Es gibt eine Krise des Autos, aber warum? Nur weil die Finanzkrise auf die Realwirtschaft übergreift und zuerst das Auto trifft? Oder war es schon vorher im Niedergang, und die jetzige allgemeine Krise bringt es ans Licht, wodurch sich die Abwärtsbewegung auch beschleunigt? In einer großen Zeitung wurde kürzlich behauptet, das Auto verliere seinen Charakter als Statussymbol. Wenn das stimmt, kann die Autoindustrie dann überhaupt noch einmal auf die Beine kommen? Umfragen, die die Behauptung direkt stützen, scheint es zwar nicht zu geben. Man kann sich ihr aber mit Schlussfolgerungen und Alltagsbeobachtungen nähern. Klar ist von vornherein, dass die Autoindustrie schon vor der Krise über Imageverlust und nachlassenden Absatz klagte.
Nur etwas, das man gut gebrauchen kann, wozu auch immer, kann außerdem noch Statussymbol werden. Beginnen wir also mit dem Auto als nützlichem Ding. Die Notwendigkeit, von der Wohnung zum Arbeitsplatz und wieder zurück zu fahren, unter der Bedingung, dass die Zersiedelung zunahm und viele Menschen sich in der städtischen Peripherie niederließen, war ein Hauptgrund der seit dem Weltkrieg stetig zunehmenden Motorisierung. So wuchs die Zahl der Pkw in Westdeutschland zwischen 1949 und 1960 von einer halben auf acht Millionen, 1970 waren es bereits fast 17 Millionen, das gesamte Deutschland kam 2003 auf 44 Millionen. Dabei wurde das deutsche Territorium nicht größer, "immer mehr Autos" hieß also "immer mehr Stau" - im Widerspruch zu dem, was das Auto verspricht, nämlich Bewegungsfreiheit. Auf dieser Ebene kann es kaum Objekt der Begierde geblieben sein, muss es vielmehr zunehmend für Frust und Ärger gesorgt haben. Trotz "Pendlerpauschale".
Untersuchungen darüber, ob den Autofahrern das Autofahren Spaß macht, werden angesichts der beteiligten Interessen nicht gern angestellt. Aber 1993 ergab eine fürs Ruhrgebiet vom Münchener Forschungsinstitut Socialdata erhobene Studie, dass die meisten Fahrer und Mitfahrer gern auf den öffentlichen Nahverkehr umgestiegen wären, wenn der es nur zugelassen hätte. Von seinem Ausbau sprachen zwar seinerzeit die Ökologen, tatsächlich aber wurden Strecken stillgelegt. Die Bahn investierte in den ICE. Es gibt also einen Zwang, beim Auto zu bleiben; wer es fährt, muss es nicht lieben. Indessen kann man mit ihm nicht nur zur Arbeit, sondern auch in den Urlaub fahren. Da kommt sein Nutzen zur Geltung, freiestes Bewegungsmittel zu sein. Bewegungsfreiheit ist ein Hauptmerkmal individueller Freiheit überhaupt. Diese Eigenschaft entfaltet sich erst auf langen Strecken. Die Menschen, deren Wege sich in den Autobahn-Raststätten kreuzen, vermitteln einander das Gefühl, coole Herrscher über riesige Räume zu sein. Solche Haltungen übertragen sich dann auch auf die banale Fahrt zur Arbeit.
Für die politische Klasse gilt das ohnehin. Jene Untersuchung ergab auch, dass Entscheidungsträger viel mehr an ihren Autos hängen als andere. Wahrscheinlich haben sie häufiger Gelegenheit, das Auto zum Spaß zu fahren, oder sie chauffieren nicht selbst und vergessen daher, dass Autofahren Maschinenarbeit ist. Sie glauben gleichwohl, ihre Autoneigung sei repräsentativ für alle Bürger. Was die Pendler angeht, sind sie wenigstens empfänglich, sich das einreden zu lassen. Sie haben ja im selben Auto den Urlaub verbracht. Und es ist ihr Eigentum. Was nimmt man da nicht alles auf sich. Man sitzt vielleicht in brütender Hitze, weil keine Klimaanlage eingebaut ist, aber es ist auch wieder so, als säße man noch zu Hause am Wohnzimmertisch. Dort lässt sich die Stereoanlage nicht so aufdrehen wie hier.
Kurzum, das Auto ist nicht nur nützlich. Es kann auch die Selbstverwirklichung fördern. Aber es hat auch eine Eigenbedeutung, die aufs Unbewusste wirkt. Vor hundert Jahren, als es gerade erst die Pferdekutsche ersetzt hatte, wurde sein phantastischer Sinn noch in Dichtungen besungen, zum Beispiel von Marinetti: "Wir gingen zu den drei schnaufenden Bestien, um ihnen liebevoll ihre heißen Brüste zu streicheln." "Ich streckte mich in meinem Wagen wie ein Leichnam auf der Bahre aus, aber sogleich erwachte ich zu neuem Leben unter dem Steuerrad." Zu Hitlers Zeiten lautete ein Werbespruch: "Auf der Autobahn fliegt man!" Die Autobahn sollte außerdem noch ein Naturerlebnis vermitteln, das war damals eine deutsche Spezialität. Man leitete sie zu diesem Zweck um Berge und Hügel herum, "passte sie in die Landschaft ein". Wer weiß, was von solchen Phantasmen noch heute in allerlei Köpfen weiterlebt. Wir müssen es aber als wahrscheinlich ansehen, dass ihre Gewalt rückläufig ist infolge des Vordringens ökologischer und feministischer Intelligenz. Wer wird heute noch Autos für naturfreundlich halten oder Metaphern des Frauenkörpers in ihnen sehen?
Das Auto als Statussymbol hat sich auf beide Bedeutungen gestützt, die nützliche und die metaphorische. Beides kann heute nicht mehr gut gelingen. Denn auch wenn die Bedeutungen nicht verschwunden sind, einen hohen Status signalisieren sie nicht mehr. Im Statusbegriff fließt Klassenzugehörigkeit mit Bildungshöhe zusammen, um eine Position der sozialen Hierarchie zu bezeichnen. Wer reich ist, ist meist auch gebildet. Wer gebildet ist, ohne reich zu sein, kann immer noch dem "Bildungsbürgertum" angehören. Diesen Status zu symbolisieren, waren Autos früher gut geeignet. Heute werden (bildungs)bürgerliche Zeitgenossen ihre Intelligenz eher durch eine gewisse Distanz zum Auto unterstreichen. Zum Beispiel fahren sie lieber kleine als große Autos. Allenfalls durch Automarken signalisieren sie einander den Rang, und das schon oft mit schlechtem Gewissen.
Und die werktätigen Massen, setzen sie noch das möglichst große Auto als Zeichen ihrer Einkommenshöhe ein? Sie werden es immer weniger wollen: Erstens, weil sie so oft im Stau stehen, zweitens, weil die Oberschichten aufhören, das Auto als Vorbild zu sanktionieren. "Los, putzt eure Autos!", las man 1968 an einer Hauswand neben einem Parkplatz. Der Spruch wurde berühmt, irritierte jedoch die Autofahrer nicht. Tauchte er heute wieder auf, die Menschen wären empfänglicher für seinen vernichtenden Hohn.
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