An Baerbock hat es nicht gelegen

Bundestagswahl Für den ganz großen Wurf hat es bei den Grünen am Ende nicht gereicht. Das hat weniger mit der Kandidatin als mit der Angst der Menschen vor der Klimawende zu tun
Wenn die Grünen das Kanzlerinnenamt anstrebten, mussten sie den Menschen die Angst zu nehmen versuchen, sie haben das auch getan. Aber letztlich ohne großen Erfolg
Wenn die Grünen das Kanzlerinnenamt anstrebten, mussten sie den Menschen die Angst zu nehmen versuchen, sie haben das auch getan. Aber letztlich ohne großen Erfolg

Foto: Jens Schlueter/Getty Images

Als ich Mitte Juli die Bilder von Armin Laschet und Olaf Scholz sah, wie sie das Hochwasser-Katastrophengebiet besuchten und den Heimgesuchten schnelle Hilfe versprachen, dachte ich: Wenn die Wähler:innen das sehen und dann einen der beiden zum Kanzler wählen, „sind sie selbst schuld“ an all den ökologischen Katastrophen, die noch kommen werden. Seit 1980 konnte man doch wissen, dass sie bevorstanden.

Die Kandidaten der beiden Parteien, die danach ununterbrochen den Kanzler oder die Kanzlerin stellten und die, trotz aller Warnungen, niemals eine ökologische Politik begannen, die den Namen verdient hätte – die stellen sich hin und präsentieren sich als Retter! Dass da etwas faul ist, musste doch jeder sehen. Warum sind trotzdem die Grünen, die im April noch, nach der Nominierung Annalena Baerbocks zur Kanzlerkandidatin, die Umfragen anführten, seitdem kontinuierlich abgestürzt? Weil es so einfach nicht ist.

Die Gefahr sich verstetigender ökologischer Katastrophen sehen zwar inzwischen die meisten. In den Wähler:innen-Umfragen hat dieser Punkt das ganze Jahr über ganz oben auf der Problemagenda gestanden. Aber die Menschen fragen sich auch, was die Folgen einer ökologischen Wende für sie ganz persönlich sind. Wie jede entschiedene Veränderung kostet sie etwas, im wörtlichen wie übertragenen Sinn. Das ist die Gefahr, die einen erst einmal am unmittelbarsten bedroht, oder zu bedrohen scheint. Ein Team um den Kölner Psychologe Stephan Grünewald versucht die Stimmung im Land durch Interviews und Gruppendiskussionen zu erfassen: Die Menschen spüren, sagt er, „dass eigentlich eine ungeheure Wandlung notwendig ist, haben aber gleichzeitig Angst davor.“ Wenn die Grünen das Kanzlerinnenamt anstrebten, mussten sie den Menschen die Angst zu nehmen versuchen, sie haben das auch getan. Aber letztlich ohne großen Erfolg. Den Beleg dafür, dass es an der Angst gelegen hat, kann man darin sehen, dass statt ihrer die SPD aufstieg. Olaf Scholz ist etwas wie Baerbock light, haben die Wähler:innen wohl gedacht. Wenn mal wieder ein SPD-Kanzler regiert, ist das ja auch eine Wende. Ob freilich eine ökologische, dafür möchte ich meine Hand nicht ins Feuer legen. Denn wie gesagt, Scholz ist kein unbeschriebenes Blatt und seine Partei auch nicht.

Die Grünen sind nicht abgestürzt

Die Grünen und Baerbock persönlich haben getan, was sie konnten. In den Triellen zum Beispiel konnten alle sehen, die Augen hatten, dass Baerbock gegen beide Parteien kämpfte, die bisher immer regiert haben. Dass die Grünen im letzten Jahrzehnt hier gegen die CDU, dort gegen die SPD mitregierten, hat es Baerbock ermöglicht, diese Gegnerschaft gegen beide „Wachstumsparteien“, wie sie in den 1980er Jahren von den Grünen genannt wurden, glaubwürdig zu vertreten. Olaf Scholz will eben auch erst 2038 aus der Kohle aussteigen. Obwohl auch deutlich wurde, und auch das war notwendig, dass Baerbock der SPD (und der Linkspartei) programmatisch viel näher steht als der Union (und der FDP): Die Gegnerschaft gegen beide war noch wichtiger. Das Problem ist nur, viele haben diese „Augen“, die das sehen, noch immer nicht. Statt zu sehen, dass sich SPD und Union ökologisch nicht genug unterscheiden, regredieren sie auf die starken Unterschiede, die zwischen Union und SPD früher einmal bestanden, und möchten den Kampf der Grünen für eine Wende, die über die Absichten beider hinausginge, am liebsten gar nicht zur Kenntnis nehmen.

An Baerbock hat der Absturz nicht gelegen. Auch nicht an den „Fehlern“, die sie gemacht haben soll. Diese angeblichen Fehler waren nur Vorwände für Leute, die vor einer Wende zu viel Angst hatten. Wenn Baerbock persönlich etwas zum für ihre Partei enttäuschenden Wahlergebnis beigetragen hat, dann war es die Entschiedenheit, die sie immer ausstrahlte. Den wirklichen Aufbruch bekommen Sie nur mit uns, sagten nicht nur ihre Worte, sondern auch ihre Mimik. Die Grünen haben sicher nicht damit gerechnet, dass ausgerechnet das ihre Chancen schmälern konnte, die Angst vor dem Aufbruch womöglich noch steigerte. Aber war Baerbocks Auftreten deshalb falsch? Bestimmt nicht. Denn dass die Wende, so notwendig sie ist, nicht leicht sein wird, ist schlicht die Wahrheit. Und im Übrigen, nur abgestürzt sind die Grünen ja gar nicht. Sie haben gegenüber der letzten Bundestagswahl deutlich mehr Stimmen gewonnen. Auch Willy Brandt hat drei Anläufe gebraucht, drei Mal Stimmenzuwächse, bis er zum ersten Kanzler seiner Partei in der Bundesrepublik wurde.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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