Der Westen trägt die Hauptschuld

Referendum Wie lange wollen die EU-Politiker das verlogene Spiel, immer nur Russland zu beschuldigen, eigentlich noch fortsetzen?

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Der Westen trägt die Hauptschuld

Foto: John Moore / AFP / Getty Images

Natürlich, der Westen erkennt das Referendum in der Ostukraine nicht an. Die Begründung der Politiker ist zwar ein wenig wirr. Es habe viel zu wenige Wahllokale gegeben, außerdem seien Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Das hört sich an, als hätten sie das Referendum grundsätzlich anerkannt, was durchaus nicht der Fall war. Sie haben sich geweigert, Wahlbeobachter zu entsenden, und geben nun Wahlbeobachter-Urteile ab. Wie dem aber auch sei, das Referendum bietet natürlich, rein juristisch gesehen, Angriffsflächen genug. Man kann ja so tun, als sei das bei der Machtergreifung in Kiew nicht auch der Fall gewesen.

Doch die Medien haben sich nicht abhalten lassen, die Wahl zu beobachten. Und nun hat sich das Verhältnis zwischen Medien und Politik, wie man es in den letzten Wochen immer wieder beobachten konnte, einmal umgekehrt. Man hatte nämlich bisher den Eindruck, dass es in der EU Politiker gibt, Steinmeier an der Spitze, die trotz aller harten Worte gegen Russland doch um Entspannung bemüht sind, während gleichzeitig von den Medien die Paranoia geschürt wird. Da konnte man sich wirklich an die Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg erinnert fühlen, als die nationalistische Presse in manchen Ländern die Politik vor sich her trieb. Doch nun haben sie die langen Schlangen vor den Wahllokalen gesehen und auch mit den ostukrainischen Menschen gesprochen. „Der Hass auf Kiew ist groß“, auch bei denen, die für den Erhalt der Ukraine sind, melden sie wahrheitsgetreu. Die Behauptung, dahinter stecke immer nur Moskau und die Einheimischen seien bloß Marionetten, bleibt ihnen nach der Ermordung von 40 Menschen, die sich ins Gewerkschaftshaus von Odessa geflüchtet hatten, im Hals stecken.

Wie lange wollen die EU-Politiker das verlogene Spiel, immer nur Russland zu beschuldigen, eigentlich noch fortsetzen? Der russische Vorschlag liegt immer noch auf dem Tisch und ist immer noch vernünftig: Kiew und die Separatisten müssen verhandeln, denn vielleicht besteht die Chance ja noch, dass sie sich auf eine ukrainische Föderation mit zwei Präsidenten einigen. Wenn es nicht mehr möglich ist, muss man dafür sorgen, dass eine Abspaltung der Ostukraine in zivilisierter Form vonstatten geht. Der Westen trägt die Hauptschuld an den Ereignissen – alles begann damit, dass der Vorsitzende der EU-Kommission, Barroso, Anfang 2011 erklärte, die Ukraine könne nicht gleichzeitig mit der EU ein Assoziationsabkommen haben und in die Zollunion mit Russland eintreten -, er trägt nun auch die Hauptverantwortung für die Rückkehr zum Frieden.

Der frühere Bundeskanzler Schröder hat jetzt öffentlich erklärt, dass der Westen die Hauptschuld trage. Doch so eine Erklärung müsste aus dem Mund Steinmeiers kommen. Als er vor ein paar Wochen sagte, es sei falsch gewesen, dass West und Ost von beiden Seiten an der Ukraine gezerrt hätten, war das ein Schritt zur Entspannung, den man begrüßen konnte. Doch es war ja nicht richtig, was er sagte. Die Wahrheit ist, dass der Westen einseitig Russland beschuldigt, obwohl er selbst angefangen hat, zu zerren. Und zur Wahrheit gehört auch, dass die USA den Konflikt schüren, statt an seiner Eindämmung mitzuarbeiten. Die Entsendung von Militär aus Kiew, die den Hass vieler Ostukrainer zum Sieden gebracht hat, geschah am Tag, nachdem der US-Verteidigungsminister die Hauptstadt besucht hatte. Inzwischen ist bekannt geworden, dass es von Söldnern einer US-Privatfirma begleitet wird. Und US-Präsident Obama, der Friedensnobelpreisträger, phantasiert davon, Russland zu einer „Parianation“ zu machen. Darauf erwartet man von Steinmeier und anderen eine Antwort. Wäre Schröder noch im Amt, er hätte das Zeug, sie zu geben. Die EU müsste jetzt deutlich und öffentlich eine Trennlinie ziehen.

Erschienen in der laufenden Ausgabe des Freitag unter dem Titel "Föderation mit zwei Präsidenten"

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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