Der neue Koch

Rheinland-Pfalz Ministerpräsident Kurt Beck ist in der SPD zur Schlüsselfigur geworden

Sollte Kurt Beck die Wahl in Rheinland-Pfalz verlieren, stünde es schlecht um die innere Harmonie der SPD, damit auch um die große Koalition. Die SPD würde in Deutschlands Westen keinen Ministerpräsidenten mehr stellen; ob dann noch der Unmut beherrschbar ist, den die disziplinierte Partei bisher herunterschluckt, steht in den Sternen. Eine Niederlage Becks ist allerdings schlecht vorstellbar.

Die Umfragewerte sind glänzend. Die SPD erhält um 40, Beck selbst gar um 70 Prozent Zustimmung, und die FDP liegt deutlich vor den Grünen. Nichts scheint also der Fortsetzung der sozialliberalen Koalition im Weg zu stehen. Der Ministerpräsident ist nicht nur populär, er kann auf echte Erfolge verweisen und hat es mit einer zerstrittenen Landes-CDU zu tun. Wirtschaftlich gehört Rheinland-Pfalz zu den stärksten Bundesländern. Nur Sachsen ist noch "dynamischer" gewachsen, lobt sogar die CDU-nahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, und nur Bayern und Baden-Württemberg haben noch weniger Arbeitslose. Natürlich behauptet die FDP, für Erfolge sei vor allem sie zuständig; doch die Unternehmer des Landes halten viel von Beck, sie würden einen Koalitionswechsel der FDP nicht begrüßen. Unter seiner Führung ist es dem Land gelungen, nach dem Abzug von US-Truppen die Rüstungskonversion zu bewältigen, wie etwa die Zuwachsraten des früheren Militärflughafens Hahn zeigen. Auch dass der Bildungspolitik viel Aufmerksamkeit gewidmet wird, geht auf Becks Konto, der darin die Bundeslinie seiner Partei umsetzt. Mit dem starken Ausbau von Ganztagsschulen seit 2001 spielt das Land eine Vorreiterrolle.

Nun haben aber Wahlprognosen in letzter Zeit häufig getrogen. Noch ist das Schicksal der Heide Simonis unvergessen: War sie nicht ebenso populär wie Beck gewesen, galt nicht auch sie den SPD-Strategen als feste Bank? Im Grunde weiß heute niemand, ob die Wähler sich von der Harmoniekomödie der Merkel-Müntefering-Koalition, die doch nicht aufgehört hat, neoliberale Politik zu treiben, wirklich einlullen lassen und ihr also nicht, wie vor einem Jahr der Schröder-Regierung auf Kosten von Frau Simonis, einen Denkzettel verpassen wollen. Außerdem gibt es für Beck einen neuen Unsicherheitsfaktor - die WASG. Das wird noch vielfach verdrängt, in der SPD selbst und in der ganzen Bundesrepublik: Wir haben seit dem September 2005 ein neues, aus drei Minderheiten bestehendes Parteiensystem; deshalb ist es ja in Berlin zur großen Koalition gekommen. Auch in den Ländern wird man neue Wege beschreiten müssen. Die WASG liegt in den Umfragen bei vier Prozent, bei der Bundestagswahl hatten aber 5,6 Prozent für die gemeinsame Liste der Linkspartei gestimmt. Wenn sie in den Landtag einzieht, kann Beck nicht mit seiner sozialliberalen Koalition weiterregieren.

Wer sich das klar macht, sieht die wichtige Rolle, die er gesamtdeutsch noch spielen könnte. In Mainz würde sich viel eher als jüngst im Bund eine Ampelkoalition anbieten. Man bräuchte ja nur die Grünen in eine schon bestehende Regierung zu kooptieren. Beck wäre dann der erste, der mit dieser Variante Erfahrungen macht. Eine Übertragung des Modells auf den Bund wäre die naturgegebene Alternative der SPD-Rechten zur rot-rot-grünen Crossover-Strategie, die von der Parteilinken verfolgt wird.

In dieser Perspektive muss man jenen Tag sehen, als es zwischen ihm und Matthias Platzeck um den Bundesvorsitz der SPD ging. Zum Teil war das Komödie gewesen. Überrascht nahm man zur Kenntnis, dass Beck für seine Partei noch wichtiger war, als man zu wissen geglaubt hatte. In Wahrheit sah man aber nur, wie er als dieser wichtige Mann von einer abtretenden SPD-Führung eingesetzt wurde. Dass nicht er, sondern Platzeck Münteferings Nachfolger als Parteivorsitzender werden sollte, war längst vorher entschieden gewesen. Die Nummer Eins der SPD muss eine intellektuelle Ausstrahlung haben, die Beck so wenig vorweisen kann wie Müntefering; der verlor, wie man gesehen hat, sofort die Macht, als Gerhard Schröders Gesamtführung entfiel. Es war eine Wahlkampfidee für Rheinland-Pfalz, die Sache so hinzustellen, als wäre auch Beck für den Parteivorsitz in Frage gekommen. So erschien er doch seinen Landsleuten als überragender Bundespolitiker.

Aber eine weitere Absicht spielte hinein. Ohne dass es groß auffiel, konnte Beck als die Nummer Zwei der SPD installiert werden. Vorher war er nur einer von mehreren Vizevorsitzenden gewesen: Jetzt galt er unter diesen als primus inter pares. Das war wichtig für Schröder und Müntefering, denn so konnten sie noch im Abgang die Rolle der Parteirechten stärken. Als deren künftiger Anführer ist Beck einzuschätzen, besonders wenn es in Mainz zur Ampelkoalition kommt. Völlig überzeugt von Schröders Agenda-Politik, sieht er die WASG von "kommunistischen Kadern" gesteuert und geht in der Verachtung der Grünen noch weiter als der Altkanzler. Als "Anwälte der Mopsfledermäuse" verspottete er sie, als es beim Ausbau des Flughafens Hahn ökologische Bedenken zu überspielen galt. So geht man als Koch mit Kellnern um. Nur ob die Grünen schon wieder kellnern wollen, weiß man nicht so genau.

Er zeigt Verständnis dafür, dass in der Globalisierung Arbeitnehmer entlassen werden müssen, und schaltet sich dann als gesamtgesellschaftlicher Betriebsrat ein, um die Folgen für die Betroffenen zu mildern. Als Arbeiterkind, das auf dem zweiten Bildungsweg die Mittlere Reife errang, kann er diese Rolle genauso überzeugend spielen wie Müntefering. Man sagt gern, seine persönlich ausgleichende Art sei für die SPD wichtig; er sagt es selbst über sich, wenn man ihn fragt. Doch dieser Stil, Ausdruck und Folge der Sozialpartnerschaft, ist eben der Stil der Parteirechten. Für die Linken ist er eine Umarmung, aus der sie sich befreien müssen, so wie sich Andrea Nahles aus der Umarmung Münteferings befreite, als sie gegen ihn antrat. Beck ist ein Bollwerk gegen die Linken, die bei den Vorstandswahlen des jüngsten Parteitags so stark abschnitten wie nie zuvor, zumal in ihrem klugen Bündnis mit den "Netzwerkern" um Bundesumweltminister Gabriel. Wer, wenn nicht Beck im Bündnis mit Platzeck, soll verhindern, dass Nahles und Gabriel die Zukunft der Partei bedeuten?


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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