Nach seiner Singschule befragt, antwortet bei Richard Wagner ein Ritter, er habe im Wald den Vögeln zugehört (Die Meistersinger von Nürnberg, 1868). Aber erst Olivier Messiaen kam auf die Idee, den Vogelgesang buchstäblich nachzuahmen, in unsere zwölftönige Musik zu übersetzen und einen fast dreistündigen, 13 „Bücher“ füllenden Katalog der Vögel daraus zu kompilieren (Catalogue d’Oiseaux, 1958). Mit diesen Klavierstücken, sicher einem der Hauptwerke Messiaens, begann am vorigen Freitag das Berliner Musikfest 2019.
Was hat den Komponisten dazu bewogen, Vögel so ausführlich zu zitieren? Für Pierre-Laurent Aimard, der die Stücke mit gewohnter Sachlichkeit und Brillanz spielte, sind sie eine „musikalische Zuflucht“ angesichts unserer Bestürzung „darüber, wie der Mensch die Natur vernichtet“. Messiaen selbst war noch nicht auf solche Gedanken gekommen. Für ihn, einen gläubigen Katholiken, singen die Vögel das Lob Gottes. Das wird in seiner Oper Saint François d’Assise (1983) ganz deutlich; deren sechstes Bild ist „Die Vogelpredigt“ überschrieben. Der Catalogue für Klavier ist als Vorstufe der Oper anzusehen. Franziskus sagt den Vögeln, „dass ihr ohne Worte sprecht wie in der Sprache der Engel allein durch Musik“. Zum Beispiel singt das Rotkehlchen, „als ob man eine Kette von sehr kostbaren Perlen löste“.
Pizzicato Pieps
So scheint Aimards Perspektive mit der von Messiaen gar nichts zu tun zu haben, aber dem ist nicht so. Den Bogen schlägt Kant. Auch in dessen philosophischer Ästhetik, der Kritik der Urteilskraft (1790), sind Vögel etwas wie Engel, ihr Gesang, schreibt er, „verkündigt Fröhlichkeit und Zufriedenheit mit seiner Existenz“. Er fügt allerdings hinzu, dass das nur unsere Deutung sei. Die kann auch ganz anders ausfallen. Für Adorno etwa „lauert im Gesang der Vögel das Schreckliche“. Auch Adorno würde aber diesem Gesang „Naturschönheit“ zuschreiben, von der Kant sagt, wer einen Sinn für sie habe, beweise damit, dass er an der Existenz des Schönen interessiert sei. Damit haben wir den Zusammenhang. Wie Aimards Spiel unser Interesse an der Existenz der Vögel wecken will, hätte Messiaen an ein altes Gebet zum Lob Gottes erinnern können: Volo ut sis, ich will, dass du seist.
Und tatsächlich fangen wir Feuer. Wir schlagen die Website mit dem Originalgesang etwa des „Teichrohrsängers“ auf, von dem Messiaen in seinem Vorwort zum Catalogue schreibt, er sei ein „langes Solo mit kratzigem Ton, das zugleich an ein Xylofon erinnert, an einen quietschenden Korken, an das Pizzicato der Streicher und an das Glissando der Harfe“; „im Rhythmus“ weise er „eine gewisse Wildheit und Hartnäckigkeit“ auf, „die es nur bei den Rosenvögeln gibt“. All das erkennen wir bei Messiaen sehr gut wieder, obwohl es in die Sprache der zwölf Töne des wohltemperierten Klaviers übersetzt ist, an denen unser Sänger doch immer vorbeisingt. Mit heutiger „Spektralmusik“ ließen sich alle Vogelstimmen eins zu eins wiedergeben, aber hätte das Messiaen interessiert? Schwerlich. Wenn die Vögel, wie er seinen Franziskus sagen lässt, „ihren Schöpfer an allen Orten und zu allen Zeiten loben“, hat er guten Grund, an der alten Auffassung von Musik als „Sphärenklang“ festzuhalten.
Dieser Anfang des Musikfests war bereits ein fantastischer Höhepunkt, mit vielen weiteren ist zu rechnen.
Info
Musikfest Berlin Philharmonie, Konzerthaus und weitere Orte, bis 19. September
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