Brief aus Japan

Atomenergie Japan geht nicht zur Tagesordnung über. Die Lage dort wird in deutschen Medien oft verzerrt dargestellt.

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Wie schon früher einmal gebe ich eine Passage aus einem Brief weiter, von Prof. Reinold Ophuels-Kashima, der in Tokio lehrt, am 8. Juni. In deutschen Medien wird oft der Eindruck erweckt, als sei die Atomkraft überall im Vormarsch, nur in Deutschland nicht. Selbst in Japan sei sie wieder im Vormarsch. Aber:

"Was die Atomkraft in Japan angeht, so gibt es in Deutschland of eine recht verzerrende Berichterstattung (das gilt wohl inzwischen für alle Bereiche). Im Moment ist kein einziges AKW am Netz. Es ist zwar richtig, dass die konservative Regierung eine Reihe von AKW wieder hochfahren lassen will, aber ob dies so einfach gelingt, ist nicht gesagt. Bisher wurden seit dem 11. 3. 2011 überhaupt erst wieder Reaktoren in zwei AKW für ein halbes Jahr hochgefahren, 2011 Tomari auf Hokkaido und 2013 Oi im Westen Japans (Präfektur Fukui). Gerade hat ein Gericht in Fukui das Wiederhochfahren zweier Reaktoren in Oi aus Sicherheitsgründen untersagt. Natürlich heißt das nicht, dass es dabei bleiben wird, aber es ist nicht so, dass Japan einfach wieder zur Tagesordnung übergangen ist.

In Deutschland wurde bei der Wahl des neuen Gouverneurs von Tokyo am 9. Februar 2014 behauptet, dass ein Befürworter der Atomkraft die Wahl gewonnen habe. Das ist so nicht richtig. Yoichi Kakizoe, ein Liberal-Konservativer, ist Befürworter eines mittelfristigen Ausstiegs aus der Atomkraft. Das ist zwar eine windelweiche Position, die das Wiederhochfahren von AKW mit einschließen kann, aber sie unterscheidet sich doch deutlich von der der Regierung. Die beiden Kandidaten, die einen sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie forderten - der linke Kenji Utsunomiya, der von den Kommunisten, Sozialisten und kleineren grünen Gruppen unterstützt wurde, sowie der ehemalige Ministerpräsident Motohiro Hosokawa, den der ehemalige konservative, offensiv neoliberale Ministerpräsident Koizumi unterstützte, erhielten beide um die 20% und also zusammen knapp 40% der Stimmen.

Die auch für japanische Verhältnisse ziemlich rechte Regierung hat ein Energiekonzept vorgelegt, nach dem die Atomkraft weiterhin eine wichtige Rolle als Energiequelle spielen soll. Nach einer Umfrage haben 95% der Befragten dieses Konzept abgelehnt - zu viel Atomkraft, zu wenig erneuerbare Energien. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung lehnt inzwischen die Atomkraft ab, wobei es sowohl Anhänger eines sofortigen Ausstiegs gibt als auch solche, die eher für einen mittelfristigen Ausstieg eintreten.

Insgesamt ähnelt die Situation sehr stark der Situation in Deutschland nach Tschernobyl, und ich denke, dass die Entwicklung auch in eine ähnliche Richtung geht. Wenn einfach die Uralt-AKW nicht mehr hochgefahren, sondern sofort zum Abbau frei gegeben würden, wäre die Atomkraft in Japan schon fast halbiert und die Gefahr weiterer Havarieren deutlich reduziert. Grundsätzlich darf ja sowieso nur die Hälfte aller Reaktoren ans Netz."

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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