Beschränkt flugtauglich

WESTLB-AFFÄRE Über den gedankenlosen Umgang einer Politikergeneration mit dem Privaten

Der Umfang der Anderkonten-Affäre nimmt fast wöchentlich zu: jetzt spricht die hessische CDU von 20,8 statt acht Millionen Mark, die sie verheimlicht habe. Was sind da schon, möchte man fragen, die paar Privatflüge, die sich die SPD-Genossen an der Macht, Glogowski, Schleußer und wohl auch Rau, geleistet haben? Wenn manche in der CDU fordern, nach Schleußer müsse Rau zurücktreten, erscheint das wie eine allzu billige Retourkutsche - aber Vorsicht.

Zunächst muss man feststellen: Es spricht tatsächlich viel dafür, dass Schleußer sich keines anderen Vergehens schuldig gemacht hat als Rau. Dieselbe Sabine Wichmann, Chefin einer Charterfirma, die Schleußer zu dem Geständnis zwang, er habe seine Freundin auf Kosten der WestLB nach Split mitgenommen, hat Rau mit ebenso präzisen Angaben beschuldigt. Zum Beispiel habe er sich an die Nordseeküste fliegen lassen, um eine Fähre zur Urlaubsinsel Spiekeroog nicht zu verpassen. Die Flüge zu Helmut Schmidts 75. Geburtstag und von da aus zum Weihnachtsurlaub mit seiner Familie räumt Rau selbst ein. Soll das als korrekt gelten, weil er zur Ehefrau strebte, statt eine Freundin zu haben? Es war die SPD selber, die Schleußers Rücktritt begrüßte, sie müsste nun auch Raus Rücktritt angemessen finden.

Die Affären der CDU und der SPD sind verschieden, aber deshalb nicht unvergleichlich. Der quantitative Vergleich kann doch nicht allein ausschlaggebend sein. Sicher, die hessische CDU ließ sich in zweistelliger Millionenhöhe aushelfen, während für zwei Privatflüge von Schleußer, die nicht seine einzigen waren, "nur" 26 000 Mark berechnet wurden. Aber in beiden Fällen wird die Demokratie hintergangen. Und zwar von der CDU anders als von der SPD. Weshalb hat die CDU so viel Geld, das sie verheimlichen muss? Weil sie sich von der Industrie bezahlen lässt. Indem sie mit diesem Geld ihre Wahlkämpfe zu gewinnen sucht, behandelt sie die Verfassung, nach der demokratische Parteien chancengleich sein müssten, als Fassade. Die SPD hat auf andere, gemütlichere und deshalb, so scheint es leicht, auf weniger gefährliche Art geschummelt. Die Flüge von Glogowski, Schleußer und Rau zeigen uns Menschen, die privat und politisch nicht trennen konnten.

Eine gewisse Tragik ist dieser Sphärenvermischung nicht abzusprechen. Gewählt, um eine Funktion auszuüben, sollten sie doch auch als Persönlichkeiten glänzen. Wenn es den Zusatz des Privaten, möglichst noch zum Charisma gesteigert, über den bloßen Funktionsträger hinaus nicht gäbe, würde der Wahl und damit dem Kern des demokratischen Mechanismus etwas fehlen. Und nun sollen diese Menschen, einmal zur Macht gelangt, imstande sein, ihr Privatleben und ihr Funktionieren wie zwei Schneiden eines Schwerts auseinander zu halten? Raus Generation konnte das noch nicht. Der frühere Ministerpräsident hat Landespolitik selber als Privatsache und Familienangelegenheit vorgeführt. Sein Rechtsanwalt sagt, es sei ein Markenzeichen von Raus Regierungsstil gewesen, private Ereignisse, zum Beispiel Geburtstage, zu "bedenken" und damit Politik zu machen. Gute Politik wurde auch durch gute Laune im Kabinett erreicht, also etwa durch nette Flugmöglichkeiten, die gewiss viel eher versöhnend als spaltend auf die Ministerriege gewirkt haben müssen. Nur, wer hat bezahlt? Die Westdeutsche Landesbank, ein Unternehmen, das zu 43,2 Prozent dem Land Nordrhein-Westfalen gehört. Zuletzt also der Steuerzahler. Und das bedeutet, diese Menschen haben sich nicht wie Demokraten, sondern wie absolutistische Könige verhalten. Schöne Flüge statt schöner Schlösser, wo ist da der Unterschied, außer dass Schlösser weniger modern und dafür wirklich schöner waren?

Auch die SPD missbraucht also die Demokratie als Fassade. Weil es verschiedene Fälle von Missbrauch sind, konkurrieren sie miteinander und decken sich gegenseitig auf. Die Demokratie bleibt siegreich. Das ist wundervoll. Aber wir müssen noch fragen, was an die Stelle der aufgedeckten Verstöße tritt.

Es tritt die Berliner an die Stelle der Bonner Republik. Schleußer und Kanther, Kohl und Rau sind Repräsentanten des Alten, das jetzt ruhmlos und viel schneller als erwartet vergeht. An den neuen Ufern stehen Leute wie Bundeskanzler Schröder, Außenminister Fischer und Ministerpräsident Koch. Der letztere zeigt einen erstaunlich gnadenlosen Aufdeckungseifer gegen die alte CDU. Da beginnt etwas, aber was? Der Prototyp des neuen Charismatikers dürfte Schröder sein. Man könne das Land nicht gegen das Kapital regieren, hat er erklärt. Als alter Juso weiß er, das steht zwar nicht in der Verfassung, gehört aber gleichwohl zum Funktionieren des Staates. Er sagt offen, wofür er funktioniert, und hat eine Focus-Journalistin geheiratet. Funktion und Privatheit erläutern sich hier wechselseitig. Bei Joschka Fischer ist diese Angleichung so weit gegangen, dass er sich sogar einen neuen funktionstauglichen Körper zugelegt hat. Diese Menschen sind modern genug, um - wenn sie funktionieren - auf Spenden und andere Rechtsbrüche glatt verzichten zu können. Und so wird es wohl auch die CDU in Zukunft halten.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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