Die Vorstellung, Schröder sei froh, Hombach wegloben zu können, ist blauäugig und sogar widersprüchlich. Denn gleichzeitig wird geraunt, dem Kanzler fehle jetzt ein Blitzableiter. In Zukunft ziehe er den Unmut über seine Politik auf sich selbst. Wie denn nun, wurde der Buhmann gebraucht oder richtete er Schaden an? Beides ist richtig. Beides hat keine Rolle gespielt. Entlastung durch einen Blitzableiter hat Schröder nicht nötig, weil er seine Macht aufs Kanzleramt und die neoliberalen Medien, kaum aber auf die Koalitionsparteien stützt. Wenn diese über Hombach schimpften, konnten die Medien umso überzeugender melden, Schröder bewähre sich und greife durch. Im übrigen wußten die Abgeordneten genau, daß Hombachs Politik Schröders Politik ist. Wenn sie trotzdem Hombach statt Schröder angriffen, zeigt das nur, daß sie Schröder nicht anzugreifen wagen. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern.
Es ist nicht einmal wahr, daß Hombach in seiner Rolle als Kanzleramtsminister versagt habe. Was soll ihm denn nicht gelungen sein? Es heißt, er habe die Arbeit der Ministerien nicht koordiniert, sondern sei »für das Chaos« verantwortlich. Von einem Chaos kann aber gar keine Rede sein. Vielmehr hat Schröder zielstrebig Institutionsmacht ausgebaut und sich dabei auf Hombachs gute Dienste gestützt. Macht über Konkurrenten wie Lafontaine und Trittin konnte er nicht durch Kooperation, also auch nicht durch Koordination gewinnen.
Zum Koordinieren ist der bisherige Staatssekretär Steinmeier da, den Schröder aus Niedersachsen mitgebracht hat. Er wird Hombachs Nachfolger als Kanzleramtsminister. Das bedeutet, die »besonderen Aufgaben«, die Hombach lösen sollte, sind gelöst. Nur die Umsetzung bleibt zu leisten. Die muß natürlich koordiniert werden. Besonders das Bündnis für Arbeit ist so, wie von Schröder gewollt, auf den Weg gebracht, zuletzt noch durch das »Schröder-Blair-Papier«, das Hombachs Handschrift trägt. Was fehlte da noch außer dem Schachzug, die Regierungs-Position nunmehr von einer bekannten Gewerkschafterin vertreten zu lassen? Die Koordination des Bündnisses für Arbeit wird künftig von Frau Wulf-Mathies wahrgenommen, die den Status einer Beauftragten des Kanzleramts erhält.
Es ist selbstverständlich, daß Hombach als Mann »für besondere Aufgaben« kein Koordinator sein konnte, denn als Koordinator wäre er nicht für das Besondere, sondern für das Allgemeine zuständig gewesen. Koordinieren ist eine Verwaltungsaufgabe. Für besondere Aufgaben wird der ganz andere Typus des Kommissars gebraucht. Ein Kommissar ist jemand, der einen Auftrag erhält und ihn möglichst im befohlenen Rahmen, jedenfalls aber angemessen erfüllt. Wenn die angemessene Erfüllung nur durch Überschreitung des Rahmens gelingt, muß der Kommissar sich hinterher beim Auftraggeber rechtfertigen. Dieser kann sich dann distanzieren und gleichzeitig froh sein, weil der Auftrag erfüllt ist. Die Rolle des Kommissars hat Hombach mit Bravour gespielt. Wie er den Kabinettsbeschluß kippte, ein Atomgesetz solle vorgelegt werden, war sicher nur im Ergebnis, nicht in der Durchführung mit Schröder besprochen. Von der Durchführung konnte Schröder sich distanzieren.
Nun ist ein Kommissar in der Verfassung gar nicht vorgesehen, und aus gutem Grund. Im alten Rom, das die commissio als Rechtsinstitut erfand, war sie Handlungsgrundlage für Diktatoren, die der römische Senat immer mal wieder legitimieren mußte. In der Demokratie der Neuzeit werden nur noch unterste Vollzugsebenen so legitimiert, besonders die Polizei. Der Umstand, daß der Kanzler sich einen Kommissar hält, spricht noch nicht für diktatorische Tendenzen. Hombach ist ja auch kein polizeilicher Kommissar, sondern ein politischer. Freilich, auch Politkommissare sind parakonstitutionell. Schon ein Kanzleramt war in der Verfassung nicht vorgesehen.
Im Kanzleramt haben schon vor Hombach neben Koordinatoren Kommissare gewirkt, ein bekanntes Beispiel ist Wischnewski, der für Helmut Schmidt in Nahost herumreiste. Aber es war ein neuer Schritt, das ganze Amt unter die Führung eines Kommissars zu stellen. Der Kommissar ist abgetreten. Steinmeier, der neue Kanzleramtsminister, wird die Rolle nicht fortspielen. Bedeutet das, sie ist schon wieder abgeschafft? Nein, sondern der Kommissar wird jetzt auf dem Balkan gebraucht. Er wird EU-Verantwortlicher für den »Stabilitätspakt«. Nun heißt es wieder, Hombach könne doch gar nicht koordinieren. Es ist dasselbe Mißverständnis wie oben. Wer sagt denn, daß auf dem Balkan ein Koordinator gebraucht wird? Vielmehr wird einer gebraucht, der Macht gegen Widerstand durchsetzen kann.
Der Stabilitätspakt ist eine Idee des deutschen Auswärtigen Amtes. Sie steht in der Tradition der deutschen Europapolitik nach dem Zerfall des Warschauer Pakts, wie sie besonders deutlich 1994 im »Kerneuropa«-Papier von Schäuble und Lamers formuliert worden war. Deutschland dürfe nicht wieder in eine unsichere Mittellage zwischen West- und Osteuropa geraten, lesen wir da, denn wie die Vergangenheit bis zu den Weltkriegen gezeigt habe, sei Deutschland nicht stark genug, die Ost-West-Spaltung durch Hegemonie über beide Seiten zu neutralisieren. In Zukunft bleibe nur die Möglichkeit, dafür zu sorgen, daß der Osten sich dem Westen angleiche. Wenn nämlich ganz Europa das Gleiche ist, hat es keinen Sinn mehr, von einer deutschen Mittellage in ihm zu sprechen. Dann stellt sie keine Gefahr mehr dar. Europäische Gleichheit wäre ein anspruchsvolles Ziel, dem deutschen Interesse ist aber schon gedient, wenn nur überhaupt Angleichungsprozesse laufen. Die östliche Angleichung funktioniert besser, wenn der westliche Magnetpol, sprich die Europäische Union, möglichst stark ausgebaut ist. Das ist das eine deutsche Europa-Interesse.
Das andere ist die Beschleunigung der Angleichungsprozesse. Hieraus ergab sich die frühzeitige Anerkennung Kroatiens und Sloweniens. Diese Staaten waren so bereit, sich der EU anzugleichen, daß sie gar nicht schnell genug aus dem Verband mit Serbien herausstreben konnten. Im Stabilitätspakt von 1999 heißt es nun auch wieder, man müsse die Balkan-Staaten an das Ziel gewöhnen, der EU beitreten zu wollen. Da kommen wir der Rolle, die Hombach spielen soll, schon näher. Der Stabilitätspakt braucht einen völkerrechtlichen Rahmen. Das können nur die UNO und die OSZE sein. Diese werden freilich nicht beschließen, man solle Serbien das Geld zum Wiederaufbau der Trinkwasserversorgung vorenthalten. Sie geben das Mandat. Aber gleichzeitig ist ein »EU-Beauftragter« für den Stabilitätspakt vorgesehen.
Diese Person darf man sich nicht als Administrator vorstellen. Die EU hat auf dem Balkan nichts zu administrieren, so wenig wie die NATO dort bomben durfte. Aber sie hat Macht und Interessen. Vor allem gilt das für Deutschland, dessen Beamte den Stabilitätspakt vorschlugen. Der EU-Beauftragte muß jemand sein, der die Macht der EU als Lockmittel einzusetzen weiß, indem er mit ökonomischen connections winkt. Er muß ferner ein Propagandist sein und die Öffentlichkeitsarbeit beherrschen. Präsident Clinton soll Schröder gedrängt haben, die deutsche Idee eines Stabilitätspakts mit einem deutschen Personalvorschlag zu krönen. Brauchte der Kanzler wirklich diesen Ratschlag? Er selbst sagte: Wenn die Deutschen die Aufbaukosten tragen müssen, haben sie auch das Recht, die Sache in die Hand zu nehmen. Seine innenpolitische Macht hat er ausgebaut, nun besetzt er eine Schaltstelle europäischer Macht mit Hombach, dem Kommissar.
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