Der Konflikt EU - USA um das Kyoto-Protokoll über die Reduzierung der Treibhaus-Gase ist mit Vorsicht zu genießen. Man könnte es zwar für vorteilhaft halten, dass ökologische Probleme, die sich so schlecht nach gängigen Mustern zuspitzen lassen, hier in eine Art Freund-Feind-Schema gegossen worden sind: Verglichen mit Amerika stellt Europa das ökologische im Unterschied zum antiökologischen Verhalten dar. Eine wunderbare Allegorie, vor allem wenn man selbst Europäer ist. Etwas wie ökologischer Sportsgeist kommt auf: 4 : 2 gegen die Griechen, und nun hat unser Kanzler dem Neuen in Washington gezeigt, dass "Europa selbstbewusster geworden ist" und sich die Absage an den Kyoto-Prozess nicht so einfach gefallen lassen wird. Wir in den Fernsehsesseln schreien "Tor"...
Dass der US-Präsident sich und sein Land über das ökologische Wohl des Planeten stellt, ist unstrittig, aber wenn Gerhard Schröder der Mann ist, der das kritisiert, bekomme ich eine Gänsehaut. Ist das nicht derselbe Kanzler, der in Deutschland 2003 die Ökosteuer einfrieren will? Und dringen nicht von Bush dieselben Töne über den Atlantik, die wir von Schröder, wenn er sich einmal ökologisch erklärt, ebenso kennen? Außerdem nimmt auch in fast allen westeuropäischen Staaten der Schadstoffausstoß zu. In den USA und in Japan wächst er viel stärker, aber der Verpflichtung, bis 2000 zum Emissionsniveau von 1990 zurückzukehren, sind auch die Europäer nicht nachgekommen. Diese Verpflichtung war selbst schon zu niedrig angesetzt angesichts der Gefahren, denen sie galt.
Und da soll es die Schlüsselfrage sein, wer das Kyoto-Protokoll ratifiziert und wer nicht? Bravo für "unsere" Regierung und nieder mit der amerikanischen? Warum nicht gleich die amerikanische Bevölkerung angreifen? Aber vergessen wir nicht: Bush hat im Wahlkampf ökologische Versprechen machen müssen. Um gewählt zu werden, hielt es Al Gore einst sogar für nötig, ein auch in Deutschland bewundertes Öko-Buch zu schreiben. Ja, die ökologische Bewegung selber ist in den USA entstanden und von dort erst nach Europa geschwappt. Lassen wir uns doch nicht im Regierungsschach als Bauern missbrauchen!
Eine realistische Betrachtung der Konfliktlage muss davon ausgehen, dass die Regierungen des reichen Nordens in ökologischen wie anderen Fragen dem Süden gegenüber gemeinsame Interessen haben, egal ob sie diesseits oder jenseits des Atlantiks residieren. Es wird viel zu wenig darüber gesprochen, dass die Klimakatastrophe den Norden ganz anders als den Süden trifft. Wenn sie nicht moralisch werden, können Europa und Nordamerika eigentlich ganz gut so weitermachen wie bisher. Ein bisschen mehr Wärme wird man verkraften. Die Flussdeltas lassen sich durch Deiche schützen. Wenn es für die Landwirtschaft hart wird, so ist doch deren ökonomische Bedeutung (Anteil der Landbevölkerung, Gewicht der Agrarproduktion innerhalb des Bruttosozialprodukts) nicht mehr sehr groß. In jeder dieser Hinsichten verhält es sich im Süden der Welt gerade umgekehrt. Der Süden kann nicht so weitermachen wie bisher - aber man zwingt ihn vielleicht dazu. Man hat ihn schon zu vielem gezwungen.
Nur vor dem Hintergrund der grundsätzlichen Interessenidentität des Nordens, wie sie von seinen Eliten verstanden wird, lässt sich der jetzt ausgetragene Interessenkonflikt zwischen der EU und den USA verstehen. Dann stellt er sich nämlich als Konflikt ökologischer Bremser untereinander dar, in dem jede Partei sich auch deshalb als "ökologische" ausgibt, weil sie Mitstreiter gewinnen will. Die Deutung von Alain Lipietz führt vielleicht weiter: Nordamerika und Japan sind direkt oder annähernd "Inselstaaten" - von Europa kann man das nicht sagen. Die Klimakatastrophe des Südens wird eine gigantische Emigrationsbewegung auslösen, von der die europäischen Regierungen sich viel bedrohter fühlen müssen als die Regierungen der "Inselstaaten", einfach weil Europa für Ökoflüchtlinge leichter zugänglich ist. Man darf ruhig unterstellen, dass die EU-Regierungen aus diesem Grund die Abwendung der Klimakatastrophe dringender wünschen als die amerikanische Regierung. Aber das Mindeste ist, dass sie einen solchen Wunsch zur Schau stellen müssen. Es ist absehbar, sie werden die Regierungen der afrikanischen Staaten dazu anhalten, die Probleme jeweils zuhause zu lösen und Flüchtlingsströme nicht herauszulassen; wohl ihnen, wenn sie dann das Image der Nächstenliebe, der ökologischen Kooperation haben. Die USA brauchen es nicht so nötig.
Wenn es jetzt heißt, Europa werde die USA isolieren und das Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls ohne und gegen sie betreiben, ja wenn eine Art ökologischer Handelskrieg angedroht wird - die USA sollen am internationalen Handel mit Verschmutzungslizenzen nicht teilnehmen dürfen; man denkt auch über generelle Handelssanktionen nach -, dann empfiehlt sich seitens der Ökologen eine differenzierte Reaktion. Das Protokoll in Kraft zu setzen, ist sicher nicht falsch. Der Schritt wäre auch dann nicht groß genug, wenn die USA teilnähmen, er wird besser als nichts sein, auch wenn sie nicht teilnehmen. Mag der Kyoto-Prozess sogar gänzlich scheitern, Deutschland hätte immer noch die Freiheit, sich so zu verhalten, als ob er weiterginge. Es kann sogar größere Anstrengungen auf sich nehmen als im Protokoll vorgesehen. Aber gegen aggressive Stimmen im europäisch-amerikanischen Verhältnis sollten wir uns verwahren. Wie soll das denn erst in der Jahrhundertmitte werden, wenn die EU und neben ihr die USA mit der Ausbeutung der letzten Ölquellen im Kaspischen Raum beginnen?
Wir sollten deshalb auch die angedachten Sanktionserwägungen nicht gutheißen. Und was den Handel mit Verschmutzungslizenzen angeht, so ist er mit und ohne amerikanische Beteiligung zur Zeit von Übel. Denn es besteht die Gefahr, dass er als Mittel eingesetzt wird, den armen Ländern des Südens das Recht auf Industrialisierung abzukaufen.
Statt sich in einen neuen Kalten Krieg einspannen zu lassen, diesmal zur Abwechslung zwischen zwei kapitalistischen Supermächten, sollten deren Bewohner immer jeweils die eigene Regierung ökologisch kritisieren. In den USA wird es schon auch kritische Menschen geben, mit ihnen lässt sich zusammenarbeiten. Hierzulande ist Gerhard Schröder der Ansprechpartner. Wie will er das Kyoto-Protokoll realisieren, wenn die Ökosteuer nach 2003 nicht weiter ansteigen soll? Hat er andere Mechanismen in petto, die ebenso wirksam oder noch wirksamer sind? Warum nennt er sie nicht? Wenn wir denn eine Personifizierung des ökologisch Bösen brauchen: der Versuch von Rot-Grün, solche Fragen zu vernebeln und deren Behandlung auf die nächste Koalitionsverhandlung zu vertagen - also auf den nächsten Ohnmachts-Zeitpunkt der Wahlbevölkerung -, bietet sich hinreichend an.
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