(90) Konkurrenz um die Konkurrenzteilnahme und Konkurrenz um Anteile

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Was in der vorigen Notiz in allgemeinen Wendungen vorgestellt wurde, soll hier konkretisiert und zu einem Verfahren operationalisiert werden: Konkurrenz in der Anderen Gesellschaft, von der wir sagten, sie basiere auf dem Prinzip, dass alle Konkurrierenden "ein Auskommen haben", "der Kuchen für alle groß genug ist" und sie deshalb zwar konkurrieren, aber ohne sich niederzukonkurrieren; vielmehr sind sie miteinander verträglich, "vertragen sich" in diesem elementaren Sinn und das heißt, sie konkurrieren nicht nur, sondern kooperieren auch. Obwohl sie indes einen Markt unter sich aufteilen, bilden sie keineswegs ein Kartell. Meine Behauptung war, dass diese wundersame "Kompossibilität" der Unternehmen, wie ich es genannt habe (der Begriff sagt, dass ihr Zusammendasein möglich ist), dann gelingen kann, wenn ihre Geschäftspraktiken öffentlich und ihnen untereinander bekannt sind.

Ausgehen möchte ich von dem Gedankengang, der sich bei Ota Sik findet: "Es ist heute so", beginnt er, "dass die meisten - nicht nur die größeren sondern auch die mittleren Unternehmen - auf Jahre voraus ihre technischen und technologischen Innovationen vorbereiten müssen, ohne dass die Konkurrenz davon erfährt." Im Interesse solcher Unternehmen liegt es, vorauszusehen, auf welche Marktsituation ihre Innovationen während der Jahre und nach Jahren stoßen. Das heißt, sie müssten doch geradezu ein Interesse daran haben, dass gesamtgesellschaftliche "Planungsarbeiten" ausgeführt und sie an ihnen beteiligt werden. Diese Arbeiten laufen bei Sik darauf hinaus, dass die ganze Gesellschaft über Planvarianten abstimmt und sich für eine entscheidet. (Humane Wirtschaftsdemokratie, Hamburg 1979, S. 503)

Also die "größeren und mittleren Unternehmen" planen auf jeden Fall, ein gesamtgesellschaftlicher Plan kommt hinzu und beide Planebenen werden miteinander vermittelt. Wenn daraus etwas wie Planungssicherheit der Unternehmen entspringen soll, muss der in Wahlen ermittelte gesellschaftliche Plan dem unternehmerischen vorausgehen und zugrundeliegen. Die Situation, die dann entsteht, kann so verallgemeinert werden, dass jedes Unternehmen sich infolge des Wahlresultats fragt, ob und wieweit eine Ä n d e r u n g der internen Planung erforderlich wird, dahin, dass sie sich mit dem Wahlresultat verträgt.

Machen wir uns klar, was beispielsweise auf dem europäischen Automobilmarkt geschehen würde. Heute herrscht dort bekanntlich ein großes Überangebot. Nach kapitalistischer Logik bedeutet das, die schwächsten Konkurrenten sind in Gefahr, ihre Ware nicht verkaufen zu können und in der Folge insolvent zu werden. Um die Gefahr abzuwenden, setzen sie alles daran, den Markt zu vergrößern, also mehr potentielle Käufer für Autos zu interessieren. Sie geben beispielsweise Studien in Auftrag, aus denen zu erfahren ist, wie man vielleicht noch Senioren Autos aufschwatzen kann. Und sie freuen sich, dass heute so viele Autos nach China verkauft werden können. Das ist die verheerende Logik des "Wachstums" ins Unendliche, die das Kapital definiert - verheerend deshalb, weil wenn Autos einmal in China so verbreitet sind wie heute in Europa und den USA, der Planet kollabieren muss. Diese Logik wird in der Anderen Gesellschaft stillgelegt. Die zur Anderen Gesellschaft gewordene EU verkauft in Europa nur noch so viele Autos, wie mit dem europäischen Umweltraum verträglich sind, und verkauft nur so viele Autos nach China, wie mit dem chinesischem Umweltraum verträglich sind. Was den europäischen Raum angeht, haben die Wähler auch eine Meinung, w i e v i e l e Privatautos im Verhältnis zu w i e v i e l öffentlichem Personenverkehr sie produziert und verkauft sehen wollen, und wählen diese Proportion.

Der Autobestand ist damit eine im Voraus b e g r e n z t e Menge. Müssten sich die europäischen Autounternehmen heute schon an solche Grenzen halten, wäre das Überangebot noch viel größer als es ist. Die Möglichkeit, mit ihm irgendwohin auszuweichen, hätten sie nicht mehr. In der Anderen Gesellschaft haben die Grenzen Geltung. Sie wurden ja gewählt. Die Unternehmen müssen es akzeptieren. Und hier entsteht die Frage nach ihrer Kompossibilität. Ihr Zusammendasein ist offenbar dann möglich, wenn gerade nur diejenigen Unternehmen um Autokäufer konkurrieren, deren Summe es gelingt, die im Wahlresultat gebilligte Automenge zu verkaufen. Welche Unternehmen sind das? Beliebige, rein logisch gesehen. Im Interesse der Sparsamkeit antworten wir aber: die mit den meisten ökonomischen Potentialen. Es wird öffentlich festgestellt werden, aus welchen Unternehmen sich diese begrenzte Zahl der Stärksten zusammensetzt. Die schwächeren, die herausfallen, können anderswo konkurrieren. Sie sind es, die ihre interne Planung ändern müssen. Sinn des Verfahrens ist es, die Kosten von Konkurrenz zu minimieren. Es sollen möglich keine Werte geschaffen werden, die dann doch nur der Vernichtung anheimfallen, weil niemand sie braucht.

Das Postulat der Öffentlichkeit oder Offenlegung wird in dieser Notiz verwendet, als ob es unproblematisch wäre. Es soll jetzt nur gezeigt werden, wie eine ihm folgende Ökonomie funktioniert. Was für und gegen das Postulat sprechen könnte, erörtere ich anschließend.

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Die Idee ist nicht, dass nur die Stärksten an der nun begrenzten Konkurrenz teilnehmen dürfen und alle anderen ausgeschlossen sind. Es geht lediglich darum, dass allgemein bekannt wird, wer diese Stärksten sind. Wenn die zu Schwachen dann trotzdem weiter mitkonkurrieren, ist es ihnen zwar nicht verboten, sie müssten aber selbst wissen, dass sie keine Chance haben, und viele werden freiwillig verzichten. Solche Unternehmen werden es ja schwer haben, überhaupt Mitarbeiter zu finden, denn wer will sich schon in einem Betrieb einstellen lassen, der sehenden Auges in den Konkurs treibt. In der Regel werden die zu Schwachen nicht so unvernünftig sein. Da sie nun erst, infolge des Wahlergebnisses, zu schwach g e w o r d e n sind - sie waren ja auf dem Markt, der jetzt durch die Wahl seine neue Begrenzung erfahren hat, und hatten sich dort halten können -, sind sie auch gar nicht der Unfähigkeit oder mangelnden Effizienz überführt, sondern erst einmal, wie gesagt, ist zu prüfen, ob ihre Produktion konvertiert werden kann. Denn während der Automarkt geschrumpft ist, sind andere Märkte größer geworden. In dem Markt, wohinein sie vielleicht konvertieren wollen, stellt sich allerdings erneut die Frage nach den Stärksten und läuft ebenfalls auf eine b e g r e n z t e Zahl von Unternehmen, zusammengesetzt aus eingesessenen und konvertierenden, hinaus.

Natürlich wird man nicht "exakt" bestimmen können, wer noch stark genug und wer schon zu schwach ist. Das auch gar nicht nötig. Die Begrenzung des Marktes ist selbst ein Raum, der Grenzraum, in dem sich Unternehmen eigener Art finden. Solche nämlich, die selbst entscheiden müssen, ob sie sich für stark genug halten, in der Konkurrenz der Stärksten ihren Platz gerade noch zu behaupten, oder nicht.

Um festzustellen, wer die Stärksten sind, wird man definieren, was S t ä r k e n sind, und die Unternehmen haben Berichte darüber zu schreiben, die veröffentlicht werden. Die Berichte handeln von den Stärken und davon, wie sie eingesetzt werden sollen, also von der Unternehmensstrategie. Als Textgattung muss das nicht erst erfunden werden. Es ist heute bereits gängig, dass größere Unternehmen Dienstleister heranholen, die ihnen eine Analyse der Unternehmenssituation und möglichen Marktstrategie liefern, passend zu der von ihnen selbst entwickelten Produkt- und vielleicht Innovationsstrategie. Neu ist nur, dass es veröffentlicht werden soll. Diese Veröffentlichung geschieht zu einem festgesetzten, für alle Unternehmen gleichzeitigen Termin nach Ablauf der Analysezeit, die man ihnen einräumt. Die Analysezeit beginnt mit dem Bekanntwerden des Wahlresultats und endet mit jenem Termin. Als aufzulistende Stärke gilt nicht nur die Finanzkraft, sondern außerdem oder stattdessen die Bedeutung der besetzten "Marktlücke" für den Produktionsablauf von Autos im Ganzen und, noch wichtiger, das innovative Potential in seiner Vereinbarkeit mit dem Wahlresultat. Weil solche ganz verschiedenen Faktoren eine Rolle spielen, können größere Unternehmen mit kleineren kompossibel sein und sind es ja schon heute.

Öffentlich ist nicht, was während der Analysezeit geschieht, sondern was aus ihr entspringt. Da alle Ergebnisse gleichzeitig veröffentlicht werden, kann nicht einer die Innovation des andern klauen: Es wird immer klar sein, wo sie ihren Ursprung hat und wo nicht. Sie ist während der Wahlperiode nach dem Urheberrecht geschützt. Danach nicht mehr. Nachdem nun also diese Ergebnisse vorliegen, kann öffentlich festgestellt werden, welches die stärksten Unternehmen sind, die sich auf dem zur Debatte stehenden Markt "miteinander vertragen", weil "der Kuchen groß genug für alle ist". Dies ist die erste Stufe der Konkurrenz in der Anderen Gesellschaft. Wir können sagen, es ist K o n k u r r e n z u m d i e K o n k u r r e n z t e i l n a h m e . Sie geschieht da, wo Gegenstände der allgemeinen Wahl betroffen sind, also beispielsweise wie viele Privatautos es im Verhältnis zu wie viel öffentlichem Personenverkehr geben soll. Die zweite Stufe, zu deren Erörterung wir jetzt übergehen, spielt allein unter den Stärksten, es ist die K o n k u r r e n z u m A n t e i l e am definierten "Kuchen".

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Die Konkurrenz um Anteile kann man sich theoretisch so vorstellen, dass die Anteile zu Beginn ja gegeben sind - als Übertrag aus der vorausgegangenen Periode - und es den Konkurrierenden während der neuen Wahlperiode gar nicht darum gehen muss, sie zu erhöhen, auf jeden Fall aber, sie nicht kleiner werden zu lassen. Die Unternehmen haben freilich ein Interesse, die Technik ihrer Produktion zu optimieren, um Kosten einzusparen, und weil das hier schneller gelingt als dort, wird sich die Proportion der Anteile von selbst verändern, wenn auch vielleicht nur wenig. Sie s o l l e n das technische Optimierungsinteresse haben. Braucht doch die Andere Gesellschaft eine immer bessere Technik, um die Möglichkeiten besser nutzen zu können, die ihr im ökologisch begrenzten Raum geblieben sind. Wären Unternehmen nicht sowieso auf "Rationalisierung" erpicht - das sind sie und werden es nicht aufhören zu sein, wenn sie in die Andere Gesellschaft eintreten -, würde man sie geradezu verpflichten, sich Innovationsabteilungen zuzulegen.

Die Konkurrenzsituation in der Anderen Gesellschaft lässt sich aus zwei einander entgegengesetzten Perspektiven betrachten. Man kann es zum einen so sehen, dass alle Konkurrierenden gemeinsam das Wahlresultat umsetzen. Einer oder einige würden das nicht schaffen, es müssen schon wirklich alle mitmachen - alle im b e g r e n z t e n Markt, der durchs Wahlresultat definiert ist. Unter diesem Aspekt sind die Konkurrierenden "Nebeneinanderherlaufende" und "Zusammenströmende". Ihre Konkurrenz ist eine Form der Kooperation. Das ist die idyllische Perspektive. Zur Verschiebung der Marktanteile kommt es auch hier, weil jeder ganz eigenständig agiert und die faktische Koordination sich im Zusammenströmen erst durchsetzt, statt ihm vorauszugehen. Das ist, als wenn Küken sich im Nest einrichten: Jedes wird ein wenig gepufft, bis alle ihren Platz gefunden haben. Gegen die idyllische steht die böse Perspektive. Die Konkurrierenden dulden nur zähneknirschend, dass die Andere Gesellschaft ihren Konkurrenzraum begrenzt und sogar verengt. Es bleibt ihnen schlicht nichts anderes übrig. Umso mehr fahren sie fort, ja werden noch wilder darin, sich raubvogelartig niederkonkurrieren zu wollen. Im Endresultat bewirken sie aber auch nichts anderes als jene, die "zusammenströmen": eine Verschiebung der Anteile zwischen Konkurrierenden, die trotzdem alle "ihr Auskommen haben".

In der tatsächlichen Konkurrenzsituation werden sich "idyllische" und "böse" Motive der Teilnehmer zunächst überlagern. Mit der Zeit wird immer mehr, obgleich nie alles, für die "idyllische" Perspektive sprechen.

Aber wodurch ist gewährleistet, dass die Konkurrenz um Marktanteile in einem begrenzten Markt dann, wenn die Grenzen erreicht sind, auch wirklich aufhört? Darauf gibt es zwei Antworten. Erstens war der Markt ja nicht willkürlich begrenzt worden. Dass er als so begrenzter gewählt wurde, bedeutet ja, dass die gesellschaftliche Nachfrage sich in den Grenzen spiegelt. Über die Grenzen hinausgehen heißt dann ein Angebot ins Leere machen. Damit aber niemand in Versuchung kommt, die Nachfrage künstlich größer machen zu wollen, als sie sich in der Wahl erklärt hat, werden zweitens die Produktions- und Verkaufsprozesse kumuliert und wird der Stand der Kumulationen laufend erfasst. Man sieht dann genau, wann alles verkauft ist, was laut Wahlresultat verkauft werden darf. Vorher sieht man, wie viel noch zu verkaufen bleibt. Auch hier also das Öffentlichkeitsprinzip. Die erfassten Verkaufsprozesse werden laufend bekanntgegeben. Die Produktionsprozesse selber werden als Verkaufsprozesse erfasst, will sagen, es gibt einen zentralen Computer, durch den aller Kauf und Verkauf von Investitionsgütern hindurchgeht, und wenn hier etwas geschieht, das aussieht, als sei es mit dem Wahlresultat unvereinbar, macht ein automatisiertes Programm darauf aufmerksam.

In der "Konkurrenz um die Konkurrenzteilnahme" war nur Offenlegung aller einschlägigen Information gefordert, damit die Konkurrierenden sich ein Bild voneinander machen konnten und so von der Verteilung der Chancen. Jetzt in der "Konkurrenz um Anteile" bleibt es nicht bei der Offenlegung, sondern sobald sie ergeben hat, dass die Grenzen des Konkurrenzraums erreicht sind, wird die Konkurrenz beendet. Näheres erörtern wir später im Schlusskapitel über die Wahlen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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