Das Schicksal des Geldes

Posthum Robert Kurz war sich in seinem letzten Buch sehr sicher, dass der Kapitalismus die Krise nicht überleben wird

Als Robert Kurz am 18. Juli verstarb, war Geld ohne Wert schon angekündigt. Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie: Der an Formeln von Marx und Polanyi erinnernde Untertitel seines letzten Werks charakterisiert seinen Verfasser. Es ist gesagt worden, Kurz sei eher Modernisierungstheoretiker als Marxist, doch das stimmt nicht. Er hält ganz strikt an der Lehre des Meisters fest.

Nur setzt er sich auch mit neuerer Soziologie und Historiografie auseinander und sucht von ihr zu lernen. Und wo er zu sehen glaubt, dass Marx inkohärent wird oder etwas nicht zu Ende denkt, korrigiert er ihn. So tut er ja dasselbe wie jeder Wissenschaftler, wie Marx selbst – in der heutigen marxistischen Szene indes, die den Meister oft nur philologisch liest, kann das schon den Ruf einbringen, da gehe einer fremd. Nun ist Kurz‘ letztes Buch ungewollt zum Vermächtnis geworden. Man muss seinen Thesen nicht folgen, doch sein Herangehen ist beispielhaft.

Schwarzer Humor

Weil er gut formuliert, liest man ihn noch dann gern, wenn man sich über ihn ärgert. Schwer erträglich zum Beispiel seine Verachtung „der Demokratie“ – sie sei die „Polizei im eigenen Kopf“, um sich nach Vorgaben des Kapitals zu steuern –, doch wenn er fortfährt: „Unter Kannibalen muss eben ab und zu jemand in den Kochtopf wandern, und das Prozedere lässt sich vorzüglich demokratisieren“, wird man dem schwarzen Humor nicht widersprechen.

Die Argumentation, mag sie hier und da entgleisen, hat im Ganzen schweres Gewicht. Es gelingt ihr, verschiedenste Forschungsstränge zu verbinden. Die Liste der neben Marx zu Rate gezogenen Autoren ist stattlich: Le Goff, Mauss, Kurnitzki, Agamben, Foucault und andere zur ökonomischen Geschichte, Sombart, McNeill, Parker und Zinn zur „miltärischen Revolution“ am Beginn der Neuzeit.

Den roten Faden bildet die Erörterung der Schicksale des Geldes. Nur im Kapitalismus habe es „Wert“, ja sei nur da wirklich Geld gewesen, nicht bloß Geldvorläufer. Heute verliere es den „Wert“ schon wieder. Dabei spielt Kurz mit der Doppeldeutigkeit des Wortes, verwendet es im Marxschen Sinn (Waren haben „Wert“, weil sie von „abstrakter“, für den Tausch geleisteter Arbeit produziert werden) und so, wie es heute in aller Munde ist (Furcht vor dem Absturz des Euro-Kurswerts).

Kapitalismus als Religion

Unter der „militärischen Revolution“ versteht er die Herausbildung eines „Apparats“ zur Kriegsführung, der sich schon in der frühen Neuzeit auf eine Art militärisch-industriellen Komplex gestützt habe. Hier geschah in seinen Augen der Durchbruch zum wirklichen Geld. Hier musste ja der Steuerstaat entstehen: weil so viel Geld ausgegeben wurde, dass das Geld seinerseits begann, sich auf seine eigene Revolution zuzubewegen – die Revolution seiner Entbettung aus allen sozialen, politischen und religiösen Verpflichtungen. Kurz betont besonders den religiösen Aspekt. Geld sei vorher immer eine Form des Opfers gewesen. Wenn er diese Form so strikt vom kapitalistischen Geld unterscheidet, argumentiert er ähnlich wie der in Frankreich viel diskutierte Marcel Hénaff, der von einer ganz anderen Position her ebenfalls behauptet, die vorkapitalistische „Gabe“ und „das Geld“ seien zwei ganz verschiedene Register (Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie, Suhrkamp 2009). Kurz hält dennoch, mit Walter Benjamin, auch den Kapitalismus für eine Religion.

Fragen, die bleiben

Seine Thesen sind immer gut begründet und schon deshalb der Diskussion wert. So auch in der zweiten Buchhälfte, wo er zeigen zu können glaubt, dass der Kapitalismus die derzeitige Wirtschafskrise nicht überstehen wird. Viele finden das grotesk, die Argumente sollten aber durchdacht werden. Es sind drei.

Am schwächsten noch, obgleich für Kurz zentral, erscheint die orthodox marxistische Annahme, nur Gold sei wirklich Geld, weshalb das Ende der Golddeckung Anfang der siebziger Jahre dem Kapitalismus selber das Ende eingeläutet habe. Man sehe ja seitdem, wie die Konstruktionen von Kreditgeld immer fantastischer, immer haltloser würden.

Schwerer wiegt das zweite Argument: der Hinweis, dass die mikroelektronische Innovation nicht zum Sinken, eher zum Steigen der Erwerbslosigkeit geführt hat. Marxistisch bedeutet das, es bleiben immer weniger Arbeiter zum Mehrwert-Auspressen übrig. Dem widerspricht zwar der Augenschein, weil die Globalisierung riesige neue Ausbeutungsräume hat entstehen lassen, doch es gibt noch den dritten Punkt: Deutschland tausche mit europäischen Südländern und China mit den USA auf Basis einer „Defizitstruktur“, die kein gutes Ende erwarten lasse. Es ist tatsächlich neu in der kapitalistischen Wirtschaftsgeschichte, dass Weltregionen im großen Stil kreditiert werden, obwohl man vorher weiß, dass keine Rückzahlung gelingen kann.

Wozu soll das eigentlich führen? Die drei Punkte fordern mindestens, dass man sich einen Gesamtreim auf sie macht. Kurz kann nicht mehr kontern, wenn man seinen Antworten nicht zustimmt. Seine Fragen jedenfalls leben weiter.

Geld ohne Wert: Grundrisse zu einer Transformation der Kritik der politischen Ökonomie Robert Kurz Horlemann 2012, 420 S., 16,90 €

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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