Die Herren der Ordnung

Mindeststeuer für unternehmen Was haben die USA mit Hartz IV zu tun? Ist die Belastung der Ärmsten eine Folge der Globalisierung?

Der Zusammenhang scheint schlagend: Weil Opel 2003 einen noch höheren Verlust als im Vorjahr einfuhr, fordert der Vorstand jetzt die 40-Stunden-Woche für den Lohn von 35 Stunden, Lohnnullrunden bis einschließlich 2009, die Halbierung des Weihnachtsgeldes und eine Kürzung des Urlaubsgeldes. Werde die Forderung nicht erfüllt, müsse man abwandern, dorthin, wo die Steuern niedriger sind. Sie wurden zwar auch in Deutschland gesenkt, was Hartz IV zur Folge hatte. Denn die Ursache von Hartz IV ist, dass weniger Steuerertrag in die traditionell steuerfinanzierte Arbeitslosenhilfe fließt, die folglich vermindert werden musste. Aber Opel ächzt weiter unter einer angeblich immer noch viel zu hohen Steuerlast. Ebenso VW, weshalb der dortige Manager Peter Hartz, SPD, die Belegschaft mit ähnlichen Forderungen traktiert wie Opel. Man schaue auf die Slowakei, dort stehen die Unternehmens- und Einkommenssteuersätze seit Anfang des Jahres auf 19 Prozent! Deutschland verlangt 26,4 plus 12 Prozent Gewerbesteuer. Hat die deutsche Regierung da nicht recht, ihre sozialen Grausamkeiten auf "Sachzwänge der Globalisierung" zurückzuführen?

Sie hat nicht Recht. Das räumt sie selbst faktisch ein durch einen Teil ihrer Aktivitäten. Der springende und sehr einfache Punkt ist, dass man den Weggang von Unternehmen durchaus verhindern könnte. Sie zahlen anderwo weniger Steuern? Dazu muss man wissen, dass es sie, wenn ins Ausland, dann nahezu immer in EU-Länder zieht. Wenn also die Brüsseler Behörden für Steuerharmonisierung gesorgt hätten, wäre der Weggang für sie nie vorteilhaft geworden. Und nun sieht man, eben dieser Meinung sind die deutsche und französische Regierung: Beide fordern seit dem Frühjahr EU-weite Steuermindestsätze. Finanzminister Eichel, der erst jüngst ins Baltikum gereist ist, um sich über das dortige Steuerdumping zu beschweren, kennt den Zusammenhang genau: Hätte Brüssel steuerpolitisch eingegriffen, wäre Hartz IV nicht nötig gewesen, und die Opel-Arbeiter bräuchten keine Lohneinbußen zu befürchten.

Brüssel denkt aber gar nicht daran, Eichel entgegenzukommen. Dabei muss Deutschland den Dumping-Ländern noch Wirtschaftshilfe zahlen. Litauen und die Slowakei setzen sich gegen Deutschland und Frankreich durch! Ist das nicht rätselhaft? Und warum ist Berlin ohnmächtiger als Brüssel? Wir haben gerade erst erlebt, wie es den Brüsseler Versuch durchkreuzte, durch eine ökologisch hinreichende Regelung des Schadstoff-Handels zur Erfüllung des Kyoto-Protokolls beizutragen. In diesem Fall setzte die deutsche Regierung sich durch, indem sie Interessen des deutschen Kapitals vertrat. Soll man daraus schließen, dass immer das Kapital gewinnt? Nein, das Kapital kann keiner Regierung, weder der slowakischen noch der deutschen, mit Gewalt drohen. Es muss sich der Rechtsetzung beugen. Die Frage ist, warum diese nicht mehr gelingt.

Die Erklärung muss durchaus auf der Ebene der Staaten gesucht werden. Die kleinen osteuropäischen Länder wollen natürlich gern Unternehmer anziehen. Aber Deutschland und Frankreich haben dasselbe Interesse und sind eigentlich stärker. Nun ist aber auch Großbritannien gegen EU-weite Steuermindestsätze. Großbritannien wiederum zieht mit den USA an einem Strang. Deregulierung ist kein ökonomischer Selbstlauf, sondern der angelsächsische wirtschaftspolitische Weg. Die USA gehören zwar der EU gar nicht an, sie haben aber traditionell in Großbritannien und jetzt auch den kleinen mittelosteuropäischen Staaten einen Hebel der Einwirkung von außen. Und nun sehen wir: Die Konstellation ist uns vertraut! Nämlich aus dem Streit über den jüngsten Irakkrieg. Es stellt sich die Frage, ob Deutschlands befremdende Ohnmacht gegenüber der Slowakei nicht in Wahrheit eine Ohnmacht gegenüber den USA ist.

Wir können das verallgemeinern: Wirtschaftsbeziehungen in "der Globalisierung" spiegeln nicht unmittelbar "den Willen des Kapitals" wider, sondern es gibt Handelsrunden, deren Teilnehmer internationale Regeln vereinbaren. Darum ging es in Seattle und anderswo. Den Sturmwind, der da weht, entfachen vor allem die USA. Andere Staaten könnten gegenhalten, tun es aber bisher kaum. Man muss dabei einräumen, dass das Gegenhalten seit dem Zusammenbruch des realsozialistischen Lagers viel schwerer geworden ist. Aber wenn Frankreich und Deutschland der angelsächsischen Irakpolitik widersprechen konnten, warum nicht auch der angelsächsischen Deregulierungspolitik?

Man kann auch mehr theorieförmig an die Frage herangehen: "Hardt und Negri haben niemals gesagt" - so äußert sich Thomas Seibert von Attac -, "dass sich das dezentrierte Netz imperialer Macht konfliktfrei knüpft, im Gegenteil, vielleicht werden darum härtere Kämpfe geführt werden als zwischen den alten nationalstaatlichen Imperialismen." Die EU habe da sogar bessere Karten als die USA, meint er. Jedenfalls wird das imperiale Netz politisch geknüpft und nicht allein von der Wirtschaft, wenn auch in deren Interesse. Die deutsche Regierung kann sich also nicht auf "Sachzwänge" herausreden. Sie nimmt an der Knüpfung des imperialen Netzes teil.

Wenn sie dabei Ordnungsvorstellungen von imperialen Konkurrenten übernimmt, statt eigene durchzusetzen, können antiimperiale Kräfte intervenieren. Diese werden Hartz IV und den Weggang von Unternehmen weder aus imperialer noch aus nationalstaatlicher Perspektive bekämpfen. Aber dass es überhaupt um Ordnungsvorstellungen geht, ist eine Enthüllung, die ihnen gelegen kommt. Jetzt sprechen wir doch, können sie sagen, über das, worum es geht, jetzt kann die Debatte über nichtimperiale statt imperiale Ordnung beginnen. Die neue nichtimperiale Weltordnung bestünde in einem arbeitsteiligen Weltmarkt mit gerechter Verteilung der Lasten und Erträge, ausgehandelt auf einer neuen Seattle-Konferenz. Die entwickeltsten Länder wie Deutschland und die USA würden nur noch produzieren, was andere nicht produzieren können. Auch das hätte die Abwanderung von Unternehmen aus Deutschland zur Folge. Aber Deutschland, eingebettet in eine nichtimperiale Umwelt, würde deshalb nicht ärmer, sondern reicher.


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Michael Jäger

Redakteur (FM)

studierte Politikwissenschaft und Germanistik. Er war wissenschaftlicher Tutor im Psychologischen Institut der Freien Universität Berlin, wo er bei Klaus Holzkamp promovierte. In den 1980er Jahren hatte er Lehraufträge u.a. an der Universität Innsbruck für poststrukturalistische Philosophie inne. Freier Mitarbeiter und Redaktionsmitglied beim Freitag ist er seit dessen Gründung 1990. 1992 wurde er erster Redaktionsleiter der Wochenzeitung und von 2001 bis 2004 Betreuer, Mitherausgeber und Lektor der Edition Freitag. Er beschäftigt sich mit Politik, Ökonomie, Ökologie, schreibt aber auch gern über Musik.

Michael Jäger

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