Zwei scheinbar ähnliche Vorgänge treffen zusammen. Zum einen genehmigen sich die Bundestagsabgeordneten wieder einmal eine Erhöhung ihrer Diäten. Am Donnerstag soll das entsprechende Gesetz beschlossen werden. Sie „bedienen sich selbst“, lautet die gängige Kritik. Der Ausdruck „Diätenanpassung“ hat es schon 1995 zum Unwort des Jahres gebracht. Zum andern stößt auf Kritik, dass die neue Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) in ihrem Ministerium übernachtet, statt sich in Berlin eine Wohnung zu mieten. Selbstbedienungsmentalität wird auch ihr unterstellt: Indem sie Wohnungskosten spart, streicht sie, ohne etwas aufzuwenden, eine Aufwandsentschädigung ein, so sieht es jedenfalls die Linkspartei.
Man könnte beide Kritiken je nach Standpunkt als Neiddebatte abtun oder als Sensibilität für öffentliches Unrecht würdigen. Doch sollte man sie gar nicht in einen Topf werfen. Die „Diätenanpassung“ fragwürdig zu finden, liegt wirklich nahe. 8252 Euro bekommen Abgeordnete monatlich, ist das nicht genug? Mit welchem Recht dürfen es 830 Euro mehr sein? Weil sie einen Anspruch haben, so viel wie Bundesrichter zu erhalten, heißt es. Aber das ist nicht überzeugend, denn der Anspruch gilt seit 1995. Warum erhalten sie dennoch weniger? Weil sie bisher auf die „Anpassung“ verzichtet haben. Der springende Punkt ist also: Diesmal verzichten sie nicht. Gleichzeitig hadern manche immer noch mit dem gesetzlichen Mindestlohn. Und davon, Hartz IV zurückzunehmen, ist überhaupt keine Rede.
Das kann man nicht gutheißen, doch die Kritik an Schwesig erstaunt eher. Wird nicht den Bundeskanzlern geradezu nahegelegt, im Amtsgebäude zu wohnen? Warum sollen es nicht auch Minister so halten? Gesine Lötzsch, die den Vorwurf erhebt – sie ist Vorsitzende des Haushaltsausschusses -, scheint nicht einmal zu wissen, dass die „Rückzugsräume“ der Ministerien auch von anderen als Übernachtungsmöglichkeit genutzt werden: Andrea Nahles, Heiko Maas, Ursula von der Leyen. Die Räume, die Schwesig nutzt, hatte schon von der Leyen, die Amtsvorgängerin, zum Wohnbereich ausgebaut.
Wer weiß, ob hinter dem Ärger über Schwesigs „üppiges Salär“, so Lötzsch, nicht noch ein weiterer Ärger steckt. Hält Lötzsch womöglich Kanzler und Minister für höhere Wesen? So eine Rolle füllt Schwesig nicht aus, wenn sie gleichsam zeltet wie eine Studentin, statt ordentlich zu wohnen. In Abgeordneten pflegt man dagegen bloß Berufstätige zu sehen. An ihnen macht sich die Erinnerung fest, dass ein Beruf mehr als die Besetzung eines „Arbeitsplatzes“ sein sollte. Zu einem Beruf wäre man, wie das Wort sagt, berufen. In der gesellschaftlichen Praxis müssen viele zufrieden sein, wenn sie nur einen „Job“ finden. Umso mehr erwartet man dann von Volksvertretern, dass sie ihren Beruf nicht um des Geldes willen ergreifen. Wer aber „berufen“ wäre, stünde unter innerer Nötigung. Hat er auf eine Gegenleistung denn Anspruch, wenn er seine Leistung im Grunde sich selbst erbringt statt einem Auftraggeber? Müsste nicht eine Art Grundeinkommen reichen?
Weil die innere Nötigung anderswo nicht zählt, wird sie idealisch überhöht, wenn’s um Abgeordnete geht. Das führt wenigstens zum Misstrauen gegen diese. Abgeordnete mögen sich selbst als höhere Wesen sehen, wahrgenommen werden sie nicht so - das ist gut. Autoritär sind wir aber dennoch geblieben. Denn wir messen Abgeordnete und Minister mit zweierlei Maß.
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