Der Ladenschluss und die Linken

Parteitag der WASG Wird die Fusion mit der Linkspartei eine politische Neugründung sein?

Wenn es in der linken WASG noch einen besonders linken Flügel gibt, so findet er jedenfalls auch keine schärferen Töne gegen die Rolle der Linkspartei im Berliner Senat, als der alte und neue Parteivorsitzende Klaus Ernst sie in seinem Rechenschaftsbericht aufbietet. Mancher Streit zwischen Führung und Basis bleibt auf dem Bundesparteitag der WASG am vergangenen Wochenende nicht aus, doch er ist der Rede kaum wert, denn der Ärger über den Berliner Senat, der den Ladenschluss total freigegeben hat, eint alle. Das sei mehr als ein Zugeständnis der Linkspartei, es sei die Vorreiterrolle für neoliberale Reformen in ganz Deutschland, schimpft einer, der sich als Betriebsratsvorsitzender eines Düsseldorfer Kaufhauses vorgestellt hat. Später bringt der Bundesvorstand eine Resolution ein, die gegen mehrere Teile des Berliner Koalitionsvertrags protestiert.

Unter der Voraussetzung, dass dennoch niemand den Zusammenschluss mit der Linkspartei in Frage stellt, kann kein Delegierter ernsthaft bestreiten, dass die Parteiführung ihren Job ganz gut gemacht hat. Sie hat erreicht, dass die WASG in den ersten Jahren nach der Fusion in allen Parteiinstitutionen und -gremien stark überrepräsentiert sein wird. Während die Linkspartei gut 60.000 Mitglieder hat und die WASG knapp 12.000, wird der Gründungsparteitag am 16. Juni 2007 paritätisch besetzt sein und zwei Parteivorsitzende wählen, einer davon heißt vermutlich Oskar Lafontaine. Danach hat die WASG ein Anrecht auf zunächst 40 Prozent Delegierte. Selbst in ostdeutschen Landesparteitagen stehen ihr anfangs 20 Prozent zu. An diesem Ergebnis gemessen, hat es sich gelohnt, die Verhandlungen geduldig zu führen, statt die Fusion zu überstürzen. Dass sie in der Form des Beitritts der WASG zur Linkspartei geschieht, zu welchem Zweck sich jetzt beide Partner in eingetragene Vereine verwandeln, liegt zwar vielen Parteifreunden schwer im Magen. Doch die meisten überzeugt das Argument, die Vermögenswerte der Linkspartei müssten erhalten bleiben. Klaus Ernst weiß und spricht es aus, dass das neue Projekt tot ist, wenn es als Westausdehnung der PDS wahrgenommen wird. Aber man müsse zwischen dem juristischen und dem politischen Gesichtspunkt unterscheiden. Politisch sei es eine Neugründung, denn es gebe eine neue Satzung, neue Gremien, ein neues Programm und einen neuen Parteinamen.

Das ist sicher keine erschöpfende Behandlung des Problems. Denn Ernst erneuert nur die Unterscheidung, die schon bei der Gründung der SED-PDS, wie sie sich zunächst nannte, gegolten hat. Die Behauptung, die PDS sei die alte SED, flog ihr dann jahrelang um die Ohren. Nun braucht das der Partei, die jetzt gegründet wird, nicht zu schaden. Es haben schon Einzelpersonen der WASG auf Bundestagswahllisten der Linkspartei kandidiert, und die Wähler sahen darin keine Westausdehnung der PDS. Aber ein anderer Einwand wäre gewichtiger: Die PDS war wirklich eine politische Neugründung der SED gegenüber; ob man sagen kann, die jetzt zu gründende Partei "Die Linke" werde es gegenüber der PDS sein, ist durchaus fraglich. Politisch-formell mag sie es sein - aber faktisch? Politische Gestaltungsmöglichkeiten wird "Die Linke" vorerst nur in Berlin haben, und da deutet nichts darauf hin, dass etwa die Öffnung des Ladenschlusses wieder rückgängig gemacht würde. Der für die WASG günstige Delegiertenschlüssel könnte zwar zu klaren Mehrheiten künftiger Parteitage gegen die Berliner Regierungslinke führen, die ja auch in der Linkspartei selber kritisiert wird. Wenn man es nicht wüsste, hätte man es aus dem Grußwort Wolfgang Gehrkes erfahren. Aber solche Mehrheiten gab es schon, als Gabi Zimmer Parteivorsitzende war.

Lafontaine freilich hat ein anderes Format. Er weiß natürlich, die Strategie, die er vor den Delegierten entwickelt, ist mit der Strategie der Berliner Linkspartei-Senatoren unvereinbar. Nach seinem Willen soll die fusionierte Partei eine Demokratiebewegung werden. Das politische System könne nicht mehr demokratisch genannt werden, da es seit Jahren Regierungen gebe, die gegen die ermittelte Mehrheit der Wähler regierten. Er fordert deshalb ein Recht auf den politischen Generalstreik. Überhaupt sei die neue Partei hauptsächlich dazu da, der Ansprechpartner der empörten Bürger zu sein, weil diese Rolle sonst von der NPD übernommen werde. Das gelinge aber nur, wenn sie glaubwürdig sei; mit dem, was in Berlin geschehe, sei sie es vorerst nicht. Doch auch Gregor Gysi hat Format. Er wird Lafontaines Partner und Gegengewicht bleiben. In seiner Rede geht er auf die Öffnung des Ladenschlusses oder andere Angriffsflächen, die sein Berliner Landesverband bietet, nicht ein; lieber spricht er von den Grünen und behauptet, sie seien niemals eine linke Partei gewesen, auch in den achtziger Jahren nicht, denn auch da hätten sie die soziale Frage nicht in den Mittelpunkt gestellt. Es ist eine seltsame Volte, wenn man bedenkt, dass Lafontaine vorher gesagt hat, die Öffnung des Ladenschlusses sei unmöglich für eine Partei, die die Interessen der Beschäftigten - also die soziale Frage - vertreten müsse.

Nehmen die Berliner Senatoren der Linkspartei am undemokratischen Regieren gegen die Wählermehrheit teil? Es ist klar, dass Lafontaine sich das fragt. Nachdem er am Samstag vor der WASG gesprochen hat, redet er am Sonntag in Berlin diesen Senatoren ins Gewissen. Er möchte, dass der Landesparteitag der Linkspartei ernsthaft überlegt, ob er die Berliner Koalition wirklich erneuern kann. Auf jeden Fall müsse er öffentlich erklären, er sei bereit, sie notfalls auch wieder zu verlassen. Lafontaine predigt tauben Ohren. Er hört die Senatorin Knake-Werner sagen, es sei ein "Durchbruch", dass im Koalitionsvertrag erstmals "Hartz-Gegner und Hartz-Befürworter gemeinsam Alternativen" zum Sozialabbau entwickelt hätten. Man fragt sich, was sein Kalkül ist. Glaubt er, mit seiner Kraft als Person und den ausgehandelten institutionellen Vorteilen könne er sich in der fusionierten Partei allmählich durchsetzen? Bedenkt er, dass er mit einer vergleichbaren Einschätzung Bundesfinanzminister wurde - dem das Grundgesetz beachtliche Macht zu geben scheint, nämlich ein Vetorecht in Finanzfragen gegen den Bundeskanzler - und doch Gerhard Schröder nicht gewachsen war?

Es gibt Gründe genug, auch jetzt an seinen Erfolgschancen zu zweifeln. Einer davon ist das hohe Maß an persönlicher Betroffenheit, die in seiner Parteitagsrede wieder deutlich wurde. Man sieht oft, wie ihn die Gemeinheiten der öffentlichen Politik nicht nur wütend, sondern fassungslos machen. Auch Schröders Verhalten, das er seinerzeit als Vertrauensbruch wahrnahm, hat ihn fassungslos gemacht. Das ist ein Problem, denn diese Art von Emotionalität macht verwundbar. Aber wahrscheinlich hat er das längst selbst überlegt. Und er wird wissen, dass der Rat, den der Berliner Landesverband nicht hören wollte, auch für ihn selbst gilt - zumal er ihn schon einmal praktizierte: Wer sich auf eine fragwürdige Fusion einlässt, muss bereit sein, sie notfalls wieder aufzukündigen. Schließlich und vor allem werden es auch die Partner wissen. Sie können sich eine solche Entwicklung nicht leisten. Sie werden es zu ihr nicht kommen lassen.


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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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