Bundespräsident Von Schauspielern und Königen - Provoziert durch das ungeschickte Verhalten Gesine Schwans, fragen wir uns wieder mal, was wir von unserem Präsidenten erwarten sollten
Eigentlich hat ein Wahlkampf der Bundespräsidenten-Kandidaten gegeneinander wenig Sinn. Sie werden ja nicht vom Volk gewählt, sondern von einer „Bundesversammlung“, das heißt de facto, von einem Parteienbündnis. Wenn da ein Kandidat den Mund aufmacht, was kann er anderes tun, als die Gefühle der beteiligten Parteien zu schonen? So hat sich Gesine Schwan aber nicht verhalten. Obwohl sie weiß, dass manche Sozialdemokraten nichts mit der Linken zu tun haben wollen, hat sie deutlich gemacht, sie wolle auch von deren Delegierten gewählt werden. Als ob sie sich aber auch mit der Linken überwerfen wollte, hat sie Oskar Lafontaine geschmäht. Außerdem möchte man fast glauben, sie verwechsle das deutsche mit dem französischen Pr
Präsidentenamt. Denn wie Ségoline Royal warb sie für Volksentscheide, ohne zu berücksichtigen, daß Royal immerhin (vergeblich) auf ein Volksvotum spekulierte, während ein solches in Deutschland, wie gesagt, für dieses Amt nicht vorgesehen ist.Provoziert durch ihr ungeschicktes Verhalten, fragen wir uns wieder einmal, was wir eigentlich von einem Bundespräsidenten erwarten. „Führung“? Repräsentation? Schwan schien letzteres zu glauben. Sie nahm Politikverdrossenheit wahr und wollte ihr mit der Parole der Bürgerbeteiligung den Wind aus den Segeln nehmen. Freilich will sie auch wieder nicht, dass man es zu ernst nimmt. Denn wenn auch Horst Köhler, der amtierende Präsident, von dieser Verdrossenheit sprach, warf sie ihm vor, er beschimpfe die Bürger. Ihr selbst wurde vorgeworfen, sie sorge für Unruhe, indem sie von möglichen Unruhen spreche. Bloß nicht deutlich werden, sagt einer zum andern. Und meistens beherzigen sie es. Volksentscheide? Es braucht nur nachgefragt zu werden, ob denn die Bürger über den EU-Vertrag abstimmen sollen, und schon weicht Schwan einer Antwort aus.Die letzte Verfugung, die das Gebäude vollendetWenn Köhler von Demokratie spricht wie in seiner Berliner Rede 2008, dann zeigt sich, ihm schweben optimierte Verfahren vor. Der Finanzausgleich zwischen den Bundesländern liegt ihm am Herzen. Da setzt Schwan mit der Bürgerbeteiligung schon einen anderen Akzent. Aber heißt das, sie wäre die bessere Bürger-Repräsentantin? Von Repräsentation sprechen, ist das Repräsentation? Es sieht eher nach einem Schauspiel aus. Besonders wenn man noch bedenkt, dass dieses Amt vom Grundgesetz gar nicht als Repräsentationsamt verstanden wird. Der Bundespräsident ist nicht mit politischen Entscheidungen befasst, er repräsentiert daher auch keine politische Mehrheitsmeinung. Seine Rolle ist die des Schlusssteins in den Verfahren: Wenn andere Verfassungsorgane ein Gesetz beschlossen haben, muss er es noch unterschreiben, damit es rechtsgültig wird. Manchmal geschieht es, dass er die Unterschrift verweigert. Aber alles in allem ist er nur das, was in der Linguistik das „Nullzeichen“ heißt, eben die letzte Verfugung, die isoliert betrachtet ganz sinnlos wäre, würde nicht mit ihr erst das Gebäude vollendet.So erscheint gerade Köhler als der kongeniale Repräsentant: nicht des Volkes, aber des Amtes selber. Er verkörpert den Sinn des geschriebenen Verfassungstextes. In die Bedeutung eines Amtes geht freilich immer auch seine Vorgeschichte ein. Bekanntlich steht es im Kontrast zur Machtfülle des Weimarer Reichspräsidenten, zuletzt Hindenburgs, der Hitler eingesetzt hatte. Dieses Weimarer Amt wiederum hatte den abgeschafften Kaiserthron ersetzen sollen. Es ähnelte insofern dem US-amerikanischen Präsidentenamt, das seinerseits etwas von der früheren Stärke des britischen Königs geerbt hatte. Der Nachkriegs-Bundespräsident ähnelt nun aber stattdessen dem britischen König selber, wie er inzwischen geworden ist: sichtbare Person, die nichts repräsentiert als die Einheit der Verfassungsmaschine; und eigentlich repräsentiert er sie nicht so sehr, als dass er sie erst schafft, jedenfalls besiegelt.Damit ist auch klar, dass er nicht „führt“, wie es der US-amerikanische und auch der französische Präsident dem Anspruch nach tun. Man muss das nicht bedauern, im Gegenteil. In einem demokratischen Gemeinwesen wird Weiter-Führendes aus der Bürgergesellschaft heraus vorgeschlagen, und die Qualität von Politikern zeigt sich nur als Fähigkeit, es aufzugreifen. Dies soll aber in der Sphäre der Parteien geschehen, denn dort kann ein Vorschlag erst einmal kontrovers debattiert werden. Dem Präsidenten bleibt wieder nur die Funktion des Schlusssteins: Wenn eine Debatte auf alle Zeit abgeschlossen ist, dann mag er das Wort ergreifen und es aussprechen. So wie es gut war, daß Richard von Weizsäcker 1985 feststellte, der Tag der deutschen Kriegsniederlage sei ein „Tag der Befreiung“ gewesen. Philosophen- oder Juristen-Könige wie Roman Herzog, der zu wissen vorgab, welcher „Ruck“ durch die Gesellschaft gehen müsse, brauchen wir hingegen nicht.„Ich liebe nicht den Staat. Ich liebe meine Frau.“Trotz allem kann ein Bundespräsident auch sinnvoll repräsentieren. Aber was? Nicht Meinungen, sondern Haltungen, eben wie die verbliebenen Könige und Königinnen es tun.Gerade die größten Bundespräsidenten haben dafür ein Gefühl gehabt. Theodor Heuss etwa, der zwar die Bundeswehr nicht verhinderte, aber wenigstens, mit dem respektlosen Satz „Nun siegt mal schön“, unter den deutschen Militarismus einen Schlussstrich zog. Die ideale Verkörperung des Bürgers als König war Gustav Heinemann, der auf die Frage, ob er den Staat liebe, zu antworten wusste: „Ich liebe nicht den Staat. Ich liebe meine Frau.“ Er demonstrierte weniger seine Urteilskraft als seinen politischen Geschmack. Doch das sind Kategorien, die eng zusammenhängen, man kann es von Kant lernen. Auch über Geschmacksfragen muss man sich zu einigen versuchen. Da ist ein geschmacksfester Präsident schon wichtig.Womit wir bei Peter Sodann sind. Immerzu hat man ihm Geschmacklosigkeiten vorgeworfen – aber er ist der einzige Kandidat, der einen politischen Geschmack überhaupt zeigt. Während Köhler über die Technik der Verfassungsmaschine doziert, während Schwan überlegt, wieviel zusätzlichen Bürgern man Einlass, per Volksentscheid, in die Maschinenhalle gewähren sollte, will Sodann aussprechen, was diesen Bürgern durch den Kopf geht. Zum Beispiel, dass es keine Demokratie sei, wenn Einige ganz reich und Andere immer ärmer werden.Richtig ernst ist es ihm leider nicht mit seiner Rolle. Sonst würde er sich mehr mühen, für alle zu sprechen. Mit seinem Gestus des einfachen Menschen, der die Worte nicht wägt, verfehlt er die Rolle gerade, denn viele wollen sich ganz anders abgespiegelt sehen. Auch darin war Heinemann ein Vorbild gewesen: Sich für den Staat in die Brust werfen oder ihn nach der Hitlerbarbarei mit Vorschussmisstrauen behandeln, das spaltete zu seiner Zeit die politischen Lager. Doch „Ich liebe meine Frau“, das verstand jeder. Vor allem verstand es jede Frau, ob SPD- oder Unionswählerin. Kaum war er Präsident geworden, wählte erstmals in der deutschen Geschichte eine Mehrheit der Frauen links.Und so war er schon vor seinem Amtsantritt, man konnte die Eignung voraussehen: Einmal hatte er im Bundestag den christlichen Parteien „die Erkenntnis“ nahegebracht, „dass Christus nicht gegen Karl Marx gestorben ist, sondern für uns alle“ – worauf das Protokoll stürmischen Beifall bei der SPD, „Unruhe“ in der „Mitte“, das heißt bei CDU und CSU verzeichnete.Über so viel hegemoniale Kraft der Geschmacksbildung verfügt Sodann nicht. Doch wenigstens ist er kein Schauspieler, auch wenn ihm das angedichtet wird. Er war Schauspieler von Beruf, er hat es nicht nötig, noch als Politiker zu schauspielern. Das kann er Schwan überlassen, der „großen Dame“, oder Köhler, der zuletzt in einer Kirche sprach, als sei sonst seine Würde unvollständig. Wohl ist Repräsentieren ein Wort für Darstellen und Vertreten. Doch nicht nur der Schauspieler vertritt etwas, sondern auch der Rechtsanwalt, ja auch der Anwalt des politischen Geschmacks. Aus jenem spricht nur der Dichter, dieser repräsentiert das Publikum – auf ihn kommt es an.
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