Weltall Wie wirkt sich der Konflikt mit Russland auf die Internationale Raumstation ISS aus? Ohne den Partner im Osten kann diese nicht betrieben werden. Der Westen sitzt in der Falle
Der US-Amerikaner Neil Armstrong (links) war der erste Mensch auf dem Mond, der Russe Yuri Gagarin der erste im All
Collage: der Freitag; Material: Imago Images, Getty Images
Wenn der Westen jetzt darauf aus ist, alle nach Russland führenden Brücken abzureißen, politische, ökonomische, sportliche, kulturelle, stellt sich auch die Frage, wie es mit der Internationalen Raumstation ISS weitergehen soll. Sie ist zwar nicht die wichtigste, aber sicher die symbolträchtigste, und mehr noch, sie ist in einem gewissen Sinn die zentrale Brücke. Denn warum gibt es diese Station?
Wenn man sagt: Weil sie eine Station auf der großen geschichtlichen Straße der Menschheit ist, ist das eine zwar pathetische, aber deshalb nicht unwahre Antwort. Den Plan ins Weltall vorzustoßen, haben West und Ost gefasst, und das nicht erst nach dem Ende des Kalten Krieges, dann aber verstärkt und in aller Form für diese von beiden Seiten als
Seiten als „menschheitlich“ aufgefasste Aufgabe zu kooperieren begonnen.Das wird zwar heute heruntergeredet, weil es zur aktuellen Zerstörung der Brücken nicht passen will. Die angebliche Menschheitsaufgabe sei immer schon ein Mythos gewesen, lesen wir jetzt in der FAZ. In Wahrheit sei Raumfahrt stets nur aus militärischen Gründen betrieben worden. So einfach ist das auf einmal. Aber es stimmt nicht.Sogar im Kalten Krieg fiel es niemandem ein, die Raumfahrt auf ihren militärischen Aspekt zu reduzieren. Dass er immer mitschwingt, steht zwar außer Frage: Als die Sowjetunion 1957 den ersten „Sputnik“ in die Erdumlaufbahn brachte, legte sie damit offen, dass mit demselben Raketentyp auch Atombomben von Russland nach Amerika geschickt werden konnten. Das zu sagen, war aber damals nicht die Reaktion der FAZ, vielmehr titelte sie: „Das planetarische Zeitalter hat begonnen“. Damals arbeiteten West und Ost nicht zusammen, und doch sah jedermann, ob politisch links oder rechts stehend, die „menschheitliche“ Dimension von Raumfahrtprojekten. Als im Juli 1969 der US-Astronaut Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat, sprach er, von der Landefähre herunterspringend, vor dem Publikum der weltweiten Live-Übertragung den vorbereiteten Satz: „Das ist ein kleiner Sprung für einen Menschen, ein riesiger Sprung für die Menschheit.“ Er war auch für die gegnerische Sowjetunion gesprungen, von der er ja wusste, dass auch sie zur Menschheit gehörte.Bibeln im AllDass es sich um ein Menschheitsprojekt handelte, war auch daraus zu ersehen, dass 1971 beim Mondflug von Apollo 14 Bibeln an Bord waren. Die US-Astronauten lasen sich daraus vor. Juri Gagarin, der erste Mensch im All, 1961 von einer sowjetischen Rakete in die Erdumlaufbahn geschossen, hatte zwar gesagt, er habe im All keinen Gott gefunden. Jedermann verstand aber, dass seine Worte und die Symbolhandlung der Amerikaner denselben Anspruch signalisierten: etwas über die Zukunft der Menschheit auszusagen. Gagarin stellt sie sich nicht als gottbezogen, sondern als kommunistisch vor. Das war eine Differenz, doch die Kunst malte schon Bilder der Zusammenarbeit. 1968 lief Stanley Kubricks Film 2001 – Odyssee im Weltraum an. Hier sehen wir eine Station im Erdorbit, von den USA zwar gebaut, aber nicht allein genutzt. Als der Raumfahrtfunktionär Dr. Heywood Floyd sie betritt, findet er auch sowjetische Wissenschaftler:innen vor. Er verrät ihnen zwar nicht das nächste US-Projekt, sie unterhalten sich aber freundschaftlich.Die erste reale Station baute freilich die Sowjetunion. Saljut 1 wurde 1971 ausgesetzt und im selben Jahr noch für 23 Tage bemannt. Das Saljut-Programm diente militärischen Zwecken, zum Beispiel der Beobachtung von Raketenstarts, obwohl es für zivil ausgegeben wurde. Bis 1976 wurden drei bemannte militärische Stationen ausgesetzt. Die nachfolgenden Exemplare waren aber zivilen wissenschaftlichen Zwecken gewidmet. Saljut 6, 1977 ins Orbit geschossen, blieb dort fast fünf Jahre und wurde in dieser Zeit von 35 Raumschiffen angeflogen, darunter 20 bemannten. In dieser Station arbeiteten nicht mehr nur Sowjets. 1978 zum Beispiel hielt sich Sigmund Jähn aus der DDR dort auf. 1986, also immer noch im Kalten Krieg, wurde das inzwischen technisch gereifte Programm in „Mir“ umbenannt: Die so bezeichnete Station, zu Deutsch „Frieden“ oder „Welt“, blieb bis 2001 im Orbit und probte von Anfang an die Zusammenarbeit mit dem Westen. Man beachte, das geschah unter der US-Präsidentschaft Ronald Reagans, dem es doch gelang, wovon führende US-Politiker heute nur träumen: Russland ökonomisch, und in der Folge auch politisch und militärisch, entscheidend zu schwächen. Schon im ersten Mir-Jahr schickten die USA eine Space Shuttle, und noch vor dem Ende der Sowjetunion wurden ein Franzose, ein Japaner, eine Britin und ein Österreicher an Bord geholt.Die USA hatten mit Skylab nur 1973 bis 74 eine Raumstation, die in acht Monaten drei Mal bemannt wurde. Sie waren auf diesem Gebiet der Sowjetunion technisch unterlegen. Für ihre Mondlandung wurden sie auf der ganzen Welt bewundert, doch der sowjetische Erfolg zählte eigentlich mehr. Denn die Mondlandung hatte weder einen militärischen Nutzen, noch brachte sie den längerfristigen Plan voran, in dem sich alle fachkundigen Raumfahrtstrategen immer einig gewesen waren: erst die Station, besagte er, dann zum Mond, dann zum Mars. Die Station musste den Primat haben, weil es günstiger war, die Raumschiffe zum Mond dort zusammenzusetzen und auch von dort zu starten.Die Vorgeschichte der ISSDass die USA zuerst auf dem Mond waren, war zwar propagandistisch für den Westen ein großer Erfolg, kam aber, gemessen am längerfristigen Projekt, dem Weg zum Mars, verfrüht und warf es daher eher zurück. Es ist bezeichnend, dass dieser längerfristige Plan gerade am Ende des Kalten Krieges von Reagans Amtsnachfolger, dem US-Präsidenten George Bush, noch einmal in Worte gefasst und besonders lauthals verkündet wurde: Bau der Raumstation „Freedom“ in den 1990er Jahren – er tat ein bisschen so, als gäbe es solche Stationen noch gar nicht –, Einrichtung einer permanent bewohnten Station auf dem Mond bis 2005, Landung von Menschen auf dem Mars bis 2019. Das war im Juli 1989, „das Ende der Geschichte“ bahnte sich an, der Westen war im Begriff zu siegen und würde den Weg der Menschheit künftig allein bestimmen. Der Mars: Schon für Wernher von Braun, der zunächst den Nazis gedient und nach deren Kriegsniederlage für die USA die Mondlandung gemanagt hatte, war er das Ziel gewesen, und das war kein militärisches Ziel, wenn auch das US-Militär seine Arbeit finanzierte. Für die Marslandung werden auch heute noch Unsummen ausgegeben, inzwischen nicht nur von staatlicher, sondern auch von privatkapitalistischer Seite.George Bush hatte mit seiner „Initiative“ einen US-amerikanischen Führungsanspruch angemeldet, dem stand nicht entgegen, dass er 1992 ein „Abkommen zur amerikanisch-russischen Raumfahrt-Zusammenarbeit“ unterzeichnete. 1993, als Bill Clinton US-Präsident geworden war, handelte sein Vize Al Gore ein weiteres Programm aus: Es garantierte den Amerikanern, und unter ihrer Führung auch Kanadiern, Europäern und Japanern, Experimente und zehn Shuttle-Flüge in zwei Flugjahren zur russischen Station Mir-2, während Russland hundert Millionen Dollar Kompensation und die Teilnahme an einigen Flügen erhielt. Im selben Jahr wurde bekannt, dass Mir-2 aufgegeben werden würde; Russland wolle sich dem US-Programm einer neuen Station anschließen, von der es dann aber hieß, sie solle ab 1997 auf den Elementen von Freedom und Mir-2 aufbauend errichtet werden. Das ist die Vorgeschichte der Station, die schließlich den Namen ISS erhielt.Wir könnten nun von unzähligen internationalen Konferenzen berichten, in denen die Raumfahrtstrategie im Einzelnen weiter ausgearbeitet und präzisiert wurde. Doch ist das Wichtigste allgemein bekannt: der Betrieb der ISS seit 1998 unter Beteiligung von 16 Ländern, darunter auch Brasiliens, und ihre ständige internationale Bemannung bis zum heutigen Tag. Die ISS „ist die bislang größte und längstlebige Raumstation der Menschheit“, lesen wir bei Wikipedia. Was für ein Satz!Im Kalten Krieg gehörte Russland noch zur Menschheit, jetzt aber nicht mehr? Übrigens muss man hier präziser werden. Zunächst einmal, als auch China teilnehmen wollte, wurde es von den USA verhindert. Mit China war auch vorher nicht kooperiert worden. China baute sich dann eben seine eigene Station. Und dann: Wenn man die Menschheit als empirische Größe nimmt, ist der Westen in ihr nur eine Minderheit. Man denke, neben China, an Indien oder die Türkei, oder Südafrika, die sich alle weigern, die russische Führung wegen des Ukraine-Kriegs zu dämonisieren.Ohne Russland geht’s nichtDer Vorsitzende der Afrikanischen Union ist nach Moskau gefahren und hat dort verhandelt, ohne den russischen Präsidenten, wie es Bundeskanzler Olaf Scholz kurz vor Kriegsbeginn einfiel, an sein bevorstehendes Amtsende zu erinnern. Wladimir Putin seinerseits hielt den afrikanischen Gast nicht mit jenem überlangen Tisch von sich fern, der signalisiert, dass er kein Tisch mehr ist – der Präsident „setzt sich“ mit westlichen Gästen nicht mehr „an einen Tisch“ –, sondern nahm direkt neben ihm Platz. Im Westen selber fährt Japan ganz unbekümmert fort, russisches Gas einzukaufen. Doch im Ganzen wird der Brückenabriss gepredigt, diese Linie ist immer noch dominant. Fällt ihr auch die „Raumstation der Menschheit“ zum Opfer?Der Verfasser dieser Zeilen ist immer raumfahrtkritisch gewesen. Bevor wir ins All streben, sollten wir die Erde retten. Die Raumfahrtszenarien haben etwas von religiöser Flucht in den Himmel, um den irdischen Aufgaben ausweichen zu können. Aber sie werden nun einmal derzeit für den Menschheitsweg gehalten. Deshalb wäre ein Ende der Zusammenarbeit mit Russland so signifikant wie bedenklich. Eine russische Rakete mit europäischem Rover an Bord sollte im September von Baikonur aus zum Mars fliegen, die Europäische Raumfahrtagentur Esa teilte aber am 28. Februar mit, dieser Start sei „sehr unwahrscheinlich“ geworden.Wird auch noch die Orbitstation in den Krieg einbezogen, geht es ans Eingemachte. Deshalb wohl schrecken die USA davor noch zurück. Von der NASA, ihrer Raumfahrtbehörde, ist zu hören, man wolle weiterhin mit allen Partnern zusammenarbeiten. Der Grund ist leicht zu sehen: Die Zusammenarbeit läuft so, dass der Westen den meisten Strom beisteuert, während Russland permanent dafür sorgt, dass die Station nicht abstürzt. Es geht also nur mit Russland oder gar nicht. Russland weiß das und droht seinerseits, die geplante Lebensdauer der ISS zu verkürzen. Überhaupt sind die Signale schwer erträglich, die derzeit aus Russland kommen, so auch die jüngste Putin-Rede, die vom „Zurückholen“ früherer russischer Gebiete spricht. Die Eskalation erreicht eben immer höhere Stufen, weil keine Seite, weder Russland noch der Westen, ein Szenario des Kriegsendes vorschlägt.Das deutsche Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung wird von der FDP geführt. Es twittert, Russland habe sich mit der Aggression gegen die Ukraine „selbst aus der internationalen Gemeinschaft verabschiedet“, deshalb werde die langjährige Zusammenarbeit „gegenwärtig gestoppt“. Und es folgt ein Obwohl: „obwohl sie grundsätzlich im beiderseitigen Interesse ist und zur Lösung globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel beiträgt“. Dieser apokalyptische Nebensatz am Satzende ist eigentlich der Hauptsatz. Ihm ist nichts hinzuzufügen.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.