Bücherverbrennung 1933: Arische Zerstörungslust kennt kein Maß
Zeitgeschichte 10. Mai 1933, Berliner Opernplatz: Bücherverbrennung. Anders als es teilweise bis heute suggeriert wird, waren Bücherverbrennungen unter den Nationalsozialisten keine Akte des Volkszorns. Vielmehr zeugten sie von enormer Skrupellosigkeit
„Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“
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In einem arte-Film über die Bücherverbrennung der Nazis am 10. Mai 1933 entsteht der Eindruck, die Aktion sei ganz spontan gewesen, systematisch geplant zwar, aber nicht vom NS-Staat in die Wege geleitet – und das so kurz nach der Machtergreifung, dass man ein Bild der Volksstimmung zu dieser Zeit darin sehen müsse. Die Akteure waren ja Studenten, bei allen Verbrennungsaktionen zwischen März und Oktober 1933 haben viele zugeschaut, und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels schien mit all dem nicht viel zu tun zu haben: Erst um Mitternacht ließ er sich am 10. Mai auf dem Berliner Opernplatz (heute August-Bebel-Platz) sehen und hielt eine Rede, während die Bücher – von August Bebel und Rosa Luxemburg, Irmgard Keun und Anna Seghers, Hannah Are
Arendt und Gertrud von le Fort, Sigmund Freud und Robert Musil, Heinrich Mann, Nelly Sachs, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky und vielen anderen – schon seit 23 Uhr brannten. In Wahrheit hatte er die ganze Aktion geleitet.Wie der spätere Rechtsprofessor Hans-Wolfgang Strätz 1968 in der ersten umfassenden Darstellung der Ereignisfolge herausarbeitete, kann kaum daran gezweifelt werden, dass die Planung aller Aktionen von Goebbels’ Ministerium ausging, das erst am 13. März 1933 eingerichtet worden war. Dieses Ministerium wies den Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann an – der kein Nazi, vielmehr nur national gesinnt war, wie der arte-Film betont –, eine Aktion „zur Verbrennung der marxistischen und jüdischen Bücher einzuleiten“. Herrmann stellte daher noch in der zweiten Märzhälfte „schwarze Listen“ zusammen, die vier Wochen später, nachdem sie vom „Kampfbund für deutsche Kultur“ (den der NS-Chefideologe Alfred Rosenberg 1928 gegründet hatte) ergänzt worden waren, den „Studentenschaften“ der Hochschulen übergeben wurden.Die Deutsche Studentenschaft (DSt), Dachorganisation der Studentenausschüsse aller deutschen Hochschulen, wurde bereits am 6. April tätig. Sie bereitete die Studierenden in einem ersten Rundschreiben auf die kommenden Aktionen vor und gab ihnen die Gründung ihres „Hauptamtes für Presse und Propaganda“ bekannt. Am selben Tag wurden etwa 60 Schriftsteller angeschrieben, um ihnen die Etappen der geplanten Kampagne mitzuteilen – am 12. April den öffentlichen Anschlag von zwölf Thesen „Wider den undeutschen Geist“, der als Entwurf schon beigefügt werden konnte, dann „in ständiger Steigerung“ die mediale Propaganda, schließlich am 10. Mai der Höhepunkt – und sie um Aufsätze zu bitten, mit denen sich die Kampagne füttern ließ. Soll man daraus schließen, dass sie dieselbe Politik, die das Goebbels-Ministerium befahl, unabhängig davon aus eigenem Antrieb erfand? Das ist kaum wahrscheinlich, zumal man wissen muss, dass die DSt schon seit 1931 unter nationalsozialistischer Führung stand. Wie Strätz einleuchtend rekonstruiert, wird die Kunde vom Vorhaben des Ministeriums über interne Kanäle der Nazi-Partei in die DSt gelangt sein. Und die hatte Anlass, das Ganze schnell in die eigene Hand zu nehmen, um dem neben ihr bestehenden Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NDStB) zuvorzukommen. Es zeichnete sich bereits ab, dass DSt und NDStB unter dessen Führung vereinigt werden sollten. Dagegen wehrte sich die DSt und versuchte, sich selbst „bei den Staats- und Parteiführern in günstiges Licht zu rücken“ (Strätz).Man mag es paradox finden, dass hier Nazis gegen Nazis kämpften, aber gerade diese Paradoxie ist das Wichtige an der Sache. Wir sehen daran, dass ein grundlegender Zug der Nazi-Herrschaft, wie er später in der großen Hitler-Biografie von Ian Kershaw erklärt wurde, gleich in den ersten Monaten Gestalt annahm: Es gab in diesem Gebilde überhaupt keinen Bereich, bis zum Ende nicht, für den nicht immer mehrere Stellen zugleich zuständig waren. Das führte zur steten Konkurrenz und die Konkurrenz zur Eskalation im Bemühen, auf die Frage, wie es wohl Adolf Hitler am liebsten hätte, immer furchtbarere Antworten zu geben. Der „Führer“ hat ja nicht einmal in den Dokumenten zur Planung von Auschwitz eine Spur hinterlassen, und so fällt es bereits schwer, den Quell und wahren Beginn der Bücherverbrennung zu lokalisieren.Auschwitz und die Bücherverbrennung – wie das zusammenhängt, hat bekanntlich schon Heinrich Heine vorausgeahnt. „Dies war ein Vorspiel nur“, schreibt er 1821; „dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Der Satz aus seiner Tragödie Almansor bezieht sich zwar auf eine mittelalterliche Koran-Verbrennung durch christliche Ritter im vormals maurischen Granada, doch wird er auch die Bücherverbrennung beim studentischen Wartburgfest 1817 im Auge gehabt haben. In dessen Kontinuität sahen sich die Nazi-Studenten 1933, doch es bestanden Unterschiede. 1817 beim sogenannten „Feuergericht über undeutsche und volksfeindliche Schriften“ wurden nämlich, wie Hans-Wolfgang Strätz in Erinnerung ruft, „nicht Bücher, sondern nur altes Druckpapier verbrannt, auf dem die Namen der Autoren und die Titel der Werke verzeichnet waren“; das sollte ein Symbol sein und war so schon, aus dem von Heine genannten Grund, schlimm genug. Bei den Nazis war es freilich kein bloßes Symbol. Oder wenn, dann dafür, dass sie von Anfang an planten, die indizierten Bücher ganz aus dem Verkehr zu ziehen, die Autorinnen und Autoren zu verfolgen und viele von ihnen zu ermorden.Man kann noch weiter gehen: Die Wartburg-Studenten waren Deutschnationalisten, die „Nationalsozialisten“ jedoch, darauf hat Hannah Arendt mit Recht hingewiesen, waren weder sozialistisch noch national gesinnt, sondern haben ihr wahres Anliegen, den Arier-Rassismus, mit beiden Namensbestandteilen verhüllt, um erst einmal genügend Anhänger gewinnen und die Macht ergreifen zu können.Von den Bücherverbrennungen 1933, beim Wartburgfest 1817 und im mittelalterlichen Spanien zu wissen, gehört zur Allgemeinbildung, aber es hat eigentlich fast ununterbrochen welche gegeben. Auch in der Bundesrepublik Deutschland: So empfahl 1958 eine katholische Volksschule ihren Schülerinnen und Schülern, „geistlose Schundliteratur dem Martinsfeuer anzuvertrauen“, und 1965 verbrannten „Entschiedene Christen“ in Düsseldorf neben Groschenromanen und Sex-Literatur auch Bücher von Albert Camus, Günter Grass, Erich Kästner (dessen Bücher schon 1933 auf den NS-Scheiterhaufen loderten) und Vladimir Nabokov. In den USA wurden die Harry-Potter-Romane von Evangelikalen, in Polen von Katholiken verbrannt, weil in ihnen gezaubert wird. In Israel haben 2008 Talmud-Schüler Neue Testamente, in Afghanistan 2012 US-Soldaten Koran-Exemplare verbrannt. Natürlich sind auch Salman Rushdies Satanische Verse von Muslimen verbrannt worden. Das sind nur wenige Beispiele. Ein Ende dieser unmenschlichen Akte, in denen immer auch die Drohung liegt, es könnten – wie in dem Film Fahrenheit 451 – überhaupt alle Bücher verboten und verbrannt werden, ist leider gar nicht abzusehen.Was jedoch am 10. Mai 1933 geschah, war für die Nazis kein Sieg, sondern eher ein Bumerang. So gab es am selben Tag in New York eine Protestkundgebung, an der sich Hunderttausend beteiligten, und ein niederländischer Radiosender ließ aus den verbotenen Büchern vorlesen. Von deutschen Exilautoren wurde der 10. Mai zum „Tag des verbrannten Buches“ erklärt, 1942 in New York eine Ausstellung mit den verbotenen und „verbrannten“ Büchern veranstaltet. Kurzum, der Gewaltakt der Nazis verschaffte den Büchern – nicht allen, aber vielen herausragenden – eine große internationale Öffentlichkeit. Nach 1945 wurden diese Werke in Deutschland zum Kern des literarischen Kanons. Insofern haben die Nazis mit ihrer Bücherverbrennung Ähnliches bewirkt wie mit ihren viel besuchten Ausstellungen über „Entartete Kunst“: ein großes deutsches Publikum mit dem bekannt zu machen, was es einmal als authentisches Zeugnis der Zeit erleben würde.