Der Ausgang der Personalquerelen in der CDU kann auch denen, die von andern Ufern aus zuschauen, nicht gleichgültig sein. Den Grund hat Kanzler Schröder sehr allgemein formuliert: Weil eine Demokratie eine starke Opposition braucht. Das ist immer wahr. Die Frage stellt sich zugleich viel konkreter. In welche Richtung wird sich der Konservatismus erneuern? Welches Vorbild gibt die CDU/CSU den europäischen Schwesterparteien? Macht sie wie in Österreich den rassistischen Rechtspopulismus salonfähig, sät sie gar selber fremdenfeindlichen Hass, um derart das Kanzleramt zurückzuerobern? Dass es ganz unmittelbar um diese Frage geht, ersieht man aus der Hauptfront, die nach Schäubles Rücktritt sofort zutage getreten ist: Edmund Stoiber gegen Angela Merkel. Der bayerische Ministerpräsident hatte der ÖVP geraten, mit Jörg Haiders FPÖ zu koalieren.
Gegen den schnellen Wunsch vieler CDU-Politiker, Frau Merkel zur neuen Vorsitzenden auszurufen, wandte er sich entschieden. Die Ost-Frau sei keine geeignete Integrationsfigur für Ost und West, Nord und Süd, ist sein erstes Argument. Sein zweites: Weil die zukünftige Parteilinie sorgfältig überlegt werden müsse, brauche die CDU jetzt eher einen Übergangsvorsitzenden. Und das dritte: Von Frau Merkel sei zu viel Wandel zu befürchten, ein »Linksruck«, wie sein Generalsekretär Goppel formuliert. Frau Merkel ihrerseits tritt zwar nicht gegen Stoiber auf, doch weiß man, ein Haider-Kurs wäre mit ihr nicht zu machen. Vor einem Jahr wollte sie die Unterschriften-Aktion gegen den Doppelpass verhindern, die sich Wolfgang Schäuble von Stoiber aufschwatzen ließ.
Man hätte eher eine andere Hauptfront erwartet: hier die jungen neoliberalen Wilden, da die alten Sozialstaats-Verteidiger - Christian Wulff gegen Norbert Blüm. Doch so ökonomistisch rollt Parteipolitik nicht ab. Der niedersächsische CDU-Vorsitzende Wulff stellt sich hinter Frau Merkel. Er will für seinen Neoliberalismus keinen bayerischen Überbau. Die Front, um die es wirklich geht, lässt sich einer Umfrage entnehmen, die der Spiegel veröffentlichte: 42 Prozent der befragten CDU-Anhänger finden es richtig, dass ihre Partei wegen des Spendenskandals 41,3 Millionen Mark an den Staat zurückzahlen muss. Vier Prozent meinen, der Betrag sei noch zu niedrig bemessen. Macht zusammen 46 Prozent. Exakt ebenso viele halten den Betrag für zu hoch.
Was spricht denn für Frau Merkel? Damit, dass sie zur Aufklärung des Skandals gedrängt hat und die erste war, die deutlich für die Abkehr der Union von Kohl eintrat, ist sie schon einmal der ersten Hälfte der Befragten sympathisch. Aber weil sie sich auch als Profi erweist, hat sie ebenso der zweiten Hälfte etwas zu bieten: sie war es, die eine Klage gegen den Rückzahlungserlass ankündigte. Viele CDU-Politiker hatten Schäuble vorgeworfen, er könne die so stark bedrohte Partei nicht verteidigen, sondern schwäche sie nur durch Schuldbekenntnisse. Frau Merkel kann Bekenntnis und Verteidigung vereinbaren. Aber man kann ihre starke Position hierauf nicht reduzieren. Sie versteht nicht nur das politische Geschäft, sondern formuliert auch Themen einer »neuen CDU« - eine »neue Soziale Marktwirtschaft«, die Wiederbelebung des »C« im Parteinamen.
Wie stark sie ist, wird aber erst dann richtig erkennbar, wenn man die Umbruchsphase, in der sich die Union befindet, mit dem entsprechenden Vorgang nach dem Machtverlust 1969 vergleicht. Damals kam es zum Konflikt zwischen Erneuerern und altem Partei-Establishment, und einem solchen steht auch Frau Merkel gegenüber. Denn Stoiber ist nicht allein. Seine Taktik wird einerseits von den Landesministerpräsidenten der CDU unterstützt. Biedenkopf und Vogel, die in Ostdeutschland regieren, hat er als mögliche Übergangsvorsitzende ins Gespräch gebracht: sie lassen es sich gefallen. Andererseits arbeitet er auch mit seinen Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur zusammen, sofern sie ebenfalls dem Establishment angehören. Wesentlich ihm verdankt Volker Rühe die Verschiebung der Neuwahl der Fraktionsführung in die Woche nach der Wahl in Schleswig-Holstein, die andernfalls seine bundespolitische Karriere begraben hätte. Denn da er dort Ministerpräsident werden will, darf er nicht vorher eine Funktion im Bundestag übernehmen, und zugleich hat er auch in Schleswig-Holstein keine Chance. Frau Merkel gegen das Partei-Establishment: da hat sie viele Feinde - aber die Erfahrung lehrt, dass zuletzt gerade das Establishment verliert, wenn es gilt, eine Partei, die am Boden liegt, für künftige Wahlsiege wieder flott zu kriegen.
Jetzt scheint die Stunde der Basis gekommen zu sein. Frau Merkel hat schon Unterstützung in Landesversammlungen Hamburgs, Niedersachsens und Sachsen-Anhalts, aber auch in Baden-Württemberg gefunden. Sie, die »Ost-Frau«! Was spricht da eigentlich für Stoibers Behauptung, sie sei keine Integrationsfigur? Und warum sollen nur alte Männer wie Biedenkopf und Vogel einen Übergangs-Vorsitz ausfüllen können? Die optimale Übergangsvorsitzende hieße doch Angela Merkel. Was Stoiber sich unter Übergang vorstellt, ist von der Sicht des Establishments geprägt. Der Übergang soll von Schäuble zu Rüttgers, Rühe und ihm, zuletzt ganz einfach zu ihm führen. In dieser Sicht wird er deshalb erforderlich, weil der Kampf zwischen diesen Westmännern der Ära Kohl nicht überstürzt entbrennen soll. Da wäre jemand wie Vogel geeignet, der nichts täte, als den Platz warm zu halten. Die Partei wird jedoch erkennen, dass sie etwas anderes braucht, einen Übergangsvorsitzenden, wie ihn die SPD in Lafontaine hatte: jemanden, der entschlossen nach einem neuen Weg sucht, ohne ihn schon, wie es einem Kanzlerkandidaten ansteht, komplett gefunden zu haben - radikale Suchhaltung als Integrationsklammer gerade in einer Umbruchsphase.
Mit dem dritten Argument gegen Frau Merkel liegen die Bayern richtig: sie ist »linker« als Stoiber. Vor allem deshalb würden auch Beobachter außerhalb der Union ihre Wahl begrüßen. Sich mit Rüttgers und Rühe zusammenzutun, warum soll ihr das nicht ebenso gelingen wie dem bayerischen Ministerpräsidenten? Aber mit dessen möglicher Kanzlerkandidatur wäre es vorbei.
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