Die Debatte um "Globale Soziale Rechte" (kurz: GSR, vgl. Freitag 22/2007), bisher ausgetragen am Rande von Attac und im letzten Jahr Gegenstand einer Veranstaltungsreihe der Initiative "Kritischer Bewegungsdiskurs", hat am vorigen Wochenende die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) erreicht. "Kämpfe für Selbstbestimmung und gegen soziale Ausschlüsse" war das Thema ihres diesjährigen Pfingstkongresses. Für die Initiatoren der Debatte ist es ein Erfolg, denn man konnte erwarten, dass der Vorschlag, um Rechte zu kämpfen, bei der BUKO vor allem den Reformismusverdacht auslösen würde. So ist es auch gekommen, aber nur teilweise: Der Reformismusverdacht hat eine von zwei Positionen bestimmt; es gibt daneben eine andere, die glaubt, am Kampf um Rechte anknüpfen und ihn radikalisieren zu können.
"Gegen soziale Ausschlüsse" ist in erster Linie eine Losung, mit der die weltweite Freiheit grenzüberschreitender Immigrationsbewegungen proklamiert werden soll. Nun argumentieren die Gegner von GSR, Rechte seien schon ihrem Begriff nach Ausschlüsse; man sehe es daran, dass jede rechtliche Regelung der Immigration auf Bedingungen der Einreise-Erlaubnis hinauslaufe. Das sei es gerade, wogegen man kämpfe, da es doch "um die nicht-regulierte Bewegung" gehe, "die kein Staat garantieren kann". Sie bestätigen derart genau den Vorwurf, den Thomas Seibert, einer der Initiatoren der Debatte, gegen eine bestimmte Fraktion von Linken erhoben hat: dass ihre Stellungnahme stets unmittelbar zum Utopischen greift, jeder Kampf um nächste Schritte daher diskreditiert werden muss. Aber wie kämpft man direkt ums Utopische? Indem man, so lesen wir, die "Momente von Selbstbestimmung und Selbstermächtigung" in den "Alltagskämpfen" unterstützt, statt sich "in Debatten zu verstricken, die seltsam blutleer bleiben". Wenn schon der Kampf um Rechte zu reformistisch ist, ist es auch der politische Kampf überhaupt, und es bleibt nur die existenzialistische Geste.
Ergebnis sozialer Kämpfe
Auch die Befürworter von GSR wissen vom Zusammenhang des Rechts mit der "Funktionsweise kapitalistischer Gesellschaften". Aber sie versprechen sich etwas davon, "die Widersprüche des Rechts immanent zu kritisieren", und erinnern daran, dass Rechte "in ihrer konkreten Ausgestaltung immer auch Ergebnis sozialer Kämpfe" sind. Das sollte nun wirklich ein Minimalkonsens sein können, zumal die Befürworter nicht etwa für den parlamentarischen Kampf eintreten. Ohne es zu sagen, unterstellen sie zwar, dass auch parlamentarisch um Rechte gekämpft werden muss, denn sonst würde es nie zur "Absicherung und Festschreibung des einmal Erkämpften" kommen, die nur staatlich sein kann. Aber diesen Kampf dürfen sie anderen überlassen. Der ihnen vorschwebende Kampf ist außerparlamentarisch, ohne unpolitisch zu werden. Er schließt den Willen und die Fähigkeit ein, sich mit anderen Kräften zu verbünden oder wenigstens, wenn es parlamentarische Kräfte sind, ihre Notwendigkeit einzusehen und ihr Vorhandensein mehr oder weniger stillschweigend zu begrüßen.
Gleichheit und Unterschiede
In der Tat hat das Recht einen Sprung. Es geht um den Widerspruch "zwischen der prinzipiellen Gleichheit aller und den faktischen sozialen, kulturellen, individuellen Unterschieden", der die rechtliche Dialektik von Ein- und Ausschlüssen bereits impliziert, zumal "ein Großteil gewährter Rechte an die Staatsbürgerschaft gebunden ist". Wenn sich die GSR-Befürworter eine Radikalisierung des Kampfs um Rechte vorstellen, die in der Konfrontation der rechtlichen "Praxis" mit dem rechtlichen "Anspruch" liegen soll, greift das sicher zu kurz, eben weil der Widerspruch schon im Anspruch und nicht erst in der Praxis auftritt. Aber ihr Weg ist richtig. Man kommt eben nicht darum herum, eine Auflösung des Widerspruchs selber zu versuchen und muss diese Auflösung in die Kämpfe einbringen. Was das konkret heißen könnte, wird in dem Vortrag über "Kommunismus und Staatsbürgerschaft" von Etienne Balibar zumindest deutlicher. Wie er in Erinnerung ruft, führt die vom Recht bewirkte Individualisierung längst nicht mehr zwangsläufig zur Atomisierung und damit zu Ein- und Ausschlüssen. Recht und Individualismus sind nicht per se asozial. Das wäre so, wenn nur kleinbürgerliche Massen um die Politik der Staaten gekämpft hätten. In ihnen hat aber auch die Arbeiterbewegung beträchtliche Spuren hinterlassen.
Balibar folgt dem Ansatz von Nicos Poulantzas, dass auch die Internationalisierung des Kapitals an der Macht der Nationalstaaten nichts ändert. Bewegungsfreiheit von Immigranten kann dann nur durch Verträge zwischen Staaten geregelt werden. Der Inhalt solcher Verträge ist es, um den gekämpft werden sollte. Dabei muss man freilich wissen, dass nicht alle Staaten gleich mächtig sind: Es gibt Abhängigkeitsverhältnisse, sie werden auch in der Globalisierung reproduziert und noch gesteigert. Aber jedenfalls geht es darum, für ein Weltbürgerrecht von Individuen als gemeinsames Recht der Staaten zu kämpfen. Und zwar eben für ein soziales Weltbürgerrecht. Um das Weltbürgerrecht zur "Freiheit" wird ja längst gestritten, nämlich von neoliberaler Seite mit dem Ergebnis eines Menschenrechts-Diskurses, der auf "humanitäre Interventionen" hinausläuft. Der Kampf um GSR erlaubt es, sich ebenso weltweit dagegen zu formieren.
www.bewegungsdiskurs.de
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