Amis raus aus Georgien?

Kommentar Der 11. September und die 11. Feuerbachthese

Die Wahrheit, dass für keinen Staat der Welt ein Weg an den USA vorbei führt, kann in Russland niemand verdrängen. Denn direkt nebenan im Kaspischen Raum befinden sich die großen Gas- und Ölvorkommen, die ab der Jahrhundertmitte erschlossen werden sollen, wenn das arabische Öl allmählich zur Neige geht. Die Frage, wie weit Russland beteiligt wird, muss für die russische Politik zentral sein. Russische Generäle wissen, dass die NATO Jahre vor dem 11. September 2001 mit den Staaten des Kaspischen Raums Militärverträge abgeschlossen hat, deren Inhalt Verschlusssache ist. Wie also reagieren, wenn amerikanische Militärs neuerdings ganz offen in Zentralasien und jetzt auch in Georgien gegen Al-Qaida-Terroristen vorgehen? Ein großer Teil der russischen Elite einschließlich des Außenministers übt wütend Kritik, dürfte aber selbst wissen, dass für eine Rückkehr zum Kalten Krieg alle militärischen Mittel fehlen. Präsident Putin steuert anders. Er sucht die Chance, die USA in den Konsenszwang internationaler Regimes einzubinden. Er folgt damit der EU-Politik, die sich ebenfalls seit langem auf mögliche Konflikte bei der Ausbeutung der Reichtümer des Kaspischen Raums vorbereitet.
Soweit es um Georgien geht, hat Putin besonders gute Argumente. Sicher, das Land gehört zur GUS und könnte daher auch russische, statt nur amerikanische Militärs zur Unterstützung anfordern. Aber es geht um die in Russland erwünschte Bekämpfung tschetschenischer Rebellen, die ein georgisches Tal als Rückzugsgebiet nutzen. Dass unter ihnen Al-Qaida-Kämpfer seien, behauptet Russland seit langem. Es wird nun auch von den USA anerkannt. Der russische Militäreinsatz in Tschetschenien findet damit seine späte Legitimation. Dieser Einsatz wird von der russischen Elite nicht kritisiert, obwohl er unzählige zivile Opfer fordert. Sie kann daher gegen einen amerikanischen Einsatz nicht moralisch argumentieren. Machtpolitisch aber ist es klug, die südlichen GUS-Staaten, die sich mit der NATO ohnehin längst verbündet haben, zur symmetrischen Zusammenarbeit sowohl mit der NATO als auch mit Russland zu veranlassen.
Gegen die USA ist militärisch kein Kraut gewachsen. Es reicht auch nicht, sie nur folgenlos zu kritisieren, weil diese Dampfwalze, die sich für God´s own country hält, womöglich über einen selbst hinwegrollt, wenn man ihre Richtung nur interpretiert. Es "kömmt drauf an", sie zu ändern! Letztlich kann die amerikanische Gefahr nur durch Einmischung in die inneren Argumentations-Angelegenheiten gebannt werden, von denen sich die US-Regierung demokratisch getragen fühlen darf. Da sind Politiker wie Putin, mehr noch aber die europäischen Intellektuellen gefragt. Warum veranstalten sie nicht zum Beispiel einen Kongress, auf dem sie mit den 58 amerikanischen Unterzeichnern der Proklamation des gerechten Krieges kontrovers diskutieren?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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