Benedikt XVI. und die Bruderschaft des Schweigens

Israel Der Papst schweigt auf seinem Besuch in Israel zu wichtigen Fragen und ordnet die Judenvernichtung stattdessen in einen göttlichen Heilsplan ein

Benedikt in Jad Vaschem, dem Mahnmal der Judenvernichtung – viele waren enttäuscht. Sie hätten gern gewusst: Warum hat Pius XII. seinerzeit zu den Deporta­tionen geschwiegen? Wie nimmt ein deutscher Papst dazu Stellung? Warum will er Pius gar heilig sprechen lassen? Wie erklärt er seine ­Versöhnungsgespräche mit der Pius- Bruderschaft? Kein Wort zu alledem.

Für Benedikt ist Auschwitz ein Ereignis in Gottes Heilsplan. Ein schreckliches sicher, in dem aber doch nur der „Glaube“ der Vergasten „geprüft“ wurde. Wie andere, „wie Jakob wurden auch sie in den Kampf eingetaucht, um die Pläne des Allmächtigen zu erkennen“, sagt er in seiner Rede. Wie das ein Deutscher, Papst oder nicht, über die Lippen bringt, ohne dass ihm die Zähne aus dem Mund fallen, ist schleierhaft. Heißt das: Gottes Wege sind unerforschlich? Irgendeinen guten Sinn wird letztlich auch Auschwitz gehabt haben? Die Vergasten waren die ersten, die Gelegenheit hatten, darüber nachzudenken?

„Wie Jakob“: Es ist eine Anspielung auf Jakobs Kampf mit Gott, der sich ereignete, als er des Nachts mit seiner Familie einen Fluss überquerte. Ein Mann, der Gott ist, stellt sich ihm in den Weg, renkt ihm das Hüftgelenk aus, kann ihn jedoch nicht besiegen. „Der Mann sagte: Lass mich los; denn die Morgenröte ist aufgestiegen. Jakob aber entgegnete: Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.“ Daraufhin wird ihm der Name Israel, „Gottesstreiter“, zugesprochen, und er denkt: „Ich habe Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen.“

Würde ein jüdischer Theologe Auschwitz so einordnen, könnte man es interessant finden. Aber wenn ein Christ so spricht, ist es ein Skandal. Denn es bedeutet nicht weniger, als dass Auschwitz mit der Existenz des Christentums überhaupt nichts zu tun habe. Als Jakob mit Gott kämpfte, gab es noch kein Christentum. Als Juden in Auschwitz vergast wurden, geschah es in einer christlichen Kultur, und man konnte die Henker sehr gut aus der Geschichte, die das Christentum genommen hatte, erklären. Und es geschah, ohne dass der damalige Papst laut protestierte. Und so wenig wie Pius XII. durfte jetzt Benedikt XVI. zu dieser Wendung einer „Heilsgeschichte“ schweigen, in der doch angeblich mit Christus der endgültige Durchbruch zum Besseren schon gelungen war.

„In den Kampf eingetaucht“ waren die in Auschwitz Ermordeten nach Benedikts Worten. Das soll wohl heißen, es ist eine Art Taufe an ihnen vollzogen worden. Taufe, sonst eine symbolische ­Tötung – man wird in Christi „Tod hineingetauft“, schreibt Paulus –, wäre hier ganz real geworden, nur dass die Gaskammern nicht versprachen, was Täuflingen sonst versprochen wird, nämlich das Erwachen in ein neues Leben hinein. Ja, warum wollte denn Pius XII. nicht „in den Kampf eintauchen“? Warum forderte er seine Kirche nicht auf, im Widerstand gegen Hitler das Kreuz auf sich zu nehmen? Warum sollten es stattdessen die Juden tun? Auschwitz als heilsgeschichtliches Ereignis, müsste das nicht mindestens heißen, dass Christus als ­Repräsentant des jüdischen Gottesvolks zum zweiten Mal gekreuzigt wurde? Und dass somit das Christentum falsifiziert worden ist? Den Stellvertreter Christi kann das nicht erschüttern. Er stellt sich hin und ermuntert quasi die Juden, in ihrem Ringen mit Gott nicht nachzulassen. Wenn das der Zustand der Kirche ist, dann soll man auch nicht enttäuscht sein über die Reden ihrer Päpste, sondern soll ihr eine große Katastrophe wünschen, in der ihr auch einmal eine Hüfte ausgerenkt wird und sie sich endlich eines Besseren besinnt.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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