Der letzte Zar

Personalfragen Steinmeier, Steinbrück und Müntefering wirken farblos – aber wäre denn die SPD mit einer anderen Führung erfolgreicher?

Steht die SPD so schlecht da, weil sie von Frank-Walter Steinmeier, Franz Müntefering und Peer Steinbrück repräsentiert wird? Sind andere Personen denkbar, von denen die sozialdemokratische Partei besser, erfolgreicher geführt werden könnte? Was ist überhaupt die „Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte“?

Wer weiß, vielleicht ergeht es ihr wie dem Zarismus nach Trotzkis Analyse: Kaum habe der letzte Zar noch einen persönlichen Zug erkennen lassen, weil „unter dem Druck zu großer und unabwendbarer Ereignisse auch widerstrebende ‚Individualitäten‘ abplatten, ihre Umrisse verlieren“? Der persönlichste Zug war noch, so Trotzki, dass Nikolaus II. „nicht wollen konnte“.

„Abgeplattet“ ist die Individualität der Steinmeier, Steinbrück, Müntefering zwar nicht. Doch ein wenig farblos wirken sie schon. Steinmeier und Müntefering sind Gerhard Schröders Erbschaft: der eine ein Bürokrat, vor vier Jahren noch Schröders Kanzleramtschef, guter Organisator einer schlechten Politik. Öffentliche Auftritte gehörten nicht zu seinen Aufgaben, jetzt muss er sie können. Der andere war unter Schröder Parteichef geworden. Er hatte sich als dessen treuester Knappe dargestellt. Steinbrück ist von den dreien noch der lebendigste, obwohl er sich als Technokrat gibt. Aber ihn sich als Hoffnungsträger vorzustellen, fällt schwer.

Dass Steinmeier und Müntefering von Schröder eingesetzt worden sind, sagt über sie selbst schon fast alles. Das heißt, wenn man die personale Situation der SPD begreifen will, muss man sich an Schröder erinnern. So paradox es klingen mag: Der hatte etwas von einem letzten Zaren. Denn auf ihn trifft zu, dass er „nicht wollen konnte“. Dieser Mann, der so gern „Basta“ rief? Jawohl: „Basta“ rief er als Verwaltungschef der Behörde, zu der er die SPD herabstufen wollte. Aber er war ja Politiker und sollte als Kanzler „Richtlinien“ vorgeben. Das konnte er nicht. „Man kann dieses Land nicht gegen die Wirtschaft regieren“, das waren die Worte, mit denen er Lafontaine, seinen Finanzminister, in die Flucht schlug.

Vergessen wir nicht, dass von Schröder nicht irgendeine Politik erwartet worden war, sondern eine sozialdemokratische. Stattdessen erweckte er mit Hartz IV und dem Kosovo-Krieg den Eindruck, so etwas sei von gestern. Über Wirtschaftspolitik meinte er, man könne nicht sagen, sie sei rechts oder links, sondern nur, sie sei gut oder schlecht. Politik hieß für ihn, ins Geschäft anderer einzusteigen – der Wirtschaftsverbände, der Union –, weil es ein eigenes angeblich nicht mehr gab.

Dass die Erben eines solchen Mannes farblos sind, ist klar. Weniger versteht man, wie es ihn selbst hat geben können. Bezeichnend seine Fähigkeit, mit Worten alles zu glätten und sich doch nicht an sie zu halten, Dinge, die man vermutlich in Managerschulen lernt. Schröder hatte sie schon in seiner Zeit als Juso-Vorsitzender drauf. Unvergesslich das Podium 1980 im Audimax der Technischen Universität Berlin, überfüllt von Linksradikalen, wo er sein Statement mit den Worten begann, es sei ja klar, dass er, der Sozialdemokrat, hier den bösen Buben gebe. Ein ehrlicher Typ, dachten alle, und er hatte sein Spiel schon gewonnen. Im Juso-Verband führte er eine marxistische Strömung an, sicher nicht die unpassendste Herkunft für einen, der den Verlust von Politik mit der „Unregierbarkeit der Wirtschaft“ rechtfertigen wird.

Wenn wir die Dinge so ableiten, scheint es mit der SPD nur immer weiter bergab gehen zu können. Aber das wäre ein falscher Eindruck, denn dass gerade Schröder der mächtigste SPD-Führer werden würde, war nicht selbstverständlich. Die Entwicklung hätte anders verlaufen können. In Spuren wenigstens existieren die unterlegenen Möglichkeiten noch heute. Deshalb ist eine andere Entwicklung immer noch möglich. Es reicht also nicht, sich an Schröder zu erinnern, sondern man muss die offene Situation rekonstruieren, aus der er als Sieger hervorging.

Persönlich gewann er gegen Lafontaine, obwohl der es war, der ihn zum Kanzlerkandidaten einsetzte. Der Konflikt Lafontaine gegen Schröder stand für einen politischen Konflikt: Entweder „zurück zur Politik“ oder die Richtlinien der Wirtschaft überlassen – auch als Regierung nur „gesamtgesellschaftlicher Betriebsrat“ sein, wie die rechte Parteiströmung formulierte. Dieser Konflikt hatte die SPD schon lange zerrissen, der Witz war nur, dass Schröder, der ehrliche Mann, für die zweite Fraktion zu stehen schien, eben für Lafontaines Fraktion, deshalb von ihm auf den Schild gehoben wurde und, einmal Sieger geworden, sich als Anhänger der ersten entpuppte.

Er wurde aber nicht nur von Lafontaine, sondern mehr noch von den einflussreichsten Printmedien gekürt. Weil dieses Phänomen damals recht neu war, ist die Hilflosigkeit, die Lafontaine ihm gegenüber zeigte, nicht allzu erstaunlich. Damit sind wir schon bei der Frage, welche personalen Möglichkeiten die SPD heute noch hat. Denn die Macht der Printmedien ist ungebrochen. Überzeugende und erfolgreiche SPD-Politiker können deshalb nur auf zwei Wegen generiert werden: Entweder sie lassen sich von diesen Medien erfinden wie Schröder, und es müsste eine Situation kommen, in der „die Wirtschaft“ solche Sozialdemokraten, die „nicht gegen sie regieren können“, überhaupt noch einmal braucht. Oder sie sind wie Lafontaine fähig, zu widersprechen: der Union, ihrer eigenen Partei, „der Wirtschaft“ und vor allem auch den Printmedien. Erinnern wir uns, dass alle großen SPD-Führer diese Fähigkeit hatten: Herbert Wehner zum Beispiel, der sich nie um die Medienhatz scherte, er sei doch ein Kommunist, oder Willy Brandt, der aus Wehners Strategie der Großen Koalition ausbrechen musste, um Kanzler werden zu können.

Sich gegen die Politik der Printmedien durchzusetzen, ist heute nicht leicht. Aber ihr Einfluss wird schwinden, weil die politische Meinungsbildung zunehmend im Internet stattfindet. Welche Personen kommen als Führungsfiguren einer zukünftigen SPD in Frage? Wowereit? Nahles? Nahles war einmal Lafontaine-Anhängerin. Auf Wowereit setzen die Printmedien. Er werde mit der Linkspartei fertig, heißt es. Wenn das kein Pluspunkt ist! Man muss vielleicht eher eine Person suchen, die mit innerparteilichen Saboteuren wie denen in Hessen fertig wird. Die sogar eine Parteispaltung in Kauf nimmt, wenn die Saboteure anders nicht Ruhe geben. Denn irgendwann muss die Geduld doch ein Ende haben.

Dass die SPD dadurch nicht größer wird, ist kein Gegenargument, weil die Vorstellung ohnehin verabschiedet werden muss, die SPD sei „eine der beiden großen Volksparteien“. Sie hat angefangen, eine kleine Partei zu werden, die so viel oder wenig Volkspartei ist wie die Linke oder die Grünen es sind. Es kommt in Deutschland zu einer Situation wie in Italien: Geeinten Kräften, die den Status quo verteidigen – das ist immer am einfachsten –, stehen zersplitterte Kräfte gegenüber. Die SPD braucht Personen, die erkennen, dass sie über die eigene Partei hinaus eine Rolle nur noch spielen können, wenn sie ein Konzept erarbeiten, das politisch überzeugt. In Italien ist das bis heute niemandem gelungen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Foto: Michael Trippel/Ostkreuz
Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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