David wirft seinen Stein

Syriza Im Schuldenstreit ist es Alexis Tsipras gelungen, die politische Hegemonie der EU zu durchbrechen
Ausgabe 26/2015
Alex Tsipras (links) stellt die geübte Austeritätspolitik in der Eurozone in Frage
Alex Tsipras (links) stellt die geübte Austeritätspolitik in der Eurozone in Frage

Foto: Emmanuel Dunand/Getty Images

Der Kampf zwischen der griechischen Regierung und den Gläubigerinstitutionen wird nach dieser Woche weitergehen, aber bereits jetzt lassen sich Lehren ziehen. Hat es eine solche Auseinandersetzung überhaupt schon einmal gegeben? Man weiß von Staaten, die ihren Schuldendienst einstellten (Argentinien), von anderen, die wegen ihrer Schulden mit militärischer Gewalt kolonialisiert wurden (Ägypten), und von vielen anderen, die dem eigenen Volk unerträgliche Lasten auferlegten, um nur einfach den Gläubigern Genüge zu tun. Dass aber eine Regierung die politischen Repräsentanten der Gläubiger in Debatten verwickelt, um auf die Öffentlichkeit von Gläubigerstaaten einzuwirken und einen Stimmungswandel zu erreichen, das ist neu.

Ein schwacher Staat wie Griechenland will einen ökonomischen Riesen wie Deutschland mit Argumenten in die Enge treiben? Das muss auf den ersten Blick absurd scheinen. David hatte beim Kampf gegen Goliath doch wenigstens einen Stein in der Hand. Was haben Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis? Dass sie argumentieren, soll Wirkung haben? Hätte dann Jürgen Habermas doch recht mit seiner Theorie des herrschaftsfreien Dialogs? Nein, denn nur die Griechen haben argumentiert, während in Deutschland, dem mächtigsten der Gläubigerstaaten, gelogen wurde, dass sich die Bretter bogen. Dafür, die griechischen Argumente schlicht zu verbergen, haben die deutschen Herrscher und ihre medialen Mitläufer Mittel genug. Und doch hat sich gezeigt, dass die Griechen nicht chancenlos sind. Ihr erster Erfolg liegt auf der Hand: Die monatelang rasselnde Gebetsmühle, Griechenland lege keine Reformliste vor und da sei es ja klar, dass man die längst versprochenen Hilfen nicht auszahlen könne, hat ihren Geist aufgegeben. Vor dem EU-Sondergipfel hörte man auf einmal, dass es zwei Reformlisten gibt, eine der Gläubiger und eine griechische, die miteinander streiten. Da dann auch über beide Listen berichtet werden musste, konnte sich die Bevölkerung selbst fragen, welche sie plausibler findet.

Das politische Verhalten des Alexis Tsipras erklärt sich nicht zum wenigsten daraus, dass er Eurokommunist gewesen ist. Antonio Gramsci war der Theoretiker, auf den sich die eurokommunistischen Parteien Italiens, Frankreichs und Spaniens beriefen. Der hatte betont, dass staatliche Herrschaft nie bloß auf Gewalt beruht, sondern immer auch „Hegemonie“, das heißt einen Minimalkonsens zwischen Herrschern und Beherrschten, erfordert. Wer Herrschaft stürzen will, muss zuerst diesen Konsens angreifen, der Herrschende und Beherrschte miteinander verkittet. Das versucht die Regierung Tsipras, indem sie die in der Eurozone geübte Austeritätspolitik in Frage stellt. Sie nutzt die einzige Schwäche der Gläubigerstaaten aus, denen es nicht egal sein kann, ob Griechenland die EU verlässt und sich womöglich mit Russland verbündet oder nicht. Sie wird zudem vom Beistand der eigenen Bevölkerung getragen. Es gehört dazu, dass sie einen gesellschaftlichen Nerv getroffen haben muss.

Gewiss hilft Syriza auch die Besonderheit des griechischen parlamentarischen Systems, dass ein Wahlerfolg von etwas mehr als 30 Prozent schon ausreicht, um dank zusätzlicher Mandate die Regierung zu bilden. Die Lehre daraus ist aber nur, dass die Bedingungen politischen Handelns immer von Fall zu Fall verschieden sind. Wo der Widerstand Chancen griechischer Art nicht hat, hat er andere.

Ein einziger Milliardär

Noch eine Lehre kann aus dem Streit gezogen werden. Warum kommen die Gläubigerstaaten Griechenland nicht entgegen, damit es sich nicht an Russland anlehnt? Es wird nicht selten an die Entschiedenheit erinnert, mit der einst der US-Präsident Franklin D. Roosevelt die Austeritätspolitik in seinem Land beendete. Aber die Verhältnisse waren ganz anders als heute. Zum einen waren die Folgen des Ersten. Weltkriegs noch spürbar. Da konnten die Reichen nicht dafür kämpfen, gesellschaftliche Solidarität zurückhalten zu dürfen. Zum andern nötigte die Existenz der Sowjetunion zur Vorsicht.

Heute dagegen sind die Vermögenden übermächtig und werden immer mächtiger, wie jüngst Thomas Piketty gezeigt hat. Welchen Weg ihr politischer Einfluss sich bahnt, ist zwar selten so sichtbar wie in den USA, wo ein einziger Milliardär die Republikanische Partei beherrscht und es nicht einmal verbergen muss. Das berichtete ausgerechnet die Frankfurter Allgemeine. Aber irgendwelche Wege gibt es überall, und weil ein Staat, welcher es auch sei, in der Globalisierung nicht mehr unabhängig von anderen Staaten agieren kann, wäre der Spielraum selbst einer gutwilligen deutschen Regierung begrenzt. Der deutsche Staat ist ja selbst verschuldet – sprich: in Gläubigerhänden. Es ist offenbar nicht leicht, sich darüber hinwegzusetzen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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