen Russen" sein, bei Bahr und Brandt (um die ging es doch hier bei Michael Jäger - oder?) war das Thema die Entspannung mit dem Osten. Dass das bei Ihnen kein Gefallen erzeugt: geschenkt.
Danken Sie doch Bahr und Brandt. Andernfalls könnten Sie doch heute Ihre geballte Inkompetenz nicht wie Mehltau flächendeckend hier ausbreiten.
Prächtig am Thema vorbeigeschrieben. Ab ins Eckchen!
Immer mit der Ruhe. Kolobok hat eine sachliche Frage gestellt. Sobald ich dazu komme, beantworte ich sie.
<<In Ihrem Fall mögen dies "die bösen Russen" sein>>
Ich habe in meiner Frage mit keinem Wort die Russen oder Russland erwähnt, komisch nich?
Haben Sie Angst davor, ich möchte das verhindern?
Meine bescheidene Meinung hier (das sehe ich sicherlich anders als Sie): auch eine sachliche Frage am falschen Ort ist eine deplazierte Frage. Die Headline Ihres Artikels: "1970 - Bahrs Sternstunde".
Und aus der Kenntnis anderer Kommentare von Kolobok zweifle ich an seiner Absicht einer fairen, sachlichen Debatte. Seine Jahreszahlen 1976 und 1983 sagen mir das ebenso.
Ich spreche solche Dinge gerne aus. So sehr ich Harmonie schätze, so sehr geht mir eine falsche (vordergründige) Harmonie auf jenes Körperteil, das nur wir Männer und einige Transen (gendermäßig korrekt?) haben.
Btw: selbst wenn ich hier irren täte, so möchte ich mir auch diese Freiheit gerne bewahren. Okay? Kolobok wird nicht verstummen.
Komisch? Nö. Eine erwartbare Antwort, die jede weitere Erwiderung erübrigt.
Wer hat noch mal atomare Mittelstreckenwaffen in Weißrussland/ Belarus stationiert? Oder sind die von selbst dorthin gekommen?
Es gab damals kein Belarus.
Schnelligkeit vor Gründlichkeit. Eigene Transfer-Leistungen helfen auch hier.
Hätten Sie meinen Post gelesen - und verstanden - wäre Schweigen die passende Antwort gewesen.
Offenbar nicht Ihre Stärke ...
Nein, die SU hat damals keine neuen atomaren Mittelstrecken entwickelt. Sie hatte die Systeme SS 4 und SS 5. Solche Systeme wurden und werden im Osten wie im Westen immer nach einiger Zeit technisch auf den neuesten Stand gebracht. Das geschah auch bei der Erneuerung der SS 4 und 5 durch SS 20. Der deutsche Bundeskanzler skandaliserte das Ende 1977 und forderte eine westliche Reaktion: Drei Sprengköpfe lägen jetzt in jeder Rakete statt einer, ihr Radius habe wieder zugenommen - von 4800 auf "bis zu 5500" Kilometer -, und außerdem seien auch noch die Trägersysteme motorisiert worden! Es gelang ihm aber zunächst gar nicht, die USA hierfür zu interessieren. Während des ganzen Jahres 1978 machten sie keinen ernstgemeinten Versuch, die SS 20-Aufrüstung zu stoppen oder in die SALT II-Verhandlungen einzubeziehen. Aber ganz unabhängig davon waren sie ihrerseits schon dabei, die Cruise Missiles zu entwickeln, sicher nicht um sie in den USA zu stationieren, wo sie keinerlei Nutzen gehabt hätten. Die USA wollten wahrscheinlich deshalb über die SS 20 zunächst nicht reden, weil sie erst ihre eigene Waffen-„Entwicklung“ fertig kriegen wollten.
SALT II war im Juni 1979 unterzeichnet, von den USA aber nicht ratifiziert worden. Vertragsinhalt waren u.a. landgestützten Interkontinentalraketen mit Reichweiten über (!) 5.500 Kilometer, die mit maximal 10 (!) Gefechtsköpfen bestückt werden konnten. Wikipedia: „Am 31. Mai 1982 erklärte US-Präsident Ronald Reagan die Bereitschaft der USA, die SALT II-Bestimmungen nicht zu unterlaufen, solange die Sowjetunion sich ebenso verhalte. Der Vertrag wurde auch von der Sowjetunion weitgehend eingehalten. Ab 28. November 1986 hielten sich die USA nicht mehr an die Vertragsbestimmungen.“
Es wurde aufgerüstet, aber auch beiden Seiten. Dafür, daß das auch heute noch geschieht, kann sich jeder die Beispiele selbst suchen. Ich zitiere hier noch eins von 1989: "Unmittelbar vor dem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen in Malta hat die britische Premierministerin Margaret Thatcher abermals gefordert, daß die Nato ihre konventionellen und nuklearen Waffen modernisieren müsse. In einer Antwort an den Führer der Sozialliberalen Partei, Ashdown, schreibt sie: 'Der willkommene Wandel in Osteuropa und in der Sowjetunion bringt große Chancen, aber auch große Unsicherheiten mit sich.' Diese Unsicherheit könne unter Kontrolle gehalten werden, solange die Nato die bisherigen Sicherheitsvorkehrungen aufrecht erhalte. Dies erfordere angemessene und effektive nukleare und konventionelle Streitkräfte. 'Damit die Waffen wirksam bleiben, müssen sie periodisch modernisiert werden.'" (FAZ vom 2.12.89)
Nach 1983 bestand der relevante Punkt darin, daß die USA mit den Pershings und Cruise Missiles, stationiert in Westdeutschland, einen entscheidenden Waffenvorteil über ihren Gegner errungen hatte: Das eine System unterlief alle Radarstationen, das andere konnte Moskau in ein paar Minuten erreichen. Das war neu, dem hatte die Sowjetunion nichts mehr entgegenzusetzen. Sie selbst hatte nicht die Möglichkeit, Waffen nahe den Grenzen der USA zu stationieren. Zwei Jahrzehnte zuvor in der Kuba-Krise hatte sie es versucht und den USA immerhin abgerungen, daß diese entsprechende Systeme aus der Türkei abzogen. Aber jetzt, nach 1983, gingen die USA aufs Ganze. Obwohl die damals von der Friedensbewegung beschworene Gefahr der Vernichtung Westdeutschlands wirklich bestand.
Wikipedia: „Der im November 1980 gewählte US-Präsident Ronald Reagan erhöhte die Rüstungsausgaben der USA enorm und lehnte den noch nicht ratifizierten SALT-II-Vertrag ab.Er ließ die Produktion von Mittelstreckenraketen verdreifachen und sprach vom Totrüsten des Ostens.Im August 1981 ließ er die Neutronenwaffe entgegen Carters Ablehnung weiterbauen. Im März 1983 nannte er die Sowjetunion ein Reich des Bösen, rief zu einem weltweiten Kreuzzug gegen den Kommunismus auf und gab rund zwei Wochen später die Strategic Defense Initiative (SDI) bekannt. Damit signalisierte er eine Abkehr vom ABM-Vertrag von 1972.Als Ziel dieser Politik erschien, den USA uneinholbare technologische Überlegenheit und Unverwundbarkeit zu sichernund die sowjetische Zweitschlagfähigkeit, auf der das strategische Gleichgewicht beruht hatte, wirkungslos zu machen. Die Sowjetunion rechnete wegen dieses Kurses seit 1981 mit einem atomaren Überraschungsangriff des Westens und richtete ihre Geheimdienste und ihr Militär darauf aus, Indikatoren dafür zu ermitteln.1982 erklärte sie den Verzicht auf den Ersteinsatz von Atomwaffen und schlug einen entsprechenden multilateralen Vertrag vor. Die NATO-Staaten und die USA wiesen den Vorschlag zurück.“
„Am 26. Mai 1985 bot Michail Gorbatschow, der neue Staatschef der Sowjetunion, die Reduktion der strategischen Atomwaffen um ein Drittel an. [...] Die USA verhielten sich zunächst skeptisch und abwartend. Reagan war erst verhandlungsbereit, nachdem das sowjetische Militär das NATO-Manöver Able Archer 83 als Tarnung für einen realen atomaren Überfall fehlgedeutet, Präventivmaßnahmen dagegen eingeleitet und so fast einen Atomkrieg ausgelöst hatte.“
Das meinte ich, als ich schrieb, die USA hätten zehn Jahre nach dem von Brandt / Bahr erreichten Moskauer Vertrag „eine neue nackte Konfrontation“ heraufbeschworen.
<<Solche Systeme wurden und werden im Osten wie im Westen immer nach einiger Zeit technisch auf den neuesten Stand gebracht.>>
Nein Sie irren sich ganz gewaltig, Die SS-20 hat technisch rein gar nichts mit SS4 und SS5 zu tun. Ein einfacher Blick in Wikipedia reicht. Die SS20 basierte auf der Interkontinentalrakete RS-14 Temp-2S. Deshalb bestand immer die Sorge, dass eine SS-20 zu einer Interkontinentalrakete hätte aufgerüstet werden können. Auch über die Gefährlichkeit von Mehrfachsprengköpfen muss man wohl nicht reden.
<<Aber ganz unabhängig davon waren sie ihrerseits schon dabei, die Cruise Missiles zu entwickeln...>>
Ja die USA begannen 1972 mit der Entwicklung. Wann hat die Sowjetunion eigentlich damit angefangen? Ohh man staune schon 1971. Das war die S-10 „Granat“, ein U-Boot gestützter Marschflugkörper, der 1984 in Dienst gestellt wurde. Parallel dazu gab es die Ch-55. Der sowjetische Marschflugkörper wurde auch 1984 in den Dienst gestellt.
<<Das meinte ich, als ich schrieb, die USA hätten zehn Jahre nach dem von Brandt / Bahr erreichten Moskauer Vertrag „eine neue nackte Konfrontation“ heraufbeschworen.>>
Ja, Sie sprachen von zehn Jahren. Deshalb verstehe ich Ihre Argumentation nicht, die sich plötzlich bis in das Jahr 1986 erstreckt.
Aber ich verstehe Sie gut. Man war ja damals wie heute viel besser darüber informiert was in den USA passiert, als darüber was in der Sowjetunion/Russland geschieht. Aber schade, das manche in der Perestroika scheinbar geschlafen haben. Da wurden doch die ganzen Sachen öffentlich gemacht!
Aber nochmal zu dem gelobten Vertrag von Moskau. Was hatte dieser eigentlich für Auswirkungen auf andere Länder? Stimmt es, das danach Breschnew hat Honecker antanzen lassen, um ihn zu erklären, dass die DDR die gerechte Kriegsbeute ist und immer an der Seite der Sowjetunion bleiben wird? Gut er hat es bestimmt diplomatischer formuliert, aber die Zielrichtung war doch klar. Den netten Brief, den dann noch die damalige BRD nachreichte, war doch ein bisschen lächerlich.
Wikipedia bestätigt meine Angaben. SS 4 und 5 heißen dort R-12 und R-14.
Gerne würde ich Ihnen argumentativ zur Seite stehen. Wenn es hier denn um Argumente ginge. In Zeiten der Propagandakriege geht es jedoch nur um dieses: um Deutungshoheit.
Hier ist betretenes Schweigen die Lösung. Die Frequenzen, auf denen gesendet wird, liegen zu weit auseinander.
Und einen Transatlantiker, der in den USA das gelobte Land sieht, werden Sie niemals erreichen, geschweige denn: überzeugen.
Was waren wir Friedensbewegte doch für Dummerchen. Und dann auch noch so viele. Nee, nee, nee. :-)
Gerne würde ich Ihnen argumentativ zur Seite stehen. Wenn es hier denn um Argumente ginge. In Zeiten der Propagandakriege geht es jedoch nur um dieses: um Deutungshoheit.
Hier ist betretenes Schweigen die Lösung. Die Frequenzen, auf denen gesendet wird, liegen zu weit auseinander.
Und einen Transatlantiker, der in den USA das gelobte Land sieht, werden Sie niemals erreichen, geschweige denn: überzeugen.
Was waren wir Friedensbewegte doch für Dummerchen. Und dann auch noch so viele. Nee, nee, nee. :-)
Gut, mal ganz einfach. Glauben Sie, dass eine Feststoffrakete (SS 20) tatsächlich eine simple Erneuerung von SS 4 und SS 5 mit einem Flüssigkeitsraketentriebwerk ist?
Beim technischen Teil meiner Aussagen bin ich mir recht sicher. Ich habe sicherheitshalber dazu mehrere Artikel (auch auf Russisch) gegengecheckt.
Ihre Eingangsfrage an @Jäger war doch bereits eine rhetorische mit: "War es nicht eher die Sowjetunion, welche neue atomare Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite von (...)".
Wäre es nicht der Redakteur gewesen, hätten Sie sich mit der Scheinfrage gar nicht erst aufgehalten. Wer es mag.
<<Was waren wir Friedensbewegte doch für Dummerchen. Und dann auch noch so viele. Nee, nee, nee. :-) >>
Das müssen Sie selber wissen. Haben Sie denn auch Abrüstung in der Sowjetunion gefordert? Wenn nein, ja dann waren Sie ein ganz schönes Dummerchen.
Also ich war ja damals auf den Friedensdemos in Kiew. Alles gut organisiert vom Komsomol und in der Überzeugung, dass wir die Guten sind. Als erste aufrüsten würden wir nie, das machen nur die Bösen im Westen. Das die sowjetischen Raketen schon längst entlang der polnischen Grenze standen, erzählte niemand, zumindest nicht offiziell. Also ich war schon ein ganz schönes Dummerchen.
Auf Ihre Frage gebe ich gerne eine Antwort. Auch wenn sie mit ein wenig Recherche von Ihnen selbst hätte gefunden werden können.
Der überwiegende Teil der westdeutschen Friedensbewegung forderte damals "Frieden schaffen ohne Waffen" - in Ost und in West. (Ich bin sicher, Sie finden auch anderslautende Behauptungen dazu.)
Ob Sie damals ein Dummerchen waren - oder eher heute sind - das überlasse ich gerne Ihrer eigenen Urteilskraft.
Das Einzige, was ich zum Thema Kiew der 1980er Jahre beitragen kann, ist Tschernobyl 1986. Eine Riesensauerei.
Aber das ist hier nicht das Thema bei "1970-Bahrs Sternstunde". Sie wissen, wer Egon Bahr war?
>>Der überwiegende Teil der westdeutschen Friedensbewegung forderte damals "Frieden schaffen ohne Waffen" - in Ost und in West.<<
So erinnere ich das auch. Aber es gab Leute, die uns lieber als "von Moskau gesteuerte 5. Kolonne" wahrnehmen wollten. Ob die Rüstungsaktien hatten hab ich nicht herausgefunden.
Wie soll ich mir das vorstellen? Sie haben vor der sowjetischen Botschaft demonstriert und gefordert die SS-20 abzuschaffen? Gibt es dazu noch Quellen?
Oder war das mehr so wie bei uns Kiew, ganz allgemein eine Welt ohne Atomwaffen zu fordern. Wobei natürlich immer die anderen gemeint waren, die mal anfangen sollten.
<<Das Einzige, was ich zum Thema Kiew der 1980er Jahre beitragen kann, ist Tschernobyl 1986. Eine Riesensauerei.>>
Ja stimmt, vor allem, dass man die eigene Bevölkerung nicht informiert hat. Aber wie ich weiter oben schon sagte, über die USA wusste man alles nur nicht was in der Sowjetunion passierte.
<<Sie wissen, wer Egon Bahr war?>>
Ja er war immer sehr um das Wohl, ausschließlich, der deutschen Wirtschaft besorgt. Dieses wurde erfolgreich als Friedenspolitik bezeichnet. Die Krimannexion wollte er respektieren und Sanktionen gegen Russland fand er der deutschen Wirtschaft wegen schlecht. Übrigens die Krimannexion hat gezeigt, was seine tollen Verträge im Ernstfall wert gewesen wären. Da hat die Zeit den gut gemeinten Ansatz seiner Friedenspolitik brutal überrollt. Bahr ist mir auch nie als Kämpfer für Menschen oder Menschenrechte aufgefallen. Die mussten sich doch immer irgendwie dem Großen Ganzen unterordnen.
Ich muss Ihnen danken.
Ihre nur mäßig sympathische Besserwisserei hat mich vor einer deplatzierten (versöhnlichen) Erwiderung bewahrt. Ich hatte gestern Abend noch versucht, mich in Sie hineinzuversetzen, in das, was Sie von sich gezeigt haben.
Meine verständnisvolle Seite sah Parallelen: Sie Dissident im Osten, ich im Westen. Da suche ich (zu) schnell nach Verbrüderung. Anders als Sie weiß ich nicht alles. Und mein Hang zur selektiven Wahrnehmung ist sicherlich weniger ausgeprägt. Ich schaue über den eigenen Tellerrand, was auch der ein oder Andere kann. Bei Ihnen hab ich das bislang nicht gesehen.
Zuviel Irritation schadet manch Einem. Ich will Sie deshalb jetzt nicht unnötig beunruhigen. Sie dürften hier im Westen nach dem Fall des Eisernen Vorgangs viele Geistesbrüder und -schwestern gefunden haben. Die gleiche kleingeistige Denke.
Ihre Schlussfolgerungen aus Parolen sind erschreckend. So schaffen Sie es spielend, JEDE Bewegung zu diskreditieren. Sehen Sie es mir nach, wenn ich Ihnen dazu NICHT - noch nicht einmal lakonisch - viel Erfolg wünsche.
Schön, dass wir uns über diese Dinge austauschen konnten. Es hat sich gelohnt. ^^
Was die Quellen angeht: sicher. Beim VS werden Sie - auf dem kurzen Dienstweg - jede Menge finden. Auch schöne Fotos. Meinen Klarnamen müssten Sie aber schon selbst herausfinden.
Ein kleiner Tipp: hessischer VS-Bericht über 1978.
Sie schaffen das!
Was die 5. Kolonne angeht: Wohl wahr.
Die Differenziertheit und Ausgewogenheit mancher Bewegung hat einfache Gemüter schnell überfordert.
Ich erinnere gerade eine Szene an der früheren DDR-Grenze Herleshausen-Wartha, ca. 1985. Die Stasi hatte bei einem Familienbesuch erfolglos versucht, mich anzuwerben. An der Grenze zauberten die ein antiquarisches Buch aus meiner Reisetasche, das ich nie zuvor gesehen hatte. Darin ein handschriftlicher Eintrag: Güstrow 1919.
Eine - in ihrer Selbstwahrnehmung - gewiefte Zöllnerin führte das Wort, um mich eines Zollvergehens zu überführen. Sie behauptete, Güstrow läge auf dem Gebiet der - damaligen - DDR. Gerne habe ich ihr zugestimmt. Meinen Trumpf schob ich nach einer kleinen Pause hinterher: "Sie wissen doch sicherlich,dass es 1919 noch keine DDR gab."
Manchmal entscheiden Sekundenbruchteile über den weiteren Fortgang eines Lebens. Meine Schlagfertigkeit ersparte mir so einige Jahre in Bautzen. Mein lockeres Mundwerk hätte das kaum überstanden. ^^
Eine gelungene Darstellung der von Egon Bahr als Vordenker und Diplomat und Willy Brandt als politischem Macher praktizierten Entspannungspolitik, die immerhin erreicht hat, dass die Menschen in Europa sich vielleicht ein wenig sicherer fühlen durften. Sozusagen Schlüsselbegriffe dieser Zeit waren „Gewaltverzicht“ und das von Brandt eingeforderte „Konzept für eine europäische Friedensordnung“, „Wandel durch Annäherung“ und „Politik der kleinen Schritte“. Ergebnis so Jäger: “Er (der Ost-West-Konflikt) war jetzt eingebettet in Kommunikation und Sprache.“
Bemerkenswert auch der Hinweis auf den Verfahrensvorschlag von Egon Bahr:
„Beide Seiten sollten davon Abstand nehmen, ihre Positionen juristisch zu rechtfertigen, und stattdessen versuchen, ihre praktischen Verantwortungen und Verpflichtungen darzustellen.“
Auch den Verweis auf die frühen Gesprächskanäle neben der offiziellen Diplomatie (Brandt-Breschnew), die wesentlich zur Entspannung beitrugen, könnte man als lehrreich bezeichnen.
Dass diese Politik von Bahr und Brandt (nur) auf der Grundlage einer gewissen Emanzipation vom großen transatlantischen Bruder möglich war, auch das sollte einem heute zu denken geben, wie auch die Tatsache, dass die Phase der Gesprächsbereitschaft dann Mitte der 80er von ebendiesem einseitig durch den Nachrüstungsbeschluss (unter tätiger Mithilfe der beiden Kanzler mit dem Vornamen Helmut) aufgekündigt wurde.
So wurden dann die Ereignisse von 1989 und danach nicht mehr als Ergebnis ebendieser gemeinsam verantworteten Entspannungspolitik, sondern als Einlenken Gorbatschows gegenüber dem „überlegenen System des Westens“ interpretiert.
Die Entwicklung seitdem ist geprägt durch diese Sieger-/Verlierermentalität und hat uns in die heutige scheinbar „ausweglose“ Situation geführt. Brandt und Bahr haben gezeigt, wie eine solche „Ausweglosigkeit“ überwunden werden kann.
Die Ratlosigkeit, bzw. der mangelnde Wille zur Verständigung, die bzw. den die heute verantwortlichen Politiker in der derzeitigen Situation an den Tag legen, wird eindrücklich gespiegelt durch den Verlauf der bisherigen FC-Diskussion zu Michael Jägers Artikel.
Ich bin da auf einen sehr interessanten und detailreichen Spiegel Artikel von 1983 gestoßen. Besser als jeder Wikipediaartikel.
https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14021688.html
Damit werden bestimmt viele ihrer Fragen beantwortet, die Sie aufgeworfen haben.
Ich habe auch noch ein Zitat von Gorbatschov gefunden der da gesagt haben soll:
"Im wesentlichen ging es indes nicht um den »Ersatz« veralteter Systeme. In den Forschungslabors war mittlerweise die »SS-20«-Rakete entwickelt worden, die ihre Vorgängerin in Reichweite, Treffsicherheit, Lenkbarkeit, ja in allen Aspekten weit übertraf; eigentlich besaß sie die Eigenschaften einer strategischen Rakete. Unabhängig von dem Vorwand für die Stationierung dieser »SS-20«-Raketen, unabhängig auch von den Argumenten, die diesen Beschluß rechtfertigten, müssen solche Politiker wie Andropow, Gromyko, in nicht geringem Maße auch Kosygin sehr wohl gewußt haben, welche Folgen die Aufstellung derartiger Raketen haben würde."
http://www.peterhall.de/rvsn/missiles/rsd-10/pioner2.html
"Die Ratlosigkeit, bzw. der mangelnde Wille zur Verständigung, (...) wird eindrücklich gespiegelt durch den Verlauf der bisherigen FC-Diskussion zu Michael Jägers Artikel."
Aber nur dann, wenn Sie eine Stimme überbewerten.
<<Ein kleiner Tipp: hessischer VS-Bericht über 1978.>>
Da habe nichts darüber gefunden, dass die Friedensbewegung vor sowjetischen Einrichtungen protestiert haben sollen.
<< Meinen Klarnamen müssten Sie aber schon selbst herausfinden.>>
Wissen Sie, der ist mir so etwas von egal. Wenn mal stichhaltige Argumente kommen würden, wäre das viel interessanter.
<<Sie Dissident im Osten,...>>
Ihre Fantasie scheint Ihnen da wieder böse Streiche zu spielen.
Danke für diese beiden sehr informativen Links. Ich hatte noch keine Zeit, den ganzen SPIEGEL-Artikel zu lesen, habe aber ca. zwei Drittel teils schon gelesen, teils überflogen, und sehe wiederum, er bestätigt meine Angaben. Dazu daß SS 20 kein neuer Schachzug, sondern der Ersatz für SS 4 und 5 ist, wird gesagt, es sei unter (westlichen) Fachleuten umstritten. Ausdrücklich sagt der Artikel, SS 20 widerspreche dem SALT-II-Vertrag nicht. Natürlich haben Sie trotzdem recht, wenn Sie sagen, SS-20 habe technisch mehr leisten können als seine Vorgänger, aber das war ja gar nicht umstritten; ich habe im Gegenteil selbst gesagt, es wurde (und wird) immerzu aufgerüstet und zwar von BEIDEN Seiten. Sie können auch ruhig ernst nehmen, was einige Kommentatorinnen hier betonen: Die damalige westdeutsche (und übrigens auch ostdeutsche) Friedensbewegung hat die Aufrüstung als solche und hat also BEIDE SEITEN angegriffen – das ist die pure Wahrheit. Es war ja auch eine richtige politische Neuerkenntnis damit verbunden, die m.E, wesentlich zum damaligen Aufstieg der Grünen beigetragen hat: Die SPD unter Schmidt kämpfte gegen die SS 20 im Namen des militärischen „Gleichgewichts“, die Friedensbewegung erkannte aber, daß gerade der Wille zum Gleichgewicht die Triebfeder der Aufrüstung und damit der mögliche Weg in den Atomkrieg war.
Was der von Ihnen verlinkte SPIEGEL-Artikel nun freilich auch sehr, sehr deutlich zeigt, ist daß die Stationierung der Cruise Missiles du Pershing II-Raketen in Westdeutschland a) das seit Chruschtschow vom Westen akzeptierte Verbot der unmittelbaren Bedrohung einer der beiden Supermächte durch die andere durchbrach und ad acta legte und b) daß sie auf SS 20 nicht zurückgeführt werden kann, denn schon vor ihrer Stationierung hatte die Sowjetunion, was die SS 20 betraf, den vollständigen Rückzug angetreten. Und das heißt eben, wie es auch in meinem Artikel zu lesen ist: Es war der Westen, der eine „neue nackte Konfrontation“ herbeiführte.
Was Gorbatschows Memoiren angeht, so habe ich dazu meine Meinung, der Sie nicht zustimmen müssen und auch sonst niemand hier, ich bin zu diesem Urteil aber nun einmal gelangt und zwar schon damals, schon 1989/90: In meinen Augen ist dieser Mann der Manager der sowjetischen Kapitulation im Kalten Krieg gewesen; ich finde auch, daß er seine Sache gut gemacht hat. Er hat den Friedensnobelpreis wirklich verdient. Aber er hat immer so getan, und war gerade auch darin klug, als habe er nur ganz gewöhnliche Verhandlungen mit den USA geführt. Diese Taktik der Gesichtswahrung finde ich auch in dem von Ihnen angeführten Zitat aus seinen Memoiren wieder.
Und nun noch einmal zurück zu meinem Artikel: In ihm geht es weder darum, die Sowjetunion, noch die USA zu bewerten, sondern vielmehr um die Gefahr, daß der Atomkrieg zwischen ihnen hätte ausbrechen können, der dann zentral auf deutschem Boden stattgefunden hätte, und um Brandts und Bahrs gegen diese Gefahr gerichtete „Entspannungs“politik. Denn selbst wenn die Sowjetunion wirklich das Reich des Bösen war, wie Ronald Reagan formulierte, und die USA God’s own country, was hatten Hiroshima und Nagasaki davon?
"In meinen Augen ist dieser Mann der Manager der sowjetischen Kapitulation im Kalten Krieg gewesen; ich finde auch, daß er seine Sache gut gemacht hat. Er hat den Friedensnobelpreis wirklich verdient. Aber er hat immer so getan, und war gerade auch darin klug, als habe er nur ganz gewöhnliche Verhandlungen mit den USA geführt."
Wenn das so ist - und vieles spricht dafür -, ist es umso trauriger um nicht zu sagen verantwortungsloser und verwerflicher, dass es auf dieser Seite nur "Sieger" gab, die sich dann auch offensiv als solche gerierten, ihren "Sieg" in bare Münze umsetzten, NATO und EU erweiterten, die Auflösung des Warschauer Paktes als Teil der Niederlage der Sowjetunion interpretierten und damit Gorbatschows "Gesichtswahrung" konterkarierten und so die heutige Situation des Gegeneinanders herbeiführten.
Ein bisschen jenseits des Themas des Beitrages.
Ich hab Egon Bahrs hochspannendes Erinnerungsbuch "Zu meiner Zeit" hier stehen. Ich fand vor allem bemerkenswert, wie sehr die Sowjetunion dann doch auf seine diplomatischen Taktiken eingegangen ist. Und dass alles auch deshalb gelang, weil es gut vorbereitet worden war. Nicht zuletzt durch Egon Bahrs "Kanäle". Er pflegte sie zu beiden großen Diensten. Zur CIA und zum KGB.
Egon Bahr hat in seinem Buch dazu ein Interimskapitel: "Dienste". Da schreibt er:
++"Das verborgene Netz von internationalen Verbindungen nicht zu nutzen, wäre dumm und nicht zu verantworten. Es wird ja auch, außer von einigen wenigen in Deutschland, nicht verlangt; denn das wäre genauso, als ob ein Pianist nur die weißen Tasten benutzen soll. Das reicht für "Hänschen klein". Nur wer auch die schwarzen Tasten mag und pflegt, kann alle Möglichkeiten des Spiels üben, Mißgriffe und Fehler inbegriffen."++
Egon Bahr sinniert dann noch, ob nicht Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl nicht genauer als Inofizielle Mitarbeiter der CIA gesehen werden müssen, die letzteren sogar des KGB.
++ "Welch ein Glück, dass nur die Archive der DDR geöffnet wurden und die in Washington, Paris und London verschlossen bleiben, die der Dienste natürlich auch, auch über die dreißig Jahre hinaus. Kein Dienst irgendeines Landes kann um Vertrauen werben, wenn irgendwann mit der Preisgabe von Klarnamen zu rechnen ist".++ schreibt er.
Dass auch da die DDR allein die Zeche bezahlen musste, wundert nicht sehr. Die DDR kam - wie im Beitrag erläutert - bei allen politischen Entscheidungen erst dann zum Zug, wenn die Grundlagen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion schon gelegt waren. Dafür wird ihr heute im nachhinein die Verantwortung für den Mauerbau fast allein zur Last gelegt.
Manchmal stößt das auch älteren DDR-Bürgern bitter auf. Es ging alles über ihre Köpfe hinweg. Sowohl von seiten der eigenen Regierung als auch von der bundesdeutschen. Wenn das bedacht wird, wundert manches in der Haltung mancher DDR Bürger nicht mehr so sehr.
Übrigens sind heute Geheimnisse in der Politik nur noch verdächtig und jene sind Helden, die versuchen die Schleier von allem zu reißen und - wie bei Assange - auch versuchen, daraus Politik zu machen und Meinungen zu etablieren. Auch da haben sich die Verhältnisse geändert. Das politische Agieren "hinter den Kulissen" ist ja auch verdächtig, aber manchmal unabdingbar-
Dass auch heute Politiker ausgespäht werden, ist kein Geheimnis, nur dass die betroffenen Politiker so tun als seien sie "zutiefst betroffen", ist ein Teil der Geheimnistuerei.
Ja.
<<Ich hatte noch keine Zeit, den ganzen SPIEGEL-Artikel zu lesen, habe aber ca. zwei Drittel teils schon gelesen, teils überflogen, ...>>
Für mich war der Artikel insofern interessant, als das er von 1983 stammt und damit wohl näher am Gefühl der Zeit dran ist als alle heutigen nachträglichen Betrachtungen. Ja und ich habe diesen Artikel auch gewählt, weil er Ihnen ein klein wenig recht gibt :)
Mich haben ein paar Punkte besonders überrascht.
- Wie wenig man doch eigentlich über die SS-20 und deren Stationierung in der Sowjetunion tatsächlich wusste. Ich glaube nicht, dass die Friedensbewegung da besser informiert war.
- Als welche Gefahr die Stationierung der sowjetischen Mittelstreckenraketen in Westeuropa tatsächlich empfunden wurden. Man hatte selbst keine und die Sowjetunion und USA wollten sich ja nur mit Interkontinentalraketen beharken. Eine empfundene Auslieferung Westeuropas an die Sowjetunion?
- Wie unverblümt die Sowjetunion trotz Abrüstungsversprechungen systematisch mit dem Aufstellen der SS-20 weitergemacht hat.
<<In meinen Augen ist dieser Mann der Manager der sowjetischen Kapitulation im Kalten Krieg gewesen...>>
Was war denn die Sowjetunion für Sie, dass sie deren Untergang so bedauern. Haben Sie da mal gelebt?
<< Denn selbst wenn die Sowjetunion wirklich das Reich des Bösen war, wie Ronald Reagan formulierte, und die USA God’s own country, was hatten Hiroshima und Nagasaki davon?>>
Außer zum propagandistischen Ausschlachten haben diese Worte in der Sowjetunion wohl niemanden beeindruckt. Man konnte auch in der Sowjetunion amerikanische Filme im Kino sehen.
Der Verweis auf Hiroshima ist für mich beim aktuellen Thema eher ein Griff in die argumentatorische Mottenkiste. Auch sowjetische Offiziere hätten nicht vor einem nächsten Hiroshima zurückgeschreckt.
<<Friedensbewegung hat die Aufrüstung als solche und hat also BEIDE SEITEN angegriffen – das ist die pure Wahrheit. >>
Ich bin etwas technikaffin. Deshalb fällt es mir schwer nur Versicherungen zu glauben. Ich habe irgendwie keine Bilder im Kopf, wo explizit sowjetische Atomwaffen angesprochen wurden.
Es ist nicht so, dass bestehende NATO-Staaten die einzigen Gewinner der Auflösung des Warschauer Vertragssystems waren - die mittel-und südosteuropäischen Staaten, die seit 1990 beigetreten sind, waren ja keine eingesammelten Chips, sondern Vertragssubjekte, die ebenfalls Ziele verfolgten - und beitreten wollten.
Russland übernahm die Nachfolgerolle der UdSSR, samt Supermachtsrolle. Von einer solchen Position aus so zu tun, als werde man überrollt und spiele selbst keine Rolle (oder dürfe keine spielen), ist inkonsequent und entspricht auch nicht den Tatsachen.
"Wenn das bedacht wird, wundert manches in der Haltung mancher DDR Bürger nicht mehr so sehr." Das leuchtet ein. Und danke für die interessanten Bahr-Zitate. Ich habe sein Buch (noch) nicht gelesen.
"Was war denn die Sowjetunion für Sie, dass sie deren Untergang so bedauern." Ob ich den Untergang bedaure oder nicht bedauere, darüber habe ich kein Sterbenswötchen geschrieben.
Zu den letzten beide Absätzen: Sie glauben meiner "Versicherung" nicht - ich werde es Ihnen beweisen, aber erst morgen. Heute habe ich keine Zeit mehr.
Ja stimmt, allerdings vermisse ich - am meisten bei mir selbst - bei diesen Versuchen der Aufarbeitung des Vergangenen den Blick auf die Gegenwart und die entsprechenden Ideen.
Bahr ist mir auch nie als Kämpfer für Menschen oder Menschenrechte aufgefallen. Die mussten sich doch immer irgendwie dem Großen Ganzen unterordnen.
Bahr war kein Fensterredner. Aber mit dem Grundlagenvertrag hat er mehr "menschliche Erleichterungen" erreicht als alle Hallstein-Anhänger vor ihm zusammengenommen. Das hatte nichts Dramatisches, war kein großes Kino, war aber just im Sinne der Menschenrechte.
Das, was er meiner Erinnerung nach im hohen Alter sagte - dass es nie um Menschenrechte gehe, wenn von ihnen die Rede sei, halte ich für falsch. Seine Kritik an der Merkelschen Ostpolitik halte ich für Sorge um das einmal Gebaute, ähnlich wie Kohl sich zuletzt Sorgen um "sein" Europa machte, das Merkel "ihm" kaputt mache.
Aber Bahr war ein Mann großer Verdienste ohne große Klappe.
Das meinte ich mit Aufarbeitung des Vergangenen ohne Konsequenzen für die Gegenwart.
Durch Russland?
und jene sind Helden, die versuchen die Schleier von allem zu reißen und - wie bei Assange - auch versuchen, daraus Politik zu machen und Meinungen zu etablieren
Hat das - bei Wikileaks - geschadet?
Ihr Angebot zum Schweigen nehme ich dankbar an. ^^
Nein, natürlich nicht. Aber, sind das heute denn alles Helden, die im Netz "hacken" können? Ich fand Assanges Einlassungen gegenüber RT im Zusammenhang mit der Syrien- und Flüchtlingsfrage nicht hilfreich. Will ich jetzt nicht näher ausführen. Dazu habe ich - vor Jahren - mal geschrieben.
Es kann ja sein, dass ich da voreingenommen bin. Keine Lust, da zu differenzieren, was sicherlich nötig wäre.
durch alle, aber da bin ich bei Ihnen offenbar an der falschen Adresse.
Bahr wusste, dass das Betonen der Menschenrechtsfragen eine Art Trotz bei der DDR-Führung schaffen würde. Ich kann mich noch gut an das Gerangel um Helsinki III erinnern. Und es gab stillschweigende Übereinkünfte, dass Leute, die im Osten freigekauft wurden, Stillschweigen bewahrten über ihre Haftzeit. Weiß ich von einer Genossin, die noch in den 80er Jahren im Knast gelandet ist. Sehr interessant hat die erzählt.
Und es gab stillschweigende Übereinkünfte, dass Leute, die im Osten freigekauft wurden, Stillschweigen bewahrten über ihre Haftzeit.
Glaube ich sofort. Zum Reden eingeladen hat Gerhard Löwenthal die Ex-Häftlinge bestimmt.
<<Ob ich den Untergang bedaure oder nicht bedauere, darüber habe ich kein Sterbenswötchen geschrieben.>>
Stimmt, meine Schuld. Ihre Meinung über Gorbatschow nehme ich halt sonst immer aus einer bestimmten Richtung wahr.
Ansonsten freue ich mich, dass es heute Nachmittag doch eine Vielzahl sehr interessanter Wortmeldung gab.
Hallo Michael Jäger,
Danke für diesen Text, der mich etwas wehmütig macht. Die geschilderten Ereignisse klingen wie aus einem fernen Land aus einer fernen Zeit. Sie handeln von Politikern, die aus der Spirale der Konfrontation ausbrachen, deren Weltbild die Macht des Stärkeren unterhöhlte.
Ich frage mich bereits lange, warum es diese Charaktere in der Politik so gut wie gar nicht mehr gibt. Brandt & Bahr (& einige wenige andere) waren die letzten deutschen Politiker in Regierungsposition, die Krieg am eigenen Leib erfahren haben. Ihre Nachfolger wähnten (& wähnen sich immer noch) in der ´Gnade der späten Geburt´ & manch einer setzte wieder dort an, wo die Nazis scheiterten _ mit Methoden, die ausgeklüngelter waren. Die deutsche Einflussnahme in Europa gestaltete sich u.a. ohne direkte deutsche Kriegsführung & -beteiligung _ dafür wurden entsprechende Boots on the ground trainiert, ausgerüstet & vollumfänglich finanziert. Deren Ideologie & kriminelles Potential spielte & spielt keine Rolle, solange sie ihren Zweck erfüllen.
Willy Brandt hat das nicht mehr erlebt, Egon Bahr schon & es ist ihm hoch anzurechnen, dass er seine entsprechende Einschätzung darüber stets kundtat. Helmut Schmidt allerdings auch. Er kommt ja in Ihren Kommentaren nicht gut weg, doch ich erinnere mich an Texte, dass sein Alarmismus seinerzeit in eine andere Richtung gehen sollte, was dann nach hinten losging. Sein Fehler war zweifellos, dass sein Vertrauen in die us-amerikanische Politik diametral zu seinen Einschätzungsfähigkeiten stand. Vermutlich hat er sich auf die falschen Leute verlassen.
Es war damals exakt das gleiche Problem wie heute. Die Lage der USA zw. Pazifik und Atlantik macht es fast unmöglich, Mittelstreckenraketen vor ihrer Haustür zu stationieren während die USA auf dutzenden exterritorialen Stützpunkten rings um das ganze russische Riesenreich Raketen mit sehr kurzer Vorwarnzeit installieren können. Das eine Mal, wo das den Russen auf Kuba gelang, haben die USA binnen Stunden alles in die Waagschale geworfen, um diese Bedrohung sofort wieder zurückzurollen, natürlich ohne ihre Raketen in der Türkei abzuziehen. Mit Raketen in der Ukraine oder Weißrussland sinkt die Vorwarnzeit noch viel weiter, und der von den USA angestrebte Enthauptungsschlag wird immer wahrscheinlicher. Warum wohl setzen die Russen so sehr auf Hyperschall-Trägersysteme? Wegen der geostrategischen Lage ihres von allen Seiten bedrängten Landes.
Die Raketen aus der Türkei wurden seinerzeit still & heimlich abgebaut, später allerdings wieder aufgestellt.
I.Ü. haben die Russen neben der Hyperschall-Technologie noch einige technische Möglichkeiten, die USA empfindlich zu treffen. Es wurde viel experimentiert in der Sowjetzeit & in den vergangenen 10 Jahren wurden etliche Erforschungen weiterentwickelt. Dazu gehören künstlich produzierte Tsunamis, Erdbeben & Vulkanausbrüche. Das wissen die US-Amis natürlich auch, abgesehen von ein paar Deppen, die nicht zum inneren Zirkel gehören.
Sie schreiben: "Deshalb fällt es mir schwer nur Versicherungen zu glauben. Ich habe irgendwie keine Bilder im Kopf, wo explizit sowjetische Atomwaffen angesprochen wurden." Ich gebe Ihnen diese Bilder. Der Ort ihrer Herkunft könnte nicht repräsentativer sein, es ist die große Friedensdemo in Bonn am 10.10.81, an der 300.000 Menschen teilnahmen. Der Aufruf zu dieser Demo hatte so begonnen:
"Die 80er Jahre werden mehr und mehr zum gefährlichsten Jahrzehnt in der Geschichte der Menschheit. Ein 3. Weltkrieg wird aufgrund der weltweiten Aufrüstung immer wahrscheinlicher. Seit mehr als 30 Jahren haben die Militärblöcke der NATO und des Warschauer Paktes so viele Waffen angehäuft, daß jedes Leben auf der Erde mehrfach vernichtet werden kann. Wir in Europa sind durch die Stationierung neuer Atomwaffen in besonderer Weise bedroht.
Deshalb rufen Friedensorganisationen aus den Niederlanden, der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Ländern zu einer Demonstration und Kundgebung am 10.10.1981 in Bonn auf."
Auf der Demo selbst war Erhard Eppler der Hauptredner. Er war damals Mitglied des Präsidiums der SPD und stellte sich in dieser Eigenschaft offen gegen seinen Bundskanzler Helmut Schmidt. Wie der obige Artikel "Bahrs Sternstunde" überschrieben ist, könnte man sagen, das war Epplers Sternstunde. Ich gebe seine Rede im vollen Wortlaut wieder; lesen Sie, Sie werden die gewünschten Bilder finden:
"Friedensbewegung, das ist nicht das Bündnis der Gerissenen mit den Naiven.
Friedensbewegung, das ist das Bündnis derer, die nichts mehr von Rüstung wissen wollen, mit denen, die zu viel davon wissen.
Friedensbewegung, das ist das Zweifeln, ja die Verzweiflung über eine Sicherheitskonzeption, die letztlich nur mit dem eigenen Selbstmord drohen kann.
Friedensbewegung weiß: Der Friede ist eine viel zu ernste Sache, als daß man ihn militärischer Strategie und politischer Taktik, den Raketenzählern und Lobbyisten überlassen dürfte.
Zusammen führt uns der Wille, die Kette der Vor- und Nachrüstungen aufzubrechen, die uns alle in Richtung Abgrund zerrt.
Es kann doch kein Naturgesetz sein, daß Ost und West in gleicher Weise die eigene Rüstung immer als unvermeidliche Nachrüstung deklarieren, während die Rüstung des andern der größenwahnsinnige Versuch sein soll, ein ohnehin gewaltiges Übergewicht noch weiter auszubauen.
Wir wollen diese Kette zerschlagen, wo wir sie zerschlagen können, hier in Westeuropa, hier in Deutschland. Und dies läßt sich verantworten, weil der Westen dem Osten in der atomaren Rüstung auch ohne neue Mittelstreckenraketen mehr als gewachsen ist.
Wir lassen uns nicht mehr einschüchtern von Leuten wie Herrn Weinberger, der uns einmal Angst macht vor der Dynamik der kommunistischen Weltrevolution und dann öffentlich darüber nachdenkt, ob das Sowjetsystem demnächst mit einem Knall oder mit einem Winseln verenden wird.
Man hat uns Einäugigkeit vorgeworfen, weil wir uns vor allem an unsere Regierung wenden, nicht an die sowjetische.
Der Grund ist sehr einfach: Wir, die meisten unter uns, haben diese Regierung gewählt, nicht die sowjetische. Sie ist unser Ansprechpartner.
Wenn der Bundeskanzler meint, wir wollten ihn drängen, so hat er recht. Ich frage mich nur: Läßt sich in einer Demokratie ein solches Drängen von der eigenen Wählerbasis her wirklich nicht anders deuten denn als Kampfansage? Ein demokratisches Mandat - und die Regierung hat eines - ist schließlich kein Blankoscheck.
Was die Weltmächte angeht, so halten wir uns weniger an ihre Worte als an ihre Interessen. Und wir vergleichen sie mit den unseren.
Natürlich liegt es im amerikanischen Interesse, von europäischem Boden aus die Zentren des europäischen Rußland zu bedrohen und dies bei einer Vorwarnzeit, die politische Entscheidungen über die sowjetische Reaktion nicht mehr möglich macht. Aber damit wird unser aller Überlegen in die Hand von Computern gelegt.
Ein Volk, das ohne jede Reaktion dies alles geschehen ließe, müßte man nicht mehr töten, es wäre schon tot. Deshalb bedeutet Friedensbewegung keineswegs, daß da durch Wohlstand ermüdete und degenerierte Westler sich nicht mehr wehren wollen. Friedensbewegung zeigt, daß die alten Nationen Europas mehr sind als Schachfiguren auf dem Brett der Weltmächte, beider Weltmächte.
III. Wir feiern hierzulande den Mut der Polen, die sich nicht mehr vorschreien lassen wollen, wie sie zu leben haben. Ist es so schlimm, wenn wir uns nicht vorschreiben lassen wollen, wie wir zu sterben haben?
Die Europäisierung Europas findet nicht nur an der Weichsel statt, sondern auch am Rhein. Das bedeutet auch: Eine sowjetische Intervention in Polen träfe uns alle.
Auch wir sind dafür, daß die Weltmächte endlich über Mittelstreckenraketen verhandeln. Insofern stützen wir die Regierung. Ich respektiere den Friedenswillen derer, auch in meiner eigenen, der Sozialdemokratischen Partei, die auf dem Weg über den Brüsseler Doppelbeschluß zu Verhandlungen kommen wollen. Es spricht allerdings einiges dafür, daß die Friedensbewegung die amerikanische Verhandlungsbereitschaft mehr gefördert hat als der Brüsseler Beschluß.
Verhandlungen sind gut. Aber das darf nun nicht heißen, daß drei, fünf oder sieben Jahre Argumente und Vorwürfe hin- und hergeschoben werden, während die Rüstungsspirale sich weiterdreht.
Wir wollen verhindern, daß während der Verhandlungen das alte Spiel der Nachrüstungen und Nach-Nachrüstungen weitergeht, bis man dann als Ergebnis der Verhandlungen festschreibt, was inzwischen an neuem Vernichtungspotential angehäuft wurde.
Höchste Repräsentanten unseres Staates haben uns darüber belehrt. Aber wer verbreitet hierzulande seit Jahrzehnten die Russenangst? Wer macht uns Angst, die Amerikaner könnten uns dem russischen Bären zum Fraße vorwerfen, wenn wir nicht artig sind? Wer hat in diesen Wochen dafür gesorgt, daß die Angst vor der Friedensbewegung umgeht? Nein, die hier versammelt sind, haben weniger Angst als Andere.
Wir haben keine Angst davor, daß die Herren im Kreml Tag und Nacht nur darauf sinnen, in Frankfurt oder Marseille die Erfahrungen zu machen, die ihnen in Danzig und Warschau nicht erspart bleiben.
Wir haben keine Angst davor, gegenüber unseren Verbündeten unsere Meinung und unser Interesse zu vertreten.
Wir haben keine Angst davor, der Sowjetunion zu sagen, daß sie bei der SS 20 in Zahl und Tempo der Stationierung überzogen hat und daß sie dies korrigieren muß.
Wir haben keine Angst davor, einzugestehen, daß im Angesicht atomarer Bedrohung die Deutschen in beiden Staaten gemeinsame Interessen haben.
Wir haben keine Angst vor dem Schlagwort vom Anti-Amerikanismus. Was ist das für eine Sklavensprache, die das Stirnrunzeln einer fremden Regierung zum politischen Maßstab macht!
Wir haben keine Angst davor, was die Medien über uns reden und schreiben.
Wir haben keine Angst vor moralischer Abqualifizierung durch den höchsten Repräsentanten unseres Staates.
Wir haben keine Angst davor, als Kommunistenknechte diffamiert zu werden. Das ist Gustav Heinemann nicht anders gegangen.
Wir haben keine Angst vor dem Verfassungsschutz. Dessen Vertreter ich herzlich unter uns begrüße.
Angst habe ich nur vor einem: Daß die Friedensbewegung sich selbst diskriminiert.
Wer Frieden will, muß dies in einem täglichen Handeln sichtbar machen. Er darf z.B. Beschimpfungen - und jedem von uns geschieht dies täglich - nicht mit Beschimpfungen vergelten.
Wer schon in Haßgesänge ausbricht, wenn er einem Bundeswehroffizier begegnet, dient nicht dem Frieden. Jeder Stein, der heute geworfen wird, wäre ein Stein gegen die Friedensbewegung. Jede Bombe, die einen Amerikaner treffen soll, trifft uns alle.
Friedensbewegung wird nur mehrheitsfähig, wenn sie nicht ausgrenzt, sondern sich öffnet. Zu ihr gehört jeder, der zu ihr gehören will. Friedensbewegung wird nur mehrheitsfähig, wenn sie zusammenwirkt mit der organisierten Arbeiterbewegung, die seit mehr als einem Jahrhundert für den Frieden wirkt. Und schließlich werden wir nur mehrheitsfähig, wenn Friedensbewegung ansteckend wirkt.
Daher muß dies eine Bewegung sein der Mutigen, nicht der Ängstlichen, der Diskutierenden, nicht der Schreienden, der Selbstkritischen, nicht der Arroganten, der einfallsreich Agierenden, nicht der stumpf Parierenden, der Friedlichen, nicht der Gewalttätigen, der Fröhlichen, nicht der Fanatischen, der Liebenden, nicht der Hassenden.
Wenn wir dies sind, dann wird eines Tages in den Geschichtsbüchern stehen: Die Deutschen haben aus zwei Weltkriegen etwas gelernt."
Ist schon interessant, bei Bildern hatte ich tatsächlich an Bilder, wie eine durchgestrichene SS-20 oder Mahnwachen vor der sowjetischen Botschaft gedacht. Aber solche Aufrufe sind natürlich auch interessante Zeitzeugnisse.
<<Ich gebe seine Rede im vollen Wortlaut wieder; lesen Sie, Sie werden die gewünschten Bilder finden:>>
Jetzt muss ich allerdings wieder meinem Ruf gerecht werden und anmerken, dass ich eher meine Meinung bestätigt finde. Wir haben einfach andere Vorstellungen von Sternstunden.
Da steht doch nur das übliche Politiker Geschwätz. Es wird eine große Wundertüte wünsch-dir-was aufgemacht. Wer ist schon gegen den Weltfrieden ohne Waffen? Der Weg dahin, eher schwammig.
Natürlich sind es die Amerikaner, die plötzlich die Sowjetunion angreifen wollen. Übergangen wird an der Stelle, dass die sowjetischen SS-20 schon längst stationiert sind und diese bereits in kürzester Zeit Atomschläge ausüben können. Der Mut der polnischen Arbeiter wird bewundert und man vergleicht sich sogar mit ihnen. Lächerlich, das Risiko für Herrn Eppler war doch wohl um Größenordnungen geringer. Was hätte er im Falle eines Eingreifens sowjetischer Truppen gemacht? Seine Besorgnis geäußert, wie heutiges Politikersprech ist?
Mit derselben Leichtigkeit wie er behauptet, dass die USA einen Krieg in Europa lostreten wollen, glaubt er nicht, dass die Sowjetunion einen Krieg in Europa riskieren würden.
Was soll da noch das freundliche mit dem Finger drohen, dass die Sowjetunion beim Tempo der Stationierung etwas überzogen hat?
Ich glaube es ist müßig zu erklären, dass solche Auftritte in der Sowjetunion als Unterstützung der sowjetischen Friedenspolitik durch die progressive Arbeiterklasse in der ganzen Welt gewertet wurden und alle darin bestärkten alles richtig gemacht zu haben.
Eventuell wird meine Kritik deutlicher, wenn man einfach mal den Krefelder-Appell und Berliner-Appell vergleicht. Ich finde den Berliner-Appell wesentlich ehrlicher.
Aber damit wird unser aller Überlegen in die Hand von Computern gelegt.
Oder Überleben? Beides würde Sinn ergeben.
"Überleben" macht wohl mehr Sinn. Danke.
Hallo Herr Jäger,
danke für diesen Artikel - und Ihre gut recherchierten Antworten in diesem Forum. Daran können sich andere Journalisten gern ein Beispiel nehmen.
Meinen Dank zurück.
Ja ich kenne noch die kontroversen Debatten im Bundestag über die Anerkennung der Oder-Neise Grenze oder Kredite für die DDR. Da hat die CDU ziemlich Theater gemacht. 1983 hat Strauß Kredite eingefädelt und sich als Außenminister aufgespielt. Der Vorläufer für die Wiedervereinigung waren Brandt und Bahr. Ganz klar.
>>Der Vorläufer für die Wiedervereinigung waren Brandt und Bahr.<<
Ich erinnere diese Zeit aber so, dass man einfach mal akzeptieren wollte dass es zwei deutsche Staaten gibt. Als Folge des 2. Weltkrieges und der nachfolgenden Besatzungspolitik, die sich nicht mehr rückgängig machen liess. Diese Auffassung war, gegen Springer & C-Parteien damals weit verbreitet. Noch bis Mitte 1989 dachte hier niemand dass die BRD sich bald die DDR einverleiben könnte.