Demontage der Demokratie

Griechenland Die Moskau-Reise von Alexis Tsipras zwingt zum Offenbarungseid. Selten haben EU-Politiker so klar gesagt, dass Athen zu Gehorsam statt Souveränität verpflichtet ist
Ausgabe 15/2015
Tsipras (2. v. r.) lehnt die Sanktionspolitik der EU gegen Russland ab
Tsipras (2. v. r.) lehnt die Sanktionspolitik der EU gegen Russland ab

Foto: Ivan Sekretarev/AFP/Getty Images

In dieser Woche hat der griechische Premierminister in Moskau mit der russischen Führung, vor allem Präsident Wladimir Putin, verhandelt. Ein Besuch, der im Vorfeld für Aufregung unter EU-Politikern gesorgt hat. Aufregung?

Antidemokratische Intervention wäre der passendere Begriff. Denn was etwa EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vorbringt: Es sei „nicht akzeptabel“, wenn Tsipras darauf spekuliere, dass als Gegenleistung für russische Hilfe „die einheitliche Haltung Europas etwa in der Russland-Politik aufs Spiel gesetzt wird“, ist nicht Ausdruck eines Sturms der Gefühle. Es ist die Demontage von europäischem Verfassungsrecht. Dieselben Politiker, die immerzu tönen, Griechenland müsse nun einmal die Verträge erfüllen, die es eingegangen sei, machen diesem Staat das jedem EU-Mitglied verbürgte Recht streitig, in den Gremien der Europäischen Union seinen eigenen Standpunkt zu vertreten.

Tatsächlich lehnt die neue griechische Regierung die Sanktionspolitik der EU gegen Russland ab. Alexis Tsipras hat sie jetzt noch einmal als „sinnlos“ bezeichnet. Auch ein paar andere Staaten lehnen sie ab, haben sich aber bisher nicht gegen sie gewehrt. Wenn Griechenland das nun möglicherweise tut, setzt es keine „einheitliche Haltung“ aufs Spiel, sondern legt offen, dass es eine solche schon bisher nicht gegeben hat. Wie kann aus dem Mund eines Demokraten der Satz kommen, das sei „nicht akzeptabel“? Was wäre die Begründung? Dass wegen des Einstimmigkeitsprinzips dann keine Sanktionspolitik mehr möglich wäre? Aber dann müssten die EU-Verträge geändert werden, es müsste heißen: „Verfassungsrechte gelten nur in Übereinstimmung mit dem Willen führender EU-Regierungen“.

Was hier gespielt wird, hat Die Welt in wenigen Zeilen gebündelt. Man würde es unfreiwillig komisch nennen, wäre der Vorgang nicht so ernst: Erstens, Griechenlands Ausspielen der russischen Karte sei „ein Wahnwitz“. Nächster Satz: „Andererseits“ müsse Griechenland dem Internationalen Währungsfonds (IWF) 450 Millionen Euro zurückzahlen, und zwar am Tag nach dem Treffen mit Putin, „und hat das Geld bisher nicht aufgetrieben“. Drittens, der griechischen Volkswirtschaft sind wegen der Sanktionspolitik der EU Schäden in Höhe von 400 Millionen Euro entstanden. Fast so viel, wie das Land dem IWF geben muss. Das bedeutet, wenn Griechenland unfähig ist, das Geld aufzutreiben, ist die EU Mitverursacherin, greift aber dennoch der griechischen Regierung nicht unter die Arme. Da sie noch immer keine „überzeugende Reformliste“ aus Athen bekommen haben will, hält die EU 7,2 Milliarden Euro an Notkrediten, die schon in Aussicht gestellt sind, weiterhin zurück. Auch ein Teilkredit ist nicht drin. Auch nicht einen Tag vor dem Rückzahlungstermin. Wenn aber Tsipras an diesem Tag mit Putin verhandelt, ist das „nicht akzeptabel“. Was geht hier vor, wenn nicht, dass Griechenland zur bedingungslosen Kapitulation aufgefordert wird? So ging man früher mit Staaten um, die anschließend Kolonien wurden.

Der Vorgang wirft auch die Frage auf, wie ernst es der deutschen Regierung mit ihrer Behauptung ist, sie wolle ein gutes Verhältnis mit Russland. Wie kommt es dann, dass Politiker nervös werden, wenn Tsipras von „brüderlichen Beziehungen“ zu Russland spricht und etwa die gemeinsame orthodoxe Konfession hervorhebt? Tsipras will wirklich, was die deutsche Kanzlerin vielleicht nur vorgibt, um das deutsche Publikum zu beruhigen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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