Das Dissonanzen-Quartett

Grüne Auf der Suche nach Spitzenpersonal für die Bundestagswahl: Parteichefin Claudia Roth mischt die Kandidatenriege auf

Es ist nicht leicht, im grünen Gerangel um die Spitzenkandidatur beim nächsten Bundestagswahlkampf den politischen Sinn auszumachen. Die Bundesvorsitzende Claudia Roth hat vorige Woche ihren Hut in den Ring geworfen: Fraktionschef Jürgen Trittin dürfe nicht der alleinige Kandidat sein. Die Geschlechterquote müsse eingehalten werden, außerdem sei auch eine Mitgliederbefragung in Erwägung zu ziehen. Dass beide Hinweise gegen Trittin zielen, ist klar. Doch heben sich beide auch gegenseitig auf.

Denn Roth will die Geschlechterquote durch ein Kandidatenquartett gewahrt wissen – Trittin, Co-Parteichef Cem Özdemir, die Fraktionsvorsitzende Renate Künast und sie selbst. Und gegen dieses Quartett, wollte es sich der „Urwahl“ stellen, könnte es eine Gegenkandidatur ja gar nicht geben. Andererseits bleibt Roth nichts anderes übrig, als es so vorzuschlagen, weil ein Duo, das nur aus Trittin und ihr bestünde, einem Linken und einer Linken, von vornherein keine Chance hätte. Es muss sie geärgert haben, dass sich auf einer Realo-Tagung ein Votum für Trittin als Alleinkandidaten abzeichnete. Realos, die an ihr vorbei einen Linken auf den Schild heben! Doch es war nachvollziehbar. Dabei ging es weniger um Roth als um Künast, die Realofrau. Die hatte sich nach dem verlorenen Wahlkampf um das Amt des Berliner Regierenden Bürgermeisters Trittins Sprachregelung angeschlossen, man müsse fortan immer klar ankündigen, dass man nicht mit der Union, sondern nur mit der SPD koalieren wolle. Wenn das beide richtig finden, ist uns das Original Trittin lieber als die Kopie Künast, haben sich die Realos gesagt, die manchmal wirklich realistischer ticken als andere.

Der Ausgangspunkt allen Gerangels liegt darin, dass erst vor einem Jahr ein grüner Kanzler in Deutschland denkbar schien. Nach der Katastrophe von Fukushima sah es so aus, als könnten die Grünen die SPD und beide zusammen das schwarz-gelbe Lager überflügeln. In Baden-Württemberg war es so gekommen. Da fingen die Medien an, sich zu fragen, wer es sein würde, und kamen auf Trittin als den Erfahrensten in der grünen Führungsriege. Inzwischen ist die Partei in der Wählergunst zurückgefallen. Das heißt, die Frage nach dem Kanzlerkandidaten war einmal politisch sinnvoll, jetzt ist sie nicht mehr, wird aber von den Grünen weiter behandelt, als wäre sie es. Die Bundesdelegiertenkonferenz beschloss im November in Kiel, die Möglichkeit der Mitgliederbefragung über die Spitzenkandidatur in die Satzung aufzunehmen, und zwar in der Form, dass sie quotiert sein müsse. Ausnahmen könnte nur ein weiterer Parteitag beschließen.

Fehlende Chance

Was soll das alles? Es ist doch klar: Wenn wirklich einmal die Chance da wäre, dass ein Grüner oder eine Grüne Kanzler werden könnte, dann müsste die Partei vorher ankündigen, wer es sein würde, und das heißt: welche einzelne Person. Denn das Kanzleramt lässt sich nicht quotieren, und die Wähler haben ein Recht darauf zu wissen, woran sie sind. Wenn die Chance aber nicht da ist, so wie jetzt, dann kann genauso gut ein Quartett ins Rennen geschickt werden. Umgekehrt darf man sich fragen, ob die Realos, die Trittins alleinige Kandidatur vorschlagen, nicht letztlich dessen Demontage beabsichtigen könnten. Eben weil er keine Chance hätte, im Wahlkampf eine glänzende Figur zu machen.

Wenn man hohe Maßstäbe anlegt, ist es auch nicht überzeugend, eine Quotierung vorzuschlagen und dann die Plätze, die zu vergeben sind, einfach mit den rangobersten Funktionären männlichen und weiblichen Geschlechts zu besetzen. Denn so viel dürfen auch Grüne von den anderen Parteien lernen: Wenn die FDP um Rösler oder Brüderle streitet, die Linke um Lötzsch, Bartsch oder Lafontaine, die SPD um Gabriel, Steinbrück oder Steinmeier, dann sind das zwar fast nur Männer.

Aber überall geht es auch um die Frage, wer ein politisches Schwergewicht ist und wer nicht. Trittin gehört in diese Kategorie, aber Roth? Sollten sich die Grünen für ein Quartett entscheiden, käme auch Bärbel Höhn in Frage und Katrin Göring-Eckardt, die Kirchentagspräsidentin, die sogar als mögliche Bundespräsidentin im Gespräch war. Als Parteivorsitzende könnte Roth sie vorschlagen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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