Der Mai ist nicht gekommen

Klimaschutzpaket Verbraucher opfern leichter, wenn sie "Vorreiter" sind

Wir sind Öko-Vorreiter, schallt es aus dem Blätterwald. Zur Konferenz von Bali veröffentlichte German Watch ein neues Ranking, demzufolge Deutschland im Klimaschutzindex vom vierten auf den zweiten Platz vorgerückt sei, während Großbritannien, das 2006 mit Deutschland gleichauf stand, auf Rang sieben zurückgefallen ist. Die dazu veröffentlichten Zahlen zeigen, dass auch eine ganz andere Rangliste aufgestellt werden könnte. Deutschland hat über drei Prozent Anteil an den weltweiten CO2-Emissionen, aber nur 1,28 Prozent an der Erdbevölkerung. Es leistet sich also mehr, als ihm zusteht. Warum finden wir Indien nur auf Platz fünf, mit einem CO2-Anteil von etwas über vier Prozent, aber einem Anteil an der Erdbevölkerung von 17 Prozent? Selbst China, das in dieser Liste auf Platz 40 steht, müsste vor Deutschland rangieren, denn während jeder fünfte Erdbewohner Chinese ist, ist das Land mit weniger als 18 Prozent am CO2-Ausstoß beteiligt.

Zu den Ranking-Kriterien gehört die Umweltpolitik eines Landes. Wie man hört, wurde die Rolle der Merkel-Regierung beim letzten G 8-Gipfel gewürdigt. Aber da waren nur ökologische Ziele proklamiert worden. Die Regierung hatte gezeigt, dass sie sich in der öffentlichen Meinung gut darstellen kann. Diese Fähigkeit stellte sie vor Bali erneut unter Beweis. Der Chef des UN-Umweltprogramms ist ein Deutscher namens Achim Steiner. Er meldete sich mit der Einschätzung zu Wort, vor allem Deutschland könne die Konferenz von Bali zum Erfolg führen. Kurz vor Konferenzbeginn trat dann die Regierung mit einem neuen Klimaschutzprogramm hervor. Ein Paket aus 14 Gesetzen und Verordnungen will Eindruck schinden. Ihm fehlt aber mehr als die Hälfte. Das Programm enthält strengere Baunormen zur Wärmedämmung in Gebäuden und kündigt staatliche Beihilfen zur Umstellung auf erneuerbare Energien an. Ein den Autoverkehr betreffendes zweites Paket ist dagegen erst für den Mai 2008 angekündigt. Warum die zeitliche Trennung? Haben Autos keinen so hohen Anteil an der Umweltzerstörung?

Der Grund ist wohl eher, dass im kommenden Mai keine große Umweltkonferenz bevorsteht. Die Auflagen für Autos, jedenfalls für Autoproduzenten, werden nicht spektakulär sein. Ein Tempolimit wie bei den europäischen Nachbarn ist nicht vorgesehen. Offiziell wird die Verschiebung bis zum Mai mit der Notwendigkeit begründet, dass Deutschland seine hehren Ziele erst noch mit der EU abstimmen müsse. Dort wird tatsächlich gefeilscht, unter Beteiligung des deutschen Industriekommissars Günter Verheugen. Verheugen spielt aber ein anderes Stück als Merkel. Er verliert die Interessen deutscher Autohersteller nicht aus den Augen. Die CO2-Vorgaben für schwere Autos sollen "großzügiger" gestaltet werden, wurde zwei Tage nach Veröffentlichung des deutschen Klimaschutzprogramms aus Brüssel gemeldet. Dieses fand den ungeteilten Beifall des BDI-Chefs Thumann. Kein Wunder, denn die Kosten werden die Verbraucher zahlen. Schon jetzt hat Umweltminister Gabriel Anlass zu schimpfen: "Die Gesetze treten erst 2009 in Kraft, daher können die Strompreis-Erhöhungen zum Jahreswechsel damit nicht begründet werden!"

Weil man alles auf die Verbraucher wälzt, muss denen eingeredet werden, ihr Opfer qualifiziere sie zum weltweiten Vorreiter. Die Produzenten aber werden nicht nur geschont, sondern zum Umweltraubbau ermutigt. Bei der Vorstellung des Klimaschutzprogramms war von den Kohlekraftwerken, die eben jetzt gebaut werden, keine Rede. Gerade erst haben die Grünen auf ihrem Parteitag vorgerechnet, dass jährlich 17 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß von den neuen Meilern zu erwarten sind, bei einer Laufzeit von 40 Jahren. Die Partei will kampagnenförmig dagegen vorgehen. Hat man davon in der Presse gelesen? Mitnichten. Es passt nicht ins Bild von Deutschland, dem Öko-Vorreiter.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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