Heute sind Arbeiterinnen in der Bundesrepublik Deutschland noch weit mehr „unten“, als das vor fünfzig, sechzig Jahren der Fall war. Das war die Zeit, in der ihre Partei, die SPD, allmählich immer stärker wurde und 1969 den Kanzler Willy Brandt wie auch den Bundespräsidenten stellen konnte. Um dahin zu kommen, war sie schon 1959 so selbstbewusst gewesen, sich in der „Godesberger Wende“ dem linken Bürgertum zu öffnen. Sie wusste nämlich, dass sie anders keine gesellschaftliche Mehrheit und also keine Regierungsgewalt hätte erlangen können.
Ihre Klassenpolitik mit dem zu vereinbaren, was man heute „Identitätspolitik“ nennt, war für die SPD damals kein Problem sondern ganz selbstverständlich. Es war nicht nur die FDP, Willy Brandts Koalitionspartner, der es am Herzen lag, bald nach dem Regierungsantritt die Strafbarkeit von Homosexualität abzuschaffen. Und wenn Brandts Friedenspolitik nicht besonders die Frauen überzeugt hätte, wäre die SPD-Regierung schon 1972 wieder abgewählt worden. Noch 1969 waren es die Männer gewesen, die Brandt zur Kanzlerschaft verholfen hatten. Erst seit der Brandt’schen Entspannungspolitik wählten die Frauen mehrheitlich links.
Identitätspolitik anno 1891
Man kann diese Politik nicht darauf zurückführen, dass die SPD sich ins Gefängnis der „Sozialpartnerschaft“ hatte einschließen lassen. Im Gegenteil, es war Bündnispolitik, wie sie sein soll. So hatte sie schon in ihrem Erfurter Programm von 1891 kundgetan, sie kämpfe zwar vor allem „für die Abschaffung der Klassenherrschaft und der Klassen selbst“, aber gerade deshalb – „von diesen Anschauungen ausgehend“ – bekämpfe sie „in der heutigen Gesellschaft nicht bloß die Ausbeutung und Unterdrückung der Lohnarbeiter, sondern jede Art der Ausbeutung und Unterdrückung, richte sie sich gegen eine Klasse, eine Partei, ein Geschlecht oder eine Rasse“.
Seit den achtziger Jahren und besonders nach 1990 ist alles ganz anders geworden. Dem Neoliberalismus gelang es, Errungenschaften von „1968“ ins Reaktionäre umzubiegen. Das selbstbewusste individualistische Leben, das damals etwa Frauen dazu trieb, eine neue Frauenbewegung anzustoßen, wurde ausgenutzt, Arbeiterinnen als Individuen möglichst zu vereinzeln, – bis dahin, dass nach Solidarität nicht einmal mehr gefragt werden konnte. Feministinnen wandten sich in den Jahren nach 1968 ebenso wie ihre männlichen Genossen an die Arbeiterinnen, um sie zum Kampf gegen das Kapital wie gegen das Patriarchat zu gewinnen. Heute sind sie manchmal unfähig, ihnen auch nur zuzuhören.
Eine gewerkschaftlich engagierte ältere Tischlerin meldet sich in einer Versammlung von Feministinnen zu Wort und nennt die heutigen Arbeitsbedingungen asozial – eine sprachempfindliche Frau ruft dazwischen, „asozial sagt man nicht!“, und von da an sagt sie selbst nichts mehr. Dies berichtet Katja Barthold, Gewerkschaftssekretärin aus Jena, in einem Sammelband über Neue Klassenpolitik und deren Verhältnis zur Identitätspolitik, an dem auch Frigga Haug, Silvia Federici, Klaus Dörre, Hans-Jürgen Urban und andere mitgeschrieben haben (hg. von Sebastian Friedrich und der Redaktion analyse & kritik, Berlin 2018).
Hätte sich die Empfindliche lieber angehört, was heute die Arbeitsbedingungen sind. Von dem, was noch 1968 als „Normalarbeitsverhältnis“ bestand, ist im Neoliberalismus wenig übrig geblieben. Wenn ich an meinen Vater denke, einen einfachen Monteur: Bei Siemens angestellt, hatte er Aufstiegschancen und nutzte sie; die Firma schickte ihn schließlich in ganz Europa herum, einmal sogar nach Montevideo, wo er den Bau von Förderbandanlagen in Postämtern anleitete. Auf manche dieser Arbeitsreisen konnte er die Familie mitnehmen, und so auch mich; auf die Weltoffenheit, die sie dadurch gewann, ist es sicher zurückzuführen, dass ich als Erster der Familie das Abitur ablegen konnte. Irgendwann brauchte die Firma meinen Vater nicht mehr. Aber da wurde er nicht entlassen, sondern in ein Büro gesetzt, wo er praktisch nichts mehr zu tun hatte.
Von so einem Arbeitsverhältnis können Arbeiterinnen heute nur träumen. Aufstiegschancen? Damit es den Kindern besser geht? Wer heute in den Niedriglohnsektor gerät, kommt schwer wieder heraus. Diesen Sektor haben die Unternehmen aus der Arbeit herausgeschnitten, die früher von Stammbelegschaften geleistet wurde. Befristete Arbeit, Leiharbeit, Werkverträge können weit schlechter bezahlt werden. Viele müssen den geringen Lohn dann durch Hartz IV aufstocken. Die Stammbelegschaft weiß von den sozialen Löchern, in die sie selbst fallen kann. Sie wird sich viel gefallen lassen.
Und ihre Partei, die SPD? Im vorigen Jahr hat Arbeitsministerin Andrea Nahles ein Gesetz vorgelegt, das den Missbrauch von Leiharbeit eindämmen sollte. Wer neun oder maximal 18 Monate Leiharbeit in derselben Firma geleistet hat, soll von da an wie die Stammbelegschaft bezahlt werden. Das Problem ist nur, dass die meisten Firmen ihre Leiharbeiterinnen alle drei Monate austauschen. Für Bernd Riexinger, den früheren Gewerkschaftsführer und jetzigen Linkspartei-Vorsitzenden, der das in seinem Buch berichtet – es heißt ebenfalls Neue Klassenpolitik (Hamburg 2018) –, sind Werkverträge, befristete und Leiharbeit selber der „Missbrauch“, den es abzuschaffen gilt. Zusammen mit Lia Becker hat er das Kampfziel eines Neuen Normalarbeitsverhältnisses ausgearbeitet, das Arbeiterinnen dieselbe Lebenssicherheit verschaffen würde, wie mein Vater sie noch hatte. Das heißt nicht, dass Riexinger neue Bedingungen nicht mitbedenkt. Heute werden wenige ihr Arbeitsleben in ein und derselben Firma verbringen können, auch nicht wollen. Deshalb in ein „Prekariat“ zu stürzen, ist aber nicht hinnehmbar.
Wo nicht linke Parteien für Lebenssicherheit kämpfen, bemächtigt sich die selber neoliberale AfD des Themas. Mit welcher „Erzählung“ manche Arbeiterinnen in den rechtspopulistischen Sog geraten, haben Sozialwissenschaftlerinnen weitererzählt: In der Schlange vor dem Berg des Aufstiegs sehen sie sich stehen, immerzu wartend, und nun kommen noch Migranten dazu, sodass die Schlange noch länger, der Aufstieg noch unwahrscheinlicher wird. Dass sie mit oder ohne Migranten umsonst warten, kommt bei ihnen nicht an. Ihre Chance, die Urheber des neuen prekären Lebens niederzuringen, wächst aber in dem Maß, wie Migranten mitkämpfen.
Auf allen Ebenen gilt es der Spaltung entgegenzuwirken. Der Niedriglohnsektor wurde auch um der Spaltung willen eingerichtet, führt er doch dazu, dass Lohnabhängige, die am selben Produkt arbeiten, sich nicht mehr zu Gesicht bekommen. Wie es von Leiharbeiterinnen zum Kunden getragen wird, scheint die Stammbelegschaft nichts anzugehen. Und doch haben die verschiedenen Fraktionen der Arbeiterinnenklasse dasselbe Interesse. Früher schrieb man der Klasse Kampfkraft zu, weil sie am selben Ort, der Firma, versammelt war. Aber war es nicht schon damals wichtiger, dass sie, ob am selben Ort oder nicht, am selben Produkt arbeitete? Die Orientierung des Kampfes am Produkt würde auch den nötigen Bogen zur Ökologie schlagen. Denn nur wer sich für gute Produkte einsetzt statt für ein böses, wie es heute etwa die Kohle geworden ist, hat für sich und seine Kinder Partei ergriffen.
Kommentare 57
„Wenn ich an meinen Vater denke, einen einfachen Monteur: Bei Siemens angestellt, hatte er Aufstiegschancen und nutzte sie; ...
Von so einem Arbeitsverhältnis können Arbeiterinnen heute nur träumen. Aufstiegschancen? Damit es den Kindern besser geht?“
Ich könnte von meinem Vater, dessen Brüdern und noch den älteren Kindern ähnliche Geschichten erzählen. Was in der Tat anders geworden ist, ist die weggebrochene Hoffnung auf ein besseres Morgen. Das erklärt auch die Diskrepanz zwischen guten Daten und schlechter Laune: Vielen geht es heute gut, aber die Stimmung ist schlecht, weil man ahnt, dass es bergab geht, nahezu auf allen Ebenen.
"Die Orientierung des Kampfes am Produkt würde auch den nötigen Bogen zur Ökologie schlagen. Denn nur wer sich für gute Produkte einsetzt statt für ein böses, wie es heute etwa die Kohle geworden ist, hat für sich und seine Kinder Partei ergriffen.“
Gab es denn früher überhaupt böse Produkte? Dass nahezu jede Alltagshandlung zu etwas geworden ist, was bei irgendwem auf einer roten Liste steht, ist ein junges Phänomen. So etwa 1980 ist doch erst die Umwelt erfunden worden. Wer heute Urlaub macht (außer mit dem Fahrrad, mit Helm, versteht sich ... obwohl der ist aus Plastik, hm), eine Tür aufhält oder Kaffee trinkt ist irgendwem eine Sau. Keine Unschuld, nirgends.
Ich möchte nur davor warnen, sich da auf die Arbeitsverhältnissen zu fokussieren, das Phänomen ist breiter, der Strauß bunter. Arbeit, Familie, Geschlecht, Nation, Essen, Glauben, Kommunikation: einfach alles ist Kampfplatz.
„Auf allen Ebenen gilt es der Spaltung entgegenzuwirken.“
Das ist der „goldene“ Weg! Das ist genau die richtige Lösung!
Viele Parteien machen allerdings sich selbst Probleme. So will die SPD das Sanktionssystem bei HARTZ IV und Sozialhilfe nicht abschaffen. Schon wieder erfolgte im Bundestag eine durch SPD einstimmige Zustimmung für die Bebehaltung von Sanktionen.
https://www.katja-kipping.de/de/article/1440.ergebnisse-namentliche-abstimmung-zum-antrag-sanktionen-abschaffen.html
https://www.katja-kipping.de/kontext/controllers/document.php/353.4/9/c1c3d5.pdf
SPD hat zudem nicht wirklich verstanden, das HARTZ IV die Arbeiterswelt von Arbeitnehmern negativ verändert hat und von der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung (Arbeitnehmer gemeint) nicht akzeptiert wird.
Frau Wagenknecht grenzt Migranten und Asylsuchende aus bzw. begrenzt Asyl und Migration und schwächt damit ihre Bewegung aufstehen sowie die eigenen Partei. Nur gemeinsam, wenn alle Minderheiten am selben Strang ziehen, kann man etwas erreichen, schon durch die Anzahl der betroffenen Menschen. Ansonsten, von einander losgelost, werden die einzelnen Minderheitsgruppen von den Großparteien nicht wirklich ernst genommen. Das könnte schon an der Zahl der Wählerstimmen liegen. So bleiben Erneuerungen und Wenden in sozialer Politik aus, oder es bewegt sich etwas, jedoch mit allzu kleinen Schritten zw. Mit keinem nennenswert zu bezeichnendem Fortschritt.
Keine Ausgrenzungen und gemeinsames Vorgehen bei Demos von Mieterinitiativen in Berlin hat hingegen gezeigt, dass es anders geht, dass man gemeinsam vieles Ändern und in die Wege leiten kann.
Brandts Wahlsiege von 1969 und 1972 geschlechterspezifisch einzuordnen und zu gewichten, halte ich für eine steile These.
Ist die Statistik falsch, oder die Auslegung?
Arbeit, Familie, Geschlecht, Nation, Essen, Glauben, Kommunikation: einfach alles ist Kampfplatz.
Den Satz klaue ich Ihnen bei Gelegenheit.
Ist genehmigt. ;-)
die umwelt ist präzise in einer hippie-kommune
am 12.12.1968, 2 pm, kurz nach dem aufstehn von mir und laura
im laurel canyon, ca., entdeckt worden.
zeuge war der damals bekannte musiker john mayall.
dann nahm das environmental-thinking seinen weg ....
"die umwelt ist präzise in einer hippie-kommune
am 12.12.1968, 2 pm, kurz nach dem aufstehn von mir und laura
im laurel canyon, ca., entdeckt worden."
Ist auch genehmigt. ;-)
morgen sinds 50 jahre!
diese erinnerung kann mir keiner nehmen!
Also ich kenne ihn noch. Kann man auch weiterempfehlen.
Kann verstehen, daß das steil klingt, ist es aber nicht. Darüber gibt es wissenschaftliche Literatur, und ich selbst habe vor langer Zeit darüber geschrieben, d.h. über die ganze Entwicklung der geschlechterspezifischen Stimmabgabe seit der Einführung des Frazenwahlrechts in Deutschland (Parteiensystem und Sexismus, in: Gender und Parteiensystem, Frankfurt/M. 2015).
Wir brauchen neue Identitäten. Identitäten kitten oder überwinden Spaltungen. Äußerlich entsprechen Identitäten dem, was man Rollen nennen kann.
lästige fremd-erwartungen/rollen-anforderungen gibts zuhauf.
der zwangs-vorstellung, sich neu zu erfinden, terrorisiert schon jugendliche.
authentizität/echt-heit steht hoch im kurs, wo suche/selbst-findung grassiert.
oda?
"das "Proletariat" zu spalten in diverse Kleingruppen, an deren Spitze die Vollbeschäftigten der großen Industrien stehen - und die dieses Spiel leider in großen Teilen bereitwillig mitmachen."
Das ist nur ein Teil der Wahrheit. Durch die relative Sicherheit vergangener Jahre und durch die Teilung der Belegschaften ist der Organisationsgrad stark zurückgegangen. Die Bereitschaft, Gewerkschaftsmitglied zu werden, ist längst nicht mehr so groß wie früher.
"Das erklärt auch die Diskrepanz zwischen guten Daten und schlechter Laune: (...)"
Klasse Formulierung.^^
"lästige fremd-erwartungen/rollen-anforderungen gibts zuhauf."
Jein. Zuschreibungen, die jemanden abschreiben, ja. Aber was muss man eigentlich tun, um einer von uns zu sein? Und wer sind wir?
thx
Deutsche Sprache feine Sprache. Arbeitgeber, Arbeitnehmer. Diese zwei Worte reichen zur Erklärung. Und wer hat uns verraten?
Nicht schlecht...
... and the sun was shining down and the Bear was rolling in the shade.
kommt mir irgendwie bekannt vor, floh de cologne, oder? habe da irgendwo noch die lp, glaube ich...
Treffer
Guten Abend Herr Jäger! Die Umdeutung von weiblichen Lebensleistungen z.B. DDR-Frauen-arbeiten und Kind oder Kinder- gehört auch zum Thema Emanzipationinterpretation.Ich hatte eine Verwandte, die sich eine Arbeit schon gesucht hatte im Ruhrpott.Ihr Mann sprach ein Verbot aus und somit hatte die Berufstätigkeit sich erledigt bis zum Tod.Unvorstellbar ist das für mich und drastisch ausgedrückt finsteres Mittelalter.Die Kehrseite der Medaille war aber auch,dass z.B. viele Krankenschwestern ihre Kinder mitnahmen am Wochenende zur Arbeit, weil -Schichtarbeit Beider.... Das fand ich persönlich nicht gut und die Scheidungsrate konnte sich sehen lassen zu DDR-Zeiten-Fundgrube für jeden Soziologen.
Ja. Apropos "weibliche Lebensleistungen": Von der Tischlerin, die ich im Artikel erwähne, heißt es in dem zitierten Buch, sie "hat sich in der DDR während eines weiterbildenden Studiums in sogenannten Frauenkreisen engagiert und Frauenhäuser aufgebaut".
"morgen sinds 50 jahre!"
(Dann meinen Glückwunsch zum 50. Ich als Blackmore Geprägter parke ja musikalisch um die Ecke. Kann Dir keiner mehr nehmen, stimmt und ich denke, das gehört zu den Erlebnissen, die Dich sagen lassen, dass es sich gelohnt hat. Wenn man irgendwann zurück blickt und sich fragt, wozu das alles, kommt hoffentlich so ein halbes Dutzend Erlebnisse ins große Buch des Karma.)
"Aber was muss man eigentlich tun, um einer von uns zu sein? Und wer sind wir?"
'Wer bin ich und wenn ja, wieviele?'
Die Multi-Identitäten, sowohl in Kollektiven als eben auch gerade innerhalb einer individ. Person, sind ein Entfaltungsphänomen: erst wenn der Mono-, Bi- oder Tri-Kanal gesellschaftlich vorgezeichneter Fahrtstrecken des Lebens zumindest schonmal materiell zugunsten möglicher zigfacher Alternativen und vor allem auch ZUSÄTZLICHER Ident-Optionen überwunden ist, treten solche "Multis" auf, sofern keine rigide Übermacht-Ideologie/-Religion das noch verhindert (wie z. B. bei Mormonen, oder auch im Iran, bei den Saudis oder in China, z. T. wohl auch unter Juden) und weitere Gegebenheiten hinzukommen wie entfaltete Medialität (unter der Globalisierung nur sehr bedingt einschränkbar, am ehesten für große Länder machbar), die auch mit Angeboten aus dem Schatzkästlein der "freien" Herrenaufklärung daherkommen.
Diese identitäre Multitudine im Kollektiven wie auch im Individuellen bedeutet aber auch je Konkurrenz um den jeweiligen Handlungsvorrang, ja beherbergt oft sogar kontradiktorische Impulse, Interessen, Deutungen usw. je in Individuen, als auch Kollektiven. Wie bei der Motorik in einer Angriff-oder-Flucht-Situation kann es dann zu 'Lähmungen' kommen, indem sich die Impulse gegenseitig behindern, - und gar nix "passiert", - das aber unter Hochspannung der Muskeln und heftigstem Gefeuer der motorischen Neuro-Zentren ('Zittern'/Beben ist manchmal eine Folge daraus ...)
Häufiger ist aber, daß in der Konkurrenz um den Handlungsvorrang die versch. Identitäten sich schon weit vor der Neuro-Motorik/dem eigentlichen Handlungssystem/ gegenseitig schwächen, indem sie ein kritisches Licht auf die je andere Identität werfen, Schwächen, Gefahren, schlechte Moral usw. aufzeigen, die mit einer weiteren Entfaltung einer bestimmten Identität einhergehen (müssen).
"Wir brauchen neue Identitäten. Identitäten kitten oder überwinden Spaltungen. Äußerlich entsprechen Identitäten dem, was man Rollen nennen kann."
Ja, das Rollen-Modell veranschaulicht/veräußerlicht die vielen Identitäten einer Person ganz gut. Für Meta-Subjekte/Kollektive ist es allerdings nicht so gut entwickelt wie für die Beschreibung der Individuum<->Mitwelt-Beziehungen.
Und daß I'en Spaltungen kittten/überwinden, ist allenfalls bei wenigen I'en - und dann auch nur in einem 2. Schritt der Fall:
Allzuerst beruhen I'en auf Distinktionen, In- u. Exklusionen und gehören zunächst damit in die Familie der Spaltungen, und nur wenige davon "schaffen" es, die vielen anderen I'en so zu überwölben, deren Virulenz zu schwächen/zu übersteuern, daß man von einem kittenden oder gar überwindenden Effekt sprechen kann, - zumal das meistens auch gar nicht schön ausfällt, als damit die extreme Abwertung all jener I'en einhergeht, zu denen sich die Überwölbungs-I. abgegrenzt hat. Z. B. im Überlegenheits-/Herren-Nationalismus der Faschismen. Und die Inklusion von I'en unter dem Dach der Hauptabgrenzung, wie z. B. bei "Arbeiterklasse" und "Frauenklasse", bleibt eine Taktik zugunsten der Hauptabgrenzung, enthält kaum eigene Wahrheit: Frauenemanzip. war unter Wohlhabenden/Reichen-Identität genauso aufgehoben wie im Progamm der 1891er SPD.
Ich meine es anders: Rollen und zwar solche, die gesellschaftlich anerkannt sind, sind Mangelware in unserer Gesellschaft. Das ist der Bereich, bei dem man dringend Abhilfe leisten muss, weil entgegen manchem Klischee weder Geld und Erfolg, noch Bildung dafür sorgen, dass man Anerkennung findet.
Identitäten sind keine Spaltungen, weil viele Prozesse einer gefühlten Abspaltung, zugleich solcher einer neuen, meist größeren und freieren Synthese sind. Ansonsten müsste man eine Ureinheit annehmen, die uns alle verbindet und von der ich nicht weiß, was diese ausmachen soll. Aber aus der Lungenatmung oder Zweibeinigkeit kann man schwerlich eine tragfähige Gemeinschaftsidentität ableiten und so etwas wie Würde als grundlegend anzunehmen ist ein Ausdruck einer hohen Entwicklung, wenn es nicht nur so dahergesagt ist und fällt bei Ihnen daher unter herrenreiterische Stufenesoterik.
Das Problem sind gerade Individuen, die nur wenige Rollen/Identitäten haben und daher das wenige, was ihr Selbst ausmacht eifersüchtig hüten und zugleich überhöhen. Wer es sich erlauben kann noch was anderes außer so richtig deutsch, Veganer oder Feministin zu sein, ist im Vorteil. Aber dass unsere Gesellschaft geizig mit den Rollen ist, haben die Fundamentalisten aller Ländern schon spitz gekriegt und verteilen daher Identitäten, wie die Kamelle am Karneval. Mit einigem Erfolg.
>>Wer es sich erlauben kann noch was anderes außer so richtig deutsch, Veganer oder Feministin zu sein, ist im Vorteil.<<
Wer gar keine Rolle spielt kann nicht aus dieser fallen. Das dünkt mich komfortabler.
Ja, wenn Du Rollen als „eine Rolle spielen“ verstehst, also inauthentisch zu sein, so zu tun, als ob, dann gebe ich Dir Recht.
Ich meine mit Rolle in diesem Kontext aber so etwas, wie gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren, jemand zu sein.
Wer keine Rolle spielt … nimm das mal wörtlich, der ist belanglos, vergessen, unwichtig. Jenseits des Berufslebens erwischt das viele Rentner, die oft wohlhabend sind, aber keine Rolle mehr spielen.
>>Ich meine mit Rolle in diesem Kontext aber so etwas, wie gesellschaftliche Anerkennung zu erfahren, jemand zu sein.<<
Ja, das habe ich schon so aufgefasst. Ich bin niemand, die in dieser Gesellschaft als "jemand" anerkannt ist: Teilchen in der Masse. Ich weiss was ich kann, und, wichtiger fast, was ich nicht kann. Ich kann einfach sagen was ich denke, verliere dadurch nichts.
Ich kann eine gelbe Weste tragen, denn es ist egal wie "Jemand" das be- und verurteilt.
Na klar, die Menschen müssen sich einfach nur zurücklehnen und sich mal in Ruhe auf ihre Identität besinnen - dann sind sie's auch zufrieden. Gott hat für jeden sein Plätzchen auf Erden reserviert. Die einen sitzen halt am Tisch und die anderen dürfen hernach schauen, was an Krümeln seinen Weg auf den Boden gefunden hat. Man muss ja nicht gleich um alles ein Gezeter machen.
rollen, die gesellschaftlich mit anerkennung honoriert werden,
sind keineswegs mangelware.
um verständlich zu bleiben: die erste rolle, in der wir uns befinden,
ist die des kindes: tochter oder sohn, gegebenenfalls der eines geschwisters:
bruder oder schwester.
da sieht man schon: die familiale/soziale rolle ist durch erwartungen
konstituiert, an deren erfüllung wir gemessen werden.
das eigen-willige ausgestalten der sozialen rolle,
gar der entwurf eines eigenen scripts, ist nach-gängig.
„Ich bin niemand, die in dieser Gesellschaft als "jemand" anerkannt ist: Teilchen in der Masse. Ich weiss was ich kann, und, wichtiger fast, was ich nicht kann. Ich kann einfach sagen was ich denke, verliere dadurch nichts.“
Da wäre dann die Frage, wie Du Dich dabei fühlst. Eine Frage, die durchaus abweichend beantwortet werden kann, die oder der eine einige genügt sich selbst und schätzt die Freiheit, auch die Freiheit der Närrin oder des Narren, die man nicht unterschätzen sollte: Wer nichts zu verlieren hat, ist auch nicht mehr (oder noch nicht) erpressbar. Andere fühlen sich nutzlos. Wer stark genug ist, sich frei zu fühlen und das zu genießen, hat glaube ich viel gewonnen.
Ich glaube schon, dass es einen Punkt gibt, an dem man die Rollen nicht mehr nötig hat, aber vermutlich ist es so, wie mit anderen konkreten oder virtuellen/sozialen Formen des Besitzes: Es ist besser, wenn man sie mal gehabt hat, um zu erkennen, dass man sie nicht zwingend oder vielleicht auch gar nicht braucht. Das schließt nicht aus, dass dazwischen ein Tal der Tränen liegt, durch das man durch muss. Ich bin nur nicht der Auffassung, dass alles was danach kommt, eine B-Version des Lebens ist, denn nicht selten steigt die Zufriedenheit, um nicht Glück zu sagen, nach Krisen an.
„Na klar, die Menschen müssen sich einfach nur zurücklehnen und sich mal in Ruhe auf ihre Identität besinnen - dann sind sie's auch zufrieden. Gott hat für jeden sein Plätzchen auf Erden reserviert.“
Ich kann zwar verstehen, dass man gegen die Idee des Schicksals, als indisches oder evangelisches Kastensystem etwas haben kann, aber ich kann nicht nachvollziehen, wie und warum Sie das mit dem was ich schreibe in Zusammenhang bringen. Mir geht es um Rollen, die wir als Menschen anderen Menschen zuschreiben oder gewähren sollten und damit meine ich akzeptierte Rollen, die etwas wert sind. Nicht, der Penner da, der nutzlose Esser oder dergleichen.
Rentner sind für mich ein typisches Beispiel, die, auch wenn sie wohlhabend sind, oft gefühlt von 100 auf 0, oder doch 10 fallen. Eben noch wichtig, sind sie nun oft ein Fremdkörper. Manchen geht es super dabei, die genießen ihre Freiheit, haben endlich Zeit für ihre Hobbys usw., aber das ist nicht die Regel. Denen könnte man solche Rollen anbieten, statt ihnen vorzuwerfen, dass sie ein Kostenfaktor sind.
Ein weiterer Punkt sind Hartz 4 Bezieher. Wie knapp auch immer das Geld ist, was man da bekommt, hier muss niemand verhungern, aber sozial ist man dennoch ganz unten und bekommt das im Kontakt mit den Ämtern ja auch zu spüren. Arbeit ist nichts, was nur Spaß macht, aber Arbeitslose haben den größeren Stress, ich vermute, vor allem wegen des Wegfalls der eben noch akzeptierten sozialen Rolle.
Ein dritter Punkt sind Migranten. Die Migranten der dritten und vierten Generation sind es unter anderem, die sich von der Gesellschaft abwenden, aus einer Mehrzahl von Gründen, einer ist m.E. dass wir es versäumt haben, eine innere Positivliste zu erstellen, die einem Migranten das Gefühl gibt, irgendwann einen Punkt erreicht zu haben, an dem er einer von uns ist. Wir vermitteln eher, dass Sprache, Bildung und Erfolg oft noch immer nicht reichen. Darüber muss man reden. Oder man macht es wie Jamal Tuschick, der sich einfach die Rolle nimmt und sagt, dass er jetzt einer der neuen Deutschen und Deutschland ist.
Ein vierter wäre mehr Respekt vor Menschen, die man als ostdeutsche Wendeverlierer bezeichnen kann. Im schlimmen Fall, in zwei Diktaturen gelebt, dann was von blühenden Landschaften gehört, ohne dass man je eine Blüte gesehen hat.
Leichtes Spiel für Extremisten, die sind freigiebiger: Willkommen Bruder/Schwester, auf dich haben wir gewartet.
„um verständlich zu bleiben: die erste rolle, in der wir uns befinden,
ist die des kindes: tochter oder sohn, gegebenenfalls der eines geschwisters:
bruder oder schwester.
da sieht man schon: die familiale/soziale rolle ist durch erwartungen
konstituiert, an deren erfüllung wir gemessen werden.
das eigen-willige ausgestalten der sozialen rolle,
gar der entwurf eines eigenen scripts, ist nach-gängig.“
Ja, Familie ist vergleichsweise reich an Rollenangeboten, aber schon Horkheimer und Adorno haben festgestellt, dass die Rolle des Vaters und der Mutter in unserer neuen Gesellschaftsform entwertet sind, durch die Auslagerung ehedem familiärer Aufgaben (und Beziehungen) an Profis. Dabei ist keinesfalls nur die Arbeit gemeint, sondern die „Bürokratisierung der Arbeit, Zusammenbruch der Familie, Hegemonie der Medien, bis hin zum Würgegriff des Konsums“.
Diese Lesart ist insofern schwierig, weil es liebgewonnene Klischees infrage stellt und sich ja auch im Kern gegen Klischees und Vorurteile richtet. Die Botschaft die wir heute hören, lautet, es sei doch alles nicht so schlimm. Kita Kinder sind auch nicht auffälliger als andere, überhaupt müsse man sich heute den Realitäten stellen, statt alten Zeiten hinterher zu jammern. Die angeprangerte Hegemonie der Medien zielt nicht auf sog. Fake News ab, sondern auf die Verabreichung von Schonkost durch stereotype Bilder und Rollen, in der Ambivalenzen weichgespült werden.
alle historisch-wenig-informierte weise ich hin auf die hohe
säuglings-sterblichkeit in der industrialisierungs-phase,
als mütter in der fabrik-produktion das überleben der familie "sicherten".
--->anna bergmann im dlf: zwischentöne.
die typologien auch horkheimer/adornos sind weniger deskriptiv
als normativ.
gesellschaftl.verhältnisse schlagen sich immer in familien-zuständen nieder.
so wie demografische änderungen gesellschaft beeinflussen.
kleiner zusatz:
reduzierte sozialisation durch die eltern
wird heutzutage durch/in peer-groups ergänzt.
„Aus meiner Schulzeit vor ca. 17 Jahren ist mir außerdem noch in Erinnerung geblieben, dass es vorkam, wie die Kinder/Schüler der "radikalisierten" Mittelschicht schlecht intergiert sein konnten. Ich erinnere mich wie damals die Schüler/innen sowohl gegen die finanziell armen Kinder (wegen billiger Klamotten) als auch gegen die reichen Schüler ständig motzten, hetzten und Mobbingattacken organisierten.“
Und heute sieht das sicherlich nicht besser aus, nur dass sich die Kräfteverhältnisse hier und da verschoben haben. Der Status der Normalen ist heute gesucht, wird aber immer seltener gefunden, heute stehen genau jene, die früher die Norm waren, unter extremem Rechtfertigungsdruck. Heute ist man Feindbild, weil man Ausländer ist und weil man ein alter, weißer Mann ist, aber auch die Mutli-Kultis haben es nicht leicht, von den sogenannten Eliten ganz zu schweigen. Es gibt die gar nicht mal dumme These der Philosophin Isolde Charmin, dass Pluralismus immer mit Identitätverlusten einhergeht, da die Selbstverständlichkeit der Zuschreibung wie man als ganz normaler Bürger, ganz normale Bürgerin zu sein hat, weggebrochen ist. Den Druck fühlen nun alle, auch eine Form der Gerechtigkeit, nur keine sehr stabile Situation.
„die typologien auch horkheimer/adornos sind weniger deskriptiv
als normativ.“
Es ist eine sehr grundätzliche Frage, ob es nicht normative Typologien überhaupt geben kann. Das ist ja die Grundkritik vieler linker Interpreten, von den Epigonen nur nachgeäfft, im Kern aber berechtigt, da jede Sicht bestimmte Aspekte herausstellt und andere in den Hintergrund drängt, soweit ich das erkennen kann, ohne Ausnahme. Der entscheidende Punkt ist, ob, wenn man das geschluckt hat, die Menge der Sichtweisen uns nicht wiederum wenigstens Tendenzen anbietet, gerade wenn die Perspektiven deutlich verschieden sind. Dass das alle nur der bürgerliche Wunsch ist, die Herrschaftsverhältnisse zu stabilieren udn jeder nur unreflektiert und ideenarm vom anderen abgeschrieben hat, ist dann irgendwann auch mal eine Immunisierung gegen Kritik, die so gehaltvoll ist, wie andere Immunisierungen, nämlich gar nicht.
„gesellschaftl.verhältnisse schlagen sich immer in familien-zuständen nieder.
so wie demografische änderungen gesellschaft beeinflussen.“
Die Frage ist eben, ob das so Naturereignisse sind, wie Regen, Sonne und Donner, die man einfach staunend über sich ergehen lassen sollte, oder ob man das Recht oder gar die Pflicht hat, diesen Prozess mit zu gestalten. Die Ausblendung (bis zur Dämonisierung) weiterer Aspekte (abgesehen vom großen Satan, dem Kapitalismus) wie Demographie ist ja schon oft schon linker Standard, wird durch die katastrophale Vernachlässigung des Inneren aber noch um Längen getoppt, weil ja gilt, dass allein das Sein ...
"reduzierte sozialisation durch die eltern
wird heutzutage durch/in peer-groups ergänzt."
Genau das ist ein weiteres Teil des Problems, nicht seine Lösung.
sagen wir so, es gibt gegebenheiten.
solche der natur
und gesellschaftliche,
von menschen gemacht, "aber nicht aus freien stücken,
nicht unter selbst-gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen,
gegebenen und überlieferten umständen.
die tradition aller toten geschlechter
lastet wie ein alb auf dem gehirn der lebenden." (karl marx, der 18.brumaire..)
wäre zu ergänzen mit:
und nach der zerschlagung/unterminierung der tradition
durch die kapital-wirtschaft sind neue,
nicht weniger gebieterische gegebenheiten als system-zwänge
entstanden, die selbst-gewählte veränderungen behindern.
(denkzone8, als fuß-pilz von k.m.)
korr.: ...denkzone8 auf karl marx fußend wie ein fuß-pilz.
"die tradition aller toten geschlechter
lastet wie ein alb auf dem gehirn der lebenden." (karl marx, der 18.brumaire..)
Ist eben die Frage, ob das schon die ganze Wahrheit ist. In der post-68er Ära hat man sich ja versucht von diesem Alb zu befreien.
Nichts, was nicht seinen Nutzen hier und heute belegen konnte, blieb unangefochten. Heute ärgert man sich, dass alles auf Nützlichkeit gebürstet ist. Ein Schelm, ...
Einverstanden.
Nur sollte man sich nicht wundern, dass, wenn man den Ball auf den Elfmeterpunkt legt und den Torwart zum Duschen schickt, irgendwer mal ein Tor schießt.
bei allen erfolgreichen lockerungen traditioneller fesseln der 68er:
die -->voluntaristischen strebungen nach freieren liebes-verhältnissen
haben ihre grenzen in der eifersucht gefunden,
feministische vor-stöße sind durchaus vereinbar
mit kapitalist. gegebenheiten.
auch die punk-welle mit demonstrativer bedürfnis-armut
hat den großen dampfer nicht außer kurs gesetzt.
Bei der Zerstörung familiärer Strukturen gehen Linke und Neoliberale brav Hand in Hand. Was dem einen zu antiquiert ist, ist dem anderen zu unflexibel. Irgendwann ist vieles von dem was ich an der 68 schätze ins Gegenteil gekippt, auch wenn das Verhältnis gut/schlecht bei mir 80/20 pro 68er gewichtet ist. Mittlerweile ist das aber den Boxkampf zweier Irrer und der ist nicht schön.
-- Zitat " Mit welcher „Erzählung“ manche Arbeiterinnen in den rechtspopulistischen Sog geraten, haben Sozialwissenschaftlerinnen weitererzählt: In der Schlange vor dem Berg des Aufstiegs sehen sie sich stehen, immerzu wartend, und nun kommen noch Migranten dazu, sodass die Schlange noch länger, der Aufstieg noch unwahrscheinlicher wird.".- Zitat Ende
Was ist in der Arbeiterklasse eigentlich der "Berg des Aufstiegs"? Wenn ich das so lese, bin ich schwer am Grübeln. Gerechtigkeit das wäre für mich z. B. eher von Belang. Gerechte Löhne, gerechte Arbeitsbedingungen, das ist einleuchtend.
Aber "Aufstieg" enthält doch schon den Gedanken, dass man der eigenen Klasse, die man also als #unten versteht (schrecklicher Hashtag) entkommen will. Die "Arbeiterklasse" denkt aber nicht so. Mir scheint, alle, die über die Arbeiterklasse schreiben, sind ihr eben entweder entwachsen oder haben nie zu ihr gehört. Dieses "Über die Arbeiter reden" ist selbst meist abgehoben - entfernt, wie sich ja auch bei Eribons Buch zeigt. Möglicherweise ist die ganze These von der Arbeiterklasse als revolutionäre Klasse zu diskutieren. Geschieht wahrscheinlich auch schon längst. Ich bin da nicht auf dem Laufenden.
Nur am Rande. Die einzigen wirklichen Arbeiter, die jemals einem Staat vorstanden hießen Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht oder - Erich Honecker. Sie habens auch nicht besser gemacht. Für mich aber erscheint der Umgang mit ihnen - neben allen berechtigten Veruteilungen und Verdammlungen - auch ein Ausfluss ungebremster Klassenverachtung zu sein.
-- Zitat " Mit welcher „Erzählung“ manche Arbeiterinnen in den rechtspopulistischen Sog geraten, haben Sozialwissenschaftlerinnen weitererzählt: In der Schlange vor dem Berg des Aufstiegs sehen sie sich stehen, immerzu wartend, und nun kommen noch Migranten dazu, sodass die Schlange noch länger, der Aufstieg noch unwahrscheinlicher wird.".- Zitat Ende
Was ist in der Arbeiterklasse eigentlich der "Berg des Aufstiegs"? Wenn ich das so lese, bin ich schwer am Grübeln. Gerechtigkeit das wäre für mich z. B. eher von Belang. Gerechte Löhne, gerechte Arbeitsbedingungen, das ist einleuchtend.
Aber "Aufstieg" enthält doch schon den Gedanken, dass man der eigenen Klasse, die man also als #unten versteht (schrecklicher Hashtag) entkommen will. Die "Arbeiterklasse" denkt aber nicht so. Mir scheint, alle, die über die Arbeiterklasse schreiben, sind ihr eben entweder entwachsen oder haben nie zu ihr gehört. Dieses "Über die Arbeiter reden" ist selbst meist abgehoben - entfernt, wie sich ja auch bei Eribons Buch zeigt. Möglicherweise ist die ganze These von der Arbeiterklasse als revolutionäre Klasse zu diskutieren. Geschieht wahrscheinlich auch schon längst. Ich bin da nicht auf dem Laufenden.
Nur am Rande. Die einzigen wirklichen Arbeiter, die jemals einem Staat vorstanden hießen Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht oder - Erich Honecker. Sie habens auch nicht besser gemacht. Für mich aber erscheint der Umgang mit ihnen - neben allen berechtigten Veruteilungen und Verdammlungen - auch ein Ausfluss ungebremster Klassenverachtung zu sein.
Was Sie über den Umgang mit Ulbricht, Pieck, Honecker sagen, da stimme ich zu. Das scheint mir auch so zu sein. Was aber jene „Erzählung“ angeht, das kann man nicht so einfach abtun. Sie haben’s ja bei mir gelesen, das ist wissenschaftlich so ermittelt worden. Auch Forschungsergebnisse von Wissenschaftlern müssen nicht immer richtig sein, aber einfach sagen, das ist abgehoben, zeigt nur, daß die nicht dazugehören, wohingegen „für mich“ usw., so kann man nicht argumentieren. Beachten Sie auch, es folgen ja nun beileibe nicht alle Arbeiter*innen den Rechtspopulisten. Jene „Erzählung“ wird natürlich von denen erzählt, die den Rechtspopulisten folgen. Den anderen geht es um Gerechtigkeit wie Ihnen, den Rechtspopulisten geht es nun eben nicht um Gerechtigkeit, vielmehr neigen sie zum Rassismus. Dabei würden aber auch die, denen es um Gerechtigkeit geht, gern aufsteigen können, warum denn nicht, das ist doch völlig normal und richtig. Wenn ihnen das nicht mehr ermöglicht wird, dann muß man dafür kämpfen, daß sie es wieder können, wie das z.B. Riexinger will, den ich nicht für abgehoben halte. Wir leben schließlich in einem Land, das immer noch von sich behauptet, es gebe in ihm, anders als etwa in einer Sklavenhaltergesellschaft, soziale und eben sogar vertikale Mobilität. „Möglicherweise ist die ganze These von der Arbeiterklasse als revolutionäre Klasse zu diskutieren“, schreiben Sie auch. Da stimme ich wieder zu. Man muß sie nicht für ein oder gar „das“ revolutionäre Subjekt halten.
Lieber Michael,
die Integrale Politik in der Schweiz hat gute Antworten zum Thema, unter Positionspapier, Integrale Wirtschaft. Aber auch die Positionspapiere zu anderen Themen, wie Bildung, Frieden, Klima, Migration etc. geben die Integralen vernünftige Antworten eben aus einem integrierenden Gesamtüberblick heraus. Es lohnt sich mal reinzuschauen. Die Integrale Politik ist die erste Integrale Partei die aus der Integralen Bewegung um Ken Wilber entstanden ist. Es gibt auf der Erde noch keine Partei die in der Lage wäre derart integrativ zu sein, leider!
http://www.integrale-politik.ch/positionspapiere-integrale-politik/
Wünsche dir ein frohes Fest und einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Herzliche Grüsse, Nil
Liebe Nil, herzlichen Dank für Deinen lieben Gruß und den Hinweis auf die Positionspapiere, die ich mir anschauen werde, und auch Dir eine gute Zeit über Weihnachten und Neujahr und darüber hinaus!
Au ja, machen Sie das mal bitte. Da ich mich irgendwie noch immer als Teil der integralen Bewegung fühle, der integralen Politik jedoch ein wenig skeptisch gegenüber stehe, würde mich Ihre Meinung interessieren. Das Thema "nur noch kurz die Welt retten" könnte ja in den nächsten Jahren durchaus größer geschrieben werden und der Beitrag der Integralen könnte sein, dass sie begriffen haben, dass man sich nicht auf das eine Lieblingsthema (oder den eine Lieblingsfeind) fokussieren darf, sondern mehrere Bälle im Spiel halten muss. Das ist eine Frage der Breite des Bewusstseins, da haben die Integralen potente Antworten.
>>Diktaturen mit Millionen Toten.<< --- Haben wir: Man nennt sie "Kapitalismus". n.
Sie meinen doch nicht die Partei Die Linke? Der kann man Herrn Schramm, der noch heute stolz darauf ist, für die Stasi gearbeitet zu haben, nun wirklich nicht vorwerfen, und ich halte es auch für sehr unwahrscheinlich, daß er mit ihr sympathisiert.
Ganz im Gegenteil es ist an der Zeit den Klassenkampf wieder auf zu nehmen, das aber bedeutet das wir Arbeiter uns endlich aus den Klauen der bürgerlichen Mitte befreien müssen. Wie lange wollen wir es noch hinnehmen das jenes bürgerliches Spektrum das uns im Grunde genommen verachtet. Schauen wir mal auf die im vergangenem Jahr abgefeierten 68ger die keine Frage viel bewegt haben, aber im Grunde genommen auch nur Verachtung für die Unterschicht übrig hatten. So betitelte Fritz Teufel Uschi Obermaier als Untermaier um seiner Verachtung für ihre soziale Herkunft zum Ausdruck zu bringen. Noch immer laufen wir Arbeiter den sogenannten Intellektuellen und ihren Emporkömmlingen hinterher, dabei wäre die Mehrheit von uns durchaus in der Lage andere und sogar gerechtere Politik zu gestalten. Warum noch reden? Der Versuch von uns an Deutschland spricht teil zu nehmen hat gezeigt das die bürgerliche Mitte lieber unter ihres Gleichen redet, das zumindest stelle ich fest an den 150 Kommentaren von Teilnahme willigen Arbeiter/innen wenn es zu einer ungleichen Paarung kam es nur selten zu einem Gespräch.
|| Ich meine es anders: ... ||
nee-nee: im Folgenden zeigt sich: kein "Mißverständnis
|| ... Rollen und zwar solche, die gesellschaftlich anerkannt sind, sind Mangelware in unserer Gesellschaft. Das ist der Bereich, bei dem man dringend Abhilfe leisten muss, ... ||
... aber nur sehr mittelbar leisten KANN:
Denn zunächst verteilt sich die Anerkennungs-Energie auf eine verhundert- bis vertausendfachte Rollenzahl je Rollenträger. Die dazu nötige, verfügbare Energie/Kraft/Zeit wächst mitnichten proportional zur Anzahl der Rollen, sondern deutlich unterprop. , - wenn überhaupt, und nicht selten stehen die neuen Differenzierungen schon im Subjekt selbst zueinander so in Widerspruch, dass sie die Energien "fressen", die die Differenzierungen ja auch freisetzen können, aber nicht müssen, - nachdem sie zur Ausdiff. einiges vom neuen Wohlstand und den neuen Optionen aus Technik, Medizin, NW'en usw., zu ihrer Entfaltung zwangsläufig zunächst verzehren/in Anspruch bzw. zeitlich exklusiven Beschlag nehmen mussten.
|| ... weil entgegen manchem Klischee weder Geld und Erfolg, noch Bildung dafür sorgen, dass man Anerkennung findet. ||
Nun, das wenigste vom Aufgezählten ist reines "Klischee", sondern das meiste davon nach wie vor reales Mittel realen Anerkennungserwerbs, - da helfen auch die wachsenden Gegenbeispiele nicht wirklich raus.
|| Identitäten sind keine Spaltungen, weil viele Prozesse einer gefühlten Abspaltung, zugleich solcher einer neuen, meist größeren und freieren Synthese sind. ||
Nun ja, empirisch sieht das so aus, dass in der Tat die jew. Abspaltungen/neuen Identitäten/Entfaltungen/ sich von ihrem Herkommen befreien (frei von) und von daher auch freier ZU etwas sind als ohne Abspaltung. Das gilt von der Saat der Pflanzen bis hin zur Entwicklung des Schwulseins, an deren Ende das Herrschaftsparadigma des "schwul-rulez" gilt: vom "East-End"-Schmuddel-Hinterhof in Münsters 70gern über Tunix II und Meister Kosock/plone/ hier bis hin zur Verbindung des Spahn-Paars zu entspr. Oberschwulen der Trump-Administration, z. B. dem Grenell-Pärchen, bis zu V. Beck und einigen tausend anderen, die es zur "größeren und freieren Synthese" freilich dadurch gebracht haben, dass sie - darin ganz AfD-Vorläufer -, sich als Avantgarde der Interessen ALLER/des volonte generale/des "Volkes" erklärten/erklären ließen/ - und via Abspaltung vom ursprünglich "emanzipativen" Impuls über die klass. Machtkarrieren der Kungelrunden, der Opportunismen usw. nun überproportional entspr. Schaltstellen besetzt halten.
Aber Sie halten sich mit Empirien ja zumeist ungern auf, schreiten lieber gleich zu vertikalen Deduktionen:
|| Ansonsten müsste man eine Ureinheit annehmen, die uns alle verbindet und von der ich nicht weiß, was diese ausmachen soll. Aber aus der Lungenatmung oder Zweibeinigkeit kann man schwerlich eine tragfähige Gemeinschaftsidentität ableiten ... ||
Ureinheiten sind dem Entwicklungsgedanken zwangsläufig immanent. Daher Urknall usw. Und aus dem Bereich des Identitären läßt sich eben nichts "tragfähiges" (was soll getragen werden?) "Gemeinschaftliches" ableiten, das ist bloß ihre Idee und die vieler anderer, das wollte ich doch nur klarmachen.
|| ... und so etwas wie Würde als grundlegend anzunehmen ... ||
verstecken Sie sich nicht hinter abschwächenden Formen wie "grundlegend":
Ihrer Auffassung nach ist "Würde" nicht nur KEIN Ergebnis des Würdigens, keine variable Zuschreibung, die mal so, mal anders ausfällt, ist Würde kontingenzfrei, etwas meta-physisch-logisch und universal vorgegebenes Unbedingtes, und sei es als zwingend ableitbare und daher imperativ allen Menschen aufzuzwingende/voraus zu setzende "Als-Ob"-Annahme, der alle Logik, Semantik, die Rechtsysteme von den MR'en der UNO bis zum Rechtsgefüge des Nicobaren-Volkes und die allg. Lebenspraxis, also alle metaphysischen und physischen Realitäten entgegenstehen, sondern vor allem auch
|| ... ein Ausdruck einer hohen Entwicklung, ... ||
die Sie für sich selbst natürlich in Anspruch nehmen dürfen, da Sie diesen Quatsch vertreten, - zirkulärer geht's nun gar nicht mehr.
|| ... wenn es nicht nur so dahergesagt ist ... ||
was es aber gerade bei den Hohepriestern dieser Auffassung von Kant über Piaget, Kohlberg, Habermas usw. ist, weil damit die Latte derart hoch gelegt ist, dass sie zum Herrschaftsinstrument, zum Knüppeln/Pejorisieren Aller taugt, während ihre Protagonisten selber um so leichter unter ihr wegtauchen können (Strauß; vergl. die Großzügigkeit der Eliten aller couleurs gegenüber ihren eigenen Regel- u. Würdeverletzungen), je höher, abstrakter u. damit universaler u. imperativ-autoritärer Würde, Moral/Ethik usw. aufgelegt worden sind. Erst dadurch, die autoritäre Überhöhung in Verbindung mit notwendig höchst partikularer Praxis konnte z. B. kantscher Antisemitismus zur " Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung" werden.
|| Das Problem sind gerade Individuen, die nur wenige Rollen/Identitäten haben und daher das wenige, was ihr Selbst ausmacht eifersüchtig hüten und zugleich überhöhen. ||
Nee, das ist bestenfalls EIN Problem. DAS Problem ist, dass tragfähige/erträgliche Gemeinschaft nicht als partikulare Anstandshomogenität in A.-Inhalten - u. - FORMEN/Codes, hier bei uns: in/durch Schuld anständiger Gewordener - verstanden und gesucht wird, sondern als Ort, der allen möglichen Partikularitäten/Identitäten/Entfaltungen u. Abspaltungen "gerecht" wird. Das endete bei 200 Mahlzeit-Angeboten in jeder Kantine usw., müsste jedes Entscheidungsgremium mit ca. 2000 Minderheiten-Vertretern bestückt werden etc. Unter solchen per se stets noch "ungerecht" bleibenden und entscheidungs- und damit handlungshemmenden Umständen feiert die "schlechte Laune", von der Sie schreiben, aber auch das Ressentiment und der Dezisionismus ebenso fröhliche Urständ wie die Kungelrunde, die politisch-karrieristische Bewirtschaftung der unzähligen "Identitäten", der Populismus/Opportunismus usw.
|| Wer es sich erlauben kann noch was anderes außer so richtig deutsch, Veganer oder Feministin zu sein, ist im Vorteil.||
Sehr Richtig! Wobei aber der "Vorteil" per se im "sich erlauben können" schon eingeschrieben ist, nicht in der nachfolgenden Aufzählung oder deren Abstraktion als Identitätenliste.
|| Aber dass unsere Gesellschaft geizig mit den Rollen ist, haben die Fundamentalisten aller Ländern schon spitz gekriegt und verteilen daher Identitäten, wie die Kamelle am Karneval. Mit einigem Erfolg. ||
1. Ist die G. eben nicht geizig mit Rollen, sondern funktioniert der Anerkennungserwerb und die Anerkungsstiftung über Rollen nicht gut/bedarfs"gerecht", und
2. was, - die Kamellenverteilung - aber wie im Karneval nur für äußerst kurzfristigen "Erfolg" sorgen kann: Fundis, offen Autoritäre usw. scheitern genauso schnell an dem Berücksichtigungsbedarf der Identitäten wie die Realos und philosophisch verbrämt Autoritären. Immerhin kann damit der nackten Macht in den Sattel verholfen werden, die sich per nackter Gewalt, ohne Legitimität u. Funktionalität, dann darin - Max Weber zum Trotz - ziemlich lange halten kann. Daher ist die Zeit nicht mehr allzu fern, in der sich die Vertreter des ideologisch-idealistisch-autoritären "Als-Ob"-Handelns als höchster Moralstufe, wie Sie, Habermas, C. Leusch, Endemann, Pleifel usw., nach solchen wie Trump oder der AfD nochmal die Finger lecken werden: vergl. Bolsonaro, Duterte usw.
Die Anerkennungsfrage, vergl. dazu Honneth, legt nahe, dass eine notwendige Voraussetzung zur Wandlung in einen leidlich stabilen, partikularen Anstandskreis nach unserer hiesigen Facon, also ohne Todesstrafe usw., wohl auch in der "kynischen" Abspaltung/Befreiung der Subjekte vom hohen Anerkennungsbedarf liegt. (-> Instrumentalisierungshebel der Macht, vergl. das Zusammendenken von Macht u. Begehren bei Foucault). Darin würde der "Verlierer", also der/die Anerkennungslose, - so problematisch das ist -, zur mittelbar erstrebten Existenz.
Soziale Rollen:
„... nicht selten stehen die neuen Differenzierungen schon im Subjekt selbst zueinander so in Widerspruch, dass sie die Energien "fressen", die die Differenzierungen ja auch freisetzen können, aber nicht müssen ...“
Hunderte bis tausende Rollen pro Individuum kann ich nicht erkennen, mein Verständnis von Rolle entspricht nicht einer beliebigen Verhaltenswiese sondern subsumiert etliche Verhaltensweisen, eben zu mehr oder minder komplexen Rollen. Vater, Paketbote, Freitags-Kommunarde usw. wären Beispiele.
Die Kräfte gehen nicht alle in dieselbe Richtung, ja, weshalb Rollen Anfänge darstellen, erste Angebote sein sollen. Für manche ist im Rollenspieler, der versucht Erwartungen zu erfüllen, das Ende der Fahnenstand erreicht, für andere ist die Rolle etwas, wie eine Arbeitskleidung: Man legt sie an und wieder ab, ist sich aber bewusst, dass es eine Existenz jenseits der Rollen gibt, die sich praktisch darin auszeichnet, dass man nicht alle Erwartungen erfüllt. Man entscheidet selbst und steigt dann, im begründbaren Fall, aus der Rolle aus.
„|| ... weil entgegen manchem Klischee weder Geld und Erfolg, noch Bildung dafür sorgen, dass man Anerkennung findet. ||
Nun, das wenigste vom Aufgezählten ist reines "Klischee", sondern das meiste davon nach wie vor reales Mittel realen Anerkennungserwerbs, - da helfen auch die wachsenden Gegenbeispiele nicht wirklich raus.“
Man kann Anerkennung auch anders erwerben. Wer aus den reinen Rollenspielereien raus ist, weiß das, aber dieses Wissen kann wiederum dazu verwendet werden um andere, alternative Rollen zu erschaffen. Etwa für den Fall, dass Arbeit (einer Arbeit nachzugehen ist eine akzeptierte Rolle) demnächst wirklich knapp wird. Ob das so sein wird, brauchen wir nicht zu diskutieren.
„Aber Sie halten sich mit Empirien ja zumeist ungern auf ...“
Eigentlich ist das nur eine lose Behauptung und Ihre selektiven Empirien nicht selten Tiraden, so what?
„Ureinheiten sind dem Entwicklungsgedanken zwangsläufig immanent. Daher Urknall usw. Und aus dem Bereich des Identitären läßt sich eben nichts "tragfähiges" (was soll getragen werden?) "Gemeinschaftliches" ableiten, das ist bloß ihre Idee und die vieler anderer, das wollte ich doch nur klarmachen.“
Ich wüsste nicht, dass mich mit den Identitären Größeres verbindet, da wissen Sie wieder mal mehr über mich, als ich selbst. Nur um mal eine Lesart der sicher zufällig verwendeten Begrifflichkeit zurückzuweisen.
„Ihrer Auffassung nach ist "Würde" nicht nur KEIN Ergebnis des Würdigens, keine variable Zuschreibung, die mal so, mal anders ausfällt, ist Würde kontingenzfrei, etwas meta-physisch-logisch und universal vorgegebenes Unbedingtes, und sei es als zwingend ableitbare und daher imperativ allen Menschen aufzuzwingende/voraus zu setzende "Als-Ob"-Annahme, der alle Logik, Semantik, die Rechtsysteme von den MR'en der UNO bis zum Rechtsgefüge des Nicobaren-Volkes und die allg. Lebenspraxis, also alle metaphysischen und physischen Realitäten entgegenstehen, sondern vor allem auch
|| ... ein Ausdruck einer hohen Entwicklung, ... ||
die Sie für sich selbst natürlich in Anspruch nehmen dürfen, da Sie diesen Quatsch vertreten, - zirkulärer geht's nun gar nicht mehr.“
Ein Ärgernis, nicht wahr? Vor allem wenn man sich den eigenen Elitarismus nicht eingesteht und eine für ihn eine hierarchische Sichtweise braucht, an der ganz oben ein DOS steht, darunter dann ewig ambitionierte Gescheiterte wie Habermas, Apel, Nida-Rümelin etc., ihre gefühlten Epigonen, zu denen ich mich rechnen darf, die sich in dem DOS'schen Archetypus des Herrenreiters wiederfinden, ganz unten jene, denen Sie im Zweifel gerne die Lampe ausblasen (lassen) würden, nämlich solchen, die auf die Rechte der anderen scheißen und - gemäß Ihrem Persistenzial-Paradigma - ihre eigenen damit auch durchs Klo gespült haben. Sicher garniert und umringt von diversen feineren Abstufungen, aber es ist kein größeres Problem ihre Sichtweise auch so zu betrachten.
Ich will das in der Tat verzwickte Problem auch gerne noch mal ohne persönlichen Bezug auf den Punkt bringen: Universalisten scheitern stets daran, dass ihre Werte auch von einer signifikanten Mehrheit anerkannt werden müssen und da dies empirisch(!) nie der Fall ist, stecken sie sofort in jenen Hierarchien, die Universalisten so gerne vom Tisch hätten. Aber bewerten bedeutet nicht entwerten, das glauben nur jene dezidierten Antihierarchisten, mit denen die eigenen Vorurteile durchgehen. Oberhalb von 50 beliebig aufgespannten Hierarchien verschwimmt das grundsätzliche Bessersein und die Einsicht einer dauerhaften Würde gewinnt Konturen. Bei 3 hierarchischen Kategorien ist das nicht der Fall, da fallen immer etliche durch die Maschen. Feinde jedweder Kategorien geraten sofort in einen performativen Widerspruch, da waren wir einer Meinung. Antitheoretiker, die Macht über Argumente setzen, mögen sich Zyniker, Pragmatiker oder Realisten nennen, letztlich ist dies eine faschistische Position, wie Sie erkennen werden. Man nimmt sich das Recht, was man nicht mehr anders zu begründen braucht, als dass man es sich eben nehmen kann. Ob man dies dann tut, weil man blond ist oder angegriffenes Opfer, ist Nebensache.
„... was es aber gerade bei den Hohepriestern dieser Auffassung von Kant über Piaget, Kohlberg, Habermas usw. ist, weil damit die Latte derart hoch gelegt ist, dass sie zum Herrschaftsinstrument, zum Knüppeln/Pejorisieren Aller taugt, während ihre Protagonisten selber um so leichter unter ihr wegtauchen können (Strauß; vergl. die Großzügigkeit der Eliten aller couleurs gegenüber ihren eigenen Regel- u. Würdeverletzungen), je höher, abstrakter u. damit universaler u. imperativ-autoritärer Würde, Moral/Ethik usw. aufgelegt worden sind.“
Jou, immer schön viele Feindbilder einweben, um zu verschleiern, dass Sie Ihr PP nicht widerspruchsfrei und/oder griffig formuliert bekommen, statt dessen, der Hinweis auf Fragmente, die man sich hier und da zusammenzusuchen hat und abwertende Kommentare, wenn man sich dabei zu blöd anstellt und zu wenig liest, DOS ist eben stets drüberer. Wer mag, kann Ihr Gesamtwerk zusammentragen und systematisieren, mir konnten Sie nicht vermitteln, wie uns das PP weiter bringt, aber ich bin auch nur maximal 3.Wahl, der epigonenhafte Herrenreiter.
„Nee, das ist bestenfalls EIN Problem. DAS Problem ist, dass tragfähige/erträgliche Gemeinschaft nicht als partikulare Anstandshomogenität in A.-Inhalten - u. - FORMEN/Codes, hier bei uns: in/durch Schuld anständiger Gewordener - verstanden und gesucht wird, sondern als Ort, der allen möglichen Partikularitäten/Identitäten/Entfaltungen u. Abspaltungen "gerecht" wird.“
Ja. Der Pluralismus ist längst Diktat geworden.
„|| Wer es sich erlauben kann noch was anderes außer so richtig deutsch, Veganer oder Feministin zu sein, ist im Vorteil.||
Sehr Richtig! Wobei aber der "Vorteil" per se im "sich erlauben können" schon eingeschrieben ist, nicht in der nachfolgenden Aufzählung oder deren Abstraktion als Identitätenliste.“
In meinen Begriffen, der Schritt vom Rollenspieler zum Ich. Keine Rolle zu spielen, übrig zu sein, ist unerträglich, daher sucht man sich jemanden, der sie anbietet, da sind Extremisten gerne großzügig. Willkommen Bruder/Schwester, es folgt ein Leben, reduziert auf eine wesentliche Rolle, die einen aber von 0 auf 100 bringt. Eben noch überflüssig ist man nun Teil der wahren Elite, wer würde diesen Tausch verweigern? Der Punkt ist, es nicht so weit kommen zu lassen und eigene, akzeptierte Rollen anzubieten. Dafür muss man aber das Prinzip kapieren, sehen, was so eine identitiätsstiftende und -tragende Rolle eigentlich ist und ausmacht. Sonst kommen wieder die ewig Guten und meinen, man müsse einfach radikaler akzeptieren, dass alles andere eben genauso seine Berechtigung hat wie unsere zufälligen Werte, die auch völlig anders hätten ausfallen können und keinerlei größeres Gewicht haben. Der universalistische Selbstwiderspruch, nur von der anderen Seite her betrachtet.
„1. Ist die G. eben nicht geizig mit Rollen, sondern funktioniert der Anerkennungserwerb und die Anerkungsstiftung über Rollen nicht gut/bedarfs"gerecht", und“
Ja, darum rede ich ja auch von gesellschaftlich akzeptiereten Rollen. Anerkannten, die dem Träger das Gefühl geben einer von uns zu sein, statt „Prekarier“, „Nafri“ oder einfach jemand, den keiner braucht.
„2. was, - die Kamellenverteilung - aber wie im Karneval nur für äußerst kurzfristigen "Erfolg" sorgen kann: Fundis, offen Autoritäre usw. scheitern genauso schnell an dem Berücksichtigungsbedarf der Identitäten wie die Realos und philosophisch verbrämt Autoritären. Immerhin kann damit der nackten Macht in den Sattel verholfen werden, die sich per nackter Gewalt, ohne Legitimität u. Funktionalität, dann darin - Max Weber zum Trotz - ziemlich lange halten kann.“
Ja, es gibt Menschen, die nicht das Ziel haben, dass der Kampf jemals aufhört, sondern denen der ewig Kampf geistige Heimat geworden ist. Timothy Snyder hat das in eine politische Sprache übersetzt.
„Die Anerkennungsfrage, vergl. dazu Honneth, legt nahe, dass eine notwendige Voraussetzung zur Wandlung in einen leidlich stabilen, partikularen Anstandskreis nach unserer hiesigen Facon, also ohne Todesstrafe usw., wohl auch in der "kynischen" Abspaltung/Befreiung der Subjekte vom hohen Anerkennungsbedarf liegt. (-> Instrumentalisierungshebel der Macht, vergl. das Zusammendenken von Macht u. Begehren bei Foucault). Darin würde der "Verlierer", also der/die Anerkennungslose, - so problematisch das ist -, zur mittelbar erstrebten Existenz.“
Dafür müsste man aber prä- und postkonventuionell unterscheiden, also jene, denen Anerkennung egal ist, weil ihnen andere egal sind und solche, die ihren Weg gehen und andere (mehr denn als Mittel zum bloßen Zweck) mitdenken. Sie verweigern Sich dem, letztlich mit dem Argument, hier hätte nur einer vom anderen abgeschrieben (und keiner hat's gemerkt, keiner war je selbstkritisch genug?), aber dann schauen Sie doch mal genauer hin, oder der gefühlte Trumpf, das alles sei nur Herrschaftsstabilierung – argumentativ nichts weiter als eine petitio principii – wirklich sticht. Wer da gerne begründgungsfrei aussteigen möchte, stellt abermals die Macht über das Argument. Kann machen wer will, nur sollte man über die Konsequenzen nachdenken. Aber es kribbelt so schön, sogar wenn man intelligent ist und Macht als Begründung für Macht, kann man ja wollen, ist ja trendy zur Zeit. Nicht die Proletarier aller Welt, nein die gefühlten Opfer (und wer will der Redlichkeit der Gefühlssphäre etwas entgegensetzten?) vereinigen sich. Man schützt sich eben vor der Umvolkung, dem pervers-dekadenten Globalisierungswesten etc. pp., verkannt, aber der späte Dank ist einem sicher, wenn nicht, auch egal.
Ich argumentiere aber empirisch(!), indem ich die Gesellschaft so nehme wie sie ist (= mir redlicherweise erscheint) und da kommen eben beide Arten „der Subjekte“, die „vom hohen Anerkennungsbedarf“ frei sind vor.
Über die Dialektik oder Ambivalenz von Ich und Gesellschaft ist längst nachgedacht worden, es gibt sogar gute prinzipielle Argumente gegen die Gesellschaft als das Triebverzicht erzwingende aus der „kritischen Psychologie“, oder dagegen Individuum und Gesellschaft als Gegensatz zu denken, aber es ist auf der anderen Seite ja nicht so, dass das nicht zur Kenntnis genommen wurde. Und da überzeugt dann eben das, was einen persönlich mehr überzeugt, mehr als neu zu prüfen und abzuwägen, kann man nicht tun, weniger sollte man nicht tun.