Dass der Fernsehbildschirm breit wurde, geschah bestimmt nicht im Auftrag von Tagesschau und Tagesthemen. Der Hauptgrund wird das erleichterte Sehen von Breitwandfilmen gewesen sein. Außerdem sieht man jetzt auf einen Blick, wo die "aus der Tiefe des Raums" geschlagenen Pässe ankommen. Doch auch Tagesschau und Tagesthemen müssen mit dem neuen Format fertig werden. Für die Reporterbeiträge besteht kein Problem. Sie sind nun eben zu Breitwandkurzfilmen geworden. Auch nicht für die Kommentare. Der oder die Kommentierende thront in der Bildmitte. Etwas unfreiwillig komisch ist das schon, da von einer "zentralen" Bedeutung ihrer Gesichter keine Rede sein kann. Indessen geht es nun einmal um die Meinung dieser Subjekte. Aber wovon leben die Sendungen insgesamt? Vom Auftritt der Nachrichtensprecher und Moderatoren. Die können nicht in die Mitte gesetzt werden, denn ihre Rolle beschränkt sich aufs Hinweisen. Ganz selten kommt Caren Miosga, die Tagesthemen-Moderatorin, auch einmal in die Mitte. Klug genug sieht sie ja aus. Der Regelfall muss ein anderer sein.
Die Lösung, Sprecher oder Sprecherin eine Bildschirmhälfte beherrschen zu lassen, geht für die Tagesthemen gerade noch an, weil die Moderatorin nicht nur moderiert, sondern auch ein wenig wertet. Für die Tagesschau ist sie nicht mehr tragbar. Beim alten Format ging es leicht: Der Nachrichtensprecher rechts, konfrontiert mit dem Dia vom Gegenstand links. Das war zwar viel Ehre fürs Subjekt, wenn sich da so ein einzelner Oberkörper mit Bildern vom Tsunami maß. Aber das kannte man: Es wurde "Subjekt-Objekt" gespielt. Die Subjektivierung der ganzen Hälfte eines Breitbilds ginge entschieden zu weit.
Stattdessen ist das Breitbild in fünf Zonen aufgeteilt worden. Der Sprecher hält sich im vierten Fünftel auf. Dazu wird uns im Vorspann quasi eine Herkunftsgeschichte erzählt: Zuerst sehen wir ihn vor der Weltkarte, wie es auch im alten Format häufig geschah. Dann bildet sich hinter ihm, der rechts von der Mitte sitzt, eine rechteckige Tafel heraus, unter der die Weltkarte zuerst noch durchschimmert. Die Tafel bedeckt drei Fünftel des Schirms, lässt also zwei funktionslose Ränder zurück. Während sie sich verdunkelt, werden Bilder auf ihre linke Seite projiziert, das heißt aufs zweite und dritte Fünftel des Gesamtbildschirms. Der Sprecher bleibt bescheiden im vierten Fünftel auf der rechten Seite, eingerahmt von Projektion und Bildschirmrand. Die Tagesthemen variieren dasselbe Schema.
Das ist alles so nüchtern, dass wir gern an die Realität der Information glauben, die uns der Sprecher vom Mittelrand her verkündet. Allerdings hat die ARD die Teilung in Fünftel nicht erfunden. Sie stellt sich in eine alte Tradition. Breite Gemälde bedienten sich oft desselben Schemas. Da ist aber nicht der Hinweisende im zweiten oder vierten Fünftel positioniert, sondern umgekehrt das, worauf hingewiesen wird - das Heilige. In van der Goes´ Anbetung der Könige sitzt dort Maria mit dem Jesuskind in der Scheune. In Tizians Darbringung Mariä im Tempel kommt die künftige Gottesmutter beim Treppenaufstieg dort vorbei. In Lorrains Anbetung des Goldenen Kalbs ist dieses dort aufgerichtet. In Böcklins Beweinung unter dem Kreuz liegt dort der tote Jesus auf dem Rasen. Noch Menzels Eisenwalzwerk ist dem Schema verpflichtet. Es zeigt keinen Jesus, kein Kalb im vierten Fünftel, sondern den flammenden Eisenblock. Man meint in den Eingang der Hölle zu schauen.
Die Form, das Heilige in die Mitte zu stellen, war das Triptychon gewesen. Das Fünf-Fünftel-Gemälde hatte seinen Sitz mehr im unmittelbaren Leben. Da stand das Gute und Böse nicht im Zentrum, war aber dennoch unübersehbar genug da. Nun haben es Vergangenheiten an sich, dass sie durchschimmern. Und so wird der Tagesschau-Sprecher, real wie er sein mag, die fiktive Herkunft seiner Fünftelnische doch nicht los. Er kann ja nicht anders: Wollte er sich nicht an Lorrain, sondern an Jackson Pollock orientieren, hieße das, er müsste verschwinden. Weil er aber da bleibt, kommt es zu dem Sinneffekt, dass er selber - zwar nicht das Heilige, doch als Medium zugleich die Botschaft ist. Was er sagt, gilt uns als die Realität.
Übrigens hat die Sache auch eine komische Seite. In der Präsentation der Familie des Darius vor Alexander hat Veronese sich über das Schema lustig gemacht. Das müsste doch auch einer Susanne Daubner gelingen. Darius in der Mitte, als Unterworfener, beugt sich vor einem Mann im vierten Fünftel, den er für Alexander hält. Der weist nach rechts außen zum wirklichen Alexander. Im zweiten Fünftel finden wir die pubertierende jüngste Darius-Tochter. Ihr Gesicht ist dick und sie weiß nicht, wo sie hinschauen soll. Über ihr spielt ein gezähmtes angekettetes Äfflein. "Ihre Lage scheint ihr gar nicht zu gefallen", schreibt Goethe, der Spaßvogel. Ja, was soll Frau Daubner denn machen? Vielleicht auch einmal vom äußersten Fünftel her die Realität verkünden? Wie der Mann, den Dali von links ins Bild treten lässt. Rechts vor ihm eine weite Landschaft. Doch er guckt auf den Boden. Das Bild heißt Der Apotheker von Ampurias auf der Suche nach absolut nichts.
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