Angela Merkel beißt sich durch

CDU Die Neubesetzung der Parteispitze passt ins Machtkalkül der Kanzlerin und entspricht ihrer Koalitionsstrategie

Nicht immer sind Vorstandswahlen einer Partei so bedeutsam, wie es die der CDU an diesem Wochenende sein werden. Der Parteitag hat drei von vier Stellvertretern der Vorsitzenden Angela Merkel neu zu wählen und wird es ohne Kampfabstimmung tun. Es ist eine Folge des schlimmen ersten Halbjahrs der Regierung Merkel-Westerwelle.

Zum einen war Bundespräsident Horst Köhler zurückgetreten, hatte zuvor die Regierung kritisiert, fühlte sich von ihr irgendwie totgeschwiegen und gab auf; daraufhin verhalf Merkel Christian Wulff zu Köhlers Amt, der bis dahin einer der Stellvertreter gewesen war und es nun nicht mehr sein konnte. Zum anderen ging der CDU die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen verloren, auch das eine Konsequenz des schlechten Starts ihrer Regierung. Da Jürgen Rüttgers nicht wieder Ministerpräsident werden konnte, gab er auch seinen Verzicht auf die Wiederwahl als Merkels Stellvertreter bekannt. Die Wahlniederlage führte dann ihrerseits dazu, dass der hessische Ministerpräsident Roland Koch die Politik der Kanzlerin öffentlich anzugreifen begann. Diese verbat sich ebenso öffentlich seine Ratschläge. Wenig später zog sich Koch aus der Politik in die Privatwirtschaft zurück, weshalb auch sein Amt als Merkel-Stellvertreter neu besetzt werden muss. Vom alten Stellvertreter-Kleeblatt bleibt nur Annette Schavan übrig.

In der zeitlichen Reihenfolge war Koch der erste, der ausfiel. Es war damals im Mai mit Händen zu greifen, wie sehr die CDU auf dem falschen Fuß stand, als die Stellvertreter-Krise über sie hereinbrach. Niemand konnte sogleich als Ersatzmann vorgeschlagen werden. Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich wurde ins Gespräch gebracht, winkte aber ab. Er wird jetzt nur fürs Präsidium kandidieren (dessen Beisitzer er qua Amt ohnehin schon ist). Zu diesem Zeitpunkt begriff die Partei, dass sie eine brisante Phase durchlebt: zwischen den Wahlen in NRW und denen in Baden-Württemberg. Würden nämlich auch diese verloren gehen, in einem Stammland der CDU, werde es eng für die Kanzlerin, war überall zu lesen. Das war noch vor der Eskalation des Streits um den Stuttgarter Tunnelbahnhof, der eine Wahlniederlage des Ministerpräsidenten Stefan Mappus inzwischen fast zur Gewissheit werden lässt.

Paradoxe Weiterungen

Seit das aber zu erwarten ist, sind zwei neue Weiterungen am Horizont erschienen – eine paradoxer als die andere. Denn erstens, es ist jetzt nicht mehr unbedingt wahrscheinlich, dass Merkel über diese voraussichtliche Niederlage stürzt. Die Wahl wird nicht bundespolitisch, sondern als eine über den Stuttgarter Bahnhof wahrgenommen werden. Dass Merkel für den Tunnelbahnhof eintritt, schadet ihr da nicht, wie man denken könnte. Sie weiß, was sie tut. Sie zeigt eben Flagge für die Position ihrer Partei. So sorgt sie selbst dafür, dass die Wähler nicht über sie, sondern über das Bahnhofsprojekt den Stab brechen (oder es zumindest so aussieht).

Zweitens, der Lauf der Dinge in Baden-Württemberg macht Bundesumweltminister Norbert Röttgen noch stärker, als er schon durch seine Wahl zum Vorsitzenden der NRW-CDU geworden ist. Mappus hatte sich nämlich als scharfer Kritiker an ihm hervorgetan. Das geschah, als Röttgen die Politik längerer Laufzeiten der AKWs abzumildern versuchte. Bedrängt von den Stuttgarter Demos, hütet Mappus sich jetzt, überhaupt noch ein lautes Wort zu riskieren. Diesen Gegner ist Röttgen los. Die Paradoxie liegt darin, dass mit ihm und Ursula von der Leyen, die ebenfalls ins Stellvertreter-Quartett aufrücken wird, eine Stärkung von Merkels Position erfolgt. Denn Röttgen und Leyen sind ihre Vertrauten gewesen. Jetzt würden beide am liebsten selbst Kanzler werden, doch müssen sie, wie der Spiegel wohl richtig spekuliert, gerade deshalb zur Zeit noch an ihrem politischen Überleben interessiert sein. Wenn Merkel in sehr naher Zukunft abtreten müsste, würde sie wahrscheinlich vom Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg beerbt. Eine Umfrage hat gerade wieder ergeben, dass die Deutschen lieber ihn als Merkel zum Kanzler hätten.

Die grüne Option

Röttgen und Leyen sind aber nicht nur wegen des kurzfristigen Machtkalküls für Merkel so nützlich. Sie fügen sich auch dem ein, was sich als ihre koalitionspolitische Strategie abzeichnet. Röttgen hat jener „Pizza-Connection“ angehört, in der sich Grüne und junge Unionspolitiker schon einmal informell aneinander gewöhnt hatten. Leyen verkörpert ein modernes Frauenbild, in dem Familie und Berufstätigkeit koexistieren. Merkel braucht diese Veränderung der Partei. Es ist schon lange auffällig, dass sie dem konservativen Flügel kaum Zugeständnisse macht. Viele fragen sich, ob sie dadurch die CDU nicht schwächt, wohl gar ihren Zusammenhalt gefährdet. Doch wenn die Partei an der Macht bleiben will, muss sie versuchen, mit den Grünen kompatibel zu sein. Der Höhenflug, den die Grünen gerade erleben, scheint Merkel noch zusätzlich recht zu geben. Es passt ins Kalkül, dass ein Bundesumweltminister zur starken Figur wird: in ihrer Partei nicht anders als vorher in der SPD. So ist den Grünen nicht nur ein roter, sondern auch ein schwarzer Teppich ausgerollt.

Röttgens Werdegang ist ja bezeichnend genug. Kaum erinnert man sich noch daran, dass er Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie werden wollte, wozu er aber sein Mandat als Abgeordneter hätte niederlegen müssen. Das war 2006. Er entschied sich für die Politik und blieb Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Wollte er beim BDI arbeiten, um dort für mehr Ökologie zu wirken? Man weiß es nicht. Fakt ist, dass er sich an den unökologischen politischen Interventionen des BDI nicht stieß, so wenig wie sein Kollege Wissmann an der Linie des Autoverbands. Jetzt ist er zum Bundesumweltminister mutiert. Sogar wenn man dann im Kabinett immerzu unterliegt, hat man ein positives Image. Auf einmal steht dieser Mann ganz stark da, er hat die Spitze des größten Landesverbands der CDU erklommen. Wofür er aber steht, scheint von den Umständen abzuhängen. Ob das die Grünen beeindruckt?

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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