Eckart Leisers Art, von der lacanianischen Psychoanalyse zu sprechen, ist recht ungewöhnlich – subjektbezogen, sprachlich klar und mit starken politischen Untertönen. In seinem Lebensweg liegt die Erklärung. Als Mathematiker zum Psychologischen Institut Klaus Holzkamps, des Begründers der Kritischen Psychologie, gekommen, war er dort für Methodenlehre zuständig und hat sich Holzkamps Subjektwissenschaft zu eigen gemacht. Das war vor 1990; nach dem weltpolitischen Umbruch wendet er sich der Psychoanalyse zu. Eine Zeit lang lebt er in Mexiko, dann in Argentinien. Von der Eigenart der dortigen Lacan-Schule empfängt er entscheidende Anregungen. Leiser wohnt und arbeitet jetzt als Therapeut in Spanien, er nimmt eine Gastprofessur an der Universidad Compl
mplutense in Madrid an, er hält aber auch regelmäßig in Berlin Lehrveranstaltungen ab.In einem der Aufsätze des Sammelbands Grenzen überschreiten oder der Faden der Ariadne stellt er die Geschichte der argentinischen Psychoanalyse dar und betont gleich anfangs, dass sie „bisweilen nur schwer von der politischen Geschichte des Landes zu trennen“ sei. Nicht zufällig kam es während des Zweiten Weltkriegs zu ersten Vernetzungen der Anhänger Sigmund Freuds. Dass die damals herrschenden Militärs mit den Nazis sympathisierten, „gab einer Art kultureller Basisbewegung Auftrieb, zu der die Psychoanalyse gehörte“. Diese Gegenkultur wurde durch exilierte Europäer verstärkt. Zu ihnen gehört die Österreicherin Marie Langer, die in Argentinien eintrifft, während Hitler ihre Heimat in Besitz nimmt. Sie hat sich im engen Umkreis Sigmund Freuds bewegt, wird dann durch den aufkommenden Faschismus, aber auch als Feministin politisiert, verbindet ihre Tätigkeit als Analytikerin mit der Untergrundarbeit für die Kommunistische Partei.Im Netz der SignifikantenIm spanischen Bürgerkrieg stellt sie sich den Internationalen Brigaden als Ärztin zur Verfügung. In Argentinien wird sie zur Pionierin der psychoanalytischen Arbeit mit Frauen und wirbelt nebenbei die Organisationsstruktur der verschiedenen psychoanalytischen Vereinigungen des Landes durcheinander. Bedeutend ist der Beitrag der Psychoanalyse zur Gesundheitsversorgung des Landes. Leiser spricht von einer „beeindruckenden Öffnung des Krankheitsverständnisses auf das Gesellschaftliche hin“, was in Argentinien allerdings auch nicht verwundern kann. So sind Analytiker an den Therapieeinrichtungen beteiligt, die auf Initiative der „Großmütter der Plaza de Mayo“ dabei helfen, „den von den Mördern ihrer Eltern geraubten Kindern bei der Rückgewinnung ihrer Identität zu helfen“. Vor solchem Hintergrund versteht man leicht, dass auch der Lacanismus, als er in Argentinien Fuß fasst, einer Art Subjektwissenschaft mit der Orientierung auf Handlungsfähigkeit erstaunlich nahe kommt. Leiser spricht zwar wie alle Lacanianer von der Wehrlosigkeit der Subjekte, „die sich im Netz der Signifikanten verirrt haben“ und sich „an eine entfesselte Dynamik der symbolischen Strukturen ausgeliefert finden“ – das ist die Auffassung vom Unbewussten als einer Sprache, die man nicht ohne Linguistik und Mythenforschung à la Claude Lévi-Strauss begreift –, fügt aber hinzu, dass es darum gehe, dem Subjekt „die Verlagerung seiner Position in diesem Netz zu einem weniger erdrückenden Ort hin zu ermöglichen“.Mit eben dieser Botschaft war die Belgierin Maud Mannoni 1972 in Buenos Aires aufgetreten und hatte sie besonders auf die Kinderpsychoanalyse bezogen, die danach, zusammen mit Lacans Lehre überhaupt, in Argentinien einen Aufschwung erlebte. Sie bildet auch in Leisers Buch einen Schwerpunkt. Wir erfahren, dass das Kind in einen symbolischen Raum hineingeboren werde, den „Familienmythos“, in dem es sich zum Beispiel gezwungen sieht, mit der Zuschreibung als „zweiter Sohn“ fertigzuwerden, der „immer Probleme hat oder ins Gefängnis kommt“. Davor noch liegt das Erwachen in einem von der Mutter fantasierten Körper, dem das Kind den eigenen erst abgewinnen muss, der es aber, wenn alles gut läuft, auch schützt; die Hoffnungen der Mutter können handlungsfähig machen, aber auch irreleiten.Dass die Analyse mit Kindern über das kindliche Spiel läuft, hatten schon Anna Freud und Melanie Klein herausgefunden; der namhafte argentinische Kinderpsychoanalytiker Ricardo Rodulfo, der Lacan mit Foucault und Derrida zusammendenkt – er hat zu Leisers Buch ein Vorwort beigesteuert –, fordert auch zum Mitspielen des Analytikers auf und gibt damit der Kur eine bezeichnend strukturale, genauer gesagt „intertextuelle“ Wendung. Es ergeben sich nun nämlich aus den Übereinstimmungen und Abweichungen im Spiel des Kindes und des Erwachsenen die Deutung des Problems und der vielleicht mögliche Ausweg. Genauso gleichberechtigt beschreibt Leiser auch die Kur zwischen Erwachsenen: Um den Familienmythos des Klienten herauszufinden, muss der Analytiker seinen eigenen ins Spiel bringen.