Den Staat als Pionier sehen

Crossover Die SPD-Linke denkt nicht so, wie Benjamin Mikfeld suggeriert

In der Freitag-Debatte über die Zukunft des Sozialstaates hatten sich zuletzt Björn Böhning (SPD) und Benjamin Hoff (LINKE) für ein neues Crossover innerhalb der Linken eingesetzt. SPD, Linkspartei und Grüne sollten aufhören, "Brücken zueinander abzubrechen", und stattdessen aus ihrer rechnerischen Mehrheit politische Handlungsfähigkeit gewinnen. Eröffnet hatte die Diskussion der Ex-Juso-Vorsitzende Benjamin Mikfeld mit seiner These von der Auferstehung einer "vergangenheitsfixierten Zombie-Linken" um Oskar Lafontaine, die ihre sozialen Sicherheitsversprechen nicht in ein politisches Modernisierungs-, sondern ein "Rolle-Rückwärts-Programm" einbaue. In dieser Ausgabe schreiben der Sozialwissenschaftler Christoph Spehr, Fraktionsgeschäftsführer der LINKEN in der Bremischen Bürgerschaft, und Michael Jäger.

Benjamin Mikfelds Versuch, der Linkspartei überholte Positionen zuzuschreiben, hat eine völlig verkehrte Optik geschaffen. Man nimmt ihn als Vertreter der SPD-Linken wahr, und das ist er ja auch; aber er ist gleichzeitig Angestellter des Parteivorstands und daher kein guter Botschafter dessen, worum es der SPD-Linken geht. Wir erkennen das, wenn wir seine Aussagen vor dem Hintergrund der Debatten im Organ der SPD-Linken lesen, der Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, kurz spw.

Zu den Herausgebern gehören neben Mikfeld auch Freitag-Autor Michael Krätke und Andrea Nahles, designierte stellvertretende SPD-Vorsitzende. Nahles hat Anfang der Woche gegen das Buch Stellung genommen, in dem ihre Parteivorstandskollegen Steinmeier, Steinbrück und Platzeck die "Agenda 2010" des gewesenen SPD-Kanzlers Schröder verteidigen. So gehe das nicht, sagte sie, dass die einen diese Agenda nur angriffen und die andern sie nur verteidigten; man müsse schon auch über ihre Kritikwürdigkeit reden, sonst breche alles auseinander. Und da soll die Linkspartei, deren Gründung eine Reaktion eben auf die Kritikwürdigkeit der Agenda war, aus "Zombie-Linken" bestehen, wie Mikfeld behauptet hat?

Sehen wir uns die Zeitschrift spw näher an. Die 18 Herausgeber haben mit dem Editorial des im Vorjahr erschienenen Hefts 150 eine neue Positionsbeschreibung verabschiedet, auf die sich die spw-Redaktion seitdem beruft. Was ist das Auffälligste an der neuen Position? Dass es - glücklicherweise! - die alte geblieben ist. Die Herausgeber erinnern an die drei Hauptdiskussionsstränge der Zeitschrift seit der Wende von 1990: die Suche nach einer modernen sozialistischen Alternative zum neuen Kapitalismus; das Projekt des ökologisch-sozialen Umbaus, wie es aus dem Berliner Programm der SPD von 1989 hervorgeht; die Politik des "Crossover", die in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre sozialdemokratische und grüne Linke "sowie reformerische Strömungen der PDS" zusammenführte. "Diese Kontexte sind weiter aktuell", stellen die Herausgeber fest und benennen als schlechte Erbschaft der rot-grünen Regierungszeit "die Neigung, den Einfluss der (mit dem Kapitalismus gleichgesetzten) ›Wirtschaft‹ auf die Gesellschaft lediglich eindämmen zu wollen, statt eine andere Art und Weise des Wirtschaftens anzustreben".

Hier spricht keine Zombie-Linke, obwohl die Autoren wissen, sie müssen ihre Position "unter den Bedingungen der so genannten Globalisierung" formulieren. Übrigens waren diese Bedingungen ja auch schon in den Neunzigern bekannt, als es den Crossover-Prozess gab. Warum sollte die damalige PDS sie vergessen haben? Und warum Lafontaine, der damals SPD-Vorsitzender war? Mikfelds Versuch im Freitag, der Linkspartei ein Vorbeidenken an der Globalisierung nachzuweisen, ist einfach absurd, wenn man es an diesem Editorial misst, das er selbst unterschrieben hat. Denn hier wird gefordert, unter Globalisierungsbedingungen "ein europäisches Wirtschafts- und Sozialmodell" zu realisieren; "noch stärker" soll sich Europa "als eigenständiger Faktor in einem multilateralen internationalen Gefüge etablieren". Eben diese Antwort gibt auch Lafontaine, deshalb weist er häufig auf Deutschlands Nachbarländer hin, die am europäischen Modell festhalten, statt den Sozialstaat abzubauen und Unternehmern unsinnige Steuergeschenke zu verabreichen.

Die spw-Autoren denken in denselben Bahnen wie er und seine neue Partei. Im jetzt erschienenen Heft 157 wird immer wieder gefordert, den Staat ins Spiel zu bringen. Am deutlichsten sagt es Andreas Machnig, Sigmar Gabriels Staatssekretär im Umweltministerium: "Ich glaube, dass das Konzept, den Staat als Pionier zu sehen, erheblich an Bedeutung gewonnen hat." Von der Behauptung, staatliche Regulierung werde angesichts der Globalisierung unmöglich, findet sich überhaupt keine Spur. Stattdessen greifen die Autoren ausdrücklich den Neoliberalismus an, und sie tun es nicht nur im Allgemeinen. Manches ist zwar umstritten. Zur Privatisierung der Bahn gibt es eine Debatte, in der Martin Burkert, der Bahnbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, eine Teilprivatisierung befürwortet: "Der Bund wird juristischer Eigentümer, die Bahn darf die Infrastruktur aber für 15 Jahre bewirtschaften." Dem widerspricht Hermann Scheer: Eine wie auch immer privatisierte Bahn, die vor allem "eine hohe Rendite erwirtschaften" will, kann an dem "verkehrs- und umweltpolitischen Anspruch, die Bahn in der Fläche wachsen zu lassen und ihre Netzdichte zu verbessern, kein Interesse haben".

Den schönen Worten der SPD-Linken sollten jetzt endlich auch Taten folgen

Die meisten Beiträge des Hefts gelten dem "Bündnis für Arbeit und Umwelt", das noch ganz wie zu Crossover-Zeiten buchstabiert wird. Ökologische Industriepolitik soll Arbeitsplätze schaffen. Ökosteuer und CO2-Handel werden einer vernichtenden Kritik unterzogen. Auch Hartz IV wird kritisiert: Diese Reform habe unter der falschen "Prämisse" gestanden, "Vollbeschäftigung sei wieder erreichbar, wenn nur die Arbeitsvermittlung effizienter arbeiten könnte"; die ersehnte Vollbeschäftigung werde aber von Jahr zu Jahr unwahrscheinlicher. Wenn man Hartz IV durch eine sehr viel höhere Grundsicherung ersetze, werde "der Zwang geringer, um jeden Preis eine beliebige Beschäftigung anzunehmen": "Der Arbeitssuchende kann dem Arbeitgeber wieder ›auf Augenhöhe‹ gegenübertreten."

Die Zeitschrift versucht sich tatsächlich in einem "modernen" Sozialismus. Die schon genannten Ideen von Martin Burkert zur Teilprivatisierung der Bahn sind ein Beispiel, denn das ist der Versuch, den Neoliberalismus gleichsam gegen sich selbst auszuspielen. Öffentliche Aufgaben sollen so an Unternehmen vergeben werden, dass diesen dadurch keine politische oder auch nur ökonomische Macht zuwächst; ein starker Staat soll harte Bedingungen setzen und den Auftrag auch wieder zurückziehen können. Gelungen ist das noch nie, aber das Nachdenken darüber ist legitim. In China gilt dergleichen als Sozialismus. Das Editorial zu Heft 150 sieht hier eine zeitgemäße Fortsetzung des Versuchs, die Produktionsmittel zu vergesellschaften.

Man kann diese Debatte nicht gegen die Positionen der Linkspartei ausspielen, zu denen sie in gar keinem Gegensatz steht. Um ihre Fruchtbarkeit auszuschöpfen, muss man vielmehr den Crossover-Prozess fortsetzen. Der wurde durch Gerhard Schröders verfehlte Politik unterbrochen und um Jahre zurückgeworfen.

Den schönen spw-Worten sollten jetzt endlich auch Taten folgen. Was sich Mikfeld im Freitag geleistet hat, war kein Anfang. Da führt sogar das Interview weiter, das Nahles im jüngsten spw-Heft erscheinen ließ. Zwar müht sie sich, die Politik des Parteivorstands schönzureden. Doch hält sie wenigstens das Gerede nicht aufrecht, ein Bündnis mit der Linkspartei sei nur möglich, wenn diese ihren Vorsitzenden Lafontaine entsorge. Sie sagt nur noch, es könne keine Kooperation geben, "solange Lafontaine vor allem daran interessiert ist, die Partei, die ihn groß gemacht hat, am Nasenring durch die politische Arena zu ziehen". Eine Bedingung, die sich leicht erfüllen lässt, denn wenn es die Kooperation gibt, hört jedes Ziehen am Nasenring auf. Lasst sie endlich beginnen!


SPD DEBATTE

Bisher haben in dieser Debatte geschrieben:

Benjamin Mikfeld
Die Auferstehung der Zombielinken
(Freitag 29 vom 20. 7. 2007)

Albrecht Müller
Das Versagen der SPD-Linken
(Freitag 30 vom 27. 7. 2007)

Benjamin Mikfeld
Wir wollen keine Wirtshausprügelei
(Freitag 32 vom 10. 8. 2007)

Joachim Bischoff
Über Zombies und Voodoo-Kult
(Freitag 32 vom 10. 8. 2007)

Björn Böhning/Benjamin Hoff
New Deal - keine Rolle rückwärts
(Freitag 34 vom 24. 8. 2007)

Wolfgang Storz
Schlagabtausch mit Pappkameraden
(Freitag 34 vom 24. 8. 2007)

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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