Caligari zaubert keine Vision

Parteitag der PDS in Potsdam Beobachtungen im Filmpark Babelsberg

Das Heil kommt aus Thüringen. In der PDS scheint ein Gesetz wirksam, dass von dort die neuen Parteivorsitzenden erwartet werden. Der erste Versuch scheiterte mit Gabi Zimmer, die den Stab an Lothar Bisky zurückgeben musste. Jetzt läuft sich derjenige warm, der Zimmer in Erfurt beerbt hat, vorerst als Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag: Bodo Ramelow. Das wurde zwar nirgends so verkündet. Doch wenn jemand so gewaltig spricht und agiert, dass Beobachter sich verwirrt fragen: "Mit welcher Vollmacht tut er das?", dann darf auf den Drang nach Höherem und wohl auch auf entsprechende Absprachen geschlossen werden. Bisky, der mit viel Zustimmung wiedergewählt wurde, wird gleichwohl nicht ewig ausharren wollen.

Dem Parteitag in der Caligari-Halle des Filmparks Potsdam-Babelsberg lag ein Papier vor, in dem Ramelow für einen "Gesellschaftsvertrag 21" wirbt. Es fasst bekannte PDS-Positionen zusammen, doch eben dies, dass ein Einzelner sich so umfassend positioniert unter einer Überschrift, die man aus Gysis neunziger Jahren kennt, macht hellhörig. Auffallend auch die inhaltliche Übereinstimmung seiner Parteitagsrede am Samstag mit Gysis umjubelter Sonntags-Rede: Beide forderten mehr deutsche Ost-West-Einheit auch durch mehr Übernahme von Errungenschaften der DDR. Und wer noch glaubte, er habe sich verhört, als Ramelow knapp bemerkte, es müsse eine Debatte um eine neue deutsche Verfassung beginnen, dem wurde es am Sonntag von Gysi erläutert: Die Ostdeutschen hätten sich 1990 über das Grundgesetz aus dem Westen gefreut, doch den Westdeutschen sei ein analoger Genuss verwehrt worden, weil statt des im Grundgesetz vorgesehenen verfassungsrechtlichen Neuanfangs nur der ostdeutsche Beitritt vollzogen wurde.

Die Parallelaktion Ramelow-Gysi ist sicher nicht dem Kopf zweier Einzelgänger entsprungen, setzt sie sich doch mit dem Hauptproblem der PDS-Strategie auseinander: der Frage, wie der Wiedereinzug in den Bundestag durch Stimmen auch im Westen gesichert werden kann. In früheren Zeiten wurde geantwortet, man vertrete nicht nur ostdeutsche Interessen, sondern der Anspruch, Partei des Sozialismus zu sein, sei gesamtdeutsch und helfe einem Mangel gerade im Westen ab. Das ist vorbei. Vom Sozialismus ist keine Rede mehr, vielmehr vertritt man jetzt neben ostdeutschen auch westdeutsche Interessen. Bisky betont es in seiner Grundsatzrede: Die ostdeutschen Probleme sind solche der ganzen Gesellschaft. Wer´s nicht glaubt, denke an die "Agenda 2010". Hartz IV, das der PDS die jüngsten Wahlerfolge bescherte, wird nicht zum Anlass des Entwurfs einer anderen, eben sozialistischen Gesellschaft genommen, sondern nur sehr kräftig gegeißelt und mit der Gegenforderung höherer Arbeitslosenbezüge konterkariert. Das sollte doch im Westen auf offene Ohren stoßen. Deshalb bildet sich dort ja eine neue Partei, die Wahlalternative. Ramelow spricht grell von der "Blutspur der Verwüstung", die sich durch die Arbeitsverhältnisse ziehe; ein Umstürzler ist er dennoch nicht.

Alle sind einig, man wird der Wahlalternative das westdeutsche Feld nicht überlassen. Der gute Wille zur Zusammenarbeit mit ihr wird zwar häufig betont. Nur einer, der Europaparlamentarier Helmuth Markov, lässt sich zu der polemischen Floskel hinreißen, die Wahlalternative könne doch nicht "links gegen uns protestieren und rechts von uns Stimmen sammeln". Aber da liegt der Hase im Pfeffer: Die Wahlalternative, selbst wenn sie nicht viel davon spricht, muss von der PDS tatsächlich als linker Protest gegen die eigene Mitverantwortung an Hartz IV empfunden werden. Die Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf zieht sich wie ein roter Faden durch die Parteitags-Debatte.

Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform macht ihn sich faktisch zu Eigen: Die PDS sei Protestpartei und zugleich angepasste Partei. Sie ist ja an zwei Landesregierungen beteiligt. Brombacher kann und will nicht begreifen, weshalb ihre Partei die Anhebung der Berliner Kita-Gebühren, die Verteuerung des Sozialtickets um ein Drittel und andere Grausamkeiten, die sie lang aufzählt, soll mittragen müssen. "Was in der Sache schlecht ist, sollte man nicht unbedingt gut umsetzen wollen." Ihre Rede wird mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgt. Doch den weit größeren Beifall erhält die Berliner Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner, die dasselbe verteuerte Sozialticket als Erfolgsbeleg wertet, weil es eine Zeitlang gar nicht mehr existierte und nun wieder eingeführt worden ist. Hartz IV werde gar nicht vom Senat umgesetzt, sondern von der Bundesanstalt für Arbeit, behauptet sie etwas an der Wahrheit vorbei (die Umsetzung wird zwischen dieser Anstalt und der jeweiligen kommunalen Verwaltung ausgehandelt). Natürlich geht es um gute Umsetzung, auch wenn sie es nicht so nennen will: Man werde verhindern, dass die Ein-Euro-Jobs zur Zwangsarbeit verkommen, und sie würden "aufgewertet", indem man für die Beteiligten Qualifizierungsmaßnahmen durchsetze und reguläre Anschlussjobs für sie organisiere. "Sollen wir das alles lassen, Ellen?"

Auf dem grünen Parteitag vor ein paar Wochen hatte es ganz ähnlich geklungen. Auch die Grünen halten sich ja für unschuldig an Hartz IV. Und auch die SPD sagt, sie habe sich eben leider mit der Union einigen müssen. Und selbst die Christdemokraten haben ihre frühere sozialstaatliche Politik nur deshalb über Bord geworfen, weil sie glauben - nach der Analyse eines Politologen, des Briten David Hanley -, "dass der Marktliberalismus eine ideologische Hegemonie erlangt hat und nicht wie in der Vergangenheit direkt in Frage gestellt werden kann". So ist das eben, wenn in einer Gesellschaft nicht eigentlich irgendeine Partei, sondern das Kapital herrscht.

"Ellen" hatte die gute Umsetzung immerhin auch nicht gänzlich abgewiesen, sondern nur gemeint, sie sei Sache der kommunalen Arbeit und rechtfertige nicht die Beteiligung an Landesregierungen. Überhaupt bemühen sich die Rednerinnen der Plattform nach Kräften, es mit der Radikalität nicht zu übertreiben. Koalitionen mit Rot und Grün seien denkbar, nur dürfe es keinen Koalitionszwang geben. Gut und schön; aber gerade von "Kommunisten" erwartet man darüber hinaus auch Alternativen, die so konkret wie grundsätzlich sind. Tatsächlich liest man in Sahra Wagenknechts Bewerbungstext zur Parteivorstandswahl, für die "Gesellschaft jenseits von Profitprinzip und Kapitalherrschaft" bräuchte man "konkretere Konzepte", und "gerade junge Leute fragen nach unseren Visionen". Ja, wo sind denn diese Visionen? Hat man sie in 14 Jahren nicht ausarbeiten können?

Aber auch Knake-Werners Stoßseufzer, sie wünsche sich, die Berliner Regierungspolitik einmal nicht bloß in einem Redebeitrag von fünf Minuten erklären zu müssen, fällt auf sie selbst zurück. Denn die Partei wird jetzt von denen geführt, die ihre politischen Freunde sind. Woran liegt es denn, dass die Führung immer noch keinen Parteitag speziell zur Regierungspolitik der PDS in Berlin und Schwerin veranstaltet?

Das Ineinandergreifen der Visionen und der pragmatischen Lösungen war immer die große Chance einer Partei, die sich in ihrem Namen als Sachwalterin des Sozialismus beschreibt. Doch die Chance wird nicht ergriffen. Die beiden Ebenen streben nach wie vor auseinander. Das zeigt auch die Debatte um die EU-Verfassung. Die PDS lehnt sie bei einzelnen Gegenstimmen geschlossen ab; eines der Hauptargumente ist die im Verfassungstext festgeschriebene Militarisierung. Die Begründung bleibt jedoch allgemein und verwickelt sich in Widersprüche. Es läuft darauf hinaus, dass man eine pazifistische EU möchte und natürlich nicht bekommt. Doch was soll dann die Forderung, die EU müsse sich an die UNO-Charta binden? Die UNO-Charta ist gar nicht pazifistisch, sondern sieht unter Umständen Militäreinsätze vor.

Die PDS kommt in dieser Frage nicht weiter. Dabei war die Chance diesmal groß. Dass die Verfassung die Mitgliedstaaten darauf verpflichtet, "ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern" und die auf zivile und "militärische Mittel gestützte Fähigkeit zu Operationen" zu erwerben, ist allerdings ein guter Grund, sie abzulehnen. Aber doch nicht in solcher Allgemeinheit, dass auch noch die Rüstung Englands gegen Hitler im Nachhinein fragwürdig erscheint. Warum kann sich die Begründung nicht an der Konkretheit orientieren, die das Thema nur in Biskys Rede erreicht? Es sei eine kopernikanische Wende in der Energiepolitik notwendig, sagt der Parteivorsitzende und verurteilt die Lösung der Energiefrage durch Militäreinsätze. Kann man nicht sagen, dass man die EU-Verfassung deshalb ablehnt, weil man die "Verbesserung der militärischen Fähigkeiten" als Mittel zur "Lösung" der Energiefrage durchschaut? Und weil es überhaupt jeder Rechtsstaatlichkeit Hohn spricht, wenn eine Verfassung Maßnahmen vorschreibt? Aber vielleicht muss eine Partei, die vom Sozialismus nicht mehr spricht, ersatzweise nach einer anderen, eben der pazifistischen Grundsätzlichkeit greifen.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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