Der Kuss des Himmlischen Friedens

Raumfahrt Erst die Raumfahrtstation im Orbit, dann eine bewohnte Station auf dem Mond, dann auf dem Mars: wie westlich China an die Apokalypse denkt

Seit einigen Tagen haben die Chinesen einen „Himmelspalast“ im All. Den Himmel als mythischen Ort kennen sie so gut wie wir, und nichts liegt näher, als an ihn anzudocken, da erste Module einer geplanten Raumstation zu benennen sind. Doch die chinesische Himmelsmetapher unterscheidet sich von der unsrigen. Himmel und Erde sind Yin und Yang, verhalten sich wie Mann und Frau zueinander.

In Europa und Amerika gibt es diesen Mythos zwar auch, bei Eichendorff etwa („Es war, als hätt’ der Himmel / die Erde still geküsst“), aber zugleich war das Christentum mächtig, anderthalb Jahrtausende lang, mit seiner Fantasie, dass Erde und Himmel „für das Feuer gehortet“ seien, „aufbewahrt für den Tag des Gerichts“. So hatte Petrus geschrieben, und Paulus ergänzt: „Dann werden wir in Wolken entrückt, zur Begegnung des Herrn in der Luft.“ Als die Macht der Kirche gebrochen war, vergaß man „Gericht“ und „Begegnung“, aber vom Verlassen der Erde hörte man nicht auf zu träumen. Der Traum wurde säkularisiert. Er nahm die Gestalt einer Flucht vor immer noch „apokalyptisch“ genannten Katastrophen mittels der Raumfahrt an.

Die Resultate der europäischen Säkularisierung haben freilich auch China erfasst, es würde dort sonst keine kommunistische Partei herrschen. Chinesische Raumfahrtprogramme gibt es seit den sechziger Jahren. Welcher Katastrophe chinesische „Institutsleiter, Professoren und Funktionäre“ durch Raumfahrt entrinnen wollten, erfuhr der Zukunftsforscher und Ökologe Robert Jungk, als er 1988 in Peking weilte: „Der einzige Ausweg gegen eine durch Überbevölkerung ausgelöste große Hungersnot, globale Umweltverschmutzung und weltweite Arbeitslosigkeit sei die möglichst schnelle und energische Vorbereitung der Auswanderung von Milliarden in die Weiten des Weltraums, behauptete zum Beispiel der Professor Boa Zhong-Hang. Nach seinem Programm sollte spätestens zu Beginn des 22. Säkulums die massenhafte Migration zu anderen Sternen möglich werden.“

Apokalypse Überbevölkerung

Die Technik der Chinesen hinkte hinterher, sonst aber dachten sie in denselben Kategorien wie die Europäer und US-Amerikaner. „Der Massenexodus der Menschheit vom Planeten Erde wird schon geplant“, konnte man 1966 in einer Titelstory des Spiegel lesen. „Erste Spähtrupps sollen schon in den achtziger Jahren auf dem Mars landen.“ Als Apo­kalypse, vor der man die Flucht ergriff, galt schon damals die Überbevölkerung. Daten, wie hier die achtziger Jahre, wurden später häufig genannt, von der NASA zum Beispiel, ohne je eingehalten worden zu sein. Aber es gibt eine offizielle Agenda, die etwa in den USA nie aufgegeben wurde: erst die Raumfahrtstation im Orbit, dann eine bewohnte Station auf dem Mond, dann auf dem Mars. China vollzieht mit Verspätung genau diese Agenda nach und ist jetzt beim Aufbau der Orbitstation angelangt, deren Vorbereitung der „Himmelspalast“ dienen soll. Die bemannte Mondlandung ist für 2024 geplant.

Die Erde wird derweil nicht „still geküsst“, auch gerade in China nicht, wo die nachgeholte industrielle Revolution zu schweren ökologischen Verwerfungen führt. Yin und Yang? Schön wär’s. Ob die Chinesen früher als wir Westler begreifen, dass man vor Katastrophen gar nicht fliehen müsste, sondern etwas gegen sie tun könnte? Die Überbevölkerung im eigenen Land zu stoppen, ist ihnen inzwischen gelungen. Vielleicht besinnen sie sich einst auch auf ihre kulturelle Tradition, die nicht so apokalyptisch aufgeheizt ist wie bei uns.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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