Der Heuchler – so titelte eine Zeitung am zweiten Prozesstag. Das ist das mindeste, was man über Uli Hoeneß sagen kann. Nicht nur, dass er sich als Gemeinwohldenker hingestellt hat, bevor er sich als Steuerhinterzieher selbst anzeigen musste. Das ging ja sogar so weit, dass der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer mit dem Gedanken spielte, ihn in sein Kabinett zu holen. Sondern am ersten Prozesstag räumte er auch noch ein, dass er weit mehr Steuern hinterzogen hat als zunächst angegeben. 18,5 statt 3,5 Millionen Euro. Inzwischen ist sogar von 27,2 Millionen Euro die Rede. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsste allein die Höhe des Betrags ausschließen, dass Hoeneß mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.
Ökonomi
titelte eine Zeitung am zweiten Prozesstag. Das ist das mindeste, was man über Uli Hoeneß sagen kann. Nicht nur, dass er sich als Gemeinwohldenker hingestellt hat, bevor er sich als Steuerhinterzieher selbst anzeigen musste. Das ging ja sogar so weit, dass der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer mit dem Gedanken spielte, ihn in sein Kabinett zu holen. Sondern am ersten Prozesstag räumte er auch noch ein, dass er weit mehr Steuern hinterzogen hat als zunächst angegeben. 18,5 statt 3,5 Millionen Euro. Inzwischen ist sogar von 27,2 Millionen Euro die Rede. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsste allein die Höhe des Betrags ausschließen, dass Hoeneß mit einer Bewährungsstrafe davonkommt.XX-replace-me-XXX214;konomisches Fehlverhalten im großen Stil ausschließlich moralisch zu beurteilen, ist dabei nicht ratsam. Man tut vielmehr gut, das Wirtschaftssystem zu beleuchten, in dem die Gier der Zocker so gut gedeiht, dass sie schließlich auch vor Gesetzesschranken nicht haltmachen. So fällt, was Hoeneß angeht, der erste Blick auf den Umstand, dass er gerade bei gigantischen Spekulationsgewinnen gigantisch viel Steuern hinterzog. Warum lassen wir uns den Kasinokapitalismus überhaupt gefallen und regen uns erst auf, wenn einer wie Hoeneß ihn noch ins eindeutig Illegale überdreht?An seinem Fall ist aber auch die moralische Seite interessant, weil man ahnt, dass die Diagnose „Heuchelei“ den Sachverhalt eher verharmlost. Die Erklärung, Hoeneß sei ein Egoist, der sich über das Gemeinwohl heimlich belustigt, ist zu simpel. Man muss stattdessen fragen, welche Vorstellung er davon hat und wie sich sein Vergehen damit verträgt. Man stößt dann auf ein Muster, das für viele wohlhabende Bürger charakteristisch ist. Hoeneß selbst weist darauf hin, dass er immerhin 50 Millionen Euro an den Staat gezahlt hat. Und ohne dass er es sagen muss, fügt man in Gedanken dazu: Außerdem hat er ja für uns alle etwas getan! Die Republik wäre ohne die zusammengekaufte Weltelf, die sich „Bayern München“ nennt, ein merkliches Stück grauer. Daran hat er einen bedeutenden Anteil. Außerdem verkauft er noch Wurst, das ist auch nicht unwichtig. Brot und Spiele sind beide gemeinnützig, das haben schon die Römer so gesehen. Ein guter Patron ist er obendrein. Über einen wie Gerd Müller, den Helden des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft 1974, der danach sein Leben nicht in den Griff bekam, hält er seine schützende Hand.Doch das Problem dabei ist: Es sind alles Dinge, die Hoeneß selbst zu geben beschlossen hat. Wir leben aber in einer Demokratie. In der Demokratie beschließen alle zusammen, was gegeben werden soll. Da kann sich nicht einer ausklinken und über Gaben wie Abgaben aus privater Machtfülle entscheiden. Er wäre bestenfalls ein altruistischer Tyrann.Der Tyrann, der selbstherrlich über seine Gaben verfügt, entscheidet dann auch, die staatlichen Entscheidungen zu unterlaufen. Das geschieht ja nicht nur in der Form der Illegalität, die freilich schon für sich genommen erschreckende Ausmaße annimmt. 60.000 Selbstanzeigen der Steuerhinterziehung hat es allein im vergangenen Jahr gegeben. Die Reichen haben aber auch auf den Staat eingewirkt, den Spitzensteuersatz zu senken. Da handelten sie legal und hatten beträchtlichen Erfolg. Sie müssen gar nicht selbst in Erscheinung treten, können Journalisten und Politiker vorschieben. An ihrer Macht scheitert noch immer die Vermögenssteuer. Auch die Unternehmenssteuern sind gesenkt worden, mit der Begründung, dass dann mehr Gewinn in Arbeitsplätze investiert werden könne. Hat nicht sogar ein Bundeswirtschaftsminister behauptet, gerecht sei, was Arbeitsplätze schafft?Und hier kommen wir der Moral solcher Zeitgenossen wie Hoeneß immer näher. Ganz allein kann ich fürs Gemeinwohl nicht sorgen, wird er sich sagen. Es bedarf schon des Staates, dem ich ja 50 Millionen gegeben habe. Aber die Hauptsache bleibt doch, dass aus dem puren egoistischen Zusammenwirken von uns Unternehmern der Nutzen für alle herausspringt. Dafür sorgt bekanntlich eine unsichtbare Hand! Im Übrigen, mag Hoeneß sich gedacht haben, sind wir nicht alle nur Egoisten, ich zum Beispiel bin keiner und deshalb bei meinen Leuten beliebt. Wissen wir nicht sogar besser als der Staat, was den Leuten gut tut? Der Staat, wie er arbeitet, kann es doch mit meiner Wurstfabrik nicht aufnehmen, von der Weltelf ganz zu schweigen.In der Tat sind nicht alle Egoisten. Nicht einmal alle, die Steuern hinterziehen, sind welche. Alice Schwarzers Lebenswerk zum Beispiel dient sicher dem Gemeinwohl. Es gibt auch Unternehmer, die gemeinnützige Stiftungen mit Geld ausstatten – nicht immer nur, um Steuern zu sparen. Ja, es gibt Initiativen von Reichen, die andere Reiche aufrufen, mehr Steuern zu zahlen als der Staat verlangt. Und es wird gespendet, wenngleich in Deutschland weniger als anderswo.Maßgeblich ist aber, dass auch die letztgenannten erfreulichen Dinge immer nur Ausfluss der freien Privatentscheidung der Reichen sind. Das ist nicht in Ordnung. In einer Demokratie, die ihren Namen verdient, würde der Fall Hoeneß zum Anlass genommen, reiche Steuersünder härter zu bestrafen, die Vermögenssteuer endlich einzuführen und darüber hinaus eine Gerechtigkeitsdebatte zu beginnen.
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