Gäbe es eine speziell aufs Parteiensystem bezogene Suche nach dem Wort des Jahres 2009, der Ausdruck „linke Mitte“ könnte ein aussichtsreicher Kandidat sein. Das ist neu, denn bisher galt er bloß als Teil sozialdemokratischer Weltsicht, während andere Parteien ihre Zielvorstellung in Ausdrücken wie Linksbündnis, rot-grünes Bündnis, Bündnis der Mitte oder der bürgerlichen Mitte artikulierten. Das Neue liegt darin, dass sich die Möglichkeit eines gemeinsamen Weges von SPD, Grünen und Linkspartei in Kategorien der „Erweiterung von Rot-Grün zum Linksbündnis“ nicht mehr zureichend durchdenken lässt. Die Grünen scheinen wegen ihrer Koalitionen in Hamburg mit der CDU, im Saarland mit CDU und FDP nicht mehr links zu sein, man will sie aber trotzdem für einen Regierungswechsel auf Bundesebene gewinnen. Was ist hier eigentlich geschehen? Gibt es bei den Grünen einen politischen Wandel? Worin besteht er, und warum hätte er gerade jetzt stattgefunden?
Das Recht des Kellners
Manche weisen diese Fragen zurück und sagen, eigentlich seien die Grünen längst schon bürgerlich, somit CDU-nah gewesen und das zeige sich nur immer deutlicher. Doch so einfach sollte man es sich nicht machen. Versuchen wir eine andere Antwort, die vielleicht realistischer ist: Die Grünen, die in den achtziger Jahren überhaupt keine Koalition eingehen wollten, die in den neunziger Jahren um jeden Preis und quasi mit der Blindheit der Liebe aufs rot-grüne Bündnis setzten, ja flogen – man sah es an ihrer Bereitwilligkeit, jeden Kanzlerkandidaten der SPD zu unterstützen, ob er nun Lafontaine hieß oder Schröder, von dem doch bekannt war, dass er den Atomausstieg bis zur Lüge verwässern wollte –, diese Grünen haben dann erfahren, was es heißt, mit Schröder zusammenzuarbeiten, und ihr Bild von der SPD verfestigte sich. Sie sahen sich auf die Suche nach einem neuen, für sie weniger demütigenden Weg gedrängt.
Schon die erste schwarz-grüne Koalition in Mühlheim an der Ruhr zwischen 1994 und 1999 war stark durch die vorausgegangene Erfahrung, von der SPD nur als unmündige Hilfskraft in Anspruch genommen zu werden, als „Kellner“, wie Schröder es dann so treffend auf den Punkt brachte, bestimmt gewesen. Solcher Bündnisse auf kommunaler Ebene gab es noch mehr, sie waren des Aufhebens, das die SPD aus leicht durchschaubaren Gründen davon machte, nie wert gewesen, denn sogar die PDS hat in manchen Kommunen mit der CDU zusammengearbeitet – von der SPD selbst ganz zu schweigen. Am Ende der Schröder-Ära jedoch wurde eine Schwelle überschritten. Hätten die Grünen da immer noch nicht die Nase voll gehabt – als Schröder einsam Neuwahlen erzwang und eine Regierung beendete, zu der immerhin auch grüne Minister gehört hatten –, wäre es nicht ein Wunder gewesen? Sie reagierten nicht einmal sofort mit einer neuen Strategie. Aber je länger sie zusahen, wie leichthändig Müntefering und Steinmeier, Schröders Epigonen, dann mit der Union regierten und wie wenig das irgendwer ungehörig fand, desto mehr mussten sie sich fragen, warum ihnen nicht dasselbe Recht zustehen sollte. Dass der Damm erst 2008 in Hamburg und 2009 im Saarland brach, hing mit der Bundestagswahl 2009 zusammen, auf die sich die SPD nur nach dem Motto „weiter so“ vorbereitete. Jetzt, nachdem diese Wahl gelaufen ist, wird die SPD es schwer haben, einen Wandel glaubhaft zu machen, selbst wenn es ihn gibt.
Die Grünen besinnen sich auf ihre Eigenart: Sie fragen sich Mal um Mal, mit welchen Partnern sie ihre Ziele am besten durchsetzen können – in Hessen wären das Sozialdemokraten wie Ypsilanti und Hermann Scheer, ferner die Linkspartei gewesen –, das heißt sie tun das, was die SPD schon immer getan hat. Diese versucht nun ihrerseits auf die neue Situation zu reagieren, und daraus resultiert die Konjunktur des Begriffs „linke Mitte“. Die Grünen haben sich durch ihn auf dem ersten Parteitag nach der Bundestagswahl definiert, der SPD-Parteitag zog wenige Wochen später nach. Bei dem Grünen bedeutet der Begriff, dass sie beanspruchen, eine linke Kraft zu bleiben, auch wenn sie mit der Union koalieren – es ist der Anspruch, den die SPD ständig erhebt –; bei Gabriel, dem neuen SPD-Chef, bedeutet er die Einsicht, dass die Grünen verändert sind und man also in neuer Weise um sie werben muss. Solches Werben ist schwieriger geworden, kann aber immer noch Erfolg haben. Die Voraussetzung ist eigentlich klar: Eine SPD, die eine Politik in der Art Ypsilantis und Scheers anstrebte, bliebe für die Grünen spannend. Eine andere vielleicht nicht.
Auf dem Kerbholz
Doch das ist nicht alles. Auch die Linkspartei müsste „mitmachen“. Auf der Oberfläche stellt es sich anders dar. Es sieht so aus, als wären die Linke und neuerdings die SPD zum Linksbündnis immer bereit und nur die Grünen machten Schwierigkeiten. Tatsächlich aber scheint sich bei Anhängern der Linken ein Hass gegen die Grünen auszubreiten, der irgendwann auch der Parteiführung eine Zusammenarbeit unmöglich machen könnte.
Weil die Grünen dem Kosovokrieg und Hartz IV zugestimmt haben, gerät in Vergessenheit, dass jede politische Kraft Fehler und regelrechte Verbrechen auf dem Kerbholz hat, die Vorgängerpartei der PDS doch wohl nicht ausgenommen. Die am meisten links sein wollen, vergessen überdies, dass sie eigentlich der Parteiform als solcher misstrauen, die trotzdem mindestens instrumentell benutzt werden muss, es sei denn, man will sich von der Machtfrage verabschieden: Warum gelingt es ihnen dann nicht, Liebe und Hass beiseite zu lassen, wenn es um die Grünen geht, und sie bloß als tückisches Werkzeug zu würdigen? Sollte es daran liegen, dass die Identifikation mit der Linkspartei noch zu stark ist? Als hätte nicht auch sie an der problematischen Parteiform teil?
Vielleicht ist alles ganz einfach: Die Grünen haben sich auf eine neue Situation eingestellt, die SPD unter Gabriel hat es ebenfalls getan. Und nun muss sich noch die Linkspartei umstellen. Will sie auch in Nordrhein-Westfalen „Wer grün wählt, wird sich schwarz ärgern“ plakatieren? Man wird sehen.
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