Der Ungläubige

Papst Franziskus mischt sich in die Weltkonflikte ein. Er darf kein Einzelgänger bleiben – die ganze Kirche muss an seiner Seite stehen
Ausgabe 15/2017
Beten für Frieden im Nahen Osten: Franziskus in Jerusalem
Beten für Frieden im Nahen Osten: Franziskus in Jerusalem

Foto: Lior Mizrahi/Getty Images

„Heute brauchen wir keinen Gott“, sagen viele, und auch keinen Papst. Den, der gerade amtiert, erkennen allerdings sogar viele Linke als überraschend hilfreiche Ausnahme an. Franziskus ist ein radikaler Kritiker des Kapitalismus. „Diese Wirtschaft tötet“, hat er in einem Lehrschreiben formuliert. Alles Schwache sei wehrlos gegenüber den Interessen des vergötterten Marktes. „Das in den ungerechten Gesellschaftsstrukturen kristallisierte Böse ist der Grund, warum man sich keine bessere Zukunft erwarten kann.“ Wenn wir den alljährlichen Segensspruch von Ostern in diesen Kontext stellen, hat er uns durchaus etwas zu sagen.

Franziskus gewährt nach katholischem Verständnis allen, die ihn guten Willens hören oder sehen, einen Ablass ihrer Sündenstrafen. Allen: der Stadt Rom (urbs) und dem ganzen Erdkreis (orbis). Dieser Papst aber hat besonders den Westen im Auge. Wenn er in einem großen Interview betont, dass es „keine Lage gibt, aus der man sich nicht mehr erheben kann“, um „von Neuem zu beginnen“, wird zwischen den Zeilen deutlich, dass er speziell den westlichen Menschen anspricht und segnet. Nach seiner Überzeugung kann der westliche Mensch die Schäden wiedergutmachen, die er der Welt zugefügt hat. Doch dazu müsste er an sich glauben können, was ihm aus eigener Kraft nicht mehr gelingt. Das ist Franziskus’ Diagnose: Er sagt den Entmutigten, die sich in Nihilismus, Sturheit und Aggression flüchten, dass eigene Schuld kein Grund ist, den Neuanfang nicht zu wagen. Dabei weiß er genau, dass es nicht Sache der Kirche ist, die „ungerechten Gesellschaftsstrukturen“ zu beseitigen: Was sie beitragen könne, sei „nur eine Notversorgung, die man braucht, damit die Kämpfenden nicht sterben“.

Was wollen wir mehr? Nun: dass Franziskus kein Einzelgänger bleibt. So etwas wie ein Heiliger ist er ja zweifellos. Er umarmt Kranke, besucht Obdachlose, lässt Schlafsäcke unter ihnen verteilen, wohnt selbst im vatikanischen Gästehaus. Wenn es ihm aber nicht gelingt, seine Kirche zu reformieren, wird er gesellschaftlich keine Wirkung erzielen, und darauf käme es an. Kümmert er sich denn hinreichend um sie? Als kritisches, ja anklagendes Gegenüber der politischen und ökonomischen Mächte wäre die Kirche hilfreich. Aber dazu müsste sie glaubwürdig sein, und das ist sie nicht. Franziskus’ Glaubwürdigkeit ist kein Ersatz.

Auch Franziskus’ innerkirchliche Aktivitäten beeindrucken. Mit der Kurie steht er im offenen Krieg. „Es reicht nicht, sich mit dem Austausch von Personen zufrieden zu geben“, sagt er. Sondern auch die Mentalität müsse sich wandeln und „böswilliger Widerstand“ gebrochen werden. Was er bisher erreicht hat: Reform der Vatikanbank und Finanzaufsicht; er hat eine Kommission zum Schutz der Kinder vor sexualisierter Gewalt eingerichtet; auch die Ökumene treibt er voran. Indem er seinen Status als „Bischof von Rom“ betont, kommt er der Kritik der anderen Kirchen an der Papst-Institution entgegen. Er beteiligt sich an Reformationsfeierlichkeiten und ist der erste Papst, der mit dem orthodoxen Patriarchen von Moskau zusammentrifft.

Wenn wir aber mit Franziskus den Sinn der Kirche darin sehen, dass sie der Welt und nicht zuletzt dem westlichen Menschen ihren Spiegel vorhält, ist das alles nicht genug. Etwa weil er wie seine Vorgänger an einer mittelalterlichen Ehe- und Sexualethik festhält. Der Spiegel ist scharf, wo er die Hässlichkeit des Kapitalismus enthüllt, und zugleich voller blinder Flecken. Ist es nicht eigentlich eine Beleidigung, wenn mich jemand mahnend anspricht – und dabei so tut, als lebten wir noch im Mittelalter? Nicht darin, dass die Kirche ihre besonderen (christlichen) Ansichten hat, die ich vielleicht nicht teile, liegt das Problem. Denn das ist immer so. Man tauscht sich immer mit Menschen aus, die anders sind als man selber, und hat gerade deshalb einen Gewinn. Doch darf der Andere die Grenzen der Geschmacklosigkeit nicht überschreiten. Wie soll ich eine Institution als Gesprächspartner hinnehmen, die sich eine Herrscherschicht, den Klerus, nur aus Männern erlaubt? Dagegen laufen natürlich auch die Frauen innerhalb der Kirche Sturm, Franziskus aber hat schon ausdrücklich erklärt, dass er daran nichts ändern will.

Dass Frauen nicht zur Ordination zugelassen sind, ist aber ein wirklich unfassbarer Skandal. Er wird dadurch nicht besser, dass er seit nun schon zweitausend Jahren die Kirchengeschichte beschmutzt. Schon zur Zeit der Abfassung der kanonischen Schriften hat die Rückkehr zur weltüblichen Marginalisierung der Frau begonnen. Aber wenn darauf noch heute beharrt wird, ist es umso empörender. Wir können es auch einem Franziskus nicht nachsehen. Es ist der Kirche in ihrer langen Geschichte schon mehrmals gelungen, sich einer gewandelten Welt anzupassen, indem sie radikale Reformen nicht scheute. Warum wagt sie es nicht auch heute? Weil sie kleinmütig ist. Sie ist ein ungläubiger Thomas. Franziskus macht keine Ausnahme. Wer aber nicht glaubt, er könne Berge versetzen, dem wird es auch nicht gelingen.

Als er das Urbi et orbi zum ersten Mal sprach, sagte Franziskus vorher: „Ehe der Bischof das Volk segnet, bitte ich euch, den Herrn anzurufen, dass er mich segne.“ Das Volk spricht ihm aber schon lange gut zu und verzeiht ihm auch. Es ist noch nicht recht bei ihm angekommen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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