Das Recht auf Ruhe

ZUKUNFT DER NICHTARBEIT Die christliche Herkunft der Arbeitsgesellschaft ist eine Legende

Das Themenwochenende der Volksbühne über die Zukunft der Nichtarbeit steht unter dem merkwürdigen Motto "Gott ruht". Soll es ein vorgezogener Kirchentag werden? Kaum; es besteht auch ohne Kirche Anlass genug, das Verhältnis von Arbeitsgesellschaft und Christentum zu bedenken. Spätestens seit Max Weber die Arbeitsgesellschaft aus dem Protestantismus herleitete (Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, 1904/05), ist das weithin bekannt. Aber hat Weber richtig geurteilt? Solange das geglaubt wird, ruft jede Bezweiflung des Sinns der Arbeitsgesellschaft nicht nur die Kapitalisten, sondern auch allerlei Sittenwächter auf den Plan. Hinter denen können sich die Kapitalisten dann verstecken.

"Gott ruht" - wie seltsam! Ist doch vielmehr der unruhigen neuzeitlichen Arbeit nachgerühmt worden, sie trete in Gottes Fußstapfen. In der Position als Creator ex nihilo, so verkündete man immer wieder, werde Gott vom Menschen, vom Arbeiter, will sagen: vom "Unternehmer" beerbt. Es dauerte lange, bis man begriff, dass die Schöpfung aus dem Nichts erst einmal die Schöpfung des Nichts selber voraussetzte. Das 20. Jahrhundert war die große Zeit dieser "schöpferischen Zerstörung". Der Gott der hebräischen Schöpfungsgeschichte ist aber anders überliefert. Er ruht erst, nachdem er sieht, dass "alles, was er gemacht hatte, sehr gut war". Diese Schöpfung hat noch gar nicht stattgefunden. Sie könnte bestenfalls im Gange sein. Trägt aber die kapitalistische Arbeit dazu bei? Fragt sie überhaupt danach, was "sehr gut" wäre? Das ist der springende Punkt. Kapitalistische Arbeit ist Arbeit um der Arbeit, weil um des Profits willen. "Gut" ist sie höchstens nebenbei. Nicht einmal, wenn er Kriegswaffen machen lässt und KZ-Arbeiter zur Ausführung zwingt, will der Kapitalist hinterher die Verantwortung übernehmen.

Aber er sucht sich der christlichen Tradition zu bedienen. Dass er die christliche Botschaft geradezu auf den Kopf stellt, geht im Arbeitsgetümmel unter. Haben sich nicht die Protestanten, die den kapitalistischen Geist verursacht haben sollen, auf Paulus berufen? Der "hält dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben". Ohne Werke! Also ohne Arbeit! Weil selbst die Arbeit, die auf ein gutes Werk hinauswill, nicht imstande sei, es auch zu vollbringen. Damit will Paulus nicht sagen, dass man keine guten Werke versuchen soll. Aber der Versuch erzwingt nicht das, was Paulus die Rechtfertigung des Menschen nennt. Wir können es genauso gut die Ruhe des Menschen nennen. Erst wenn der Mensch ruhig ist, kann sein Werk gut werden. Das muss er sich erkämpfen: das Recht, sich nicht an Werken - zum Beispiel an Atomkraftwerken - zu beteiligen, die gar nicht gut, sondern höchstens effektiv sind; und ebenso das Recht, sich die Ruhe herauszunehmen. Die Ruhe zur Arbeitsverweigerung. Es ist gut, einem Gerhard Schröder das Recht auf Faulheit entgegenzuhalten. Denn das ist der Mann, der sich für diese Sätze zum Kanzler wählen ließ: "Wir werden damit Schluss machen, dass Innovationen zunächst auf ihre Risiken abgeklopft werden, ehe man sich ihren Chancen zuwendet. Denn eine technische Erfindung als solche hat keinen Erfolg, wenn sie auf eine Mentalität und auf Strukturen trifft, die ihre Weiterentwicklung in marktfähige Produkte verhindern." Jetzt musste er trotzdem einen "Ethikrat" einberufen, aber er dient nur als Feigenblatt.

Man muss sich die Konsequenzen für die Arbeiter klar machen. Weil im Kapitalismus Arbeiten als solches für gut gilt, wird der kapitalistische Arbeiter zwar nicht für werkgerecht, aber für arbeitsgerecht aus eigener Vollkommenheit ausgegeben. Denn arbeiten kann er ja, das hätte auch Paulus nicht bestritten. Diese Rechtfertigung des Arbeiters für sein pures Arbeiten ist der Lohn. Das heißt nun aber umgekehrt: wenn er nicht arbeitet, ist er nicht gerechtfertigt und bekommt keinen Lohn. Es liegt zwar keineswegs in seiner individuellen Macht, Arbeit zu finden oder nicht zu finden, aber dennoch wird er für seine "Arbeitslosigkeit" ganz individuell verantwortlich gemacht. Diese wird nämlich mit Erwerbslosigkeit bestraft. Am Ende sprengt der Zusammenhang von Arbeit und Erwerb die sozialen Sicherheitssysteme. Da sollen die Arbeiter ihre Ruhe bewahren? Und gar die "Arbeitslosen"? Sie haben nur die Chance, ruhig zu werden - in der Revolte.

Nach christlicher Logik ist niemand "werkgerecht" und arbeitsgerecht deshalb schon gar nicht. Es muss dennoch versucht werden, "gute Werke" zu tun. Arbeiten als solches ohne die Frage nach dem Guten ist böse. Dabei wusste Paulus, dass man als Einzelner weithin mit den Wölfen heulen muss. Er selbst machte Zelte, die der Logistik römischer Soldaten dienten. Aber einzeln muss man ja nicht bleiben. Eine Gesellschaft, die gute Werke zu erarbeiten und böse zu unterlassen wenigstens versuchen würde - was sicher nicht ohne gesellschaftliche Planung ginge, will sagen: nicht ohne freie Wahlen zur Ermittlung des Gesellschaftsdienlichen und dabei möglichst Guten -, eine solche Gesellschaft müsste den Zusammenhang von Arbeit und Lohn grundsätzlich auflösen. Denn das Gutsein der Werke garantiert keine abstrakte Arbeitsmenge, die immer groß genug zur gesellschaftsdeckenden Entlohnung wäre; und doch verdienen diejenigen, die zur Erarbeitung des möglichst Guten momentan nicht gebraucht werden, für diese "Arbeitslosigkeit" keine Strafe. Kurzum: eine solche Gesellschaft müsste das Grundeinkommen einführen.

Max Weber hat den Zusammenhang von Christentum und Kapitalismus falsch dargestellt. Das Christentum ist der Arbeit um der Arbeit willen nur insofern freundlich gesonnen, als es sie aus dem Geruch befreit hat, eine unanständige Sache nicht für "Herren", sondern nur für Sklaven sein. Dass es aber nicht drauf ankäme, Arbeit an ihren Zielen zu messen, haben auch Protestanten, auch Calvinisten niemals behauptet. Was Weber betrifft, hatte er ein Interesse daran, sich zu irren. Wie Jan Rehmann kürzlich rekonstruierte (Max Weber: Modernisierung als passive Revolution, 1998), wollte er in Deutschland das sozialliberale Bündnis von Arbeit und Kapital schmieden: deshalb konstruierte er einen Punkt - eben jenes "christliche Ethos der Arbeit" an sich -, in dem die Klassen, die Kontrahenten angeblich übereinstimmten. Es ist aber nicht wahr, dass die Arbeiter sich aus ethischen Gründen zur Fabrikarbeit bekehrt hätten. Sie wurden vielmehr brutal diszipliniert. In Werkhallen, die nach dem Modell der Zuchthäuser eingerichtet waren. Sie arbeiteten einfach, um zu überleben, denn etwas anderes als ihre Arbeitskraft hatten sie nicht zu verkaufen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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