Die FDP schlägt Alarm

Wahlkampf Warum wollen die einen lieber die Zerbrechlichkeit der Koalition, die andern lieber ihre Stabilität und noch andere am liebsten beides gleichzeitig betonen?

"Schrille Töne aus der Koalition", titelte die Frankfurter Allgemeine, "Seehofer: Soll die SPD doch gehen", "Müntefering: Wir quälen uns bis zum Ende" folgte als Unterzeile. Das klingt, als sei das Regierungsbündnis kurz vor dem Zerbrechen. Dabei wäre auch die genau gegenteilige Schlagzeile möglich gewesen: Führende Koalitionspolitiker – Merkel und Bosbach von der CDU, Müntefering und Nahles von der SPD – verbürgen sich für die Haltbarkeit des Bündnisses. Was ist richtiger? Warum wollen die einen lieber die Zerbrechlichkeit der Koalition, die andern lieber ihre Stabilität und noch andere am liebsten beides gleichzeitig betonen?

Weil es beide Möglichkeiten gibt. FDP-Chef Westerwelle fordert das sofortige Ende der Koalition und die Vorverlegung der Bundestagswahl auf den Tag der Europawahlen. Die Bundeskanzlerin weist es von sich, aber ihre Argumentation ist seltsam verquollen. "Ich als Bundeskanzlerin werde in dieser Koalition meine Aufgabe erfüllen, und zwar für die Zeit, für die wir gewählt sind", hat sie in der ARD-Sendung Anne Will gesagt, und: "In Zeiten der Wirtschaftskrise erwarten die Menschen mit Recht, dass die Regierung alles zur Sicherung ihrer Arbeitsplätze tut." Warum sagt sie nicht, dass in ihrer Sicht eine schwarz-gelbe Regierung die Arbeitsplätze besser sichern könnte als die jetzige? Da es derzeit auch möglich scheint, dass Union und FDP eine Mehrheit erlangen, hätte sie gute Gründe, dem Vorschlag Westerwelles zu folgen.

Der merkt aber, was gespielt wird, und hat deshalb mit seinem Vorschlag Alarm geschlagen: Die Großkoalitionäre sind offenbar jetzt schon entschlossen, ihr Bündnis über den Wahltag hinaus fortzusetzen. Er kann sich zudem ausrechnen, dass die Chancen für eine schwarz-gelbe Mehrheit bis zum September zunehmend schwinden, da sich die Wirtschaftskrise bis dahin weiter entfaltet haben wird. Dann wird die Union immer mehr zerrieben werden. Ihren Wechselwählern kommt die SPD mit windschnittiger Rhetorik gegen Managergehälter entgegen. Denen, die immer noch marktideologisch denken, hat die FDP mehr zu bieten, zugleich nimmt ihre Zahl ab. All das weiß auch Merkel, und das bedeutet, dass sie keinen schwarz-gelben Wahlsieg ansteuert, denn sonst müsste auch sie sich die Vorverlegung der Wahl wünschen.

Die Großkoalitionäre sehen wahrscheinlich die Gefahr einer politischen Krise und wollen ihr durch den soften Ausnahmestaat zuvorkommen, für den die Große Koalition das angemessen harmlose Outfit darstellt. Dass auch die SPD so zu denken scheint, ist besonders bemerkenswert, denn sie könnte sich noch eher als die Union ausrechnen, dass ihre Rhetorik zum Stimmenzuwachs bis zum September führen und sie dann ein linkes Mehrheitslager anführen könnte. Sie will offenbar nicht. Mögen Merkel, Seehofer und Müntefering sich (und einander) "quälen" – von ihrem Glauben, dass es zu ihrer Politik überhaupt keine Alternative gibt, sind sie nicht abzubringen.

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Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur „Politik“ (Freier Mitarbeiter)

Michael Jäger studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. für poststrukturalistische Philosophie an der Universität Innsbruck inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

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